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Kapitel 15

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Puddin betrat triumphierend Myrtles Haus, blickte sich erhaben um und hatte nicht ein Putzgerät bei sich. „Zumindest habe ich mich nicht umbringen lassen“, erklärte sie und bewies somit, dass sie irgendwoher wusste, dass Jill bei Myrtle geputzt hatte. „Da können Sie sich auf mich schon eher verlassen.“ Sie fuhr mit der Handfläche über einen Tisch. Es war nur wenig Staub darauf, auch wenn Myrtle seit Jills Putzaktion kaum mehr getan hatte, als mit dem Lappen darüberzuwischen. „Sie war eine dieser Verrückten mit Zwangsneurose, nicht wahr? Sie musste alles perfekt machen.“ Den letzten Satz strotzte ihre Stimme nur so vor Überheblichkeit.

„Ich konnte mich darauf verlassen, dass Jill gute Arbeit leistet“, erwiderte Myrtle. „Woher wissen Sie überhaupt was über Zwangsneurosen?“

„Von Oprah“, antwortete Puddin. In diesem Moment waren eigenartige misslungene Startgeräusche aus dem Garten zu hören.

„Was in aller Welt ist das?“, rief Myrtle. Es klang wie eine Invasion.

„Dusty. Er mäht den Rasen.“

„Nun, wie möchte er das denn anstellen? Ich habe doch die Zwerge draußen!“

Puddin zuckte mit den Schultern und schob eine Strähne ihrer langen, blonden Haare aus dem Gesicht. „Das glaube ich nicht, Myrtle. Red hat Dusty etwas Geld gegeben, damit er sie in deinen Schuppen räumt. Er will nicht, dass Sie sich was im Kreuz holen.“ Als Myrtles Gesicht vor Ärger rot anlief, fügte Puddin hinzu: „Sie möchten wirklich keine Rückenprobleme, Myrtle. Lassen Sie sich das gesagt sein“, Sie setzte sich auf Myrtles Sofa und fuhr fort: „Das ist einfach das schrecklichste Gefühl auf der Welt. Ich kann nicht putzen, ich kann gar nichts machen.“ Sie griff nach Myrtles Telefon. „Ich muss einen kurzen Anruf machen.“

Myrtle war sich nicht sicher, wo sie zuerst eingreifen sollte: bei der Zwergen-Verräumaktion, beim grashackenden Dusty oder bei der telefonierenden Puddin, die nicht mal Putzzeug dabei hatte. Sie entschied sich, die Sache mit Puddin ein für alle Mal zu klären. Wenn sie es dieses Mal nicht hinbekamen, dann war es an der Zeit, jemand anderen zu finden. Auch wenn das mehr Geld kosten würde, dachte Myrtle missmutig. Sie würde tatsächlich lieber bei den beiden bleiben.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sagte Myrtle: „Puddin. Keine Zeit für Telefonate. Ich will, dass Sie sich Handschuhe überziehen und das Essen aus der Küche entfernen.“

Ein erstaunter Ausdruck legte sich über das ansonsten saure Gesicht von Puddin. Sie stand vom Sofa auf und ging zur Küchentür. „Grundgütiger. Was ist hier passiert, Miss Myrtle?“

„Ach nichts, Willow Pearce hat versucht mich umzubringen. Das Zeug ist vergiftet, Puddin, seien Sie also vorsichtig. Ich habe heute weder die Zeit noch die Energie für Ihre Spielchen, also machen Sie schon und beseitigen Sie dieses Chaos. Danach können Sie die Küche wischen. Dieses Mal können Sie meine Sachen verwenden, aber das nächste Mal bringen Sie Ihre eigenen mit. Sobald Dusty dann mit dem Garten fertig ist, können Sie gehen.“

Puddin hatte wieder ihren gewöhnlichen, mürrischen Gesichtsausdruck angenommen. Das war vermutlich vor allem dem Umstand geschuldet, dass Dusty notorisch langsam im Garten war. Die halbe Zeit versuchte er, sein uraltes Werkzeug in Gang zu bringen, die andere Hälfte verbrachte er damit, langsam durch den Garten zu wandern und seine Gedanken zu sortieren. Da er ihr Chauffeur war, verbrachte Puddin die restliche Zeit normalerweise damit, auf Myrtles Sofa zu liegen und Seifenopern zu sehen. Nachdem jetzt neue Regeln aufgestellt waren, trat Puddin in die verdreckte Küche. Sie hielt inne, seufzte und bekreuzigte sich eilig.

„Seit wann sind Sie gläubig?“, fragte Myrtle verärgert. Wenn Puddin wirklich auch noch in die Kirche ging, dann war die Welt verrückt geworden.

„Es ist eine Hexe!“

„Eine Hexe?“ Myrtle lehnte sich auf ihrem Stock nach vorne und sah an der plumpen Puddin vorbei. „Schara!” Myrtle erschrak, als sie die schwarze Katze in der Küche sah. „Sie müssen sie hereingelassen haben, als Sie hereingetreten sind. Ich hoffe, sie hat nichts von dem Essen gefressen!“

Schara funkelte Myrtle böse an, so als ob sie nicht verstehen könnte, wie Myrtle sie für so dumm halten konnte.

Puddin stotterte: „D... Das ist eine Hexe, Mrs. Myrtle.“

Myrtle sah zu Schara. „Nein, das ist eine Katze, Puddin.“

„Ist es nicht. Es ist eine Hexe, die sich verkleidet hat. Sie wird schreckliches Leid in Ihr Haus bringen.“

Schara blinzelte Puddin an.

„Puddin, das ist eine Katze. Es ist keine und war auch nie eine Hexe. Sie bringt nur den Tieren Leid, die sie für mich fängt. Das war es dann aber auch schon.“ Myrtle war jedoch ein wenig erfreut zu sehen, dass Puddin die Katze nicht mochte. Vielleicht konnte Schara dabei helfen, Puddin in Schach zu halten.

Widerwillig ging Puddin zur Spüle und zog sich ein Paar Gummihandschuhe über, während sie die Katze nicht aus den Augen ließ. „Mr. und Mrs. Caulfield hatten eine schwarze Katze. Und sehen Sie, was mit ihnen passiert ist.“

Myrtle antwortete nicht sofort und Puddin nahm das als Startzeichen, um die großen Klumpen Gemüseauflauf unter den wachenden Augen der schwarzen Katze zu entfernen.

*****

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Das Problem, wenn man mehrere Anschläge auf sein Leben überlebt hatte, dachte Myrtle, war, dass jeder so übervorsichtig wurde. Wenn es nach Red ging, würde sie in Watte eingepackt und in Styropor gesichert weggesperrt werden. Was etwas ungünstig war für eine Starreporterin und Ermittlerin.

Sie konnte nur draußen herausfinden, was wirklich passiert war, aber alle ihre Ermittlungsversuche würden von Red und Perkins vereitelt werden. Nun musste sie noch mehr Genialität zeigen, um an nützliche Informationen zu kommen.

Sie dachte an die verbleibenden Verdächtigen. Georgia war zum Zeitpunkt von Cullens Tod noch immer verärgert über den Lottogewinn, den sie verloren hatte. Mit diesem Gedanken beschloss Myrtle, Georgias Affinität für Engel auszunutzen, um sie erneut zu dem Fall zu befragen. Das Motiv war ja immerhin noch aktuell.

Die Engel wurden wie versprochen am Mittwoch sorgfältig in Blisterfolie gehüllt geliefert. Sie waren viel schöner, als sämtliche Engel, die man in Bradley kaufen konnte. Und auch billiger.

Perfektes Timing. Myrtle brannte darauf, die ausweichende Georgia zu befragen. Vielleicht hatte sie etwas Interessantes über Cullens Mord zu berichten. Sie schien auf jeden Fall die Kunst der Missgunst zu beherrschen.

30 Minuten später klopfte Myrtle an Georgias schäbig aussehende Tür.

Georgia strahlte, als sie Myrtle sah und das Strahlen wurde noch größer, als ihr Blick gierig an den Engeln hängen blieb. Ihre Augenbrauen bildeten einen hohen Bogen, was ihr einen eher unpassenden, überraschten Ausdruck verlieh. „Komm rein, komm rein. Ähm, willst du etwas trinken, Myrtle?“

Das wollte Myrtle nicht. Sie hatte das Gefühl, dass die Küche dem Wohnzimmer in Sachen mangelnder Sauberkeit in nichts nachstand. Und das Chaos im Wohnzimmer war epischen Ausmaßes. Sie war sich sicher, dass sich unter den ganzen Stapeln an Papier, Zeitungen, dreckigem Geschirr und Wäsche irgendwo auch eine Sammlung an Engelsfiguren befand, aber sie konnte sie nicht finden. Vielleicht brauchte Georgia wirklich einen Engel ‒ einen Schutzengel. Der auch noch gerne aufräumte.

„Ich wollte dir die hier bringen“, sagte Myrtle rasch. „Ich habe sie im Schrank gefunden.“ Es bestand kein Grund, ihr zu erzählen, dass sie die Engel auf Ebay gekauft hatte. Mit Expresslieferung.

Georgia hob die Engel andächtig hoch. „Die sind wirklich, wirklich schön. Ich habe solche noch nirgendwo in der Gegend gesehen.“ Sie kniff die Augenbrauen zusammen. „Wie viel willst du für die, Myrtle?“

Myrtle winkte ab. „Ach, gar nichts. Du warst schon so freundlich und hast mir die anderen abgenommen. Sie sind ein Geschenk. Von einer Freundin.“

Georgia grinste. „Ich danke dir vielmals, Myrtle. Das ist wirklich nett von dir.“

Myrtle verspürte kein Verlangen nach einem ausgedehnten Besuch in Georgias schwarzem Loch.

Sie sprach so lange sie es aushielt über Belangloses, dann meinte sie: „Ist das nicht eine schreckliche Sache?“ Als Georgia sie verwirrt ansah, fügte sie hinzu: „Cullens Mord.“

Georgia verdrehte die Augen und sagte scharf: „Oder er hat einfach nur bekommen, was er verdient hat.“

Myrtle versuchte, verständnisvoll auszusehen.

Georgia fuhr fort: „Weißt du, ich bin rübergegangen. Zu Cullens Haus.“ Sie senkte ihre Stimme, so als ob die Wände dieses unordentlichen Hauses Ohren hätten. „Du weißt schon. Um mit ihm über das Geld zu reden. Damit er verstand, was passiert war. Ich wollte sehen, ob er genauso gierig war wie seine Frau.“ Die letzten Worte spie sie beinahe.

„Und als ich hinkam, hatte er einen heftigen Streit. Er ist also eigentlich mit niemandem gut ausgekommen.“

„Mit wem hat er denn gestritten?“, fragte Myrtle.

„Mit Sherry von nebenan. Keine Ahnung, worum es ging. Nun, es heißt ja, dass die beiden eine Affäre hatten, vielleicht hatte es damit zu tun. Sie hatte sich vor ihm aufgebäumt und ihm ins Gesicht geschrien. Er war puterrot angelaufen.“ Georgia berührte ihr eigenes, gepudertes Gesicht, so als ob sie sichergehen wollte, dass sie noch ihre normale Gesichtsfarbe hatte.

„Was ist dann passiert?“

„Sherry hat mich gesehen und ist zu ihrem Haus rüber gestapft. Cullen ging ebenfalls ins Haus. Bis ich an die Tür geklopft habe.“ Georgia schürzte die Lippen. „Da kam er aus dem Haus gestürzt. Er dachte wohl, es sei Sherry. Er war aber auch nicht erfreut, mich zu sehen. Und“, jetzt zogen sich ihre Augenbrauen zu einem gefährlichen Bogen zusammen, „er hat mich ausgelacht, als ich ihn nach dem Lottogewinn fragte. Mich ausgelacht.“ Georgia schäumte vor Wut und war offensichtlich in ihrer eigenen zornigen Welt versunken.

„Stell dir das nur vor.“ Myrtle gab sich entsetzt. „Bist du dann später hin und hast ihn umgebracht?“

Georgias schwarze Augenbrauen schossen so weit hoch, dass sie beinahe ihren Haaransatz erreichten. Sie beugte sich nach vorne, um zu sehen, ob Myrtle sich über sie lustig machte. Offensichtlich zufrieden, dass sie das nicht tat, überlegte Georgia. „Also wirklich, was ist die wahre Sünde? Die Entschlossenheit zu haben, etwas zu tun, oder sich nur zu wünschen, dass etwas passiert? Ich glaube, in meinem Herzen habe ich gesündigt, aber ich habe ihn nicht umgebracht. Ich bin aber froh, dass es jemand getan hat.“ Georgia tätschelte reumütig einen Engel.

Myrtle fragte sich, wie lange sie den Besuch noch ausdehnen konnte, ohne dass Georgia bemerkte, dass sie zum Schnüffeln gekommen war. Sie bezweifelte, dass sie noch lange durchhalten würde. Zumindest hatte sie von ihrer Expedition in die Abgründe einige Informationen erfahren können. Sie griff nach ihrer Handtasche, ließ aber sofort davon ab, als Georgia rief: „Du musst mit mir einen Kaffee trinken. Es ist wirklich nett von dir, dass du mir die Engel gebracht hast.“

Myrtle lächelte schwach. Dann bemerkte sie die Oberfläche unter den Stapeln von Zeitungen und ungeöffneter Post. „Ist das...?“

Georgia strahlte. „Ein Sarg! Ich habe ihn von einem Flohmarkt. Der Sohn einer kranken Frau hat ihn anfertigen lassen, aber dann hat sie den Krebs niedergeknüppelt. Und ich habe den Sarg für 5 Dollar bekommen. Ist er nicht schön? Ich kann ihn als Couchtisch verwenden, bis ich ihn selbst brauche. So kann ich ihn zu Lebzeiten schon nutzen.“

Myrtles Sprachlosigkeit schien als Bewunderung missinterpretiert zu werden. „Er gefällt dir, hab ich recht?“, hakte Georgia nach. „Ich bekomme so viele Komplimente von meinen Besuchern. Ich habe schließlich den Tischler ausfindig gemacht. Er kann dir auch einen machen. Vielleicht kannst du ihn nicht mehr so lange nutzen wie ich, angesichts deines Alters und so, aber er wäre doch ein nettes Bücherregal für die ganzen Bücher, die bei dir rumliegen. Er könnte ein paar Bretter einbauen, die Red dann wieder rausnehmen kann, wenn es Zeit wird, dich zu beerdigen.”

Myrtle begann auf ihrem Sessel unwohl hin- und herzurutschen.

„Kaffee!“, rief Georgia und schnippte mit den Fingern. „Ich erkenne Koffeinmangel, wenn ich ihn sehe. Ich bin sofort wieder da.“

Es war offensichtlich: Myrtle wurde für irgendetwas bestraft.