Bald ist Weihnachten, wie freu ich mich drauf,
da putzt uns die Mutter ein Bäumlein schön auf.
Es glänzen die Äpfel, es funkeln die Stern,
wie haben wir doch alle das Weihnachtsfest gern
– Verfasser unbekannt –
Weil ich nichts anderes hatte und Schokomatsch nun wirklich nicht passte, bepinselte ich die Entenbrust ordentlich mit Orangenmarmelade, gab Salz, Pfeffer und etwas Paprikagewürz drauf und klatschte sie einfach in eine Auflaufform. Anschließend goss ich etwas Chianti dazu, damit es nicht zu trocken werden würde. Dabei genehmigte ich mir auch einen großen Schluck von dem italienischen Rotwein, um meine Nerven zu beruhigen.
Nachdem die Entenbrüste in den Ofen verfrachtet waren und für eine Stunde brutzeln mussten, betrachtete ich nachdenklich die Löffelbiskuits und den Frischkäse. Leider wusste ich immer noch nicht, was ich damit zum Nachtisch machen könnte. Andere Sachen hatte ich ja nicht zur Auswahl und ich könnte ja schlecht die Kekse mit dem Frischkäse bestreichen. Das wäre sicher viel zu trocken. Sollte ich es wie mit der Entenbrust machen? In Chianti tunken? Ne, das klang doof. Ich fand Chianti und Löffelbiskuits passten auch nicht so recht zusammen. Aber wie wäre es mit Kaffee? Kekse und Kaffee passen doch immer zusammen. Wenn ich statt des Frischkäses doch wenigstens Mascarpone in den Einkaufswagen geschmissen hätte … Aber wenn ich den Frischkäse einfach mit Kaffee-Karamell-Likör mischen würde?
Ich griff zu einer Schüssel und dem Frischkäse, den ich dann hineingab. Dazu einen ordentlichen Schuss von dem Likör. Mit dem Mixer rührte ich das Ganze durch und probierte. Hm. Na ja. Irgendetwas fehlte trotzdem. Mein Blick glitt suchend durch die Küche und blieb beim Gewürzregal hängen. Zimt. Das Weihnachtsgewürz schlechthin. Ich gab somit noch eine Messerspitze Zimt hinzu. Als ich den Zimt zurück ins Regal stellte, fiel mein Blick auf den pulverisierten Weihnachtsmann, denn ich nur an die Seite geschoben und noch nicht entsorgt hatte. Ehe ich mich versah, hatte die Schokolade den Weg in die Plastikschüssel gefunden. Wieder mixte ich das Ganze ordentlich durch und probierte. Die Schokolade gab dem Käse einen süßen Geschmack und der Karamelllikör harmonierte wirklich wunderbar mit dem Zimt. Schließlich tauchte ich die Löffelbiskuits nacheinander in etwas Kaffee und legte sie in eine Auflaufform, um sie dann mit der Creme zu bestreichen. Ich gab noch eine Schicht Biskuits oben drüber, die ich allerdings vorsichtig mit Karamelllikör statt Kaffee beträufelte. Zum Abschluss etwas Kakaopulver zur Dekoration drübergestreut – und fertig war mein Weihnachtsdessert. Ich stellte das Dessert in den Kühlschrank und sah mich um. Eigentlich konnte ich jetzt nichts mehr tun. Einen Topf Wasser für die Fertigklöße hatte ich schon vorbereitet und der Rotkohl musste nur warm gemacht werden. Aus dem Rotweinsud der Entenbrust würde ich nachher mit etwas Stärke eine Soße andicken und das war‘s.
Also lief ich ins Wohnzimmer um dort noch etwas klar Schiff zu machen und die Geschenke unter den Baum zu legen.
»Pops, hörst du mir überhaupt zu?«
Erschrocken hob ich den Kopf und sah meine Tochter an. »Entschuldige, ich war mit meinen Gedanken anscheinend ganz woanders.«
Davina grinste. Wir saßen uns beim Chinesen am Tisch direkt gegenüber. »Das habe ich gemerkt, du hast nämlich gar nicht gemeckert, als ich nach einer Taschengelderhöhung gefragt habe.«
Ich schob die gebackene Banane nachdenklich auf meinem Teller von rechts nach links. Mona Seidel wollte mir wohl einfach nicht aus dem Kopf. »Taschengelderhöhung? Okay! Von wie viel sprechen wir?«
Meine Tochter riss erstaunt die Augen auf. »Pops, bist du krank?«
Stirnrunzelnd legte ich die Gabel weg und griff zu meinem Bierglas. »Wieso krank?« Hastig nahm ich einen großzügigen Schluck.
»Weil du sonst immer gleich los maulst, ich würde sowieso schon viel zu viel Taschengeld bekommen und wenn ich mehr Geld bräuchte, solle ich mir vielleicht einfach mal einen Job suchen.«
Ich nickte. »Stimmt ja auch. Du könntest zum Beispiel Zeitung austragen oder bei mir im Laden aushelfen.«
Davina warf die Gabel auf den Tisch. »Siehst du, das meine ich. Also, was ist los mit dir?«
Stirnrunzelnd warf ich ihr einen Blick zu. »Was soll schon sein? Nichts! Ich habe einfach nur nicht richtig zugehört.«
Ein genervter Aufstöhner entglitt ihrer Brust. »Pops, ich merke doch, dass etwas im Busch ist. Erst kommst du hoch, dann bist du total abwesend …« Sie seufzte. »Macht der Laden Probleme?«
Ich schüttelte hastig den Kopf, denn ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob ich meiner Tochter wirklich von Mona Seidel erzählen wollte. Abgesehen davon, dass es nicht wirklich was zu erzählen gab. Mona Seidel war lediglich eine Kundin, der ich mehr als einmal zufällig über den Weg gelaufen bin und, na ja, in die ich mich vielleicht etwas verguckt hatte. Mir war ja nicht mal klar, ob sie nicht in festen Händen war. Und wer wusste schon, wie Davina auf eine potenzielle neue Frau in meinem Leben regieren würde? Auf einen Streit mit meiner Tochter am Heiligabend hatte ich keine Lust. Nein. Besser ich sagte nichts dazu.
»Quatsch, mit dem Laden ist alles okay. Und das ich hochgekommen bin, war nur, weil mir endlich mal danach war. Und hast du nicht selbst gesagt, ich solle deine Mutter nicht mehr bestrafen?«
Meine Tochter warf mir einen weiteren skeptischen Blick zu und schürzte die Lippen. Deshalb wechselte ich schnell die Richtung.
»Also bei mir ist alles in Ordnung. Wirklich. Aber erzähl mal, wie läuft es denn bei dir so? Was macht die Schule? Wohin geht’s im Februar auf die Klassenfahrt?« Davina senkte den Blick und wurde rot. »Ach Schule ist doof, wie immer.«
Ich kannte meine Tochter lange genug, um zu wissen, dass sie die Schule nicht doof fand. Davina war immer ein wissbegieriges Kind gewesen, das zusätzlich zu den gestellten Aufgaben zu Hause noch freiwillig Extraaufgaben gemacht hatte. Schon vor der ersten Klasse konnte sie lesen, schreiben und rechnen, weil es ihr in der Kita zu langweilig war und wir sie zu Hause selbst gefördert hatten. Jetzt war sie bereits in der achten Klasse und hatte vor, nach dem Abitur Tiermedizin zu studieren. Ich hatte auch keine Bedenken, dass sie es nicht schaffen könnte. Ihr Notendurchschnitt lag immer zwischen eins und zwei.
»Doof? Seit wann das denn?«, fragte ich beiläufig und pikte ein Stück gebackenen Banane mit der Gabel auf.
»Schon länger«, wiegelte sie ab.
»Und warum?«, hakte ich nach. »Wenn es Probleme gibt, kann ich mich auch gerne mal mit deiner Klassenlehrerin unterhalten.«
Meine Tochter schüttelte den Kopf, sodass ihre langen dunkelbraunen Haare flogen. »Bloß nicht. Außerdem kann die Kellermann mir da auch nicht helfen.«
Ich ließ die Gabel wieder sinken und musterte Davina. Ihr Gesichtsausdruck schien alles andere als glücklich.
»Was ist los? Hast du ausnahmsweise mal eine Fünf geschrieben?«
Der Blick, der mich nun streifte, hätte sicher töten können, so spitz war er. »Natürlich nicht, Pops. Lass mich einfach in Ruhe okay?«
Ich legte die Gabel weg und griff über den Tisch zu ihrer Hand. »Ich will, dass du eines weißt, du kannst mit jedem Problem jeder Zeit zu mir kommen, okay? Egal, was es ist.«
Sie nickte und griff wieder zu ihrer Gabel, um den Rest Reis zusammenzuschieben. Eine Zeit lang herrschte betretenes Schweigen am Tisch. Lediglich das Quietschen des Besteckes auf dem Teller war zu hören.
»Es gibt da jemanden in der Schule«, begann Davina dann doch vorsichtig. »Einen Jungen.«
Ein Junge also. Aha. Keine fünf in Mathe oder so. Erleichtert atmete ich auf. Doch dann dachte ich gleich an Sachen wie küssen oder fummeln, hatte plötzlich sogar Tobi vor Augen und wie er mit seiner Zunge der Schwarzhaarigen in der Kneipe die Mandeln massiert hatte. Mich durchzuckte es heiß und kalt. Mir wurde schlecht und mein Herz raste los. Da war er also, der Tag, den ich am meisten gefürchtet hatte. Den Tag, den alle Väter mit Töchtern sicher fürchten.
»Was heißt das genau? Hat er dir was getan? Oder sich dir unsittlich genähert?« Wenn ja, würde ich ihn unangespitzt in den Boden rammen.
Davina sah hoch. Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen. »Natürlich nicht. Er hat …« Sie stockte. »Ach, ich finde ihn einfach nett und weiß nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll.«
Zum zweiten Mal an diesem Abend atmete ich erleichtert auf. Mir schien, ich müsste doch kein Bienchen-und-Blümchen-Gespräch führen, wobei ich mir auch sicher war, das Davina genau wusste, wie das ging und wo die Risiken lagen.
»Das heißt, du magst ihn mehr als andere Jungs?«
Davina verdrehte die Augen. »Mensch, Pops, lebst du hinterm Mond? Das heißt verknallt, okay?« Sie grinste kurz, wurde aber gleich wieder ernst. »Das Problem ist, ich weiß nicht, wie ich ihn ansprechen soll. Ich habe noch nie einen Jungen angesprochen. Außerdem ist er eine Klasse über mir, geht aber genau wie ich in die Badminton-AG.«
Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Dafür war ich genau der falsche Ansprechpartner. Schließlich hatte ich gerade dasselbe Problem. Und mir konnte nur ein Weihnachtswunder helfen. Draußen rieselte leise der Schnee … Und tatsächlich, in meinem Herzen war es warm. Was hatte ich zu verlieren? Ich hatte eine Liebe verloren, aber jetzt zumindest den Hauch einer Chance. Endlich gefiel mir mal wieder jemand. Still schweigt Kummer und Harm, Sorge des Lebens verhallt:
Freue dich, die Liebe kommt bald – wieder? Ich sollte mir keine Sorgen um Davina machen, sondern sie ermutigen. Leben und Liebe gehörten schließlich zusammen. »Davina, ich kann dich verstehen. Aber ich bin selber auch kein Genie.
Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«
Davina riss die Augen auf. »Also bist du auch verknallt?«
Meine Tochter klatschte erfreut in die Hände. »Oh mein Gott, Pops. Ich hab’s doch geahnt. Deswegen bist du also so abwesend.« Sie beugte sich über den Tisch zu mir herüber.
Ich zögerte, weil ich Angst hatte, damit eine Lawine auszulösen.
»Verliebt bin ich noch nicht so richtig, aber sagen wir so«, ich schürzte die Lippen, »ich bin ziemlich interessiert.«
»Erzähl«, forderte sie mich direkt auf. »Wie heißt sie, wer ist sie, wo wohnt sie? Sieht sie gut aus?«.
Ich winkte mit der Hand ab. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen.« Hoffentlich noch nicht. »Sie heißt Mona Seidel, ist Autorin und meine Kundin. Sie hat mir ihren Rechner gebracht, den ich mir dringend anschauen soll, weil sie keine Dasi von ihrem Manuskript gemacht hat. Das war’s.«
Das Einzige was meine Tochter in diesem Moment dazu kommentierte, war: »Ich fasse es nicht, wenn ich das Mom erzähle, springt sie im Dreieck.«
***
»Also der Baum hat ja ein bisschen was von abstrakter Kunst«, rief Paps aus dem Wohnzimmer und wieherte los. Opa stimmte hörbar mit ein. Doch bevor ich etwas dazu sagen konnte, kam meine Schwester durch die Haustür hereingeschneit. Sie brachte einen Schwall kalter Luft und frische Schneeflocken mit.
»Abstrakte Kunst? Wo?« Sie stiefelte direkt durch, ohne mich zu begrüßen. Am Türrahmen stieß sie einen spitzen Schrei aus.
Natürlich machte ich mich insgeheim auf alles gefasst. Lisa war eine Tannenbaumperfektionistin, die sogar zur Not dem Glanz der Nadeln mit Sprühlack auf die Sprünge half.
»Paps, du hast ja keine Ahnung. Das ist in New York derzeit der letzte Schrei. Mein Gott, Schwesterchen, woher wusstest du das? Hast du dich tatsächlich mal aus deinem Mittelalter ins moderne Internet katapultiert und dich über Trends informiert?« Lisa drehte sich um. Sie sah mich an. Anscheinend hatte ich zumindest in diesem Punkt etwas richtig gemacht.
Meine Schwester zog sich ihren schwarzen Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. Dabei fiel mir etwas ins Auge. Es war ein rot-schwarzer Schal, den Lisa um ihren Hals gebunden trug. Es war genau der Schal, den ich ihr fast zu Weihnachten gekauft hätte. Glück gehabt. Allerdings zeigte mir das auch, dass ich meine Schwester trotz unseres Zerwürfnisses immer noch ziemlich gut kannte.
»Äh … okay, setzt euch doch. Möchte jemand vielleicht einen Glühwein mit Zimt?«