B is zu meinem 18. Lebensjahr hatte ich nicht einmal ansatzweise Kontakt zu der Welt, in der ich mich heute befinde. Aufgewachsen als Einzelkind in Gerlingen, einer kleinen Stadt in der Nähe von Stuttgart, hatte ich in meiner frühen Jugend keinen wirklichen Grund zur Sorge. Meine Eltern hatten beide Bürojobs und nahmen sich genug Zeit für die Familie. Wir verbrachten jedes Jahr einen schönen gemeinsamen Urlaub und machten oft Ausflüge in die Natur oder zu Verwandten. Zwar hat es mir in meiner Jugend nie an etwas gefehlt, aber meine Eltern erzogen mich mit der Einstellung, im Leben bekomme man nichts geschenkt und seinen eigenen Weg müsse sich jeder hart erarbeiten.
Insbesondere mein Vater, der als jüngstes von fünf Kindern auf einem schwäbischen Bauernhof aufwuchs, achtete stets darauf, dass ich nicht zu arg verhätschelt wurde. Während andere Kinder auf meiner Schule ein »bedingungsloses« Taschengeld erhielten, gab es in unserem Haushalt eine Tabelle mit vielen verschiedenen Aufgaben, durch deren Erledigung ich mir mein Taschengeld verdienen konnte: Müll rausbringen = 15 Cent, Meerschweinchenkäfig säubern = 50 Cent, Waschmaschine befüllen = 30 Cent, Rasen mähen = 1 Euro und so weiter. Im Nachhinein war das eine sehr sinnvolle Methode, sowohl für meine Eltern, für die ich eine günstige Haushaltshilfe war, als auch für mich, da ich schon früh erkannte, dass man durch faules Herumliegen im Leben nichts bekommt.
Einmal im Jahr, am Weltspartag, brachte ich all die klimpernden Münzen, die sich über das gesamte Jahr in meinem Sparschweinchen gesammelt hatten, zur Volksbank, um sie auf mein Sparkonto einzuzahlen und stolz auf dem Kontoauszug zu bewundern, wie viele Zinsen mir meine bisherigen Bemühungen schon eingebracht hatten. Ähnlich wie mein großes Vorbild Dagobert Duck ging ich extrem sparsam mit meinen Ausgaben um und kann die Male, an denen ich mir als Kind im Spielzeugladen, beim Süßwarenstand oder bei der Bäckerei etwas gekauft habe, an einer Hand abzählen.
Mit der Zeit ebbte mein Interesse an Dagobert Duck ab und ich ging den Interessen eines heranwachsenden Jugendlichen nach: Fußball und Computer spielen, Zeit mit den besten Freunden verbringen. In der Schule kam ich immer gut mit und versuchte, meine Eltern durch sehr gute Noten stolz auf mich zu machen, was mir zum Glück auch meistens gelang. Vor allem Mathematik, aber auch Deutsch, Geschichte, Politik und Wirtschaft bereiteten mir viel Freude und ich begann, jüngeren Schülern Nachhilfeunterricht zu geben.
Mit zwölf Jahren trug ich einmal pro Woche das »Gerlinger Wochenblatt« aus, mein erster richtiger Job. Bei Wind und Wetter klapperte ich für mehrere Stunden Hunderte Briefkästen ab und holte mir regelmäßig an der einen oder anderen scharfen Metallkante blutige Finger. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als mein erstes Gehalt auf meinem Konto war. Es machte mich stolz und zufrieden, mein eigenes Geld zu verdienen. Gern übernahm ich die Schichten anderer Zeitungsausträger, wenn sie krank wurden.
Die heile Welt meiner Kindheit wurde jäh unterbrochen, als ich mit 15 Jahren den plötzlichen Verlust meines Vaters erleben musste. Eine unerwartete Hirnblutung riss ihn ins Koma, aus dem er wenige Tage später verstarb. Von einem Tag auf den anderen war unser Leben nicht mehr dasselbe. An die Wochen nach seinem Tod kann ich mich nur noch vage erinnern und im Gegensatz zu meiner Mutter, die sich bei der Verarbeitung dieses Schicksalsschlags therapeutisch unterstützen ließ, gestand ich mir als halbstarker Teenager meine Trauer zum damaligen Zeitpunkt nicht richtig ein. Mein Notendurchschnitt in der Schule sank stark und ohne das gute Verhältnis zu meiner Mutter und meinen Freunden wäre ich vermutlich in ein tiefes Loch gefallen und nicht mehr herausgekommen.
Doch die Zeit heilte meine Trauer und es gelang mir, mich mit der neuen Realität abzufinden. Zum ersten Mal erkannte ich, wie privilegiert, behütet und sorgenfrei ich aufgewachsen war. Da nun das Einkommen meines Vaters wegfiel, mussten meine Mutter und ich uns zum ersten Mal wirklich Gedanken um Geld machen. Wir zogen in eine günstigere Wohnung und ich gab mir Mühe, meiner Mutter nicht zur Last zu fallen und mein eigenes Geld zu verdienen. Zusätzlich zu meinen bisherigen Nebenjobs arbeitete ich in den Sommerferien in einer Fabrik, die Klimaanlagen herstellte. Dabei verdiente ich innerhalb weniger Wochen so viel wie zuvor in einem ganzen Jahr, aber meine Arbeit war so anstrengend und eintönig, wie ich noch nie zuvor etwas erlebt hatte.
In dieser Zeit wurde mir bewusst, dass ich selbst für mein eigenes Glück und mein eigenes Leben verantwortlich bin. Bis dahin machte ich viele Dinge, um es anderen Leuten – insbesondere meinen Eltern – recht zu machen. Mit dem Tod meines Vaters erkannte ich, dass das Leben schneller vorbei sein kann, als man denkt, und man daher nicht hoffen sollte, dass sich »irgendwann« schon alles gut fügen wird, sondern man selbst dafür sorgen muss, das Leben zu leben, das man gerne leben will.
Diese Erkenntnis entfachte in mir eine neue Flamme und ich beschäftigte mich im Internet viel mit Persönlichkeitsentwicklung, Selbstoptimierung und Fitnesstraining. Der Gedanke, dass ich durch meine eigenen Entscheidungen meine Lebenssituation verbessern konnte, faszinierte mich enorm. Ich fing an, meine Ernährung umzustellen, zu meditieren und regelmäßig Kraft- und Ausdauersport zu machen. Auch in der Schule ging es wieder nach oben. Mein früherer Ansporn, etwas Neues zu lernen und zu den Besten zu gehören, war wieder da.
Hatte ich meine Leidenschaft für die Finanz- und Wirtschaftswelt seit der Dagobert-Duck-Phase in meiner Kindheit etwas aus den Augen verloren, interessierten mich nun auf einmal Aktienkurse und wirtschaftspolitische Talkshows. Ich stürzte mich in Bücher wie The Intelligent Investor von Benjamin Graham oder The Wealth of Nations von Adam Smith und las auch Populistischeres wie Crashkurs von Dirk Müller, das ich heute deutlich kritischer bewerten würde. Schnell begann ich in meinem jugendlichen Übermut, mein Verständnis der Wirtschaftswelt gnadenlos zu überschätzen, und meinte jedem erklären zu können, was in unserem Finanzsystem alles schiefläuft und was ich ändern würde, wenn ich später mal eine bedeutende Position innehaben würde.
Auch im Gemeinschaftskundeunterricht trieb ich meine Lehrerin mit meinen spitzen, gerne auch kritischen Fragen und Kommentaren regelmäßig zur Weißglut, was dazu führte, dass ich oft nur eine durchschnittliche Note bekam, obwohl es mein Lieblingsfach war. Durch das Lesen, Recherchieren und Schreiben über Wirtschaftsthemen vertiefte ich mein Wissen und festigte auch meine Überzeugung, dass meine Zukunft in diesem Feld lag.
Als Höhepunkt meiner letzten Schuljahre reiste ich mit meiner Mutter mit 17 Jahren nach New York. Die gewaltigen Wolkenkratzer, die belebte Wall Street und das pulsierende Leben zogen mich vollkommen in den Bann. Die gigantischen Gebäude standen wie Monolithen der Macht und des Reichtums in der Landschaft und symbolisierten für mich die Quintessenz des finanziellen Erfolgs. Das hektische Treiben an der Börse, die Menschen in schicken Anzügen, die sich schnell von einem Ort zum anderen bewegten, die riesigen Bildschirme, die die aktuellen Börsenkurse anzeigten – das alles wirkte auf mich wie ein riesiges Theater der Finanzwelt, in dem ich eines Tages eine Rolle spielen wollte. Die Energie und Dynamik der Stadt waren elektrisierend und ansteckend.
Gleichzeitig erkannte ich den starken Kontrast zwischen meinem eigenen Leben und meiner damaligen Traumvorstellung. Meine Mutter und ich hatten lange für diesen Urlaub gespart und konnten uns trotzdem nur ein stickiges Hotelzimmer in einem älteren, heruntergekommenen Gebäude leisten, wo wir uns das Bad mit anderen Hotelgästen teilen mussten. Bei jeder Attraktion überlegte ich lange, ob sich die Ausgabe dafür wirklich lohnte und was man alternativ mit dem Geld machen könnte. So redete ich meiner Mutter einen Helikopterflug über New York sowie den Besuch einer Broadway-Vorstellung für jeweils mehrere hundert Euro aus und argumentierte, wir könnten für dieses Geld viel mehr spannende, andere Erfahrungen sammeln.
Während ich die Straßenschluchten entlanglief und die schicken Läden und Restaurants beobachtete, festigte sich in mir immer weiter der Entschluss: Ich möchte eines Tages ein Leben leben, in dem all das dazugehört. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mit meiner Mutter die Brooklyn-Heights-Promenade entlangspazierte, von der man einen gigantischen Blick auf den Financial District hat. Ich zeigte auf eine der Penthouse-Wohnungen direkt am Wasser und sagte: »Eines Tages werde ich in so einer Wohnung wohnen.« Diese zehntägige Reise nach New York bestärkte mich in meinem Ehrgeiz und weckte eine noch tiefere Leidenschaft für die Finanzwelt in mir.
Nach meiner Rückkehr nach Gerlingen hatte ich ein klares Ziel: einen Platz in der Finanzbranche. Mein Problem war allerdings: Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich denn dieses Ziel erreichen sollte. In meinem persönlichen Umfeld kannte ich niemanden, der in der Finanzbranche arbeitete. Also begann ich, über das Internet zu recherchieren. Schnell wurde mir klar, dass ich vermutlich nicht um ein Studium herumkommen würde. Ich durchforstete Foreneinträge und las Hochschul-Rankings über wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge.
Eine Fachhochschule in meiner Nähe bot einen Kurs in »Internationalem Finanzmanagement« an, was ja genau das war, was ich machen wollte. Da auch auf der Website stand, die Absolventen dieses Studiengangs könnten später bedeutende Positionen im Finanzsystem, beispielsweise bei Hedgefonds oder Investment Banken, übernehmen, wurde dieser Studiengang schnell mein Favorit. Während des Uni-Schnuppertages in meinem letzten Schuljahr besuchte ich die Hochschule. Ich setzte mich in ein paar Vorlesungen in die letzte Reihe, doch die magische Atmosphäre und Energie aus New York fand ich hier ganz und gar nicht wieder. Die Studenten vor Ort kamen teilweise in Jogginghose in die Vorlesungen und machten größtenteils einen sehr unmotivierten und gelangweilten Eindruck. Als in einem Mathekurs niemand die Berechnungen durchführen konnte, die der Dozent als Aufgabe mit einem altmodischen Tageslichtprojektor an die Wand warf, obwohl mir die Lösung vollkommen klar war, war diese Hochschule für mich keine Option mehr.
Da ich mich damals vor allem für volkswirtschaftliche Fragestellungen wie die Zinspolitik der Zentralbanken oder die Entstehung von Wechselkursen interessiert hatte, orientierte ich mich bei der Wahl meiner Wunsch-Uni vor allem an Hochschul-Rankings für Volkswirtschaftslehre. Dass man auch mit einem BWL-Studium mindestens genauso gut einen Job in der Finanzbranche bekommen kann und man Hochschul-Rankings nicht zu viel Beachtung schenken sollte, wenn man später einen Top-0,1 %-Job bekommen will, wusste ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht.
In vielen der VWL-Rankings fiel mir die Goethe-Universität in Frankfurt am Main positiv auf. Zum einen konnte man mit dem Studiengang Wirtschaftswissenschaften ein großes Spektrum an Vertiefungen wählen und somit selbst entscheiden, ob man das Studium eher in die volkswirtschaftliche oder in die betriebswirtschaftliche Richtung entwickeln wollte. Zum anderen sprach mich Frankfurt am Main als größte Finanzmetropole auf dem europäischen Festland extrem an. Auch wenn Frankfurt nicht ansatzweise den Glamour von New York bietet, zog es mich mehr an als die kleine schwäbische Stadt, in der die Fachhochschule lag, die ich zuvor besichtigt hatte. Außerdem studierte die große Schwester einer Klassenkameradin an der Goethe-Uni in Frankfurt Wirtschaftswissenschaften. Sie erzählte mir, einer ihrer besten Freunde mache ein Investment-Banking-Praktikum bei Rothschild. Das überzeugte mich, auch wenn ich damals noch keine Ahnung hatte, was genau Investment Banking oder Rothschild bedeutet.
Während meiner Recherche war ich auch auf Privat-Unis wie die WHU in Vallendar und Unis im Ausland wie die HSG in St. Gallen in der Schweiz gestoßen. Ein Studium an diesen hochgelobten Business Schools war für mich wegen der Kosten in mittlerer fünfstelliger Höhe jedoch völlig undenkbar. Somit war meine Suche auf staatliche Hochschulen in Deutschland beschränkt.
An der Uni Frankfurt würde ich mit einem voraussichtlichen 1er-Abiturschnitt mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit einen Studienplatz bekommen. Auch diese Uni besuchte ich an einem Tag der offenen Tür. Sie erfüllte meine Erwartungen und erwies sich als der Ort, an dem ich meine Karriere beginnen wollte. Die moderne Architektur der Gebäude, die Energie unter den Studierenden und die anspruchsvollen Vorlesungen, in denen ich still in der letzten Reihe zuhörte – all das war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Als ich danach durch die Frankfurter Innenstadt schlenderte und an den Hochhäusern emporblickte, fühlte ich mich fast wieder wie in New York. Hier würde ich den Grundstein legen und alles dafür geben, mehr über die Finanzwelt zu lernen und mir in der Branche einen Namen zu machen.
Jetzt hatte ich ein klares Ziel für die Zeit nach meinem Abitur, aber ich wollte mein bisher gesammeltes Wissen über die Wirtschaft sofort anwenden. Über YouTube stieß ich auf Daytrading, eine sehr kurzfristige Art des Börsenhandels, bei der es darum geht, durch die Analysen der historischen Kursentwicklung, der sogenannten Chartanalyse, künftige Kursentwicklungen vorherzusagen, um entsprechend Kauf- oder Verkaufsbefehle an den Börsen zu platzieren. Ich war sofort fasziniert, denn hier hatte ich eine reale Möglichkeit, mein Wirtschaftsverständnis in der Realität anzuwenden und dabei möglicherweise auch noch Geld zu verdienen.
Ich fing an, über Facebook, YouTube und weitere Webseiten die Techniken erfolgreicher Daytrader nachzuahmen, die ihr Wissen und den dadurch manifestierten finanziellen Erfolg gern durch schnelle Autos und teure Uhren präsentierten. Am Anfang erstellte ich mir ein Demo-Konto bei einer großen Plattform für CFD-Trading, wie es in dieser Szene üblich ist. Beim CFD-Trading kauft oder verkauft man keine realen Börsenwerte, sondern handelt ausschließlich mit Derivaten, die schon mit geringen Investitionssummen Börsenspekulationen ermöglichen. Später im Studium lernte ich, wie solche Derivate zusammengesetzt sind und wie sich ihre Bepreisung berechnen lässt, doch als Abiturient war mir das noch völlig egal. Ich witterte das schnelle Geld, und als ich mit meinen Wetten auf dem Demo-Konto tatsächlich eine sehr gute Rendite erwirtschaftete, überredete ich meine Mutter, ein Echtgeldkonto bei diesem Anbieter zu eröffnen. Ich war noch nicht volljährig und durfte selbst noch nicht so ein Konto haben.
Jeden Tag verbrachte ich nach der Schule mehrere Stunden hinter meinen Computermonitoren, wo zahlreiche Kurse von Börsenindizes, Währungen und Rohstoffpreisen aufpoppten. Aus mir damals völlig unerklärlichen Gründen funktionierte meine amateurhafte Handelsstrategie mit meinem echten Geld leider bei Weitem nicht so gut wie mit meinem Demo-Konto. Hin und wieder verdiente ich mit meinen Trades zwar auch eine gute Stange Geld, doch innerhalb von wenigen Wochen waren die 300 Euro, die ich von meinen Ersparnissen eingezahlt hatte, auf ein paar wenige Euro zusammengeschrumpft. Nach und nach dämmerte mir, dass ich wohl doch noch nicht so viel von der Börse und den Finanzmärkten wusste, wie ich anfangs gedacht hatte, und der Weg bis zu einem Penthouse mit Skyline-Blick in New York wohl noch recht lang sein würde. Obwohl es mir viel Spaß gemacht hatte, mich in die Chart-Analyse-Techniken des Daytradings einzuarbeiten, und ich ein tolles Gefühl hatte, wenn ich meinen Einsatz mit einem einzigen Trade verzehnfacht habe, gelang es mir dennoch, mir mein Scheitern noch vor dem Abi einzugestehen, und ich schloss das Trading-Konto.
Trotz dieser Rückschläge blieb ich in der Schule auf Kurs, strengte mich bei den Abiprüfungen an und konnte mein Abitur mit einem Notenschnitt von 1,5 abschließen, mit besonders guten Noten in Mathematik, Deutsch, Biologie und Religion. Voller Vorfreude auf das Studium in Frankfurt und den neuen Lebensabschnitt schrieb ich mich an der Goethe-Universität für Wirtschaftswissenschaften ein und machte mich auf die Wohnungssuche.
Der Tag, an dem ich nach Frankfurt zog, ist mir lebhaft in Erinnerung. Meine Sachen waren in Kisten verpackt, und ich trug, als wäre ich seit Jahren ein waschechter Vollblut-BWLer, ein frisch gebügeltes Hemd von Ralph Lauren aus dem Outlet in Metzingen. Es war ein Gefühl des Aufbruchs, voller Aufregung und Ungewissheit. Ein neues Kapitel meines Lebens begann, der Beginn eines Wegs, der mich meinem Traum näherbringen sollte. Mein Studentenzimmer war im neunten Stock eines etwas in die Jahre gekommenen Studentenwohnheims und war mit einer Warmmiete von knapp 250 Euro für zwölf Quadratmeter ein echtes Schnäppchen für Frankfurter Verhältnisse. Das Wohnheim war auch als der »Todesturm« bekannt, da sich in der Vergangenheit mehrmals depressive Studierende vom Dach des Hochhauses in den Tod gestürzt hatten. Auf mich wirkte das Wohnheim nicht bedrohlich oder deprimierend. Es motivierte mich, mich im Studium richtig ins Zeug zu legen, um mir nie wieder Sorgen um meine Finanzen machen zu müssen.
Die erste Woche an der Universität war eine ganz eigene Erfahrung. Ich war auf einmal umgeben von Menschen, die dieselben Träume und Ambitionen hatten wie ich. Wir sprachen von der Zukunft, sahen uns als künftige Manager im Finanzwesen, obwohl uns noch gar nicht klar war, was das eigentlich bedeutete. Doch das spielte keine Rolle. Die Atmosphäre war elektrisierend, die Neugier und der Ehrgeiz waren fast greifbar. In den Hörsälen, Cafés und Bibliotheken der Universität pulsierte das Leben und alle hatten Lust auf den Beginn des Studiums. Das Gefühl, endlich auf dem richtigen Weg zu sein, umgeben von unzähligen Möglichkeiten, war berauschend und ich fand schon in dieser ersten Woche an der Uni viele Freunde, mit denen ich viel erlebte und die ich bis heute habe.
Aber ich erkannte auch schnell, dass ich noch meilenweit davon entfernt war, in der Finanzwelt erfolgreich zu sein und es bis nach ganz oben zu schaffen. Es gab viele Kommilitonen, die mehr Erfahrung hatten und mehr wussten als ich und die mich daran erinnerten, dass ich eben doch nur aus einer ganz normalen, mittelständischen Familie kam und noch nie etwas Herausragendes geleistet hatte. Ich lernte gleichaltrige Studenten kennen, die schon während ihrer Schulzeit Praktika bei renommierten Banken, Vermögensverwaltern oder Unternehmensberatungen gemacht hatten, da ihre Eltern erfolgreiche Finanzmanager oder Unternehmer waren und ihnen von Anfang an gesagt hatten, wie sie vorgehen müssen, um ebenfalls so einen Job zu bekommen. Andere Studenten waren schlichtweg deutlich schlauer und engagierter als ich – sie schienen den Stoff der Vorlesungen direkt zu verstehen, während ich mir die Inhalte mühsam mit vielen Wiederholungen beibringen musste.
Als Schüler hatte ich mir immer eingeredet, ich könne theoretisch einer der Jahrgangsbesten sein, wenn ich mich nur genug anstrengte. Als ich nun jedoch all diese anderen, mindestens genauso ambitionierten Studenten sah, war ich mir nicht mehr so sicher, ob mir das auch im Studium gelingen könnte. Doch das schreckte mich nicht ab, es spornte mich an. Ich war bereit, hart zu arbeiten und alles zu geben, um meinen Traum zu verwirklichen.