Tag 11

An dem die Benutzung eines silberfarbenen Remington BHT2000 und einer alten Küchenschere erläutert wird

Lieber Maxim, ich habe gestern Abend meine Fingernägel geschnitten und gefeilt. Aber es war nicht mehr dasselbe. Eine Nagelfeile wird überhaupt nie wieder dasselbe für mich sein. Das nennt man wohl Zeitenwende.

aw:

Tja, tut mir leid. Du hättest den Steakklopfer nehmen sollen. Was betreibst du eigentlich für Körperpflege? Du feilst deine Fingernägel, gut. Bist darüber hinaus sehr engagiert? Oder machst du nur was, wenn die Möglichkeit eines sexuellen Kontaktes besteht?

re:

»Wenn die Möglichkeit eines sexuellen Kontaktes besteht« – das hast du aber schön umschrieben, Maxim. Ich sag es mal so: Wenn ich mich nur pflegen würde, wenn die Möglichkeit eines sexuellen Kontaktes besteht, dann sähe ich längst aus wie ein Bär um die Eier.

aw:

Ich bin ein Nature-Boy, Jochen. Ich lasse vieles erst mal wachsen. Catherine unterstützt mich in dieser Haltung, sie meint, ein Mann sollte so sein, wie Gott ihn geschaffen hat: hart, haarig und harzig. Ich bin gegen Rasieren, nur leichtes Stutzen finde ich gut. Den Dingen eine Form geben, gestalten.

re:

Du dünnst nur das tote Geäst ein wenig aus.

aw:

Ich glaube, ich habe überhaupt keine Ahnung mehr, was angesagt ist. Manchmal sehe ich in der Sauna offensichtlich heterosexuelle Männer, etwa zehn Jahre jünger als ich, mit blank rasierten Hodensäcken. Ihre nackten Glieder sehen aus wie große Schnecken, die ihr Haus verloren haben. Ich frage mich, was einen erwachsenen Mann dazu bringen kann, sich am Sonntagabend ins Badezimmer zu stellen und mit einem Rasierapparat die Knolle zu glätten? Wie funktionieren solche gesellschaftlichen Umwälzungen? Und wer entscheidet ein paar Jahre später, dass es jetzt wieder zurück zur Natur geht. Habe ich gerade gelesen. »Mann hat wieder Haare«. Das heißt, ich bin wieder im Trend, einfach, weil ich lange nichts getan habe.

Catherine und ich sind im Bereich der sichtbaren Körperbehaarung weitestgehend so geblieben, wie wir waren, als wir uns kennenlernten. Ich würde es, glaube ich, auch seltsam finden, sähe Catherine auf einmal untenrum komplett anders aus. Weil ich mich natürlich sofort fragen würde, woher sie diese Inspiration hat. Wir sind ein Old-Fashion-Paar, die Mode zieht an uns vorbei wie ein Schwarm übermütiger Wildgänse.

re:

Lieber Maxim, ich bin mir durchaus bewusst, dass die Rasurentwicklung womöglich tragisch ist. Aber ich habe das nicht erfunden. Ich mache nur mit. Ein Fell wie du kann ich mir nicht leisten. Die städtisch geprägte Frau bis 30 mag kein Fell. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die städtisch geprägte Frau bis 30 jemals Brusthaar gesehen hat. Oder Männerbeinhaar. Sie ist aufgewachsen mit dem Bild vom Körper als einer glatten Ebene. Ich möchte keine dieser Frauen verschrecken. Ich möchte nicht dastehen, den Mantel aufreißen und sagen: »Voilà! Hier kommt der Mann mit dem Körpervollbart!«

An jede Mode gewöhnt man sich, dass ist die Natur der Mode. In ihrem Kern ist die Mode versöhnlich, sie kann Menschen ändern, Schritt für Schritt, unmerklich und ohne Groll und Protest zu erzeugen.

Ich mag meinen rasierten Bereich mittlerweile ganz gern. Ich rasiere freiwillig. Ich schätze die luftige Ästhetik.

aw:

Lieber Jochen, ich gehöre einer seltsamen Zwischengeneration an, die noch die ostdeutschen FKK-Strände kennengelernt hat, an denen komplett beharrte Intellektuellenfrauen mit gespreizten Beinen in der Sonne lümmelten. Meine Mutter, auch eine Intellektuellenfrau, hat nie einen Büstenhalter getragen. Sie meinte, das würde die Muskulatur der Brüste schwächen. Die heißeste Unterwäsche, in der ich sie je gesehen habe, war ein rotes, ärmelloses Turnhemd. Vielleicht war ich deshalb so überrascht, als ich zum ersten Mal eine Frau auszog und einen mit Spitze dekorierten Schlüpfer entdeckte.

Ich finde, es muss Unterschiede geben zwischen Männern und Frauen. Die Frau muss auf sich achtgeben, sie ist eine Prinzessin, die bitte nicht unepiliert zum Strand gehen sollte. Wir Männer aber, wir sollten Tiere bleiben. Wer sich heute die Eier rasiert, zupft sich morgen die Augenbrauen.

I’m born to be wild.

re:

Mein lieber haariger Freund, ich habe seit geraumer Zeit einen silberfarbenen Remington, Model BHT2000. Das ist ein Rasierer.

Er brummt hübsch, ähnlich meiner elektrischen Zahnbürste, aber gemütlicher, mit mehr Bass. Der Remington BHT2000 hat fünf Schnittstufen. Die Drei ist mir oft zu lang, die Zwei zu kurz. Eine Zweieinhalb gibt es leider nicht. Die Eins würde ich nie verwenden, die Eins bedeutet: nackt und poliert. Ich mache es meist so, dass ich die Drei verwende für den oberen Unterleibsbereich südlich des Bauchnabels, die Zwei im direkten Schambereich. Das Rasurgeräusch ist ein sanftes Britzeln. Ich stehe in der Duschkabine, und es macht britzel-britzel, und ich halte meinen Hodensack umklammert. Das ist das Anstrengende – das Hodensackumklammern. Aber man muss ihn umklammern, wie eine gefangene Maus, der man etwas ins Ohr flüstern will. Wenn man den Hodensack nicht festhält, findet der Remington BHT2000 seine Schnittspur schlecht, und es ziept am Hodensack.

Ich stehe in der Dusche, nackt, bis auf meine Brille, ich bin ja kurzsichtig. Nie hätte ich vor zehn Jahren gedacht, dass ich eines Tages in meiner Dusche stehen könnte, kein Wasser läuft, aber dafür ein elektrischer Rasierer, der meinen Schambereich mäht. Nie. Früher hätten alle Männer gesagt: Das ist schwul. Die Angst vor dem Schwulsein ist ja eine weitverbreitete Heteromännerangst. Heute rasieren sich vor allem die handfesten, stämmigen, bildungsfernen Männer mit Akribie jedes Haar vom Körper, was man auch als Verlust der Angst vorm Schwulsein verstehen kann, was ja schön wäre, im gesellschaftlichen Kontext. Die Rasur besiegt den Hass!

Ich rasiere auch den Hintern, der etwas behaart ist. Schwierig ist es, einen geeigneten Übergang zu finden. Ich möchte dir das erklären. Wenn man den Hintern rasiert, nicht aber die daran anschließenden Oberschenkel, entsteht eine unschöne Rasurkante. Du kennst das vielleicht aus dem Gartenbaubereich. Wenn man erst mal anfängt mit dem Rasenmähen, kann man nicht irgendwo mittendrin Schluss machen. Deshalb stelle ich von Stufe zwei (Hintern) auf Stufe drei (Oberschenkelbeginn), um einen Übergang zu schaffen. Eine Art Fasson. Das ist der Trick.

Was ich nicht rasiere: alle anderen Körperpartien. Außer das Gesicht. Aber nur in Nassrasur, nicht mit dem BHT2000.

Ein Freund von mir geht zur Kosmetik und lässt sich die Rückenhaare entfernen. Mit Waxing. Ein anderer Freund sagt: Wer sich den Hoden rasiert, will nur, dass sich das Glied optisch vergrößert.

Die Schlange liegt nicht mehr im hohen Gras, wenn du weißt, was ich meine.

aw:

Lieber Jochen, ich würde einiges dafür geben, dich, durch deine Brille blinzelnd, beim Britzel-britzel-Machen zu beobachten. Ich nehme für meine Belange eine alte Küchenschere. Einmal schnitt ich mir aus Versehen in eine Sackfalte. Das hat geblutet, sage ich dir. Okay, kann dir nicht passieren. Du hast den Remington BHT2000.

Mit meiner Küchenschere gelte ich in Väterkreisen schon als exzentrischer Lustknabe. Schön übrigens, dass du den Vergleich mit dem Rasenmähen gebracht hast. Da wusste ich sofort, was du meinst. Man muss die Leute dort abholen, wo sie es gerade noch so hingeschafft haben, hast du dir gesagt, oder?

re:

Lieber Maxim, du besitzt vermutlich einen Rasentraktor und Bohrmaschinen und eine Salatschleuder und eine Schreddermaschine für das Astwerk im Garten – aber für deinen Hodensack bleibt nur die alte rostige Küchenschere, mit der deine Großmutter in den 30er- Jahren die Suppenhühner in der Küche des KDF-Heims in Prora zerschnitt. Was ist los mit dir?

aw:

Du willst mir nur den Remington BHT2000 aufschwatzen.

re:

Nein. Ich habe nachgedacht. Und eigentlich tust du genau das Richtige, Maxim. Du lebst monogam, und dein Biopelz ist der beste Monogamieschutz.

»Und führe uns nicht in Versuchung« heißt es im Vaterunser. Die Versuchung ist leider immer da. Aber die städtisch geprägte Frau bis 30 wird dir sagen: »Schön, dass du in meinem Bett liegst, Väterchen. Aber die 70er-Jahre sind lange vorbei. Ich habe keine Lust, durch dein Unterholz zu brechen, nur um deiner Schlange mal das Köpfchen zu kraulen. Kauf dir einen Remington BHT2000, Väterchen, oder geh nach Haus zu Mutti.«