Tag 15
An dem die Vor- und Nachteile der Monogamie besprochen werden und auch mal gesagt wird, dass Sex mit zwei Frauen Angst machen kann
Lieber Maxim, bist du schon wach?
aw:
Es ist 8.35 Uhr. Natürlich bin ich wach. Seit 6.45 Uhr.
re:
Radiowecker, Mäusegeschichte, Kinder zur Schule gebracht, Frau geweckt. Alles schon passiert?
aw:
Ja, Herr Gutsch. Wenn Sie aufstehen, haben viele Millionen Familienväter ihren Dienst bereits getan.
re:
Gut! Dann kann ich dir ja eine Frage stellen, die mich sowieso viel mehr interessiert. Ehrlich gesagt, ist es eine Frage, die mich wahnsinnig interessiert. Um nicht zu sagen: umtreibt. Ich hoffe, ich trete dir nicht zu nahe, oder du fühlst dich unangenehm berührt oder an einem schmerzlichen Punkt getroffen.
Es geht mir um die Treue. Das ist eine schöne, edle Sache. Jeder wünscht sich Treue, schätzt Treue. Vor allem beim anderen. Treue bedeutet für dich, als Ehemann, ein Leben in der Monogamie. Wie lebt es sich damit?
aw:
Klar, das ist ein Thema. Und ich kann auch verstehen, dass es dich sehr interessiert. Vermutlich bereitet es dir sogar einige Freude, mich darauf anzusprechen. Diese Freude gönne ich dir. Du hast ja sonst so wenig Freude.
Was war noch mal deine Frage?
re:
Treue. Monogamie. Du.
aw:
Ich finde die Treue gut. Auch die Monogamie. Sie ist besser als ihr Ruf.
Das Zölibat hilft dem Priester Gott nahe zu sein. Die Treue hilft mir und Catherine uns nahe zu sein. So ist das.
Was machst du eigentlich am Wochenende? Das Wetter soll ja gut werden. Schon Pläne?
re:
Mein lieber monogamer Freund, Priester Leo, ich spüre eine leichte Verspannung in deiner treuen Seele. Daher möchte ich dir helfen, dich zu öffnen. Auch mir nahe zu sein. Ich möchte dir, um das große Feld der Treue zu betreten, ein paar Fragen stellen. Kurze Fragen, die du einfach beantworten kannst. Mit Ja oder Nein und ggf. mit einer kurzen Erklärung.
- 1. War dir im Moment deines Heiratsantrages klar, dass die ewige Treue Teil des Ehepaketes ist?
- 2. Hast du es verdrängt?
- 3. Wann fällt dir Treue am schwersten? Im Winter eines Jahres oder im Sommer?
- 4. Gibt es so etwas wie rücksichtsvolle Untreue?
- 5. Ist ein Mann untreu, wenn er in den Puff geht?
- 6. Glaubst du, dass deine Frau schon einmal untreu war?
- 7. Ist eine Frau schon untreu, wenn sie an einen anderen denkt?
- 8. Was könnte dich am ehesten dazu bringen, untreu zu werden?
- 9. Du bist jetzt 41. Vielleicht wirst du 82. Was empfindest du bei dem Gedanken, in den nächsten 41 Jahren nur noch mit deiner Frau zu schlafen?
- 10. Bist du schon mal fremdgegangen?
- Viel Spaß! Ich bin im Café.
aw:
Lieber Jochen, ich habe doch bereits ausgiebig und aufrichtig geantwortet. Aber du rückst gleich mit dem McCarthy-Verhörbogen an.
Aber mein Herz ist rein, ich habe nichts zu verbergen. Ich bin kein Kommunist!
Zu deinen Fragen:
- 1. Im Moment des Heiratsantrages ist einem, wenn man Glück hat, klar, dass man unbedingt mit dieser Frau zusammenleben möchte. An ewige Treue habe ich in diesem schönen Augenblick wahrscheinlich nicht gedacht. Das ist nicht der Moment. Und auch nicht das Problem. Oder anders gesagt: Wenn es in diesem Moment ein Problem wäre – dann hättest du echt ein Problem.
- 2. Wer weiß das schon so genau?
- 3. Seit wann ist Treue ein Saisongeschäft?
- 4. Ja. Falls jemand in die Situation kommt, sollte er es so anstellen, dass der Partner nie davon erfährt. Das ist eine Frage des Respekts. Nur Idioten meinen, sie müssten alles erzählen, und laden damit die schlechten Gefühle vom eigenen auf den Rücken des anderen.
- 5. Ein Mann im Puff ist tendenziell nicht untreu, weil seine Begierde sich nicht auf eine bestimmte Frau bezieht. Er schläft mit der, die gerade Dienst hat.
- 6. Ich glaube nicht, dass Catherine schon einmal untreu war. Aber das ist ein Glaube, der eher in Richtung Hoffnung tendiert. Die Statistik sagt, dass eine Frau ihren Mann durchschnittlich alle sieben Jahre betrügt. Wir sind jetzt seit 17 Jahren zusammen. Du kannst dir ausrechnen, was das bedeutet. Allerdings ist das eine Statistik für deutsche Frauen. Catherine ist Französin. Außerdem ist sie mit mir verheiratet, was das Interesse an anderen Männern erheblich mindert. Sie ist einfach sehr verwöhnt, wenn du weißt, was ich meine.
- 7. Ich glaube schon.
- 8. Unvorstellbar viel Alkohol plus eine unvorstellbar attraktive Frau plus eine unvorstellbar warme, unvorstellbar lange Sommernacht. Du siehst, das Ganze ist völlig unvorstellbar.
- 9. Eine klitzekleine, beherrschbare Angst.
- 10. Nein. Wie kommst du darauf? Wie definierst du überhaupt fremdgehen? Ich kann mit diesen ganzen schwammigen Begriffen nichts anfangen.
re:
Lieber Maxim, du möchtest fremdgehen definiert bekommen? Weil du in der Schwammigkeit die Orientierung verloren hast? Kein Problem. Ich helfe gerne meinem alten, etwas vergesslichen, schusseligen Väterchen Maxim.
Fremdgehen heißt: Sex mit einer Frau, die nicht deine Frau ist. Sex beinhaltet alle Formen sexuellen Kontaktes, also auch orales Umherschweifen, soweit es die Geschlechtsteile einer Frau betrifft, die nicht deine Frau ist. Als Kurzdefinition für dich: Lass die Finger von den Geschlechtsteilen anderer Frauen. Sind wir definitorisch so weit klar?
aw:
Du bist streng.
re:
Nicht ich bin streng. Deine Frau ist streng. Ich schätze, sie hält auch nichts von der »rücksichtsvollen Untreue«. Ich übrigens auch nicht. Meine Freundin ging mal fremd. Und es war mir ziemlich egal, ob sie rücksichtsvoll fremdging oder nicht. Die Rücksicht ist eine Erfindung des Fremdgehers. Sie ist nur für ihn da. Sie beruhigt ihn. Sie macht ihn glauben, es gebe eine Anständigkeit im Fremdgehen. Aber am Ende geht es nicht um Rücksicht, sondern nur darum, dass das Fremdgehen nicht auffliegt.
aw:
Du bist sehr streng.
re:
Ich schätze, die Monogamie ist eine strenge Erfindung. Eine moralische Illusion, wenn du mich fragst. Eine seltsame Sexualmoral, das vor allem. Wir verfügen über den Körper, die Gelüste eines anderen Menschen. Über seine Intimität. Wir sagen: Wenn du deine Intimität nicht ausschließlich mir zur Verfügung stellst, dann bestrafe ich dich. Das ist eigentlich Wahnsinn. Noch wahnsinniger ist nur, dass fast jeder mitmacht. Würde man eine Umfrage machen: »Ist sexuelle Treue gut und notwendig?« – Alle würden schreien: Ja! Auch wir Männer. Gleichzeitig brechen wir die Treue, nicht jeder, aber fast jeder, irgendwann. Wir sind längst eine Gesellschaft der Ehebrecher und Ehebrecherinnen, was wiederum dazu führt, dass mittlerweile zwei Dinge gesellschaftlich (nicht privat) akzeptiert sind, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen: die Monogamie und die Untreue.
Vielleicht funktioniert es ja wie mit Gott. Man glaubt an Gott, grundsätzlich, aber nicht an alles, was er sagt. Und dort, wo man Gott nicht versteht, weil er nuschelt oder sich unklar ausdrückt, beginnt man zu interpretieren.
PS: Eine traditionelle Form der Bestrafung für Untreue ist von jeher übrigens auch der Tanzkurs, Maxim. Tango, Salsa, Rumba – alles, wo der Mann scheiße aussieht. Ungelenk, steif, hilflos. Wo er seine Würde ein wenig verliert. Und die Frau ihm dabei lustvoll zuschauen kann. Tanzkurs heißt Rache.
aw:
Lieber Jochen, was mich beschäftigt, ist die verbotene Möglichkeit. Die Idee, dass ich gemäß den allgemein anerkannten Richtlinien des mitteleuropäischen Eheverständnisses bestimmte Dinge nie wieder tun darf. Dazu gehört der Sex mit anderen Frauen. Es geht nicht darum, dass ich das unbedingt haben will. Aber die Vorstellung, es nie wieder haben zu dürfen, macht mich unruhig. Es ist so, als ob du darauf verzichtest zu träumen. In einem Lied von Wolf Biermann heißt es: »Was verboten ist, das macht uns gerade scharf.« Ich glaube, das ist es.
re:
In einem Lied von Rolf Zuckowski heißt es: »Bang, Bang, Bang!«
Ich glaube, das ist es.
aw:
Jochen, konzentriere dich. Wir sind hier an einem wichtigen Punkt …
Es würde viel bei mir zerstören, wenn ich erfahre, dass Catherine mit einem anderen Sex hat. Unsere Intimität wäre befleckt, irgendwie entwertet. Das Vertrauen gestört. Vielleicht würde ich mich sogar von ihr trennen. Und gleichzeitig kann ich nicht garantieren, dass ich mich immer an die Treue halte. Wer kann sich hinstellen und sagen: Ich werde niemals schwach sein?
Ein paar Monate nachdem wir uns kennenlernten, verabredeten Catherine und ich, dem anderen nichts zu erzählen, falls einer von uns mal vom rechten Weg abkommen sollte. Der Respekt und die Liebe für den anderen würden darin bestehen, ihn mit der Wahrheit zu verschonen. Wir haben dann nie wieder darüber gesprochen. Es ist ein Tabu, sogar als Gesprächsthema. Eigentlich sogar als Denkthema für mich selbst. Ich lese diese Statistiken, wonach Frauen alle sieben Jahre fremdgehen, aber scheue davor zurück, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Ihn an mich ranzulassen. Auf meine Frau anzuwenden. Untreue ist das Undenkbare, verstehst du?
re:
Das Konzept der liebenden Treue ist also der Verzicht.
Müsste es nicht genau andersrum sein, gerade wegen der Liebe?
Ich liebe dich, darum möchte ich, dass du auf nichts verzichten musst. Ich möchte nicht, dass du ein Opfer für mich bringst. Denn das Wesen der Liebe ist: das Gönnen. Die Toleranz. Die Freiheit.
aw:
Ich wäre dazu nicht in der Lage. Nicht mal gedanklich. So selbstlos ist meine Liebe nicht. Freiheit bekommen hieße ja auch, Freiheit geben. Und das könnte ich nicht. Es klingt vielleicht gestrig oder machohaft, aber ich finde schon, dass Catherine mir gehört. Nur mir.
re:
Wie ein Haus? Oder ein Gartenschlauch? Oder ein Klumpen Gold?
aw:
Mir war auch gar nicht klar, dass ich so empfinde. Aber, ja, es geht vermutlich auch um so etwas wie Besitz. Ich glaube, Männer denken in diesen Besitzmaßstäben. Frauen in Geborgenheitsmaßstäben.
re:
Kurz zusammengefasst, damit keine Unklarheiten zurückbleiben. Du findest die Monogamie und ihre Moral sinnvoll und richtig?
aw:
Ich habe mal ein Interview mit dem König von Swasiland gelesen, der gerade seine dreizehnte Frau geheiratet hat. Der Mann gilt als seriös, verantwortungsbewusst und konservativ. Niemand in Swasiland würde ihn für einen Hallodri halten. Weil die Polygamie dort etwa so alt ist wie bei uns die Monogamie. Dieser König sagte, er würde es für unanständig halten, nur eine Frau glücklich zu machen. Er wisse aber auch, dass seine Form des Anstandes in unseren Breiten recht exotisch wirke.
Es gibt keine absolute Moral, Jochen. Nur moralische Traditionen.
Ich denke, dass die lebenslange monogame Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau ein Idealbild ist. Sie entspricht dem Bedürfnis des westlichen Menschen nach Klarheit und Geborgenheit. Menschen brauchen Ideale, selbst wenn sie selbst nicht in der Lage sind, ideal zu leben. Insofern ist das Bekenntnis zum Ideal der Monogamie keine Lüge, sondern ein Ausdruck von Hoffnung. Die Vorstellung, dem anderen seinen Körper zu schenken und damit eine Nähe und Vertrautheit, ja Exklusivität zu schaffen, die diese Beziehung von allen anderen unterscheidet, klingt ja auch sehr schön. Ähnlich schön wie die Vorstellung der totalen Freiheit. Aber wie jeder Traum ist eben auch dieser nur schwer zu leben.
Andererseits wäre jede Alternative zu unserem monogamen Weltbild für uns noch schwerer zu ertragen. Die Monogamie ist als Prinzip nicht perfekt, aber sie ist das kleinere Übel. Würden wir leben können wie in Swasiland – ich glaube, das würde fast alle von uns überfordern.
re:
Warst du schon mal überfordert?
aw:
Eine Freundin erzählte mir mal, ihr Mann hätte sich in eine Frau verliebt.
Ich wollte gerade beginnen, sie zu bedauern, zu trösten – da erzählte sie, dass diese Frau jetzt bei ihnen wohne. Ich wollte sie gerade noch mehr bedauern, da erzählte sie, nicht nur ihr Mann, sondern auch sie hätte schon Sex mit der anderen Frau gehabt. Sie leben jetzt zu dritt. Eine offene Dreierbeziehung.
Ich fand das faszinierend, vor allem aber beängstigend. Man könnte sagen: Ein Männertraum wird wahr. Zwei Frauen im Haus. Aber ich fühlte Verunsicherung. Dieses Regulierte, Beschränkte, Verbotene – anscheinend entspricht mir das ganz gut.
re:
Du lebst ja auch seit 17 Jahren reguliert, beschränkt und verboten. Bringe einen Nordkoreaner nach Las Vegas. Das findet der auch anstrengend.
Ich meine, eine offene Dreierbeziehung, Maxim. Du mit zwei Frauen. Und du sagst dann: »Ach nö. Hab Angst. Mutti!!«
aw:
Ich brauche Kontrolle, Jochen. Diese Offenheit empfinde ich nicht als Chance oder sexuelles Abenteuer, sondern als Bedrohung meiner Sicherheit. Die Idee, dass irgendjemand, Mann oder Frau, an meiner Ehefrau rummacht – da werde ich aggressiv. In Swasiland würde ich wahrscheinlich ständig im Gefängnis sitzen. Grüße von Maxim, dem monogamen König von Berlin.