Tag 16
An dem der König von Swasiland eine Rede hält und klar wird, dass ein Mann ohne Beschädigungen womöglich langweilig ist
Verehrte monogame Hochwohlgeborenheit, vielleicht schlage ich in 20 Jahren die Zeitung auf, hier in meiner kleinen Dachwohnung mit den zwei Bettdecken, und lese: »Maxim Leo, 61, ist neuer König von Swasiland. Der in Ost-Berlin geborene Journalist, der sich seit 25 Jahren um das Amt in dem südafrikanischen Land bemühte, wurde am Sonntag in einer feierlichen Zeremonie offiziell inthronisiert. Er ist das erste deutsche Staatsoberhaupt eines afrikanischen Landes seit Wilhelm II. Leo kündigte ein Wirtschaftsprogramm an zur Steigerung der Hirseproduktion und versprach soziale Reformen. Zunächst, so Leo am Abend in Mbabane, müsse er sich aber um sein Privatleben kümmern. ›Ich habe exakt eine Frau‹, sagte Leo. ›Das mag gut sein für Deutschland, aber es ist schlecht für Swasiland!‹
Leo kündigte an, sein Palast stehe in den nächsten Wochen allen Töchtern des Landes offen. Und Töchtern anderer Länder. Und deren Töchtern. ›Ich denke, wir werden zügig arbeiten und bald Ergebnisse vorlegen können‹, sagte Leo, bevor er milde lächelnd die Veranstaltung verließ.«
So könnte es ein. Ich würde es dir gönnen, King Leo.
Aber anscheinend willst du gar nicht. Du möchtest weiterhin
auf den trockenen Feldern der Monogamie grasen.
Na ja, sagst du zumindest.
Mir hat mein kleiner Fragebogen übrigens gut gefallen. Ich hatte Spaß.
Hier ist noch ein kleiner Fragebogen:
- 1. Ging eine Frau, mit der du zusammen warst, einmal fremd?
- 2. Wie würdest du reagieren, wenn Catherine fremdgeht?
- 3. Was würde dich daran am meisten verletzen?
- 4. Wie viele Männer aus deinem Umfeld kennst du, die schon mal fremdgegangen sind?
- 5. Welchem Prozentsatz entspricht das, bezogen auf dein Männerumfeld?
- 6. Ist es dir peinlich, oder fühlst du dich ein bisschen unmännlich, wenn man dich für einen Mann hält, der nie fremdgegangen ist?
- 7. Warst du schon mal im Puff?
Herzliche Grüße, Senator J. McCarthy
aw:
Schön, dass dir Fragebögen Spaß machen. Solange ich sie ausfüllen muss. Okay, los geht’s:
- 1. Meine erste Freundin, die vier Jahre älter war als ich, hat mich mehrmals betrogen, woraus ich schloss, dass ich das auch dürfe, woran schließlich unsere Beziehung zerbrach. Wenn du so willst, ist in dieser Zeit mein monogames Jungfernhäutchen geborsten.
- 2. Ich würde den Mann körperlich bestrafen. Vielleicht hätte ich sogar Tötungsfantasien den Nebenbuhler betreffend. Mit Catherine wäre es schwieriger. Ich habe gehört, dass man sich als Betrogener gedemütigt fühlt. Und so eine Konfrontationsszene macht einen auch nicht unbedingt stärker.
- Ich hätte Angst, dass ich zu stolz wäre, um bei ihr bleiben zu können.
- 3. Dass sie unsere exklusive Vertrautheit gestört hat. Dass sie mich hintergangen, verraten hat. Dass es einen Moment gab, in dem ihr ein anderer wichtiger war als ich.
- 4. Einige.
- 5. Von denen, die sich mit mir darüber unterhalten haben, was ja bereits ein gewisses Vertrauen voraussetzt, waren es schätzungsweise zwei Drittel.
- 6. Ja.
- 7. Einmal, zum Kucken. An meinem Junggesellenabend kurz vor der Hochzeit. Meine Freunde dachten, das gehöre dazu. Aber eigentlich hat uns allen nur das Herz in der Hose geklopft, wir haben ein, zwei unverschämt teure Biere getrunken und sind wieder rausgegangen. Das Peinliche an der Sache war übrigens, dass noch nicht mal eine Nutte zu uns gekommen ist. Die hatten keine Lust auf Kindergeburtstag.
re:
Lieber Maxim, ich weiß nicht, ob die Monogamie ein »Idealbild« ist, wie du schreibst. Ich glaube, sie ist vielmehr ein Angstbild. Sie ist die Rückseite der Liebe.
Die Liebe kann Gefühle freisetzen von solcher Wucht und Stärke, dass es nur schwer erträglich ist, das Objekt der Liebe gelassen im Liebesspiel mit einem anderen zu betrachten. Es ist einfach für die meisten Menschen nicht ertragbar. Man leidet. Man empfindet Schmerzen.
Ich habe auch gelitten. Ich glaube, nichts hat mir jemals so wehgetan, wirklich körperlich wehgetan, wie die Untreue meiner letzten Freundin. Schlaflosigkeit, Angst, Appetitlosigkeit, Hysterie, Wut, Trauer und noch einen Haufen anderer Sachen mehr vereinten sich zu einem konstanten Schaben in meinem Bauch, das ich monatelang spürte. Es war die prägendste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Viel intensiver als das Gefühl der Verliebtheit. Ich glaube, dass Menschen daran zerbrechen können. Ich habe damals begriffen, dass Menschen sich deswegen auch umbringen können.
Man nennt das gemeinhin Liebeskummer, was harmlos klingt, denn es sind Liebesschmerzen. Man ist komplett im Arsch. Es ist sogar ein Krankheitsbild. Du kannst heute zu einem Arzt gehen, und er kann dich offiziell krankschreiben wegen Liebeskummer. Das heißt dann Depression.
Man kann das nicht zu oft erleben, schätze ich. Sonst werden die Narben zu groß. Man öffnet sich nicht mehr.
Deswegen haben die Menschen die Monogamie erfunden. Nicht als Ideal, dem es nachzueifern gilt. Sondern als Schutz.
Es ist ein bisschen hilflos. Aber etwas Besseres ist noch niemandem eingefallen.
Ich glaube, dass es Männern schwerer fällt, mit Untreue umzugehen. Vielleicht ist unser Selbstbild wackeliger, und wir können es nicht ertragen, schwach zu sein, absolut schwächlich in solchen Momenten.
Ich habe damals immer auf die Wut gehofft. Schöne kalte Wut. Wut auf meine Freundin, auf den Typen, aber ich war anfangs zu schwach für die Wut. Und das hat mich auch wieder getroffen. Von einem Mann erwartet man doch irgendwie Wut, oder? Aber die Wut kommt nicht. Zuerst kommen 340 Tage Selbstmitleid.
An deinen Beschreibungen merke ich, dass du so etwas nie erlebt hast. Du schreibst von Aggressivität, von Tötungsfantasien, aber das sind Vorstellungen aus Filmen oder Büchern. Männerfantasien.
Am Ende ist es so: Du sitzt da, stundenlang. Du wartest, dass sie anruft. Du hoffst, dass sie dich noch mal berührt, nur so ein bisschen und sei es im Vorübergehen. Du weißt, dass dein Stolz nicht mehr vorhanden ist. Du denkst: Ich müsste sauer sein, sie hat mich betrogen. Sie müsste angekrochen kommen. Aber der Einzige, der kriecht, bist du selbst.
aw:
Du hast recht, Jochen, ich weiß nicht, wie es ist, betrogen oder verlassen zu werden.
re:
Du wirkst auf mich wie ein seltsam unbeschädigter Mann. Jemand ohne Brüche, Verletzungen, Narben. Du bist ein Junge von 41 Jahren.
aw:
Du hast Erfahrung mit Trennung. Ich mit Beziehung. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich meine Ehe für unverletzbar halte. Und du an der Liebe zweifelst. Ich lebe vielleicht eine Illusion – von der Beständigkeit meines heilen Lebens. Ich kann intellektuell begreifen, dass ich nicht immer so unbeschädigt bleiben werde. Aber ich fühle es nicht. Mir fehlen die schlechten Erfahrungen. Mir fehlt die Angst.
re:
Dir fehlt die Desillusion. Das ist interessant. Ich kenne kaum Männer wie dich.
Eigentlich gar keinen. Wenn ich in Gedanken all meine Bekannten und Freunde durchgehe, dann sind dort überall Männer, die auch Trennungen erlebt haben, die mal verletzt wurden, die gespürt haben, dass Liebe enden kann. Ich halte das auch für völlig normal. Die Erfahrung einer Trennung gehört für mich zur Liebe dazu. Sie ist im Paket mit drin. Ich frage mich sogar, ob du überhaupt ahnst, was Liebe bedeutet, ob du sie wirklich wertschätzen kannst, wenn du nie Liebesschmerzen hattest. Ich glaube, wie wichtig Liebe ist, begreift man erst, wenn man sie auch mal verloren hat.
aw:
Lieber Jochen, ich habe dich immer für den Einzelfall gehalten. Obwohl das natürlich dumm ist. Weil ich selbst ja auch mehr Männer kenne, die Trennungen erlebt haben. Aber ich glaube, es nutzt nichts, solche Geschichten nur von anderen zu hören. In der Schulklasse meiner Tochter Anais leben 23 von 26 Kindern mit alleinerziehenden Eltern oder in Patchworkfamilien. Meine Kinder sind also zu Außenseitern geworden. Einmal fragte mich Anais, warum Catherine und ich eigentlich immer noch zusammen sind. Er war kein Vorwurf, nur Interesse. Kinder finden ja das normal, was die Mehrheit macht. Insofern lebe ich bereits außerhalb der Beziehungsnormalität. Aber was soll ich jetzt machen, Jochen? Soll ich mich absichtlich ins Unglück stürzen, um auch mal das Leid geschmeckt zu haben? Vielleicht hast du recht und ich kenne bisher nur die lauwarmen Bereiche der Liebe, die Stellen, wo man noch stehen kann, geschützt vor den Untiefen. Womöglich ist das der Preis für meine Unversehrtheit. Aber dann ist das eben so.
PS: Du fragst, ob ich die Liebe zu schätzen weiß. Kannst du denn die Freiheit genießen? Denkst du manchmal: Toll, ich kann schlafen mit wem ich will?