Tag 22
An dem es um den Unterschied zwischen einer Ehe und einer Männerbeziehung Ohne Internen Geschlechtsverkehr (MOIG) geht
Lieber Jochen, ich reparierte gestern Abend das Fahrrad von Catherine. Also, ich schob die Kette wieder auf den Zahnkranz. Aber das reichte für ein Lob. Für den Satz: »Du bist mein starker Monteur« (musst du dir mit französischen Akzent vorstellen). Sogar für Belohnungssex.
Du siehst, es ist so einfach, an Sex zu kommen!
aw:
Das freut mich.
re:
Was hast du gemacht gestern Abend?
aw:
Ich war mit den Ladys unterwegs.
re:
Gab es Sex mit den Ladys? Oder einer Lady?
aw:
Die Ladys sind männlich.
re:
Jochen, gibt es etwas, was du mir sagen willst?
aw:
Die Ladys sind die MOIG-Jungs.
re:
Ich verstehe kein Wort.
aw:
Ich habe drei Freunde, mit denen ich oft zusammen bin. Seit Jahren schon. Manche nennen uns »Die Jungs« oder »Die Ladys«. Diese Freunde bilden mein Netz, sie sind meine längste Beziehung, und ohne sie wäre das Leben schrecklich öde, vermutlich sogar einsam, und ich wäre schon längst unglücklich verheiratet oder schwul oder in der Klapse.
Keiner von uns hat eine Freundin, das ist klar, oder? Es würde nicht funktionieren mit Freundin, nicht so gut jedenfalls. Wir leben in einer beziehungsähnlichen Gemeinschaft. Leider ist sie staatlich überhaupt nicht anerkannt oder steuerlich begünstigt, vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren, wenn es immer mehr gibt von uns: Männerbeziehung Ohne Internen Geschlechtsverkehr. Die MOIGs.
Paare laufen als Doppelpack durch die Welt.
Wir, in der MOIG, als Viererpack.
re:
Die Jungs sind also deine Ersatzfrau?
aw:
Auch. Wir telefonieren fast jeden Tag miteinander, wir sehen uns mehrmals in der Woche, wir fahren zusammen in den Urlaub, gehen zusammen einkaufen, joggen, wir wissen, was der andere gerne liest, gerne hört, gerne trinkt, welche Gesprächsthemen er schätzt, welches Parfüm er benutzt, welchen Humor er verträgt, wie lange er morgens schläft, ob er Rosinen isst oder Kreuzkümmel oder beides oder keines, und vor allem, welche Frauen ihm gefallen. Kurz: Ich kenne niemanden so gut wie meine MOIG-Jungs. Ich kenne sie besser als meine Geschwister oder meine Eltern.
Ich habe natürlich nie gedacht, dass ich mit fast 40 in einer MOIG leben würde. Früher mit 14 oder 20 war man in einer Gang oder einer Clique. Und im Prinzip ist die MOIG die Fortführung dessen.
re:
Bei Paaren fragt man ja immer: Wie habt ihr euch kennengelernt?
aw:
Die Jungs sind alle in meinem Alter, mehr oder weniger. Zuerst, vor zehn Jahren, gab es nur Stefan. Ich kam dazu, als die Beziehung mit meiner letzten Freundin in die Brüche ging. Der Nächste war dann Patrick, dessen letzte Beziehung ebenfalls in die Brüche ging und den wir bei uns aufnahmen. Vor Kurzem kam dann noch Alex dazu, dessen Ehe in die Brüche ging. Du siehst: Am Anfang steht eine Beziehung, die in die Brüche geht. Ohne geht es nicht!
Du bist dann einfach dankbar, dass jemand da ist. Mit 20 ist ja automatisch jemand da, alle haben Zeit, denn niemand ist verheiratet. Mit 25 auch noch. Ab 30 dünnt es sich aus. Ab 35 wird es schwierig. Ab 40 fast unmöglich. Ich schätze, mit 50 wird es wieder besser, wegen der ganzen Scheidungen. Darauf freue ich mich schon. Vielleicht gibt es dann eine 6-köpfige MOIG. Ich meine, wenn du Interesse hast, Maxim?
Ich bin jetzt zehn Jahre dabei, und ich weiß nicht, ob ich die zehn Jahre lieber in einer Ehe verbracht hätte. Es ist ja irgendwie das Idealmodell des Mannes, der alte Traum: Zeit verbringen mit den besten Kumpels, unabhängig sein, Frauen hinterherschauen, durch die Zeit treiben, mit möglichst wenig »Ernst des Lebens«. Wenn man es schafft, sich dabei nicht albern zu fühlen oder zu alt oder oberflächlich, dann ist das eine beglückende Lebensform.
Vor allem darf man es nicht oberflächlich finden. Das sagen viele, aber es ist ein dämliches Argument, das ich noch nie verstanden habe. Vor allem sagen es Paarmenschen, die denken, dass eine Beziehung sie wahnsinnig tiefsinnig werden lässt, nur weil sie sich ein Bett teilen und ein Klo und ein Kind.
Ich kann bei Greenpeace arbeiten oder bei Amnesty International oder UNO-Generalsekretär sein oder Lehrer in einer Problemschule – und trotzdem ein stolzer MOIG-Boy sein. Meine MOIG ist besser als 80 Prozent aller Paarbeziehungen und Ehen, die ich kenne. Ich habe nie so viel Ödnis und mangelnden Respekt erlebt wie bei Paaren.
re:
Lieber Jochen, immer wenn du dich selbst erklären sollst, machst du die Paare nieder. Du lebst in einer Art Negativdefinition. Du weißt nicht, was du sein willst. Aber was du nicht sein willst, das weißt du ganz genau.
aw:
Lieber Maxim, es gibt so viele Leute, die irgendwas machen und dann behaupten, das sei genau das Leben, das sie immer haben wollten. Ich bin da misstrauisch. Es ist schon viel, wenn man weiß, was man nicht will. Und sich dabei einigermaßen sicher ist. Die MOIG ist eine Gruppe, die mir dabei hilft, die Zeit des Suchens zu überdauern.
Die MOIG gibt mir Struktur. Jeder Mensch braucht Beziehungen zu anderen Menschen. Kein Mann ist eine Insel. Ich könnte mich auch mit dir treffen, Maxim. Aber wann? Vielleicht am Dienstag, deinem freien Tag? Oder am Donnerstag, dem »Überraschungstag«? Was dich aber in Schwierigkeiten stürzen wird, weil der »Überraschungstag« ja frei bleiben soll. Das heißt, du kommst für mich nicht infrage. Du hast zu viel Ballast, zu viel Kram in deinem Leben, es ist vollgestopft wie ein alter Keller. Ich brauche Leute, die noch Platz haben. Die so leben wie ich.
re:
Hast du manchmal Angst, du könntest der letzte MOIG-Boy sein, weil die anderen irgendwann, irgendwie eine Frau kennenlernen? Also fremdgehen?
aw:
Es gibt kein Fremdgehen. Es ist ja eine offene Beziehung. Ohne internen Geschlechtsverkehr. Aber natürlich mit externem. Das führt zu Veränderungen, Fluktuationen. Einer geht, einer kommt. Oder ein Ex-MOIG kehrt zurück. Wir sind einander nicht verpflichtet, wir führen keine Ehe. Trotzdem ist es natürlich so: Wenn alle gehen, heiraten, Kinder kriegen – alle bis auf einen, dann hat der letzte MOIG-Boy ein Problem. Eine MOIG gibt es nur im Plural. Die Angst, verlassen zu werden, gibt es in jeder Ehe. Und in abgeschwächter Form auch in der MOIG.
re:
Was ist der Unterschied zwischen einer guten MOIG und einer guten Ehe? Oder, anders gefragt, warum fällt es dir leichter, mit den Jungs als mit einer Frau zu leben?
aw:
Der Unterschied zwischen dem Leben in einer Paarbeziehung und in einer MOIG ist: Bei uns wird wenig gelogen, wenig gestritten, und man macht wenige Dinge, auf die man keine Lust hat. Wir können zusammen in den Urlaub fahren – aber wir müssen nicht. Wir können zusammen das Wochenende verbringen – aber wir müssen nicht. Es gibt bei uns keine Zeitkonten: wie viele Stunden, Tage, Wochen man miteinander verbracht hat. Ich schätze, Paare haben das. Ein Zeitkonto für die Beziehung. Ein zweites für den Außenbereich.
Die MOIG ist eine junge Form des Zusammenlebens. Ohne Standardverhaltensweisen, ohne Pflichtenheft, ohne Traditionen. Alles geschieht aus dem Moment heraus. Wir haben uns nichts versprochen und sind uns trotzdem treu. Vielleicht gerade, weil wir uns nichts versprochen haben.
re:
Bei euch ist keine Liebe und kein Sex im Spiel. Das macht es einfach.
aw:
Und führt gleichzeitig dazu, dass eine MOIG immer irgendwann enden wird.
Sex kann ich überall bekommen. Liebe nicht. Aber anscheinend kann ich ganz gut ohne Liebe auskommen. Ich bin entwöhnt.
re:
Fällt es dir schwerer, dich auf eine Frau einzulassen, weil es die MOIG gibt?
aw:
Ja. Weil der Druck geringer ist, ein Pärchenmann zu werden. Ich lernte vor ein paar Monaten eine Frau kennen. Eine wirklich gute Frau. Alle rieten mir: Mach es! Aber die Fragen, die ich mir bald stellte, waren: Gehe ich lieber mit ihr oder mit den Jungs in eine Bar? Fahre ich lieber mit ihr oder mit den Jungs in den Urlaub? Feiere ich lieber mit ihr oder den Jungs Silvester?
Ich bin dann bei den Jungs geblieben.
re:
Dann bist du von der MOIG genauso geprägt wie ich von der Ehe.
aw:
Vielleicht, ja. Du hast Angst vor dem Ende einer Beziehung. Ich habe eher Angst vor dem Beginn einer Beziehung. Du hast Angst, eine Frau zu verlieren. Ich habe Angst davor, eine zu bekommen.
Hört sich dämlich an. Aber wenn ich ehrlich bin: So ist es. Was bliebe übrig von meinem freien MOIG-Leben? Ein »Überraschungstag« pro Woche …
re:
Habt ihr noch Platz bei euch?
aw:
Zurzeit nehmen wir keine Neuen auf. Erst muss einer gehen. Wir haben aber eine Warteliste – nach Dringlichkeit. Und ich habe den Eindruck: Bei dir ist es nicht dringlich genug. Noch nicht.
PS: Mir fällt gerade ein: Warum kündigst du nicht den »Überraschungstag«?
Und machst daraus einen weiteren »Maxim-Tag«?
re:
Du hast keine Ahnung, was du da sagst.
aw:
Ich sage: Freiheit für Maxim. Was ist das Problem? Es geht um einen Tag in der Woche. Nicht um zehn Jahre Tibet.
re:
Du sagst: Probleme für Maxim. Verhandlungen, Kämpfe. Du musst den großen Rahmen betrachten, Jochen, die Ehedynamik. Ein Tag ist nie nur ein Tag. Sondern ein Baustein in einem sehr, sehr komplexen Gebilde.
Das Gebilde heißt: die Woche.
Eine Woche muss ein gewisses Gleichgewicht haben. Sie ist paritätisch strukturiert. Wie der ZDF-Rundfunkrat oder die Föderalismuskommission. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Catherine und ich haben jeweils einen Abend für uns und einen Abend zusammen. Der Freitag fällt meistens wegen Landlebens weg. Der Überraschungsdonnerstag ist eine salomonische Entscheidung. Er gehört nicht ihr, nicht mir. Er ist einfach da.
Wenn ich jetzt sagen würde: »Geliebte Frau, Mutter meiner geliebten Kinder, ich habe nachgedacht. Die Frucht meiner Gedanken ist: Der Donnerstag wird von nun an mein zweiter Fußballtag. Gewöhne dich daran, es ist doch nur ein Tag«, dann würde unsere Woche nicht mehr gerecht sein. Es gäbe eine Unwucht.
Das allein wäre noch kein Problem. Eine Unwucht kann normalerweise ausgeglichen werden. Die Frage wäre nur, womit?
Die Wochentage sind schon verbraucht. Das heißt, ich müsste etwas anbieten können, das diesen, meinen Donnerstag ausgleicht. Verstehst du das?
aw:
Nee. Parität? Rundfunkrat? Unwucht? Was macht ihr da?
re:
Okay, ich will dir das von Anfang an erklären. Eine Familie funktioniert nur dann, wenn alle das Gefühl haben, es gehe ausgewogen und gerecht zu. Da nun jeder eine andere Idee von Gerechtigkeit hat, gibt es in der Familiengründungsphase heftige Kämpfe um die Verteilung von Zeit, Geld und Arbeit. Wer macht wie viel? Und was bekommt er dafür? Hat sich dann ein gewisses System etabliert, ist es fast unmöglich, es zu verändern. Eine Maßnahme verlangt Ausgleichsmaßnahmen. Es finden Deals statt. Catherine könnte zum Beispiel sagen: »Wenn du den Donnerstagabend dauerhaft für dich willst, dann feiern wir die nächsten sechzehn Jahre Weihnachten bei meinen Eltern.« Wahrscheinlich würde sie aber noch ganz anders argumentieren. Sie würde sagen: »Schade, dass dir dieser Moment der Gemeinsamkeit so unwichtig ist, dass du nur darauf sinnst, Fußball zu spielen und mit deinen Kumpels Bier zu trinken. Es gab mal eine Zeit, da konntest du nicht genug von mir bekommen.« Und ganz schnell wird aus der kleinen Donnerstagsfrage eine prinzipielle Frage. Deshalb, lieber Jochen, muss man einen sehr guten, sehr wichtigen Grund haben, um an einem Familienwochenplan etwas zu verändern.
aw:
Lieber Maxim, bei euch geht es ja zu wie bei der IG Metall. Gerechtigkeit, Ausgewogenheit! Du schreibst von Kämpfen. Verteilungskämpfen, Positionskämpfen, Zeitkämpfen. Sogar Arbeitskämpfen.
Du schreibst von »Deals«. Du bist nicht nur Ehemann, Vater, sondern auch Dealer. Was wird denn so vertickt in der Ehe?
re:
Mein lieber MOIG-Boy, es ist natürlich schön, sich vorzustellen, es seien die großen Gefühle, die unser Leben bestimmen. Aber meistens sind es dann doch die kleinen Verabredungen. Beziehungen, die nur auf Liebe und Romantik setzen, sind großen Gefahren ausgesetzt. Du musst dealen, du musst kämpfen und immer auf der Hut sein. Das oberste Prinzip in der Ehe lautet: Alles hat seinen Preis. Das heißt, du bekommst nichts, ohne dafür zu bezahlen. Und immer wenn du denkst, du hättest gerade ein Schnäppchen gemacht, gar einen kleinen Gewinn kassiert, dann sitzt du vermutlich ziemlich in der Scheiße. Beim Poker gibt es Fische und Haie. Und es gibt die alte Regel, die besagt, dass, wenn du nicht weißt, wer am Tisch der Fisch ist, du es wahrscheinlich selbst bist. Genauso ist es in der Ehe.
Du fragst nach den Deals. Zunächst musst du wissen, dass Männer generell schlechte Dealer sind. Das liegt an ihrer Ungeduld. Männer wollen immer irgendetwas. Meistens wollen sie etwas verändern. In den allermeisten Fällen geht es um bereits geschlossene Deals, bei denen sie nicht richtig nachgedacht haben. So sind die Frauen von Anfang an in der besseren Position. Sie lassen die Männer kommen, hören sich ihre Klagen an und denken lange und gründlich über einen Preis nach. Wenn dieser Preis den Männern zu hoch ist, zucken die Frauen mit den Schultern und gehen wortlos ihrer Wege. Sie wollen ja nichts verändern. Irgendwann gibt der Mann nach und bezahlt den viel zu hohen Preis. Nach einem Dutzend solcher Deals (etwa nach vier Ehejahren) ist der Mann zahlungsunfähig. Er hat nichts mehr, was er geben kann.
Das ist der Moment, auf den die Frau gewartet hat. Sie macht ihm ein Übernahmeangebot, das in etwa lautet: Deine Schulden gegen deine Eier. Anfangs wehrt sich der Mann ein bisschen (daher kommt der Ausdruck rumeiern). Schließlich fügt er sich in sein Schicksal. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa sieben Ehejahre vergangen. Der Mann versucht von Zeit zu Zeit noch einen kleinen, preisgünstigen Deal zu machen. Und manchmal lässt ihn die Frau sogar gewinnen, weil er ihr leidtut. Das ist, mein lieber Jochen, der Handlungsrahmen einer gut gehenden Ehe. Die schlechten Ehen zerbrechen nach sieben Jahren. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
aw:
Dir ist schon klar, dass deine Beschreibungen mich der Ehe keinen Schritt näher bringen, oder? Was mir noch nicht klar ist: Du beschreibst das Dealen, wenn der Mann schon nichts mehr zum Dealen hat. Aber wie beginnt das Dealen? Wo liegt der Ursprung? Was war dein erster großer Deal, Maxim?