Tag 23

An dem deutlich wird, warum Männer beim Dealen mit Frauen fast immer verlieren und wie eine Männerwaschstraße funktioniert

Lieber Jochen, ich habe in den vergangenen Jahren so viele Deals gemacht, Hunderte, Tausende, mehr jedenfalls, als die Milchstraße Sterne hat. Die ersten Deals sind deshalb meiner Erinnerung entglitten.

Was ich aber weiß, was ich mit Sicherheit sagen kann: Der Ursprung liegt am Anfang. Das Dealen beginnt, wenn du dich verliebst.

Catherine mochte mich am Anfang nicht besonders. Wir waren beide in Paris, wir waren Studenten, und Catherine hatte sich gerade von ihrem Verlobten getrennt, der ihr nicht stabil genug erschien. Nicht zukunftsträchtig. Genauso wenig wie ich. Bei mir sah sie allerdings Potenzial. Das sagte sie mir später. Potenzial wofür? Der Mann ihres Lebens zu werden. Der Vater ihrer Kinder. Das klingt klischeehaft, aber ich kann nur von meiner Erfahrung erzählen. Und meine Erfahrung ist: Frauen ticken so. Männer suchen nach Frauen mit Schönheit. Frauen suchen nach Männern mit Potenzial. Um Catherine von mir zu überzeugen, um das Potenzial, das sie sah, zu bestätigen, musste ich Beweise liefern.

aw:

Beweise wofür?

re:

Für meine Reife, meine Ernsthaftigkeit, meine Verantwortung, meine Liebe. Frauen fordern diese Beweise ein. Sie wollen harte, klare, dokumentierbare Gründe, warum sie sich mit einem Mann einlassen sollen.

aw:

Frauen entscheiden nach Aktenlage.

re:

Absolut. Ich weiß nicht mehr, wie viele Beweise ich in den 17 Jahren meiner Beziehung geliefert habe. Hunderte, Tausende. Es hört ja nie auf. Aber ich erinnere mich an meine erste Prüfung, damals im Sommer, in den Anfangsmonaten unserer Beziehung. Unser erster gemeinsamer Urlaub führte uns in die Berge. Nicht weil ich in die Berge wollte. Sondern weil Catherine und ihre gesamte Familie die Berge lieben. Catherine fragte mich aus: Wie stehe ich zu Bergen? Habe ich Erfahrungen mit Bergen? Respektiere ich die Berge? Vor allem aber: Wie stehe ich zu den trägen, fantasielosen, oberflächlichen Männern, die lieber ans Meer fahren, statt oberhalb der Baumgrenze durchs Berggeröll zu steigen? Um es kurz zu machen: Bin ich ihr Bergmann?

Ich lief zwei Wochen durch die Berge. Französische Alpen, Parc de la Vanoise, hoher Schwierigkeitsgrad. Am vierten Tag trug ich sie die letzte Steigung zur Berghütte hoch. In meinen Armen. Danach hatte sie das erste Mal dieses Ich-habe-meinen-Bergmann-Glitzern in den Augen.

aw:

Und Freudentränen! Und Glücksschauer liefen minütlich durch ihren entkräfteten Körper! Und auf der Bergspitze pflücktest du ihr ein Edelweiß, das Catherine trocknete, presste und später in euer Hochzeitsalbum klebte!

re:

Woher weißt du das?

aw:

Näschen.

re:

Mach mir meine Geschichte nicht kaputt. Hör einfach zu.

Frauen, davon bin ich überzeugt, suchen sich Männer, in denen sie etwas erkennen. Nicht viel, Frauen sind realistisch. Aber genug, um sich mit einem Mann zu beschäftigen. Sie halten eine Art Rohling in der Hand, unbehauen, ungeschliffen. Dann beginnen sie zu klopfen. Frauen sehen sich oft als Bildhauer. Man gibt ihnen ein graues Stück Granit in die Hand. Darauf klopfen sie dann für den Rest ihres Lebens herum.

Diese erste Beweiserbringungsphase ist für den Mann eine recht demütige Zeit. Er muss sich würdig erweisen, und wenn er denkt, irgendwann wäre es endlich bewiesen, beginnen neue Prüfungen. Im Prinzip kann man als Mann nie sein Beziehungsdiplom machen, weil die Frau schon längst wieder weiter ist, weitergerannt in die nächste Beziehungsphase. Sie hat immer einen Vorsprung.

Ich glaube, Frauen wollen in Beziehungen immer etwas mehr als ein Mann. Mehr aufgehen, mehr Nähe, mehr Verschmelzung. Der Familiengedanke ist ihnen nahe, sie gehen in eine höhere Existenzform über. So wie vom Kapitalismus in den Sozialismus. Sie lassen ohne Wehmut ihr Ich hinter sich und stürzen sich ins Wir. Das erscheint ihnen normal. Logisch. Und genauso normal und logisch erscheint ihnen, dass ein Mann das Gleiche tut.

Ich schätze, hier liegt eines der größten Missverständnisse zwischen den Geschlechtern. Die Frau denkt, sie fordere gar nicht viel. Und der Mann fühlt sich überfordert. Ich habe wirklich nach einem Gegenbeispiel gesucht, aber mir fällt kein Fall ein, wo es umgekehrt war. Wo der Wille, eine Familie zu gründen, beim Mann stärker ausgeprägt war als bei der Frau.

aw:

Verstehe. Aber was hat das alles mit dem Dealen zu tun?

re:

Das Dealen, Jochen, ist eine männliche Technik, das unzulängliche Wir zu verbergen. Um zwischen dem Anspruch seiner Frau und seinen Möglichkeiten als Mann zu vermitteln. Das Wir, lieber Jochen, ist der imaginäre Ort, an dem der Mann lebt, wenn er das Ich überwunden hat. Du musst dir das Wir vorstellen wie eine Autowaschstraße. Vorne fährt der Mann als schmutziges, einsames Ich rein. Und hinten fährt er als sauberes, glückliches Wir wieder raus.

Die Waschstraße ist leider sehr lang. Etwa so lang wie ein Männerleben.

aw:

Ich habe beim Lesen gefroren und geweint, Maxim. Vor Angst. Ich möchte nicht in die Waschstraße …

re:

Doch, das willst du! Du weißt es nur noch nicht. Das Wahnsinnige, das absolut irre i-Tüpfelchen, die schlussendliche Wahrheit ist nämlich: Ehemänner finden es ja ganz geil, erzogen zu werden. Liebevoll erzogen. Sie jammern ein bisschen, sie dealen, aber eigentlich macht ihnen nichts größere Angst als die Vorstellung, wieder selbst über sich entscheiden zu müssen. Ehemänner lieben nach einiger Zeit die einfachen, totalitären Strukturen, die festen Abendbrotzeiten und das Taschengeld. Der Mann ist bei Mutti groß geworden. Und er will zurück zu Mutti. Ein frohes Wochenende wünscht Maxim »The Dealer« Leo!

PS: Auf meinem Schreibtisch liegen drei verstaubte Filmkassetten, die ich heute Vormittag nach langer Suche in einem Karton in unserem Abstellraum gefunden habe. Leider habe ich noch keinen Videorekorder, um mir die Kassetten anzuschauen. Aber heute Abend will ich das hinbekommen. Den ersten Film haben wir im Mai 2000 aufgenommen. Eine Woche bevor Anais geboren wurde. Ich erinnere mich, dass wir im Treptower Park im Gras gesessen haben. Die Catherine mit dem dicken Bauch und ich. Ich glaube, wir waren damals in einem besinnungslosen Zustand. Du kennst ja diese fröhlichen Paare, die allen auf die Nerven gehen. Ich werde dir davon erzählen …

PPS: Was machst du am Wochenende?