Tag 6

An dem Bäuche verglichen werden und erklärt wird, woran man einen Mann erkennt, der in den Wechseljahren ist

Lieber Maxim, ich war am Wochenende auf Mallorca. Mit fünf Männern.

aw:

Warum?

re:

Warum nicht?

aw:

Ich meine, warum verreist du nicht mit fünf Frauen?

re:

Das ist deine Fantasie, ja?

aw:

Ich stelle nur eine naheliegende Frage.

re:

Die naheliegende Antwort ist: Fünf Frauen klingen nur gut. Der Sechser wird gemeinhin überschätzt.

aw:

Echt?

re:

Nein. Aber ich will gar nicht über Sex mit dir reden, Maxim. Ich will dir von meiner Männerfahrt erzählen. Hast du schon mal einen Männerausflug gemacht, in den vergangenen zwanzig Jahren?

aw:

Ich glaube nicht. Aber ich bin mal mit einem Freund verreist. Also ein Zweimannausflug. Ist das gut mit so vielen Männern?

re:

Na ja. Es war eine besondere Männerfahrt. Im Dezember, kurz vor Weihnachten, rief mich die Frau meines Freundes Christian an. Sie sagte, Christian müsse mal wieder raus. Die Kinder, der Job – Christian sei gestresst, er brauche Zerstreuung. Ob ich mit ihm mal wegfahren könne. Zusammen mit anderen alten Freunden. Ich sagte zu, und Christians Frau organisierte und bezahlte die ganze Reise.

aw:

Du warst so eine Art Weihnachtsgeschenk?

re:

Ja, genau. Am Freitagmorgen flogen wir los. Fünf Freunde kamen aus Berlin, einer aus London, wir trafen uns in Mallorca. Wir wohnten in einem Hotel in Palma, zwei Dreibettzimmer, so wie wir früher in Jugendherbergen gewohnt hatten. Einige der Freunde habe ich zwölf, fünfzehn Jahre nicht gesehen. Einer ist heute Urologe, einer Mathematikprofessor, einer Jurist, einer lebt in London als Businessmann, einer ist DJ, und ich bin Journalist. Wir haben zusammen Abitur gemacht oder kennen uns aus der alten Clique. Wir sehen jetzt nicht viel anders aus. Nur breiter. Männer werden ja breiter. Frauen vor allem älter.

Wir gingen durch die Stadt, Palma ist nicht groß und eigentlich auch ganz schön. Wir sind alle 38, 39 oder 40, fast alle haben Kinder, der eine drei, nur der DJ hat keines. Und ich. Der DJ hat immerhin zwei Katzen. Ich habe nicht mal Katzen. Alle sind verheiratet. Nur der DJ nicht. Und ich.

Wir haben uns die Tage »freigeschaufelt«, ein unglaublich hässlicher Ausdruck. Den Job weggeschaufelt, die Kinder, den Arbeitsfreitag, schaufel, schaufel. Wir brauchten ewig, um einen Termin zu finden, jetzt gingen wir nebeneinander durch die Stadt, und etwas sollte beginnen. Männerausflüge folgen ja oft dieser Blues-Brothers-Romantik: Wir bringen die Band wieder zusammen!

Wir saßen in einem Restaurant, tranken Aperitifs und Wein, wir sprachen über unsere Jobs und die Ehefrauen und die Kinder, und es war gar nicht schlecht, manchmal witzig, auch rührend, es gab Momente, da lebte die Band wieder, nur lag über allem so eine Müdigkeit. Obwohl, das ist das falsche Wort. Besser ist: Disziplin. Noch besser ist: Mäßigung. Wir waren gemäßigte Männer Ende 30, Anfang 40. Wir tranken wenig Alkohol, wir gingen früh ins Bett, wir standen zeitig auf, um den Tag zu nutzen, die kostbare Zeit. Der Jurist sagte, darauf habe er sich am meisten gefreut: Im Bett liegen bis acht oder halb neun und nicht aufstehen müssen. Ein bisschen Musik hören. Nur so ganz allein. Sonst müsse er um sechs Uhr raus wegen der Kinder, wegen des Jobs. Und ich habe gedacht: Wow, sechs Uhr. Er lebt wie ein Bauer, nur in der Stadt.

Wir sprachen überhaupt viel über die Mühen des Alltags. Über die mangelnde Zeit, die Kinderbetreuung, den fordernden Beruf, die Termine, das mangelnde Durchschlafen wegen der Kinder und dass man »zu nichts mehr kommt«, was meine Mutter auch oft gesagt hat, und ich erinnere mich, dass ich mich als Kind manchmal gefragt habe, was denn dieses »Nichts«, zu dem man nicht mehr kommt, eigentlich sein soll. Schwer zu sagen.

Wir haben jetzt vollgepackte, getaktete Leben. Bis auf den DJ vielleicht. Wir haben Autos und Verantwortung und Wohnungen und Urlaubszeiten und sind auf dem Weg zu einem anderen Auto, noch mehr Verantwortung, einem Haus und kürzeren Urlaubszeiten. Alles läuft auf diese Lebensmitte zu. Die 40er-Jahre. Man arbeitet wahnsinnig lange und intensiv daran, dort hinzukommen. Abitur, Studium, Prüfungen, Hochzeiten, Geburten – nur um irgendwann festzustellen, dass »man zu nichts mehr kommt«.

Wir tranken wirklich wenig Alkohol in diesen drei Tagen. Wir gingen nicht aus. Tanzen oder so was. Wir probierten es nicht mal, was man ja sonst oft macht, um das Jugendlichkeitsgewissen zu beruhigen, selbst wenn man nur auf die Tanzfläche glotzt mit einem warmen Bier in der Hand und betet, dass es endlich halb zwei ist, eine Zeit, die es einem erlaubt, mit einiger Selbstachtung ins Bett zu gehen. Das ist das Fiese an den Vierzigern. Man hat das alles schon tausendmal gesehen. Die Clubs, den Alkohol, die Mädchen, die Musik. Alles gesehen.

Der Urologe sagte, dass es, medizinisch gesehen, so etwas gibt wie die Wechseljahre des Mannes. Beginnen meist so in unserem Alter, Maxim. Ende 30, Anfang 40. Die Symptome sind Müdigkeit, nachlassende Libido, nachlassender Bartwuchs, auffällige Lustlosigkeit.

»Was macht man dagegen?«, fragte ich den Urologen.

»Testosteron«, sagte er.

»Wo kriegt man das Zeug«?, fragte ich.

»Bei mir«, sagte er.

»Ist das so was wie ein Nikotinpflaster?«, fragte ich.

»Nee, Pflaster sind out«, sagte der Urologe.

Man nimmt besser Testosterongel. Damit schmiert man sich ein. Auf den Hoden oder sonst wohin. Die Bodylotion für den schlappen Mann. Oder man nimmt die Testosteron-Depotspritze. Das sei überhaupt das Beste.

Wir fuhren in einem kleinen Bus über die Insel. Wir saßen dort drinnen und schauten in die Sonne, in die Landschaft. Wir wanderten zu einer schönen Bucht, manchmal sagte einer, dass wir jetzt einfach hierbleiben müssten, für ein paar Tage wenigstens, einfach hier bleiben, Haus mieten, Fisch grillen, Musik aufdrehen, und dann nickten alle, und wir sprachen über was anderes.

Der Jurist kaufte ein Sixpack Bier, das wir tranken, weil wir das früher auch immer gemacht haben. Auf ein Sixpack werden wir uns vermutlich immer einigen können. Auch noch in zwanzig oder dreißig Jahren.

Wir könnten so eine Reise jetzt jedes Jahr machen, sagte der Urologe später, am Abend, als wir spanisches Spanferkel aßen. So als Tradition.

Alle nickten, alle sagten: Gute Idee.

Am nächsten Tag stiegen wir in ein Flugzeug nach Berlin, und am übernächsten Tag schickten wir uns per Mail die Fotos von unserem Ausflug.

Wir bleiben in Kontakt, schrieb der DJ.

Wir bleiben in Kontakt, schrieb ich.

aw:

Ist eine melancholische Geschichte, Jochen.

re:

Ja. Und je länger ich darüber nachdenke, umso melancholischer werde ich.

aw:

Vielleicht sollte man solche Fahrten gar nicht machen. Man will Jugendfreunde treffen und begegnet dem Alter.

re:

Kennst du dieses Gefühl?

aw:

Ich gehe zum Beispiel ungern auf Klassentreffen. Man ist auf einmal von Leuten umringt, die seltsam erwachsen sind, obwohl sie eben noch das ganze Leben vor sich hatten. Und man selbst ist auch so jemand geworden. So ein Teenie mit Glatze. Was ich merke, ist, dass bei mir die Differenz zwischen innerem und äußerem Alter immer größer wird. Das innere Alter ist so, wie ich mich selbst fühle. Im Grunde ein Tal der ewigen Jugend. Das äußere Alter ist der Blick der anderen auf mich. Oder der Nicht-Blick. Zwanzigjährige Frauen sehen schon seit einiger Zeit durch mich hindurch. Für die existiere ich gar nicht mehr. Ich laufe manchmal durch die Straße und spiele Blicke fangen. Wenn es mir gelingt, mehr als zwei junge, weibliche Augenpaare zumindest kurz auf mich zu ziehen, dann habe ich gewonnen. Ich verliere jetzt immer öfter.

re:

Lieber Maxim, ich glaube, man muss zwei Dinge trennen. Das Alter und das Feuer. Was du beschreibst, worüber du ein bisschen jammerst, ist das körperliche Alter und die Eitelkeit als Kollateralschaden. Zwanzigjährige Frauen stehen nicht mehr auf dich. Natürlich tun sie das nicht, falls sie nicht völlig verzweifelt sind, einen Vaterkomplex haben oder Geldsorgen. Vergiss die 20-jährigen Frauen. Man runzelt, schrumpft, verfällt – leider.

aw:

Und was meinst du mit Feuer?

re:

Feuer ist vielleicht zu viel verlangt. Aber so einen kleinen Bunsenbrenner, der das Herz heiß hält. Ich glaube an die Unruhe, Maxim. Sie ist oft unangenehm, man kann an ihr verzweifeln, weil die Erlösung fehlt, aber sie schützt vor dem Einschlafen. Vor der Abgeklärtheit. Unruhe soll der Grundton meines Leben bleiben, ich hoffe, dass sie nie verstummt. Davor hätte ich Angst.

aw:

Mir fällt auf: Die Altersgrenzen verschwimmen. Früher waren die Alten alt und die Jungen jung. Typen wie ich hatten einen Bauch, hießen Papa und standen am Grill. Typen wie du hießen Junggesellen, trugen fleckige Hemden und wurden manchmal aus Mitleid zum Grillen eingeladen. Heute kann sich jeder fühlen, wie er will. Ich sehe bei mir im Park sechzigjährige Männer mit sorgsam zerrissenen Jeans und tätowierten Armen, die platingrauen Haare nach hinten gelegt. Sie gehen mit ihren Kindern spazieren, die ihre Enkel sein könnten. Sie haben mal eben eine Generation übersprungen. Haben eine zweite Chance bekommen. Ich treffe Frauen, die Mitte dreißig sind und sagen, sie fühlten sich noch zu jung zum Kinderkriegen. Das ganze Leben verschiebt sich nach hinten. Die gefühlte Jugend wird immer länger, im Grunde reicht sie bis zum Tod.

re:

Ja, die alten Väter im Park, die Generationsüberspringer, die sind neu. Aber es ist doch so: Ich werde vielleicht mal einer von ihnen. Das heißt, wir beide, du und ich, werden uns nicht nur jetzt fremd sein, sondern auch in Zukunft. Die Homogenität einer Generation verschwindet. Die einen verschieben ihr Leben nach hinten (ich), die anderen leben es klassisch vorne (du).

re:

Lieber Maxim, noch eine Frage: Was für einen Bauch hast du eigentlich? Beschreib mal? Die klassische Kugel? Die Fettfalte? Die Unterbauchschwarte? Die Hüftverfettung? Oder den Kegel? Ist es festes Fett, also ist der Muskel beim Fingereintunken noch spürbar? Oder ist es schon Fett-Fett, also der Aspikbauch?

aw:

Lieber Jochen, wenn ich meinen Bauch nicht einziehe, dann geht eine leichte Hüftverfettung ohne Umwege in die noch recht harmlosen Anfänge eines Bauchnabelkegels über. Pessimisten würden sagen, dass man den Unterschied zwischen Hüfte und Bauch nicht mehr zu erkennen vermag. Optimisten würden dagegenhalten, dass man den Bauch auch ein bisschen einziehen kann. Wenn ich das tue, dann strafft sich unter meinen Rippen eine muskuläre Endmoränenlandschaft, und meine mittlere Bauchpartie wird prägnant und definiert wie die von Russell Crowe im Film Gladiator. Das Problem ist nur, dass ich dann nicht mehr atmen darf. Und auch nicht mehr sprechen kann. Ich bin entweder ein stummer Gladiator. Oder sprechender Speck.

Zur Textur meines Bauches: Es ist Muskelfett. Wobei der Begriff irreführend ist, weil es sich um Muskeln handelt, die nur aussehen wie Fett.

re:

Maxim? Bist du noch da? Mir ist noch was eingefallen. Ein weiteres 30-Sekunden-Glück. Wenn ich mit meinen Freunden zusammensitze, an einem späten Abend oder in einer Nacht, und denke: Sie haben keine Brüste und eindeutig zu viel Bartwuchs, als dass sie für eine Beziehung infrage kämen – aber gut, dass sie meine Freunde sind. Sehr gut.