Kapitel 14

»Signora Pia?«

»Hier, Pasquale. Bin oben.«

Pasquale kam bereits die Treppe hoch. Pia zog den Stecker aus der Steckdose. Irgendetwas am Tonfall ihres Mannes sagte ihr, dass das mit dem Bügeln nichts mehr werden würde.

»So ein stronzo

Pia schluckte, blickte ihrem Mann erst einmal ins Gesicht. Kein Zweifel. Er war stinksauer.

»Ich hätte ihn ohrfeigen sollen. Damals schon, als er noch ein kleiner Junge war. Vielleicht hätte es etwas gebracht.« Die Wut machte Pasquale unerwartet gesprächig.

»Pasquale, ich verstehe kein Wort.«

Am Morgen noch war er so fröhlich gewesen und hatte vorgehabt, nach der Arbeit zur Hütte zu fahren, um die Renovierung voranzubringen. Jetzt kam er ganz wütend zurück und sprach unverständliches Zeug. Pia knabberte nervös an ihrer Unterlippe. Was braute sich da schon wieder zusammen?

»Ermanno. Er war heute bei der Hütte. Hat angefangen herumzudrucksen. Von wegen, mamma habe ja noch gar nicht beschlossen, wem sie das Land da oben mal vermachen will und so.«

»Ermanno war auf dem Hof? Ich dachte immer, der hat Angst, sich auf den Feldern die Schuhe dreckig zu machen.«

Pia konnte sich ihren pingeligen Schwager gar nicht vorstellen zwischen Gemüse und aufgewühlter Erde. Ehrlich gesagt verstand sie auch nicht, was Ermanno dorthin getrieben hatte.

»Hat er auch. Du hättest ihn sehen sollen. Wie ein Storch ist er herumspaziert. Igitt hier, igitt da. Aber es passt ihm wohl nicht, dass ich Touristen kommen lassen will. Und das hat er mir zu verstehen gegeben. Das ist auch mein Land, hat er gesagt.«

Und Pia begann zu begreifen. Ermanno gönnte Pasquale keinen geschäftlichen Erfolg. Das sah ihrem Schwager ähnlich.

»So ein stronzo

Es fühlte sich immer besser an, Ermanno mit diesem Beinamen zu bezeichnen.

»Sag ich doch, Signora Pia!«

Müde ließ sich Pasquale auf das Bett fallen, rieb sich die Schläfen. »Und ich dachte wirklich, dass wir damit ein bisschen Geld hätten dazuverdienen können.«

»Ermanno wird wohl einsehen, dass er sich nicht so einfach querstellen kann. Damit macht er sich doch lächerlich.«

»Mein Bruder ist lächerlich.«

Da musste Pia ihrem Mann recht geben. Lächerlich und gemein.

»Stimmt. Aber da lassen wir uns einfach nicht reinreden, okay?«

»Naja, die Renovierung muss ich jetzt erst einmal auf Eis legen. Ich habe keine Lust, Geld in das Projekt zu stecken, um das Ganze dann meinem Bruder zu überlassen.«

»So weit wird es nicht kommen, du wirst sehen!«

»Dein Wort in Gottes Ohr.«

»Wenn er nicht mit sich reden lässt, schalten wir einfach deine Mutter ein.«

»Ich glaube kaum, dass das etwas nützen würde«, gab Pasquale zu bedenken.

Pia dachte an ihre autoritäre Schwiegermutter. Die hatte Pasquale doch darum gebeten, sich um besagtes Land zu kümmern, als sie selbst nicht mehr in der Lage gewesen war, es zu bewirtschaften. Was im Klartext hieß, dass sie Pasquale geeigneter dafür hielt als Ermanno. Sandrina würde das nicht leugnen können. Und sie war sicher keine Person, die ihre eigenen Entscheidungen infrage stellen würde. Pia erklärte Pasquale, wie sie das sah.

»Va bene«, willigte er nach kurzer Überlegung ein.

Langsam ließ Pasquales Anspannung etwas nach. Pia wusste immer genau, was er brauchte. In diesem Fall einfach nur Ermutigung. Ermanno wäre schon ein echtes Scheusal, wenn er tatsächlich auf diesem plötzlichen Sinneswandel beharren würde. So dumm und gemein konnte selbst er nicht sein.

»Lass uns jetzt erst einmal zu Abend essen. Tiziana kommt auch. Dann schlafen wir drüber und morgen sieht die Welt bestimmt gleich anders aus.«

Pia gab sich sehr viel überzeugter, als sie tatsächlich war. In Wirklichkeit spürte sie bereits, wie das Gewicht dieser neuen Streiterei ihr das Atmen schwer machte.

»Hoffentlich. Ich glaube wirklich, dass wir da oben eine Menge Gäste glücklich machen könnten. Der Blick auf das Meer und die ganzen Zitronen-, Oliven- und Feigenbäume. Auf so etwas stehen Ausländer. Das sehe ich doch im Feriendorf in Marina.«

Als Pasquale das Feriendorf erwähnte, fiel Pia William wieder ein. Den hatte sie beinahe vergessen.

»Übrigens, ein amerikanischer Tourist, der mich in Marina über den Haufen gerannt hat, wird auch zum Abendessen kommen. Er spricht sehr gut Italienisch. William heißt er. Und er hat darauf bestanden, mich zu einem Getränk einzuladen. Ein ganz netter. Den kannst du ja mal fragen, wie die Hütte seiner Meinung nach bei Touristen ankommen würde.«

»Oder ich frage ihn, wie er dazu kommt, meine Frau umzurennen und dann auch noch zu einem Drink einzuladen«, konterte Pasquale mürrisch und versteckte seine Eifersucht dabei nicht.

»Ach, Pasquale. Hör schon auf! Ich finde, das ist eine tolle Chance, um mal die andere Seite zu hören.«

Ja, sie schimpfte schon ein bisschen mit Pasquale. Gleichzeitig konnte sie aber nicht leugnen, dass sie der Anflug von Eifersucht, den ihr Mann selbst nach so langen Ehejahren noch verspürte, auch ehrte.

»Bleibt mit ja nichts anderes übrig …«, gab Pasquale sich geschlagen.

»Schon besser. Magst du noch duschen? Tiziana wird gleich hier sein. Ich soll ihr noch mal erklären, wie ich Meeresfrüchtesalat zubereite.«

»Das kannst du ihr noch tausendmal erklären. Kochen ist nichts für Tiziana.«

Pasquale grinste, befreite sich bereits von seiner Arbeitskleidung und verschwand im Bad.

»Komme gleich wieder …«

Raffaele erhob sich schwerfällig und schlurfte in Richtung Bad. Er ließ dabei seine Karten auf dem Tisch liegen. Und Don Rosario hatte das starke Bedürfnis, einen Blick hineinzuwerfen. Stattdessen stand auch er auf und marschierte Richtung Tresen, wo Nicola mit einem Mann sprach.

»Ja, Pia. Ihren Nachnamen kenne ich allerdings nicht«, behauptete der Mann. Ein Ausländer. Gutaussehend. Don Rosario sah ihm an, dass er wohlhabend war. Es lag nicht so sehr an seiner teuren Uhr und der einwandfreien Kleidung, sondern vor allem an seiner Haltung. Sicher. Aufrecht. Gleichzeitig aber entspannt. So gut bekamen diese Haltung nur erfolgreiche Menschen hin.

»Pia. Klar. Die kennt hier jeder. Ja, ich fürchte, Sie sind an ihrem Haus vorbeigefahren. Es liegt vor dem Ortseingang«, erklärte Nicola.

»Sie wollen Pia besuchen?«, mischte Don Rosario sich ein, »das trifft sich sehr gut. Ich wollte ohnehin gerade zu ihr«, log er und rechnete sich dabei aus, wie viele Ave Maria ihn diese Unwahrheit kosten würde. In Anbetracht der Tatsache, dass ihm diese Behauptung spontan über die Lippen gekommen war, konnte der Herr ihm vielleicht verzeihen. Außerdem ging es hier um Pia und die Frage, was dieser Fremde von ihr wollte. Das musste Don Rosario herausfinden. Assolutamente!

»Great!«, strahlte der Mann ihn an und hob einen Daumen. »Ich bin William«, stellte er sich auch schon vor und streckte die Hand aus.

»Don Rosario.«

Er nahm Williams Hand und brach unter dem festen Händedruck beinahe zusammen.

»Sind Sie … ein Freund der Familie?«

Nein, dachte Don Rosario. Er schaffte es beim besten Willen nicht, seine Neugierde in Zaum zu halten. Aber er tat ja nichts Verbotenes, oder?

»Ja und nein«, kam es etwas zögerlich, was Don Rosarios Neugierde nur noch mehr entfachte. Aber er wusste auch, dass er sich erst einmal zufriedengeben musste.

»Na, dann wollen wir Pia nicht warten lassen.«

»Hey, was ist los?«, kam es aus dem hinteren Teil der Bar. Raffaele guckte verwirrt, hielt seine Karten dabei in der Hand.

»Ich muss weg«, machte Don Rosario es knapp.

»Das Spiel war noch nicht zu Ende!«, versuchte Raffaele es weiter.

»Das macht doch nichts.«

»Oh doch. Spiele werden immer zu Ende gespielt. Und wenn nicht, dann heißt das …«

Don Rosario schnitt Raffaele das Wort ab.

»Du hast gewonnen. Va bene

Raffaeles Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

»Va benissimo«, verkündete er zufrieden und ließ sich auf den Stuhl fallen, der dabei empört ächzte.

Don Rosario schluckte den Ärger hinunter. Es geht hier um Pia, rief er sich noch einmal ins Gedächtnis.

»Oh. Don Rosario?«

So langsam fragte Pia sich, ob der Priester jetzt zum festen Überraschungsgast wurde. Sie öffnete die Haustür etwas weiter und sah William dabei zu, wie er versuchte, für das viel zu große Auto im Vorhof einen geeigneten Parkplatz zu finden. Der Motor jaulte dabei ein paarmal auf.

»Dein Gast hatte sich verfahren«, berichtete Don Rosario, als würde diese Tatsache allein seine Präsenz erklären.

»Ja, das habe ich befürchtet. William hat all meine Versuche, ihm den Weg genau zu erklären, abgewürgt. Weil er ja ein Navi hat. Und er kann ja nicht wissen, dass Christus nur bis nach Eboli kam und wir hier noch nicht mal auf irgendwelchen digitalen Karten erfasst sind.«

»Nun, ich denke, jetzt weiß er es sehr wohl.«

»Vermutlich.«

»Ich habe deinen Gast jedenfalls bei Nicola in der Bar getroffen, wo er sich gerade eine Wegbeschreibung zu dir holen wollte. Und ich dachte mir, dass ich ihn vielleicht begleiten sollte. Camerota ist doch gastfreundlich, oder?«

»Wir versuchen es zumindest, nicht Don Rosario?«

»Richtig. Und … den Gast hat Pasquale in Marina kennengelernt?«, versuchte Don Rosario mehr herauszufinden, indem er selbst eine These aufstellte. Diese Methode brachte ihn oft zum gewünschten Resultat.

»Nein, nein. Wir hatten einen kleinen Unfall und ich wollte einfach nicht, dass William negative Gedanken mit seinem Urlaub hier verbindet. Also habe ich ihn eingeladen.«

Natürlich. Wie hatte er auch etwas anderes annehmen können?

Pia sah noch immer aus dem Augenwinkel dabei zu, wie seltsam kompliziert William den Parkvorgang gestaltete. Gerade legte er schon wieder den Rückwärtsgang ein. Und dann tauchte wie aus dem Nichts ein zweiter Wagen auf. Tiziana, in gewohnt rasanter Fahrweise. Pia hob noch den Arm, wie in Zeitlupe, weil ihrer Kehle einfach kein Laut zu entlocken war.

Zwecklos.

Krachend landete Tizianas Wagen in Williams Mietauto.

»Was ist denn das für ein Lärm hier?«, wollte Pasquale wissen, der nun auch dazugekommen war.

Pia zeigte, immer noch sprachlos vor Schreck, auf die Szene.

»Kann der Amerikaner kein Auto fahren, Signora Pia?«

Pasquale konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Pia boxte ihm in den Bauch.

Kurz standen alle nur weiter dumm herum.

Tiziana fing sich aber als Erste wieder und entstieg ihrem Auto. Sie brüllte.

Ja. Das konnte sie besonders gut. Und ihre aufgebrachte Stimme weckte die restlichen Anwesenden aus der Starre.