Kapitel 15

»Wieso hast du mir das nicht gesagt?!«, zischte Tiziana, als sich die Situation so weit beruhigt hatte, dass die zwei Frauen ein paar Worte miteinander wechseln konnten. Irgendwo zwischen Küche und Flur.

»Was denn?«

»Na, dass du diesen Traumtypen zu Gast hast.«

»William?«

»Weiß ich doch nicht, wie der heißt! Du hast ihn mir ja nicht mal vorgestellt!«

Tizianas Stimme war ein Crescendo der Empörung, bis sie am Ende schon wieder schrie. Dieses unglaubliche Temperament. Aber daran hatte Pia sich inzwischen schon gewöhnt.

»Das holen wir jetzt gleich nach, keine Sorge.«

»So etwas kann man nicht nachholen, Madonna santa! Der erste Eindruck zählt. Und was meinst du, was dieser Traum von einem Mann für einen ersten Eindruck von mir gehabt haben kann? Hm? Was meinst du?«

Pia schüttelte Tizianas Arm ab, weil die langen Fingernägel ihrer Freundin sich in ihr Fleisch bohrten. Was ganz schön heftig wehtat.

»Jetzt komm mal wieder runter, bella«, versuchte sie Tiziana nun doch ein wenig zu beruhigen. Die war ja ganz aus dem Häuschen und schon beinahe am Hyperventilieren. Ob sie wohl unter Schock stand?

Und in der Tat schloss Tiziana kurz ihre Augen, atmete durch die Nase ein und durch den Mund aus. Diverse Male. Bis sie ihre Augen wieder aufschlug.

»Ach, merda. Ich meine, hast du gesehen, was für ein Mann das ist? Und ich fahre ihm das Auto zu Schrott. Was soll der jetzt von mir denken?«

»Wenn du dich nicht langsam wieder einkriegst, wird er denken, du bist hysterisch.«

Schon wieder versuchte Tiziana es mit Atemübungen.

»Okay. Es geht schon wieder.«

»Sicher?«

»Ja-ha!«

Nun, Pia war nicht gerade überzeugt, musste den Abend aber irgendwie voranbringen. Sie langte sich an die Stirn. Wie hatte sie das schon wieder geschafft, dass alles schieflief?

»Lass uns erst einmal in die Küche gehen, ja? Und dann musst du William Gesellschaft leisten.«

»Wieso ich?!«

»Willst du lieber kochen?«

»Merda

Pias Mann hatte sich angeboten, Don Rosario kurz wieder nach Camerota zu fahren. Der Priester hatte vorgegeben, noch Dringendes zu tun zu haben, und William, ja, wo war der eigentlich? Sie entdeckte ihn draußen am Auto. Er begutachtete wohl den Schaden.

Kurzerhand füllte Pia ein kleines Glas mit Grappa.

»Trink das!«

»Ich denke nicht dran. Ich vertrage das Zeug nicht.«

»Trink!«

»Nein.«

»Doch.«

»Ach, gib schon her!«

William schimpfte innerlich mit sich. Was war nur mit ihm los? Erst lief er am Vormittag Pia über den Haufen und jetzt das!

»Ist es schlimm?«

Er drehte sich vom Auto weg und blickte mitten in ein schuldbewusstes Gesicht. Unwillkürlich musste er schlucken. Obwohl die Situation nicht gerade entspannt war, fiel sein Blick doch auf den großzügigen Ausschnitt der Frau, die sein Auto gerammt hatte. Was ihn dabei überraschte, war, dass sie kein bisschen vulgär wirkte. Viel mehr vermittelte ihre Brust so etwas wie aufregende Weiblichkeit. Dass sie dauernd an ihrer Lippe kaute, machte es auch nicht leichter, sich auf ihre Frage zu konzentrieren.

»Kein Problem. Ich bin gut versichert. Mir tut eher Ihr Auto leid«, erklärte William und zeigte auf den zerbeulten Wagen der unbekannten Schönen, der deutlich schlechter aussah.

»Naja, ich bin ja auch versichert. Und Sie haben sich nicht wehgetan, nein?«

»Überhaupt nicht. Sie?«

Wie idiotisch eigentlich. Da standen sie im Halbdunkel und sprachen über Autos, ohne sich gegenseitig vorgestellt zu haben.

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Sind Sie … ich meine … gehören Sie zur Familie?«, fragte William, während er sich innerlich an den Kopf schlug. Wie blöd stellte er sich denn bitte an?!

»Oh. Nein … Pia ist meine beste Freundin. Wir wollten eigentlich Meeresfrüchtesalat zubereiten. Ich kann das nämlich nicht. Und ich kann auch keinen normalen Salat zubereiten. Also, Kochen ganz allgemein ist nicht meine Stärke und … Was hatten Sie noch mal gefragt?«

Mist. Was hatte er nochmal gefragt? Er wusste es selbst nicht mehr und begann vor Nervosität zu kichern. Was ja auch schon wieder komplett daneben war. Aber je mehr er versuchte, den Impuls zu unterdrücken, desto dringender wollte das Glucksen heraus. Gott sei Dank stimmte irgendwann auch die Frau mit ein.

»Wollen wir nicht vielleicht reingehen?«, fragte sie jetzt mit viel entspannterem Gesichtsausdruck.

»Wenn man mich noch reinlässt …«

»Ach was! Hausverbot gibt es bei Pia nur, wenn man keinen Fisch mag. Sie mögen doch Fisch?«

William nickte. Den mochte er zum Glück. Wobei er sich schon wieder nicht sicher war, ob das nicht ein Witz gewesen war.

»Übrigens bin ich William.«

»Und ich heiße Tiziana.«

Sie reichte ihm die Hand. Als er sie nahm, verspürte er eine Wärme, die ihm durch und durch ging.

»Signora Pia, was ist mit den beiden? Sagen sie Gebete auf?«

Pia hatte im Garten gedeckt. Und nun lugte sie aus dem Küchenfenster, um Tiziana und William zu beobachten. Sie saßen schon seit gut zehn Minuten im Kerzenschein und unterhielten sich. Irgendwie irritierte Pasquales Kommentar sie. Ihr Mann mochte kein Kerzenlicht. Er fand, dass Kerzen in die Kirche oder auf den Friedhof gehörten. Bei Stromausfall waren sie gerade so akzeptabel. Sah er denn nicht, wie romantisch Kerzenlicht alles erscheinen ließ?

»Du bist nicht wirklich witzig, Pasquale«, bemerkte sie deshalb auch wenig amüsiert.

»Für mich sieht das nach Kirche aus.«

»Ja. Du bist aber auch so feinfühlig wie ein Elefant.«

»Eher wie ein Bär. Ich habe nämlich einen Bärenhunger.«

Pasquale schlug sich auf den Bauch. Was Pia aber immer noch nicht witzig fand.

»Wenn’s dringend ist, solltest du vielleicht ins Restaurant gehen. Bei mir gibt es erst in einer Viertelstunde Essen.«

»Nachdem ich einen ganzen Tag lang geschuftet habe, schickst du mich ins Restaurant?«

Aha. Wenn es ums Essen ging, verstand Pasquale wiederum keinen Spaß.

»Ja glaubst du, ich habe in der Zwischenzeit faul in der Sonne gelegen?«

»Kein Ahnung. Hast du?«

Pia holte tief Luft. Sie war plötzlich richtig sauer.

»Zu deiner Information: Das habe ich nicht. Hätte ich es aber getan, dann hätte ich ein Recht darauf gehabt. Immerhin bin ich hier seit über 20 Jahren nichts weiter als eure Dienerin. Da kann man sich wohl auch mal einfach nur in die Sonne legen, wenn einem danach ist.«

»Dienerin? So siehst du das also …«

»Nein. So lässt du es erscheinen, Pasquale.«

Er setzte an, um irgendetwas zu sagen. Just in dem Moment betrat aber Tiziana die Küche.

»Hey. Könnt ihr euch vielleicht später streiten? Man hört ja jedes Wort. Und wir haben Besuch, falls ich euch mal daran erinnern darf.«

Pia drehte sich weg.

»Wolltest du nicht mit William über die Hütte sprechen, Pasquale?«, sagte sie in eine unbestimmte Richtung.

Dann spürte sie, wie er ging. Und sie spürte, auch nachdem er gegangen war, seine Wut in der Luft.

»Ich geh dann auch mal raus, wenn du mich hier nicht brauchst«, verabschiedete sich Tiziana.

»Schon wieder ein Scheißtag, Albi«, fand Pia.

»Was für ein wundervoller Abend«, schwärmte Tiziana, als Pia sie nach dem Essen zum ramponierten Auto begleitete.

»Wundervoll. Ja.«

»William ist toll, oder?«

»Nett.«

»Du Glückliche siehst ihn schon morgen wieder. Dein Signor Pasquale wird ja echt gesprächig, wenn es um die Hütte geht.«

Tiziana nahm es sich mal wieder heraus, Pasquale mit seiner Eigenart aufzuziehen, seine Frau mit Signora anzusprechen. Pia war so sehr daran gewöhnt, dass sie jede andere Anrede wohl als seltsam betrachtet hätte. Sie konnte sich aber gut vorstellen, wie komisch sich das in den Ohren anderer anhören musste.

»Das habe ich ihm vorgeschlagen. Ich hoffe nur, dass Ermanno sich wieder einkriegt. Habe ich dir schon erzählt, dass er Anspruch auf das Land erheben will, auf dem die Hütte steht?«

»Ernsthaft? Der Typ spinnt. Aber William … der ist einfach toll!«

»Sag mal, verliebst du dich gerade in William?«

Im Schein der Außenbeleuchtung merkte Pia, wie Tiziana leicht errötete.

»Wäre das denn schlimm?«

»Keine Ahnung … Ich meine, er ist hier auf Urlaub und wird danach wieder verschwinden. Ich weiß nicht, ob das so gesund für dich ist.«

»Ich bin ein hoffnungsloser Fall, oder? Ich weiß auch gar nicht richtig, was mit mir los ist. Es geht voll mit mir durch. Steuern kann ich meine Begeisterung auch nicht. Er ist so gutaussehend. Und charmant. Einfach ein Traummann!«

Pia sah sich schweigend an, wie Tiziana gestikulierte und schwärmerisch die Augen schloss. Ach, sie wollte es ihrer Freundin einfach gönnen. Es würde schon schiefgehen.

»Wahrscheinlich bin nur ich wieder viel zu vernünftig.«

»Vernünftig hast du mir beim Streit mit deinem Göttergatten aber nicht geklungen. Um was ging es überhaupt?«

»Gute Frage.«

»Dann geh und schließt Frieden …«, riet Tiziana ihr mit dem Blick und einem Augenzwinkern. Sie dachte an Sex. Das sah Pia ihr an.

»Nach so vielen Jahren Ehe ist das nicht mehr so … perfekt in dieser Hinsicht.«

»Dann mach es wieder perfekt, Pialein.«

Später im Bett fiel Pia erst ein, dass sie Alberto total vernachlässigt hatte. Sie stand noch einmal auf und ging hinunter in die Küche.

»Bist du okay, Albi?«

Der Goldfisch schwamm ruhig seine Runden. Pia überlegte, ob sie ihm ein größeres Aquarium besorgen sollte. Alberto war ganz schön dick geworden.

»Das wird schon alles werden, Albi, nicht? Pasquale wird sich sicher mit Ermanno einigen. Und ich, ich werde mich etwas mehr um mich selbst kümmern können.«

Pia starrte noch eine Weile in Albertos kleines Heim. Fast so, als könnte sie dort die Antwort auf ihre Probleme finden.

»Weißt du was, Albi? Ich spreche jetzt noch einmal mit Pasquale.«

Nachdem sie das Glas bedeckt hatte, ging sie wieder hinauf ins Schlafzimmer. Pasquale hatte sich hingelegt. Obwohl sie gestritten hatten, kroch Pia zu ihm. Ihre Beine verknoteten sich ganz automatisch mit seinen. Die Wärme tat ihr gut.

»Du wolltest dich also bei mir entschuldigen?«, fiel Pia mit der Tür ins Haus.

»Auf jeden Fall: Verzeihen Sie mir, Königin meines Herzens?«

Pasquale hatte etwas zu viel getrunken. Er konnte dann immer richtig albern werden.

Er seufzte, zog Pia dabei enger an sich. Wie ein Püppchen kam sie sich dabei manchmal vor. Pasquale war so stark, dass er sie mühelos anheben und umhertragen konnte.

»Das muss ich mir noch überlegen …«

»Überlege nicht zu lange, Signora Pia.«

Pasquale flüsterte fast. Er wurde schläfrig. Sein Mund war an Pias Ohr. Sein Atem ließ sie erschaudern. Er nahm ihre Hand, führte sie zum Mund, küsste ihre Fingerspitzen.

Ganz kurz war es wie früher zwischen ihnen. Vertraut. Pia glaubte ein Knistern wahrzunehmen, begann ihren Mann mit der freien Hand zu streicheln. Und er stöhnte leise und wohlig auf, entspannte sich. Sein Atem wurde tiefer. Pia spürte seine harten Muskeln. Pasquale war durchaus attraktiv und hatte einen wunderschönen Körper, den er aber ständig unter alter Arbeitskleidung versteckte.

Pia hätte sich gewünscht, von ihrem Mann eine Antwort zu bekommen. Sie hätte sich gewünscht, von ihm berührt und verwöhnt zu werden. Wie gerne hätte sie in seinen Augen Begierde gelesen. Feuer. Leidenschaft.

Stattdessen hielt Pasquale seine Augen geschlossen. Und seine Hände umfassten nicht ihren Po, nicht ihr Gesicht und auch nicht ihre Brüste, nein. Seine Hände lagen einfach nur da.

Vielleicht wünschte er sich seinerseits ja auch, von Pia liebkost zu werden. Und sie versuchte es. Sanft. Etwas direkter. Dann ganz direkt.

Keine Reaktion.

Pasquale war nämlich eingeschlafen.