Kapitel 17

Camerota, Ende September

William nahm während seiner Fahrt von Marina nach Camerota unzählige winzige Details in sich auf. Gleichzeitig schwirrten seine Gedanken unaufhaltsam hin und her, spielten im engen Fahrerraum Ping-Pong. Seattle war ihm noch nie weiter weg, weniger bedeutsam und unwichtiger erschienen als just in diesem Moment. Er sah üppige Mittelmeervegetation und seltsame rote Früchte. Wich Schlaglöchern aus und fuhr dabei direkt in die nächsten. Erschrak in jeder unübersichtlichen, engen Kurve bei Gegenverkehr.

Während der ganzen Fahrt wehte ihm dieser charakteristische Duft nach wilder Natur entgegen, die ihn umgab und den Weg hinauf nach Camerota fast auffraß. Dichte Büsche ragten mit ihren verzweigten Auswüchsen weit auf die Straße hinaus und schienen ihr Terrain zurückzufordern, schlugen vielleicht deshalb gegen die Autos, die ihnen nicht ausweichen konnten. Weite Teile der Straße waren zu natürlichen Tunneln mutiert, mit Bäumen, die von beiden Seiten ihre Äste herüberreichten, sich in der Mitte trafen und so dicht zusammengewachsen waren, dass noch nicht einmal die Sonne es schaffte, ihre Strahlen hindurchzuschicken. Camerota thronte hoch über der Straße und schien aus dieser Position fast ein bisschen anmaßend herunterzublicken. William konnte sich den einstigen Glanz des mittelalterlichen Ortes gut vorstellen.

Noch nie hatte ein Ort, eine Umgebung, sogar eine Straße ihm so viel erzählt, so viel vermittelt.

Er folgte gehorsam Pias Beschreibung, dachte wieder diverse Male, sich verfahren zu haben, entdeckte aber letztendlich Pasquales Auto. William parkte und stieg aus.

»William. Hier!«

Pia winkte ihm aus einiger Entfernung zu. Sie stand an der Hütte. Pasquale trat aus der Tür.

William sah sich um, während er auf das Paar zuging. Ein gepflegtes Beet zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Mächtige Olivenbäume mit knorrigen Stämmen standen neben niedrigeren Feigenbäumen, die noch vereinzelt reife Früchte trugen. Diverse Zitronenbäume lockerten das Bild farbenfroh auf. William konnte das alles nicht nur sehen, sondern auch riechen, und er fragte sich, ob in Seattle sein Geruchssinn nicht funktioniert hatte oder ob es dort einfach nichts zu riechen gab. Ein Hahn krähte irgendwo. Wiederholt. Dreimal, viermal. Dann herrschte kurz Stille, bis die Zikaden wieder ihr endloses Konzert aufnahmen.

Erst als er die Hütte erreichte, merkte William, dass hellblaue Farbtupfer zwischen den Bäumen sichtbar wurden.

Das Meer.

Sein Blick war geschult genug, um das gesamte Potenzial dieses Stück Lands sofort zu erkennen.

Vor der Hütte blieb er stehen. Seine Augen tanzten über die Flächen. Zwei Hauswände bestanden aus Naturstein. Dort, wo das feste Mauerwerk zusammengefallen war, war dunkles Holz eingesetzt worden. Die Fenster waren ramponiert. Das Dach bestand nur aus einer improvisierten Kunststoffabdeckung.

Dennoch.

Diese Hütte hatte das, was Williams durchgeplanten Bauwerken oft fehlte, wie er selbst fand. Diese Hütte hatte Charme.

»Amazing!«, war das Erste, was er herausbrachte. Dann breitete er die Arme aus. Zeigte damit auf all das, was sie umgab – Zitronen-, Feigen- und Olivenbäume – und, fast greifbar nah, das Meer, das am Horizont mit dem Himmel verschmolz. »Ich bin begeistert!«

»Du findest also, es ist eine gute Idee, hier Geld zu investieren?«

Pasquales Stimme drückte leichte Verwunderung aus.

»Absolut. Wenn du willst, gebe ich dir Tipps, wie du die Hütte noch schöner gestalten kannst. Weißt du, ich habe zu Hause eine Baufirma.«

»Das wäre … puh … ganz toll!«

Fast verlegen kratzte sich Pasquale am Hals.

Nur Pia hatte noch nichts gesagt. William suchte instinktiv ihren Blick. Hatte er irgendetwas falsch gemacht? Nein. Den Eindruck hatte er nicht. Aber er merkte, wie sie immer wieder zum Meer lugte.

»Wie sieht es denn innen aus?«, wollte William wissen und sprach Pasquale direkt an.

»Schlecht. Das ist ja das Problem. Ich hatte mal angefangen, das alles in Ordnung zu bringen. Aber dann … du weißt … Kinder, Alltag. Familie.«

Pasquale zuckte mit den Achseln und Pia räusperte sich.

William sah auf.

War das ein weiteres Auto, das sich da näherte?

Zeitgleich drehten sie sich alle zur Auffahrt. Zuerst hörte man nur, wie die Reifen über den Schotter fuhren. Dann sah man aufgewirbelten Staub. William kannte weder das Auto noch den Fahrer. Aber er merkte, dass Pia aufstöhnte, als sie erkannte, um wen es sich handelte.

»Mein Schwager. Also, Pasquales Bruder Ermanno«, informierte sie ihn knapp.

Ihre entspannte Haltung war verschwunden.

Das Auto kam erst zum Stehen, als es sie beinahe erreicht hatte und Pia wegen des Staubes Nase und Mund mit der Hand schützen musste.

Ein Mann stieg aus.

William musste bei seinem Anblick unwillkürlich an Mafiosi denken, wie sie in schlechten Filmen dargestellt wurden.

»Was soll das hier sein?«, hörte William den Mann arrogant fragen.

Pasquale ging ein paar Schritte auf ihn zu. Und Pia war das alles offensichtlich unheimlich peinlich, während William sich unangenehm an Szenen aus seiner eigenen Vergangenheit erinnert fühlte. Szenen, die ihn beinhalteten. Und seinen Sohn Edward.

Um nicht taktlos zu erscheinen, entfernte er sich ein paar Schritte. Aber er geriet dabei nicht außer Hörweite. War sich auch gar nicht sicher, ob er das wollte. Er fühlte sich unerklärlich involviert.

Pia hatte eigentlich vorgehabt, sich aus dem Gespräch zwischen den Brüdern herauszuhalten, in dem es mal wieder um die Hütte ging und die Frage, wem sie gehörte. Sie ertrug es nicht, dass das jetzt ausgerechnet vor William stattfand. Und sie hatte Angst, mit ihrer Wut auf Ermanno alles schlimmer zu machen. Aber dieses Geschrei jetzt – natürlich von Ermanno – und ein ihr vertrautes Knurren, das sie nur zu gut von ihrem Mann kannte, machten es ihr unmöglich, nicht einzugreifen. Dieses Knurren aus Pasquales Kehle bedeutete nämlich Alarmstufe rot. Aber es bereitete ihr keine Freude, sich da einzumischen. Wahrlich nicht.

»Hey!«, schrie sie. Nicht gerade intelligent, aber sie musste die Streithähne erst einmal zur Ruhe bringen. Tatsächlich waren sie wohl kurz so überrascht, dass sie innehielten. Das Bild, das sich Pia bot, war schon beinahe witzig. Ermanno, super gestylt und mit hochrotem Kopf, versus Pasquale in seiner Arbeitskleidung und mit der Haltung eines Stiers. Manchmal fragte sich Pia wirklich, wie Brüder so verschieden sein konnten.

»Also, ihr werdet das doch hinbekommen, wie zwei Erwachsene über diese Angelegenheit zu sprechen!«

Sie zeigte mit dem Kopf auf William. Das würde die beiden hoffentlich zur Vernunft bringen.

Ermanno machte aber eine abwertende Handbewegung, schnalzte mit der Zunge und zeigte mit jeder Faser seines Körpers, dass er sich für den eindeutigen Gewinner hielt.

»Wir haben Besuch, Ermanno.«

»Mir doch egal.«

Pia merkte, wie ihre Hand zu zittern begann. Ermanno hatte das Talent, sie innerhalb von Sekunden zur Weißglut zu bringen, der arrogante Idiot!

»Typisch. Wenn es brenzlig wird, eilt das Frauchen zu Hilfe, nicht Pasquà?«, sagte er jetzt zu seinem Bruder.

Pasquale knurrte schon wieder, scharrte wortwörtlich mit dem Fuß. Was würde als Nächstes kommen? Ein frontaler Angriff? Das musste Pia vermeiden. Weil Ermanno da gar nicht gut wegkommen würde. Obwohl er eine Tracht Prügel wahrlich verdient hatte, fürchtete Pia die Konsequenzen.

»Ermanno, was willst du von uns?«

Besser, sie ging die Sache direkt an. Anders war die Hütten-Affäre nicht zu lösen.

»Was soll ich schon wollen? Was mir zusteht natürlich!«

»Fein. Du willst also die Hütte und das Land, auf dem sie steht. Aber, wie du selbst ja behauptest, gehört es noch mamma Sandrina. Und die hat Pasquale vor Jahren schon klipp und klar gesagt, dass er sich darum kümmern soll. Korrekt?«

»Davon weiß ich nichts. Sind alles nur Behauptungen.«

Santo cielo! Pia verstand Pasquales blinde Wut. Ermanno stand da in seinem pink-farbenen Polohemd und log das Blaue vom Himmel herunter. Pasquale machte unerwartet ein paar Schritte von seinem Bruder weg.

»Geh, Ermanno. Und vergiss, dass du einen Bruder hast.«

Pia schaute überrascht zu ihrem Mann. Seine Stimme hatte eine eisige Färbung, die sie so noch nicht kannte. Die Worte aus seinem Mund waren scharf wie ein Messer. Und so endgültig und direkt, dass sie sogar Ermanno erreichten, der verwirrt schien und ein paar Mal nach Luft schnappte. Letztendlich drehte er sich aber wortlos um, ging zu seinem Auto und fuhr weg.

Ganz instinktiv ging Pia auf ihren Mann zu, berührte ihn am Arm. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihn sein letzter Satz viel Kraft gekostet haben musste. Pasquale respektierte den Begriff famiglia. Ihr Mann hatte immer versucht Ermanno, trotz seines miesen Charakters, nicht zu meiden. Was Pasquale gerade gemacht hatte, musste sich für ihn anfühlen wie Verrat.

Und wie sie es erwartet hatte, schüttelte er den Kopf, griff sich ins Haar und ließ schließlich seine Hände kraftlos fallen.

Pasquale war zu keiner weiteren Aktion zu überreden. Er gab sich noch vor der Schlacht geschlagen und machte Pia damit beinahe wahnsinnig. Seine Passivität war irritierend. Selbst William, der sich wieder zu ihnen gesellt hatte, zeigte mehr Reaktion.

»Vielleicht könnt ihr vor Gericht gehen«, schlug der Amerikaner vor.

»Ja, Pasquale …«

»Pia, wohin soll das führen? Du weißt doch, dass solche Geschichten sich ewig hinziehen und nur Geld verschlingen.«

»Dann rede mit deiner Mutter!«

»Wozu denn?«

Nachdem Pasquale noch zwanzig weitere Vorschläge weggewischt hatte, war Pia mit ihrem Latein am Ende.

»Ich würde um dieses Stück Land kämpfen«, verkündete William, »und selbst in der Hütte wohnen. Das hier ist ein Traum. Man hängt praktisch über dem Meer. Und diese idyllische Ruhe hier oben … Lasst euch das von niemandem nehmen!«

Pia sah zu ihrem Mann hin. Suchte sein Gesicht nach irgendeiner Regung ab. In seiner Körperhaltung, vor allem aber in seinen Augen, las sie jedoch nichts weiter als Resignation.

Pia stellte ihr Auto ab und war froh darüber, dass ein leichter Wind ging. Es dämmerte bereits, und die allmähliche Abkühlung vermittelte ihr den Eindruck, dass gleichzeitig auch die Wut weniger heiß in ihr brannte. Trotzdem spürte sie eine Müdigkeit, die nichts damit zu tun hatte, dass der Tag beinahe vorüber war. Die Müdigkeit steckte auch nicht in ihren Knochen oder Muskeln, nein, sie schien direkt in ihrem Kopf zu leben. Das war kein gutes Gefühl. Und jetzt musste sie abends durch Camerotas Gassen schleichen. Sich dabei um Dinge kümmern, die ganz weit weg von ihren eigenen Bedürfnissen waren.

Ich habe die Schnauze endgültig voll!, tönte es in ihrem Kopf.

Dieser Gedanke kam ihr zum ersten Mal in den Sinn, während sie in den engen Gassen von Camerota dem Geräusch ihrer Schritte lauschte. Übertrieb sie da jetzt nicht etwas? Oder war es vielmehr so, dass sie endlich den Mut hatte, sich selbst Dinge einzugestehen, an die sie bis vor Kurzem gar nicht mal gedacht hatte? Was passierte gerade mit ihr? Seit ihre Tochter ausgezogen war, kam sie nicht mehr mit sich selbst zurecht. Es nervte sie, dass sie auf nichts Besonderes zurückblicken konnte. Oder anders herum, sich auf nichts freuen konnte. Ihr Leben war einfach träge geworden und brauchte etwas Schwung. Nur, wie sollte sie das anstellen, wenn immer wieder etwas dazwischen kam? Der Alltag stellte sich quer. Die Familie stellte sich quer. Und sie steckte wie immer ein.

Fast ohne es zu bemerken, hatte Pia durch das Wirrwarr aneinandergereihter, identisch wirkender Durchgänge bereits die Behausung ihrer Schwiegermutter erreicht. Sandrina bewohnte den Flügel eines palazzo mitten im Ortskern. Nicht weit davon entfernt befanden sich die Ruinen der mittelalterlichen Burg. Alles war hier antik. Wobei antik ja schön klang. Alt traf es aber besser. Es wurde nicht viel getan, um den Gemäuern zu neuem Glanz zu verhelfen.

Schritte aus dem Nichts näherten sich, als Pia gerade den Türklopfer in die Hand nahm, der an der dicken Holztür unter dem prächtigen Portal hing. Der Löwenkopf fiel ihr aus der Hand und erzeugte dabei kein richtiges Klopfen.

»Buonasera

»Oh. Don Rosario, buonasera

»Pia?«

»Ja, ich bin es.«

Don Rosario kam etwas näher.

»Ich bitte um Verzeihung, hatte dich gar nicht erkannt. Alles gut bei euch?«

Wieso fragte er das nur immer wieder?

»Nein.«

Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Santo cielo, Don Rosario stellte diese Frage aber auch mit einer unglaublichen Beharrlichkeit. Vielleicht war das seine Art, letztendlich zur Wahrheit zu gelangen! Wie ärgerlich! Das war sicherlich nicht der richtige Moment, um dem Priester ihr Leid zu klagen.

»Chi è? Wer ist da?«, tönte es aus dem Hausinneren.

Sandrina hatte das misslungene Klopfen demnach doch gehört. Und Pia war gerade richtig froh darüber. Don Rosario sah sie schon eindringlich an, wollte ganz sicher tiefer in ihrer Seele graben.

»Ich bin es, Pia!«

»Gut, dann will ich nicht länger stören. Aber, Pia, falls du mich brauchst, weißt du, wo du mich finden kannst«, sagte Don Rosario, bevor er hastig weiter seines Weges ging. Pia hatte den Eindruck, dass er vor Sandrina floh. Verständlich. Ihre Schwiegermutter wurde überaus geschwätzig, wenn sie auf Don Rosario traf. Das hielt kein Mensch lange aus. Auch kein Priester.

Der Gruß an Don Rosario blieb Pia im Halse stecken. Sandrina hatte die Tür erstaunlich schnell entriegelt und stand nun vor ihr. Ein winziges Weib mit der Energie einer ganzen Armee. Und deshalb brauchte Pia Sandrina auf ihrer Seite.

»Was machst du denn hier?«

Sandrina gab sich nicht mal Mühe, etwas Freude zu heucheln.

»Ich muss bitte mit dir reden.«

»Dann komm rein.«

Wortlos ging die alte Frau Pia voraus, direkt in das Zimmer, in dem sich praktisch das ganze Leben der Schwiegereltern abgespielt hatte. Nonno Marios Abwesenheit war hier beinahe körperlich spürbar. Und das tat weh. Pia betrat den Raum, der eine Art Wohnzimmer mit Kochstelle, Fernseher und Esstisch darstellte. Zwei mehr als unbequeme Holzbänke standen am Kamin, in dem zu dieser Jahreszeit noch kein Feuer brannte. Das schwarze Loch wirkte ohne die Wärme der Flammen feindlich.

Der Fernseher lief. Leise. Und Pia konnte riechen, was Sandrina zu Abend gegessen hatte.

»Hat Miriana sich gemeldet?«, wollte Sandrina wissen.

Pia nickte. Steckte dabei ein komisches Gefühl weg, das sie seit einigen Tagen begleitete, wenn sie an ihre Tochter dachte. Miriana hörte sich am Telefon ganz seltsam an – was Pia natürlich für sich behielt.

»Ja, wir hören uns oft. Sie grüßt dich herzlich.«

Eine Lüge. Aber Pia fand, dass Miriana so besser dastand als mit der Wahrheit.

»Das ist lieb.«

Tatsächlich sah Sandrina kurz gerührt aus. Dann setzte sie sich aber auf die Holzbank und reckte den Hals ein bisschen herausfordernd hoch.

»Ich nehme nicht an, dass du hier bist, um mir Mirianas Grüße vorbeizubringen?«

Ihr Tonfall war natürlich tadelnd. Wie auch sonst?

»Nein, das bin ich in der Tat nicht, mamma. Hast du in letzter Zeit mit Ermanno gesprochen?«

»Wir sprechen jeden Tag miteinander.«

Ach ja?

»Hat er dir von dem Streit mit Pasquale erzählt?«

Musste man dieser Frau alles aus der Nase ziehen? Pia war sich ziemlich sicher, dass Sandrina bereits wusste, worauf sie hinauswollte.

»Ach, Streit …«, Sandrina gestikulierte und rollte leicht mit den Augen, »… Streit … Das ist doch ganz normal, dass Brüder sich ab und an zanken. Das haben sie schon als Kinder gemacht.«

»Ja, das glaube ich dir gerne. Mag sein, dass sie als Kinder harmlos um ein Spielzeugauto gestritten haben. Aber was ich heute gesehen habe, war keine einfache Streiterei.«

Sandrina zuckte nur mit den Achseln.

»Das Land, auf dem die Hütte steht, das hast du doch an Pasquale abgetreten, nicht?«

Die Alte riss die Augen so weit auf, wie es ihre faltigen Lider zuließen.

»Ich?«

»Ja, du.«

»Wie kommst du denn auf diese Idee?«

Pia stockte. Das Gespräch entwickelte sich in eine Richtung, die ihr gar nicht gefiel.

»Du leugnest also, dass ihr diese Vereinbarung hattet?«

Dass ihre Stimme bei dieser Frage leicht in die Höhe ging, fand Pia gar nicht schön. Aber besser das als Schreien. Und ihr war wirklich sehr danach zumute. Sehr, sehr, sehr.

»Pia, Gott ist mein Zeuge«, dabei schaute Sandrina theatralisch gen Himmel und faltete ihre spindeldürren Hände vor die Brust, »Pasquale hat sich aus eigenem Willen dazu bereit erklärt, ab und an dort oben nach dem Rechten zu sehen. Mehr nicht.«

Eine Ohrfeige hätte Pia vermutlich weniger zum Schwanken gebracht.

»Verstehe …«

»Da du schon einmal auf das Thema zu sprechen gekommen bist, informiere ich dich, dass Ermanno das Land braucht, um Gemüse für sein Restaurant anzubauen. Er muss es doch sonst immer so teuer am Markt besorgen. Das kann er sich nicht mehr leisten. Pasquale sollte sein Zeug am besten bald wegräumen.«

Sandrina machte zwar ein betroffenes Gesicht, aber Pia glaubte ein verräterisches Blitzen in den Augen ihrer Schwiegermutter zu erkennen, das ihr zutiefst missfiel. Jetzt konnte sie einfach nicht mehr an sich halten.

»Ist dir klar, was du Pasquale damit antust?«

»Pasquale wird das verstehen. Ich habe einen vernünftigen Mann großgezogen. Die famiglia muss zusammenhalten, auch in schwierigen Situationen. Und Ermanno braucht das Land jetzt einfach dringender. Ihr habt einen so großen Garten. Da kann Pasquale sich doch austoben. Und ich kann ihm dabei sogar helfen.«

»Helfen?«

»Aber ja. Was soll ich denn sonst den ganzen Tag tun, wenn ich dann bei euch wohne?«

Ein dumpfes Gefühl breitete sich in Pia aus.

»Du willst bei uns wohnen?«

Stupide Fragen. Dessen war sich Pia am Rande bewusst. Aber beim besten Willen kam gerade nichts Intelligentes über ihre Lippen.