Am Montag nach der letzten Party findet mein nächster Kurs in Geschichte statt. Wütend ratscht meine Bleistiftspitze über das Papier in meinem Block.
»Hey, Satan! Der Block kann nichts für deine Wut.« Pete schnappt nach meinem Handgelenk und ich kämpfe gegen ihn an, bin aber zu schwach. Letztendlich lasse ich den Stift fallen und versuche dabei vehement, nicht das zu tun, was ich in den letzten zwei Monaten in jedem dieser Kurse getan habe: Jace anstarren. Als ich ihn noch nicht kannte, hatte es etwas Meditatives, ihn anzusehen und mir vorzustellen, wie seine Geschichte aussehen mag. Jetzt sorgt mein Starren bloß für Gefühle in mir, die ich nicht haben sollte.
»Was macht dich denn so sauer?« Mein Mitbewohner stützt seinen Ellbogen auf dem Tisch ab und sieht mich an, der Unterricht scheint ihm genauso am Arsch vorbeizugehen wie mir. Er bekommt das Studium von seinen Eltern bezahlt, deshalb hat er keinerlei Zeitdruck und nutzt es schamlos aus.
»Gar nichts. Ich hatte nur keinen guten Schlaf am Wochenende.« Genau genommen, erinnere ich mich nicht daran, überhaupt geschlafen zu haben. Die meiste Zeit lag ich im Bett und habe versucht, an nichts zu denken. Mit dem glorreichen Ergebnis, dass meine Gedanken gar nicht lauter hätten schreien können. Sie sind wie ein wildes Äffchen von einem Baum zum nächsten gejagt.
»Ich hab da diese Wundertropfen von meiner Mutter bekommen. Die kicken dich auf jeden Fall für ein paar Stunden in den Schlafhimmel.« Er wackelt mit den Brauen. Den Rest des Unterrichtes versuche ich, mich auf etwas zu konzentrieren, das keine braunen Haare und goldene Augen hat, doch als die Studenten wie Ameisen aus dem Raum strömen und ich seine Blicke auf mir spüre, ist es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei. Jace sieht mich emotionslos an, und als er mit dem Kopf nach draußen deutet, fängt mein ganzer Körper Feuer. Was – will er etwa, dass ich ihm folge? Perplex sehe ich ihm hinterher, während Pete meine Sachen für mich in die Tasche steckt und mich bei der Hand packt.
»Was ist – wollen wir noch eine Pizza holen und uns einen Nachmittag im Netflix-Lager machen?« In den ersten sechzig Tagen, seit ich hier bin, hätte ich jedes Mal mit Ja geantwortet, aber heute nicht. Nicht, wenn Jace mit seiner Geste wirklich meinte, dass er mich sprechen will. Aber worüber sollte er mit mir sprechen wollen? Bis jetzt kam nie etwas Vernünftiges aus seinem Mund, wenn wir uns gesehen haben.
»Dieses Mal muss ich leider passen. Ich treffe mich noch mit jemandem.« Meine kryptische Antwort bewirkt genau das, was ich erwartet hatte: dass Pete misstrauisch wird.
»Okay?« Er schultert seinen Rucksack. »Aber sag nie wieder, dass ich Geheimnisse vor dir hätte.«
Nachdem ich Pete abgewimmelt habe, sehe ich mich in den Fluren vor meinen Kursräumen um, kann Jace aber nirgends entdecken. Erst, als mein Handy vibriert und ich eine Nachricht von ihm auf dem Display sehe, realisiere ich, dass er nicht nur seine Nummer eingespeichert hat, sondern auch meine besitzt.
Jace: Parkplatz.
Mehr steht nicht in seiner Nachricht, und weil mir dieses Katz-und-Mausspiel gegen den Strich geht, stapfe ich wütend nach draußen. Alles erinnert mich an den Tag, an dem ich ihn im Kurs wiedererkannt habe und er mich zum Parkplatz gezerrt hat. Jace lehnt lässig an seinem Pick-up, und als er mich entdeckt, öffnet er zuvorkommend die Beifahrerseite für mich. Dabei kaufe ich ihm dieses Gentleman-Gehabe herzlich wenig ab.
»Was? Willst du mich wieder ins Wohnheim bringen, mir eine Predigt halten und dann verschwinden? Ich weiß ja nicht, ob es dir entgangen ist, aber guck -« Ich deute auf meinen Unterkörper. »Ich habe tatsächlich zwei gesunde Beine, die wunderbar von A nach B laufen können.« Gerade als ich ihn stehen lassen will, packt er mich am Ellbogen und zieht mich zurück, bis ich gegen ihn stolpere. Kurz inhaliere ich seinen Duft und vergesse, dass ich mich durchsetzen sollte. Wieso fällt es mir in seiner Nähe so schwer?
»Mir ist langweilig und ich brauche Ablenkung.« Seine Stimme ist hart, fast schon bedrohlich, und dennoch ist sie mir tausendmal lieber als die seines perversen Bruders. Noch jetzt spüre ich seine gierigen Blicke auf mir, als ich in dieses Zimmer geplatzt bin. In seinen Dreier. Von seinen Blicken bei sich zu Hause ganz zu schweigen.
»Und was hat das mit mir zu tun?«
An uns rauschen Studenten vorbei, die es kaum abwarten können, die Uni hinter sich zu lassen, und ich frage mich, ob ich die Einzige bin, mit der Jace redet. Oder die Einzige, die weiß, dass ihm das Blacklight
gehört. Er rollt mit den Augen.
»Nichts. Wenn du etwas Besseres vorhast, bitte.« Er läuft mit langen Schritten zur Fahrerseite, öffnet den Wagen und steigt ein, während ich innerlich die Optionen durchgehe, die ich habe. Ich könnte auf Petes Angebot zurückgreifen, aber er hat mich letztens auch für eine dämliche Porno-Party abserviert, also … Genervt von meiner Inkonsequenz stapfe ich zur Beifahrerseite und steige ein. Als ich Jace ansehe und ein wissendes Lächeln auf seinen Lippen liegt, bereue ich es schon wieder. Trotzdem bleibe ich sitzen, schnalle mich an und warte darauf, dass er losfährt. Ohne zu wissen, wohin.
»Also, wohin fahren wir?« Nachdem wir die Stadt verlassen haben und uns wortwörtlich im Nirgendwo befinden, wird meine Neugier immer stärker. Wann war ich das letzte Mal überhaupt außerhalb meiner Heimat oder meinem neuen Zuhause? Früher waren Stacy und ich oft unterwegs, haben uns die Gegend angesehen oder neue Städte erkundet. Doch seit ihrem Verschwinden waren die vier Wände meines Zimmers in unserem Haus meine halbe Welt. Wozu das geführt hat, wird mir jetzt mit jedem Tag deutlicher gezeigt. Ich weiß einfach nicht, wie diese Welt wirklich funktioniert. Geschweige denn, wie man mit Menschen umgeht.
»Wieder zu viele Fragen.« Jace’ Antwort treibt mich nur an, noch weitere zu stellen. Ich streife mir die Schuhe von den Füßen, ziehe die Beine auf den Sitz und umklammere meine Schienbeine. Auch wenn es draußen angenehm warm ist und der blaue Himmel strahlt, hat er die Sitzheizung an, sodass meine Fußsohlen fast verbrühen. Ich drehe den Regler herunter.
»Da, wo die herkommt, habe ich noch viel mehr. Zum Beispiel, wieso du mir die ganze Zeit sagst, dass ich nicht in deinen Club und zu dir passe, mich dann aber trotzdem wieder in deinem Auto mitnimmst. Oder wieso du deine Nummer wirklich eingespeichert hast. Wieso du nicht willst, dass jemand in der Uni weiß, dass das Blacklight
dir und deinem Bruder gehört, obwohl alle euren Laden feiern -«
»Bist du dann fertig?«, unterbricht er mich und seine zuckenden Mundwinkel sind viel zu sexy. Er trägt bei dem heute schönen Wetter nur ein schwarzes Shirt ohne Aufdruck und eine schwarze Jeans. Noch nie fand ich ein so langweiliges Outfit so attraktiv wie an ihm.
»Noch lange nicht. Da gibt es noch ein paar mehr. Zum Beispiel, ob dein Bruder als Kind auf den Schädel gefallen ist und sich deshalb wie ein Neandertaler benimmt. Wieso Paige mit ihm ins Bett steigt, obwohl sie meint, ihr wärt wie ihre Brüder …«
»Paige und Reed versteht niemand, glaub mir. Ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, sie zu ficken. Egal, wie gut sie aussieht.« Es sollte nicht passieren und doch wallt wieder Hitze in mir auf, als er diesen Satz ausspricht. Neben der lächerlichen Eifersucht wegen des zweiten Parts. Immerhin würde jeder Mann auf dem Planeten zugeben müssen, wie scharf sie ist. Zeig mir einen Mann, der sich ihrer Schönheit nicht im Klaren ist und ich wasche ihm den Kopf.
»Und zur Frage mit meinem Bruder: Reed ist definitiv aus der Steinzeit. Würden wir nicht aussehen wie ein und dieselbe Person, könnte mir niemand weismachen, dass er mein Bruder ist.« Er sieht mich aus dem Augenwinkel an und ich wünschte mir, noch mehr über ihn zu erfahren. Wenn nicht jetzt, wann dann? Immerhin sind wir hier in der Pampa und was sollte er schon tun? Mich aussetzen? Prüfend sehe ich mich um, entdecke aber nicht mal in weiter Ferne eine Ortschaft. Das hier wäre der perfekte Platz, um mich loszuwerden.
»Paige hat mir auch erzählt, dass euer Vater …« Die Worte bleiben mir im Hals stecken, als ich sehe, wie sein Körper darauf reagiert. »Sie hat von ihm in der Vergangenheit gesprochen.« Dieses Thema geht mich herzlich wenig an und doch kann ich meine verdammte Klappe nicht halten. Jace umklammert das Lenkrad fester, sein Kiefer spannt sich an und seine Mimik schreit nach stillem Schmerz. Ich kenne dieses Leid, das in einem kocht, aber nicht herausgelassen werden will. Würde ich meines herauslassen, würde es bedeuten, dass ich Stacy aufgegeben habe.
»Ich habe auch jemanden verloren«, setze ich noch hinterher. Jedes Mal, wenn ich den Gedanken an sie zulasse, zieht es mich zurück in den Abgrund. Egal, wie oft ich glaube, dass ich es schaffen kann, damit abzuschließen, scheitere ich jedes Mal. Spätestens, wenn Mom mich in ihren dunklen Nächten anruft und weint, kann ich der Realität nicht mehr entkommen. In diesen Nächten bereue ich meinen Entschluss, sie allein zu lassen, um studieren zu gehen. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, ist mir das Studium egal, es war nur ein Vorwand, der mich aus diesem Hamsterrad geholt hat. Ich wollte nie Lehrerin werden. Ich wollte nur weg.
»Deine Schwester?«
Sofort zieht sich mein Magen zusammen, als hätte mir jemand einen Tritt hinein verpasst.
»Woher weißt du davon?« Bis jetzt haben wir noch nicht die Möglichkeit gehabt, über solche Dinge zu reden. Er war meistens damit beschäftigt, mir zu sagen, dass ich gehen soll, und ich damit, genau das Gegenteil zu tun. Anstatt meinem Verstand zu folgen und mich vom Club fernzuhalten, bin ich ein zweites Mal hingegangen. Anstatt ihn im Kurs einfach aus der Distanz zu beobachten, musste ich ihm zeigen, dass ich ihn erkannt habe. Und anstatt nach Hause zu gehen, bin ich schon wieder in seinen Wagen gestiegen, um mich von ihm verschleppen zu lassen.
»Paige mischt sich anscheinend gern in Dinge ein, die sie nichts angehen. Ihre Neugier hat mich immer genervt.« Bei den meisten Leuten wäre ich enttäuscht und sauer, wenn sie meine Geheimnisse weitererzählen, aber da sie sich mir bezüglich ihrer Narben geöffnet hat, komme ich damit klar. Jace parkt den Wagen an einem Waldweg und steigt ohne ein weiteres Wort aus. Ich folge ihm, spüre, wie der Kies unter meinen Schuhsohlen knirscht und sehe mich um. Weit und breit befinden sich nur ein paar Bäume und vertrocknete Büsche. Es fehlen nur noch kleine Steppenläufer, die über den Weg rollen, um das Horror-Szenario zu komplettieren.
»Du willst mich also wirklich aussetzen«, schlussfolgere ich, stoße die Wagentür zu und gehe Jace hinterher, der die Gleise in der Mitte des Weges ansteuert. Sie sehen aus wie einem Horrorfilm entsprungen und erinnern mich an The Walking Dead
. Wohin sie uns wohl führen und wie lange sie schon unbenutzt sind?
»Hätte ich dich töten wollen, hätte ich es schon tun können«, antwortet er ohne Emotionen in der Stimme. Nicht mal ein Funken Humor schwingt darin mit. Ich muss mir Mühe geben, mit ihm Schritt zu halten und schon nach wenigen Schritten schmerzen meine Lungen.
»Du hättest mich auch einfach in Ruhe lassen und weiterhin ignorieren können, so wie jeden anderen auf dem Campus.« Jace starrt auf die Gleise, springt auf sie herauf und folgt ihnen, so wie ich ihm folge. Die Streben der Gleise sorgen dafür, dass ich auf meine Schritte achten muss, wenn ich nicht stolpern und hinfallen will.
»Selbst wenn ich dich ignoriere, scheinst du aus irgendwelchen Gründen immer wieder aufzutauchen.« Er bleibt so abrupt stehen, dass ich gegen seine Brust pralle. Zum zweiten Mal an diesem Tag, der immer skurriler wird. Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich nicht bloß träume. Nach den schlaflosen Nächten der letzten Tage könnte sich mein Körper das genommen haben, was er zum Überleben braucht. Und den Schlafmangel kompensiert er mit sinnlosen Träumen.
»Und ich glaube immer noch, dass du irgendwelchen Abenteuern hinterherjagst, von denen du dir erhoffst, sie bei uns zu finden.« Der Hauch eines Vorwurfs schwingt in seiner Stimme mit.
Ich verschränke die Arme vor der Brust, um meine Abwehrhaltung auszudrücken, doch als Jace nach meinen Ellbogen greift und sie wieder entzweit, spüre ich seine Berührungen viel zu intensiv. Es ist, als würde er mit seinen Händen jeden Nerv in mir zum Erwachen bringen. Als würde er mich aus einem Winterschlaf wecken, von dem ich nicht wusste, dass ich in ihm feststeckte.
»Du hast recht«, gebe ich schließlich nach. »Vielleicht suche ich ja nach Abenteuern, weil mein Leben, seit meine Schwester verschwunden ist, einer verdammt langweiligen Sackgasse gleicht. Aber ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass du mir geben kannst, was ich brauche.« Auf den Sohlen meiner Chucks drehe ich mich um und will gerade zurück zum Auto gehen, als er mich von hinten packt, gegen seine Brust zieht und sein Gesicht in meinem Haar vergräbt. Mein Körper spannt sich an und ich schiebe mich instinktiv näher an ihn heran.
»Leg dich hin«, flüstert er rau und ich merke, wie sich Schwindel in mir breitmacht, weil er mir so nah ist. Plötzlich ist der Wind so stark, dass er mir die Haare vors Gesicht bläst und über meine nackten Arme streicht. Wo ist die Sonne plötzlich hin? Und je seltsamer diese Situation wird, desto sicherer bin ich mir, nur zu träumen.
»Leg. Dich. Hin.« Dieses Mal klingt es nicht wie eine Bitte, sondern wie ein Befehl, und auch wenn ich mich nicht gern herumschubsen lasse, gibt es diesen Teil in mir, der wirklich nach dem Nervenkitzel sucht.
Bis ich das erste Mal im Blacklight
war, wusste ich nicht einmal, was Aufregung wirklich bedeutet. Langsam gehe ich auf die Knie, setze mich auf die Gleise, drehe mich in seine Richtung und lege mich auf die Streben aus Metall. Sie sind kühl und dreckig, sodass die kleinen Steine über meine Haut kratzen. Jace steht über mir, sein Blick wandert über meinen Körper und ich merke, wie das Feuer neue Ausmaße annimmt. Wie eine Schlange bahnt es sich seinen Weg durch meinen Körper, durch meine Arme, hin zu meiner Brust, die sich schnell hebt und senkt … Jace wirft einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk und grinst mit einer gewissen Dunkelheit auf seinen Lippen.
»Was?«, frage ich atemlos. Als er sich über mich beugt, versetzt es mich direkt ans Meer. Auch wenn wir weiter davon entfernt sind, als ich mir vorstellen kann, kann ich es auf meiner Haut fühlen. Kann die leichte Note nach Salz riechen und spüre den Sand zwischen meinen Zehen.
Seine rechte Hand wandert zu meinem Bauch, schiebt mein Top nach oben, sodass ein schmaler Streifen Haut freiliegt, und fährt Kreise mit seinen Fingern über meinen Körper. Sofort stellen sich die Haare an meinen Armen auf und ich kriege kaum noch Luft. Schon als er seine Hand im Wagen auf meinen Oberschenkel gelegt hat, war diese Berührung intensiver als jede zuvor, aber das hier ist anders. Kein Stoff trennt seine Haut von meiner …
Er wandert langsam abwärts, zum Bund meiner Jeans, streicht von der rechten Hüftseite zur linken und anschließend zur Mitte, wo er den Knopf blitzschnell öffnet und den Reißverschluss aufzieht.
»Was hast du vor?«
Hört er, dass meine Stimme, genau wie mein Körper, bebt? Immer noch bohrt sich das Metall in meinen Rücken, aber der Druck auf meine Schultern gefällt mir besser, als er mir gefallen sollte.
»Du willst Abenteuer«, säuselt er, hebt bestimmend mein Becken an und zieht die Jeans ein Stück herunter, sodass mein Slip hervorblitzt. Sein Blick haftet an meiner Unterwäsche und auch, wenn seine Mimik sonst undurchschaubar ist, kann ich jetzt in seinen Augen lesen wie in einem Buch. Er kennt das Feuer, das in mir brennt, weil er es auch spürt. Seine Finger wandern über den Slip aus schwarzer Spitze, während ich mich winde, weil ich will, dass er mich endlich erlöst. Weil der eingeschlafene Teil in mir aufgeweckt werden will.
»In drei Minuten kommt aus dieser Richtung ein Zug.« Er deutet auf die Seite hinter mir und ich spüre, wie mein Puls weiter ansteigt. Panisch sehe ich in den Himmel und versuche, zu verstehen, was er mir damit sagen will, aber ich kann nur die Wolken wahrnehmen, die immer dunkler und bedrohlicher werden.
»Ich dachte, die Gleise sind stillgelegt.« Mein Mund ist trocken, meine Finger zittern.
»Du willst Abenteuer, Evelyn? Dann hast du jetzt genau drei Minuten Zeit, um für mich zu kommen.« Mit diesen Worten zerrt er meinen Slip zur Seite und schiebt zwei Finger in mich. Mein ganzer Körper bäumt sich auf und ich spüre jeden Millimeter des Feuers auf meiner Haut. Seine Atmung ist ruhig, während meine rast, und als er langsam aus mir gleitet und mit dem Daumen meinen Kitzler umkreist, tanzen Sterne vor meinen Augen.
Der Wind wird immer stärker, die Wolken bedecken mittlerweile den vorher strahlend blauen Himmel komplett. Ich vergesse, dass ich mitten auf den Gleisen liege, vergesse, dass ich mich von ihm so intim berühren lasse. Dass ich mich angreifbar mache. Ich werfe meinen Kopf zur Seite und schließe die Augen. Genieße, wie er mit den Fingern über meine Schamlippen wandert und anschließend erneut in mich eindringt. Ich erinnere mich nicht daran, dass ich jemals so feucht war wie in diesem Augenblick.
»Das macht dich wirklich an, hm?« Ein Lachen liegt in seiner Stimme, das wieder so bedrohlich klingt. Wieso ging ich davon aus, dass er harmlos ist? Ich halte die Augen geschlossen, weil ich mich auf das Gefühl seiner Finger in mir konzentrieren muss. Ich sauge jede Berührung wie meinen Sauerstoff ein.
»Noch eine Minute, Eve.« Er legt seine freie Hand auf meinen Bauch und drückt mich nach unten, sodass ich mich nicht bewegen könnte, selbst dann nicht, wenn er recht behält und in sechzig Sekunden ein Zug hier entlangrast und mich mit sich nimmt.
»Wenn du nicht sterben willst, solltest du kommen«, erinnert er mich rau. Tränen brennen in meinen Augenwinkeln, und als seine Lippen über meinen Kitzler streichen, explodiere ich fast. Meine Brust hebt sich schnell, Schweiß steht mittlerweile an jeder Stelle meines Körpers und ich weiß nicht, wie lange ich den Druck auf meine empfindlichste Stelle noch aushalten soll, ohne ohnmächtig zu werden. Meine Wangen brennen und ich schiebe mein Becken dichter gegen seine Hand, um noch mehr Druck aufzubauen.
»Ich kann ihn schon hören. Hörst du ihn auch?« Jace’ Mund schwebt jetzt über meinem und alles, was ich will, ist, ihn zurück nach unten zu drücken. Mein Rücken biegt sich durch, während seine Finger in mich gleiten.
»Er kommt immer dichter«, knurrt er direkt an meinem Hals. Die ersten Tränen rinnen über meine Wangen. Nicht vor Angst, nicht vor Scham … sondern aus Befreiung. Mittlerweile kann ich hören, wie sich der Wagon nähert. Mit jeder Sekunde wird das Geräusch lauter und das Pochen zwischen meinen Beinen stärker. Es ist nur ein Traum. Nichts wird passieren.
»Fünf«, beginnt er, zu zählen und langsam bekomme ich trotzdem Angst. Was, wenn ich nicht bloß träume? Was, wenn das hier mein Ende sein wird? »Vier«, zählt er weiter herunter. Der Wind ist kalt auf meiner Haut, aber in meinem Körper herrschen vierzig Grad. Der Boden vibriert, weil er immer dichter kommt.
»Drei.« Als Jace seine Lippen auf meinen Hals senkt und seinen Finger wieder in mich schiebt, spüre ich ihn schließlich. Der Orgasmus ist so stark, dass es mir in jedem Bereich meines Körpers wehtut. Dunkle Nebelschwaden wandern vor meinen Augen hin und her, und ehe ich realisiere, was hier passiert, hat Jace mich zur Seite gezogen. In letzter Sekunde rollen wir von den Gleisen herunter, bevor der Zug mit einem lauten Geräusch an uns vorbeizieht.
Als ich dessen Rücklichter sehe, fällt die ganze Anspannung von mir ab. Und mit ihr auch mein Verständnis für das, was gerade passiert ist. Ich habe nicht geträumt. Das hier ist wirklich passiert, sonst wäre ich längst aufgewacht. Eilig ziehe ich meine Jeans wieder hoch und taumle nach oben. Jace lehnt mittlerweile an einem der Bäume und sieht mich einfach nur an. In Sekundenschnelle bin ich bei ihm und donnere ihm meine flache Hand ins Gesicht.
»Ich hätte sterben können, du kranker Freak!« Meine Lippen beben und ich fühle mich wie in Trance. Als hätte mich jemand in Watte gepackt, sodass ich alles nur noch gedämpft wahrnehmen kann. Jede Berührung des Windes, jedes Knistern unter meinen Schuhen, den Geruch nach Erde und Dreck, der an meiner Kleidung klebt.
»Und?« Seine Gesichtszüge verhärten sich. »Im Leben kommt es nur darauf an, auf nichts anderes. Keiner kommt lebend aus dieser Scheiße heraus. Am Ende dieser ganzen sinnlosen Reise kommt es nur darauf an, wie
du stirbst. Ob mit Angst in den Augen oder einem Lächeln auf den Lippen.« Seine Worte sind so absurd, dass die Tränen, die jetzt über meine Wangen rollen, nichts mehr mit Erleichterung zu tun haben. Das hier fühlt sich eher an wie eine Demütigung. Eine, die ich selbst provoziert habe, weil ich wie ein Hund um einen Knochen gebettelt habe. Anstatt meinen sinnlosen Wunsch nach Abenteuern nachzugehen, hätte ich einfach weiter in meiner Sackgasse sitzen sollen. Aber ich wäre sicher gewesen …
»Hatte dein Vater ein Lächeln auf den Lippen, als er starb?« Die Frage kommt zu schnell über mich, und ehe ich sie zurücknehmen kann, hat Jace sich von dem Baum abgestoßen und geht zu seinem Wagen. Eine Entschuldigung liegt auf meinem Mund, immerhin weiß ich nichts über seinen Vater oder darüber, wie er gegangen ist. Jace sieht mich über seine Schulter an und deutet zu seinem Pick-up, der an der Straße auf uns wartet.
»Ich bring dich nach Hause. Vielleicht hast du jetzt endlich gemerkt, dass du dir die falschen Dinge wünschst.«