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J aren Foster bürstete einen weißen Fleck von der marineblauen Tom Ford -Anzugjacke, während er sich in dem mannshohen Spiegel, der auffallend neben dem Bett platziert worden war, von allen Seiten betrachtete. Warum machten selbst teure Hotels so etwas? So geschmacklos. Aber der Spiegel zeigte im hellen Licht jedes Detail.

Der aus Wolle gefertigte und klassisch geschnittene Anzug mit gebrochen steigendem Revers und gepolsterten Schultern stand Jaren ausgezeichnet. Er hatte ihn mit einer gleichfarbigen Hose, einem graublauen Hemd und einer blauen Krawatte mit Punkten in verschiedenen Grau- und Weißtönen kombiniert, was ihn zu dem stilvollen Bräutigam machte, den er anstrebte.

„Ich könnte diesen Anzug nie tragen“, sagte Hadley mit einem eifersüchtigen Seufzer und begegnete Jarens Blick im Spiegel. „Man muss lange Beine wie du haben, damit so ein Anzug gut sitzt. Mir fehlen mindestens acht Zentimeter.“

„Die acht Zentimeter wurden dir woanders gutgeschrieben“, witzelte Nordin und warf einen nicht ganz so subtilen Blick auf Hadleys Schritt, und Jaren unterdrückte ein Lächeln. Nordin hatte nicht unrecht, wenn man bedachte, dass Hadleys Schwanz im Vergleich zum Rest von ihm etwas unproportional war. Aber das Letzte, was Jaren wollte, war, Nordins grobe Witze zu ermutigen.

„Bitte zügele morgen deinen Humor.“ Er zog das Jackett aus und hängte es vorsichtig wieder auf den Bügel. „Ich möchte nicht, dass Bridgets Familie an unserem Hochzeitstag schockiert ist.“

Nordin rollte mit den Augen. „Nach vier Jahren sollte Bridget an meine Streiche gewöhnt sein, genau wie an meinen Humor.“

„Es ist nicht meine zukünftige Frau, um die ich mir Sorgen mache. Ihre Familie hat bisher wenig bis gar nichts von dir gehört, und ich würde es vorziehen, wenn sie mich auch morgen noch mögen würden.“

„Gutes Argument.“ Nordin hielt zwei Finger hoch. „Ich werde mich von meiner besten Seite zeigen. Pfadfinderehrenwort.“

Sie lachten alle, und sogar Jaren verzog die Lippen. „Du warst nie bei den Pfadfindern, und falls doch, haben sie dich wahrscheinlich schneller rausgeschmissen, als du ‚Pfadfinderehrenwort‘ sagen konntest.“

Nordin zuckte mit den Schultern und grinste. „Nein, ich hätte mich einfach wieder reingeschlichen.“

Nun da er darüber nachdachte, hätte er das zweifellos getan. Nordin konnte jeden verzaubern, von Babys, die spontan aufhörten zu schreien, wenn er sie auf den Arm nahm, bis zu griesgrämigen alten Männern, die seinem Lächeln und seiner lockeren Art nicht widerstehen konnten. Er konnte einem Pferd im vollen Galopp die Hufeisen abschwatzen, hatte jemand einmal zu Jaren gesagt, und er hatte nicht unrecht gehabt.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du heiratest“, sagte Lagan wehmütig. „Es kommt mir vor, als wäre es erst ein Jahr her, seit du uns Bridget vorgestellt hast.“

„Ich freue mich darauf, sie zu heiraten“, sagte Jaren, und er meinte es von ganzem Herzen.

Jaren war der erste und bisher einzige der vier gewesen, der den anderen einen Partner vorgestellt hatte. Trotz seiner Befürchtungen hatten sie Bridget alle gutgeheißen. Wie könnten sie auch nicht? Sie war wunderschön, klug, eine erfolgreiche Personalleiterin in der Firma ihres Vaters – derselben Firma, in der Jaren als Buchhalter arbeitete – und sie und Jaren hatten eine Menge gemeinsam. Sie hatten sich vom ersten Tag an gut verstanden, und hier waren sie nun, vier Jahre später, und im Begriff, den Bund der Ehe einzugehen.

Er konnte es nicht abwarten. Sie hatten zusammen ein Haus in einer der begehrtesten Gegenden von Seattle gekauft. Genau genommen hatte Bridget es gekauft, aber sie würden dort zusammenleben und hoffentlich in Zukunft eine Familie gründen. Jaren hatte seine Eigentumswohnung mit Gewinn verkauft und damit die Hochzeit mitfinanziert. Im Gegensatz zu Bridget hatte er keine Eltern, die für jede seiner Launen bereitwillig Geld ausgaben. Tatsächlich hatte er überhaupt keine Eltern und auch keine anderen Familienmitglieder, außer den drei Männern, die seine Brüder geworden waren.

Jaren zog die Hose aus und hängte sie zurück in den Schrank. Das Hemd würde er heute Abend mit einem Handdampfer auffrischen, damit es morgen wieder frisch aussah. Er würde nichts dem Zufall überlassen – nicht an seinem Hochzeitstag. Sie hatten die perfekte Juni-Hochzeit geplant, und sogar das Wetter schien mitzuspielen – was in Seattle nie selbstverständlich war.

„Es ist seltsam, dass sie dich in einem Hotel untergebracht hat“, sagte Nordin. „Aber wenigstens schläfst du in einer verdammt schönen Suite.“

„Ihr Vater hat dafür bezahlt.“ Jaren zog die Schultern hoch, als er sich an die Kosten erinnerte. „Ich wäre im Holiday Inn gut aufgehoben gewesen, aber er hat darauf bestanden, für diese zwei Tage eine Suite zu spendieren. Bridget wollte die Traditionen bewahren und die Tage vor der Hochzeit getrennt verbringen, damit ich sie nicht sehe.“

„Warum konntest du nicht in eurem neuen Haus schlafen und sie bei ihren Eltern?“, wollte Nordin wissen.

Jaren zuckte mit den Schultern, als er seine Khakihosen und sein Poloshirt wieder anzog. „Sie sagte irgendetwas darüber, dass der Flur im Haus ihrer Eltern zu eng für die Hochzeitsfotos ist? Das ist, was sie wollte, also sah ich keinen Grund, sie zu hinterfragen. Alle meine Sachen sind bereits in unser neues Haus gebracht worden, also habe ich kein Problem damit, zwei Nächte in einem Hotel zu verbringen.“

Nordin hob die Hände. „Ich weiß. Was Bridget will, bekommt sie auch.“

Jaren drehte sich um. „Du lässt sie wie ein verwöhntes Gör klingen. Ist sie aber nicht.“

„Ich sage es nur ungern, aber sie ist Papas Prinzessin, und ihr Vater ist stinkreich.“ Hadley umfasste mit einer erhobenen Hand die gesamte Suite. „Das ist kein Hotel, das hundert Dollar pro Nacht kostet.“

Nordin schnaubte. „Es kostet locker fünfhundert pro Nacht.“

Jarens Wangen wurden heiß. „Etwas mehr, aber ich habe nicht darum gebeten, und Bridget auch nicht. Ihr Vater hat es mir angeboten, als ich erwähnte, in einem Hotel übernachten zu wollen.“

„Ich habe nicht einmal die finanziellen Dinge gemeint“, sagte Nordin und klang dabei überraschend ernst. „Du hast dich komplett ihrem Glück verschrieben, also hoffe ich, dass sie sich glücklich schätzt, dich zu haben. Du verdienst einen Preis für den besten Verlobten aller Zeiten.“

Ein warmes Flattern flackerte in seiner Brust auf. „Danke, aber das ist Liebe, oder? Der Wunsch, die andere Person glücklich zu machen?“

Nordin zuckte mit den Schultern. „Frag mich nicht. Ich ficke meine Bettpartner einfach und schicke sie dann nach Hause. Beziehungen sind voll von Komplikationen, die ich weder will, noch brauche.“

Jaren setzte sich neben Nordin und seinen anderen Brüdern gegenüber auf die Couch. Beste Freunde, Brüder, keine dieser Bezeichnungen passte wirklich zu dem, was die vier waren, aber sie waren eine Familie. Sie waren seine Leute, die drei Männer, die immer für ihn da sein würden, egal was passierte. Sie hielten einander den Rücken frei, seit sie sich in dem schmutzigen, heruntergekommenen Wohngruppenheim in Chicago kennengelernt hatten, und sie waren immer noch eine Einheit. Dass er heiratete, würde daran nichts ändern.

„Ich danke euch, dass ihr heute Abend hier seid“, sagte er etwas emotional. „Ich bin nervöser, als ich dachte.“

„Wir hätten den Whiskey mitbringen sollen“, sagte Nordin.

„Er wollte am Vorabend der Hochzeit nichts trinken“, sagte Hadley, der immer praktisch veranlagt ist.

„Lang-wei-lig“, sang Nordin. „So ganz ohne Junggesellenabschied.“

Jaren zuckte mit den Schultern. „Was hätte das für einen Sinn gehabt? Es wäre wie jeder andere Abend gewesen, an dem wir vier abhängen.“

„Du wolltest Bridgets verdammt heißen Bruder nicht einladen?“ Nordin schmatzte mit den Lippen. „Der Mann ist heißßßßßß. Ich möchte jedes Tattoo auf seinem Körper ablecken … für den Anfang.“

Bridgets Bruder? Reid mochte mit seinen intensiven braunen Augen, dem zerstrubbelten Haar und der aristokratisch geraden Nase attraktiv aussehen – selbst Jaren konnte das sehen –, aber er hatte nichts mit Jaren gemeinsam. Nichts. Er war so wild und ungestüm, wie Jaren organisiert und professionell war. Selbst ihre Berufe – Tätowierer und Buchhalter – waren so unterschiedlich, wie es nur ging. Jaren wüsste nicht einmal, worüber er mit Reid reden sollte, außer vielleicht über die Rentabilität seines Ladens und wie er seine Steuerfreibeträge maximieren konnte.

„Reid ist …“ Jaren runzelte die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, ob er mich überhaupt mag. Er ist schwer zu durchschauen.“

„Ich mag meine Männer hart und unnachgiebig.“ Nordin zwinkerte ihm zu.

„Du magst es hart im Allgemeinen, Punkt“, kommentierte Hadley. „Und feucht. Nichts für ungut, Nor, aber deine Ansprüche sind zu niedrig, weit unter dem tiefsten Punkt des Toten Meers.“

„Tiefer als das Tote Meer?“

„Tiefster Punkt der Erde.“

„Er lügt nicht“, sagte Lagan.

Ein energisches Klopfen an der Tür unterbrach Jarens Ausführungen. „Hat jemand von euch den Zimmerservice bestellt?“

Niemand antwortete. Seltsam. Wer könnte das sein? Nur Bridget und ihre Familie wussten, dass er hier war. Vielleicht war es jemand vom Hotel? Das Zimmermädchen?

Er ging zur Tür, öffnete sie vorsichtig und blieb halb hinter der Tür stehen. Dies mochte zwar ein gehobenes Hotel sein, aber man konnte ja nie wissen, und sein Überlebensinstinkt war immer noch stark ausgeprägt. Aber als er sah, wer davor stand, öffnete er die Tür weit.

„Reid?“ Was in aller Welt machte er hier? Und er schien … wütend zu sein? Er verkrampfte seinen Kiefer unter seinem Stoppelbart und sein Körper war angespannt, als ob er sich auf einen Kampf vorbereiten würde. „Stimmt etwas nicht?“

„Das kann man wohl sagen.“

Jarens Herz setzte einen Schlag aus. Oh Gott. War Bridget etwas zugestoßen? „Geht es Bridget gut?“

„Ja, ja, es geht ihr … nicht gerade gut, aber es ist ihr nichts passiert.“

Reid fuhr sich mit einer zittrigen Hand durch die Haare, und Jaren wurde von Sekunde zu Sekunde unruhiger, sein Magen war wie verknotet. „Was ist dann los?“

„Darf ich reinkommen?“

„Oh. Sicher.“ Jaren trat zur Seite und ließ ihn herein.

„Ach, Scheiße, du hast Besuch“, murmelte Reid. „Vielleicht ist es sogar gut, dass sie hier sind. Du wirst sie vielleicht brauchen.“

Nordin stand auf. „Komm zur Sache, Kumpel. Du jagst Jaren eine Scheißangst ein.“

„Richtig. Tut mir leid.“ Reid steckte seine Hände in die Taschen seiner zerrissenen Jeans, die sich wie eine zweite Haut an seinen Körper schmiegte. „Ich habe den kurzen Strohhalm gezogen, und bitte verstehe, dass ich unter Protest hier bin, aber es war niemand anderes verfügbar.“

Sein Herz raste und Panik erfüllte Jaren, als er Reids düsteren Tonfall hörte, und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er schreckliche Neuigkeiten hatte. Innerhalb von Sekunden landeten drei Paar Hände auf seinen Schultern. Lagan zu seiner Linken, Hadley zu seiner Rechten, und Nordin direkt hinter ihm. Was auch immer kommen mochte, seine Brüder waren für ihn da.

Reid holte tief Luft. „Es tut mir so leid, aber Bridget sagt die Hochzeit ab.“