J aren schaute über den Rand seines Buches hinweg, das er zu lesen vorgab, als Reid die Badezimmertür im Obergeschoss aufstieß. Er hatte entdeckt, dass er, wenn er ganz am Ende der Couch saß, den perfekten Winkel hatte, um durch die gläserne Wand, die die offene Halbebene vom Rest des Lofts trennte, in den Badezimmerspiegel zu schauen. Und Reid hatte die Angewohnheit, sich zu rasieren oder zu pflegen, während er noch nackt war, was Jaren die Möglichkeit gab, ihn unauffällig zu betrachten.
Nicht, dass er dachte, Reid hätte etwas dagegen, dass Jaren ihn beobachtete … aber trotzdem. Es fühlte sich ein wenig seltsam an, als würde er etwas tun, was er nicht tun sollte. Vor allem, weil er es tat, ohne dass Reid es bemerkte – falls er es bemerkte, hatte er es nicht erwähnt –, aber er hatte sich auf jeden Fall die Zeit genommen, ihn gründlich zu inspizieren. Der Mann war heiß, daran bestand kein Zweifel.
Reid wischte den Spiegel mit seinem Handtuch ab, das er danach auf den Boden warf. Jaren unterdrückte ein Lächeln über diese verbleibende schlechte Angewohnheit seines ‚Mitbewohners‘, der sich sehr bemühte, das Loft für Jaren sauber und ordentlich zu halten. Es bedeutete ihm so viel, dass Reid seine geistige Gesundheit so ernst nahm und tat, was er konnte, um zu helfen, aber es ärgerte ihn auch, dass er sich nicht dazu durchringen konnte, das verdammte Handtuch aufzuhängen.
Er pflegte sich jetzt, was er immer am Wochenende tat. Er trimmte die Haare unter seinen Armen und seine Schambehaarung, die er im Spiegel leider nicht sehen konnte. Natürlich hatte er ihn schon einmal nackt gesehen. Reid schien sich nicht sonderlich darum zu bemühen, das zu vermeiden, denn er nutzte alle Gelegenheiten, um lässig sein Handtuch fallen zu lassen, um sich vor Jaren zur Schau zu stellen. Aber er hätte ihm trotzdem gerne dabei zugesehen, wie er sich da unten rasierte. Sein Schamhaar war sehr kurz und Jaren gefiel das. Reids Brust war unbehaart und brachte seine farbenfrohen, verschlungenen Tattoos zur Geltung.
Reids ganzer Körper erregte Jaren, und so beobachtete er ihn im Badezimmerspiegel, während Reid seinen Bart kürzte. Er war fit, mit gut ausgeprägten Muskeln, vor allem an Armen und Brust, aber war nicht massig. Jaren hatte noch nie etwas für Arme übriggehabt, aber irgendwie zog Reids Bizeps immer wieder seine Aufmerksamkeit auf sich, aber vielleicht lag das auch an den vielen bunten Tattoos. Jaren liebte sie, und auch das war neu für ihn, denn er hatte sich nie für sie interessiert.
Er würde sie gerne küssen und die Muster mit seiner Zunge nachzeichnen. Reid würde das wahrscheinlich gefallen. Er schien genauso sehr auf Berührungen und Körperkontakt zu stehen wie Jaren. Er hatte auch Tattoos auf seinem Rücken, darunter eines, das sich auf seinem Hintern fortsetzte. Ein Drache, dessen feuriger Schwanz weit nach unten ragte. Er könnte ihn mit seinen Lippen, mit seiner Zunge folgen, und es würde ihn zu …
Sein Schwanz wurde bei dem Gedanken hart und er blinzelte. Es war nicht das erste Mal, dass er bei dem Gedanken an Reid einen Ständer bekam. Verdammt, er hatte sogar davon geträumt: Reid, der ihn an die Wand drückte und küsste, und dann waren ihre Kleider auf magische Weise verschwunden, denn im Traum war das möglich, und Reid raubte ihm alle klaren Gedanken. Verrückt und unmöglich, schon allein wegen des völligen Mangels an Vorbereitung und Gleitgel, aber er war trotzdem mit der Mutter aller Ständer aufgewacht und dankbar, dass Reid joggen gegangen war, damit Jaren sich unauffällig darum kümmern konnte.
Aber was bedeutete das alles? Was sagte es über ihn aus, dass er Reid gerne bei seiner Rasur zusah, dass er seinen Körper bewunderte, dass er sogar manchmal einen Ständer bekam und erotische Träume mit ihm in der Hauptrolle hatte? Gott, das verwirrte ihn zutiefst.
Er war immer davon ausgegangen, dass Anziehung ziemlich einfach zu erkennen sei. Wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlte, bekam man ein Flattern im Bauch, das Herz schlug schneller, oder der Schwanz zeigte Interesse. Und man dachte daran, mit dieser Person Sex zu haben. Daran war nichts Kompliziertes. Er hatte vielleicht nicht Nordins sexuelle Erfahrung, aber vor Bridget hatte er mit Frauen geschlafen, die er auf Partys kennengelernt hatte, und das war immer ganz simpel gewesen.
All das, was mit Reid passierte, ließ ihn glauben, dass er sich zu ihm hingezogen fühlte, aber es fühlte sich auch so anders an als alles, was er je zuvor erlebt hatte. Allumfassender, viel schwerer zu ignorieren und doch gleichzeitig einfacher, weil es nicht nur um das Körperliche ging. Es war alles so kompliziert, und alles, was er tun konnte, war, sich Zeit zu lassen, um es zu verstehen.
„Gefällt dir die Aussicht?“
Jaren wurde wieder in die Gegenwart zurückgerissen und zuckte zusammen, als er Reid entdeckte, der an der Trennwand im Obergeschoss lehnte und ihn beobachtete. Er war nur in eine Boxershorts gekleidet. Offenbar war er mit seiner Körperpflege fertig, aber Jaren hatte es nicht mitbekommen. Seine Wangen wurden heiß. „Tut mir leid. Ich habe nicht gestarrt, ich verspreche es. Ich war in Gedanken versunken und habe nicht bemerkt, was ich getan habe. Ich meine, ich habe nichts beachtet oder es mit Absicht getan?“
Reid zog eine Augenbraue hoch. „Du willst mir also sagen, dass du nichts gesehen hast.“
Verdammt, wie konnte er sich da nur herausreden? Wie peinlich. Nicht, dass es Reid zu stören schien. Seine Augen tanzten vor Lachen über Jarens missliche Lage. Vielleicht sollte er sich ein Beispiel daran nehmen und aufhören, seine Anziehung zu leugnen. Er atmete tief durch. „Ich beobachte dich gerne.“
Reid erstarrte, dann nickte er langsam. „Das habe ich bemerkt.“
„Wirklich? Ich dachte, ich wäre ziemlich raffiniert.“
„Ein Spiegel funktioniert in beide Richtungen, weißt du.“
Richtig. So ein Mist. Reid wusste also, dass Jaren ihn mehr als einmal beobachtet hatte. Er schien jedoch nicht verärgert zu sein. „Muss ich mich entschuldigen?“
„Überhaupt nicht. Wenn ich ungestört sein wollte, hätte ich die Badezimmertür geschlossen. Ich wusste, dass du zusiehst, und das war mir mehr als recht.“
„Ja?“ Jarens Inneres wurde so warm wie seine Wangen, aber dieses Gefühl war anders. Es war keine Scham oder Verlegenheit, sondern etwas anderes.
„Ich mag es, wenn du mich beobachtest.“
Jaren schluckte. „Es ist seltsam, so ein Gespräch zu führen, während du da oben stehst und mich überragst.“
„Ich komme gerne runter, aber ich bin nicht angezogen.“
Die formell korrekte Antwort wäre gewesen, dass er sich die Zeit nehmen sollte, um sich etwas anzuziehen, und zwei, drei Wochen zuvor hätte Jaren diesen Vorschlag auch gemacht. Aber etwas hatte sich verändert, etwas, das er nicht ganz erkannte oder begriff, aber das ihm gefiel. Etwas, das ihm sagte, dass er mit Reid sicher war, auch wenn diese Situation sich gleichzeitig gefährlich anfühlte. Jaren verstand, dass er mit diesem Mann experimentieren und alles ausprobieren konnte, ohne Ablehnung befürchten zu müssen. Und so wagte er einen Sprung ins Ungewisse. „Es macht mir nichts aus. Ganz im Gegenteil.“
Reid war blitzschnell unten und Jaren schluckte, als er ihn in all seiner Pracht bewunderte. „Worüber haben wir gesprochen?“
Reid grinste. „Darüber, dass es dir gefällt, mich zu beobachten, und dass es mir gefällt, dass du mich gerne beobachtest.“
Jaren stöhnte und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. „Ich bekomme jetzt schon davon Kopfschmerzen. Und kannst du dich bitte hinsetzen? Während du über mir aufragst, ist dein Schwanz genau auf Augenhöhe, und das lenkt ein bisschen vom Thema ab.“
Während er hinsah, versteifte sich Reids Schwanz und wurde vor seinen Augen hart. Jaren schluckte und zwang sich, seinen Blick zu heben. Reids Augen waren dunkler geworden, und er verbarg seine Gefühle nicht. „Mein Schwanz lenkt dich ab?“, fragte Reid heiser.
„Ich finde alles an dir ablenkend, aber besonders dein Schwanz auf Augenhöhe, ja. Ein nacktes Gespräch ist schön und gut, aber –“
„Gefällt er dir?“
Oh, Mist, jetzt hatte er es geschafft, nicht wahr? Er wollte sich selbstbewusst und cool geben, aber stattdessen hatte er sich ein noch tieferes Loch gegraben. „Ja?“
„Scheiße, Jaren, du bringst mich um.“ Reids Stimme klang fast wie ein Knurren.
„Ist es zu viel? Soll ich mich zurückhalten?“
„Niemals. Aber ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich auch zeige, was ich fühle. Es ist ein Kampf für mich, geduldig zu bleiben, wenn du solche Dinge sagst.“
„Ich bin noch nicht so weit. Ich kann es mental noch nicht einordnen, und bevor ich nicht alles verstehe, kann ich den nächsten Schritt nicht machen.“ Er flehte Reid geradezu an, ihn zu verstehen. Jeder andere hätte ihn als Heißmacher abgestempelt, der niemanden ranlässt und wäre gegangen, aber nicht Reid. Sogar jetzt wurden seine Augen sanfter und verloren den harten Unterton des Verlangens und der Begierde.
„Ich weiß, und ich verstehe, dass du noch Zeit brauchst. Es ist manchmal schwierig, weil ich nicht so veranlagt bin, aber wenn ich versuche, es mit deinen Augen zu sehen, verstehe ich es. Das ist schon okay. Es gibt keinen Druck, und das meine ich ernst. Wenn es mir zu viel wird, liegt das an mir und nicht an dir. Deshalb gibt es hier eine kalte Dusche und ich habe eine gesunde rechte Hand.“
Er meinte offensichtlich jedes Wort ernst, sodass Jaren nicht nachdachte, sondern einfach aufstand und näher an ihn herantrat. „Kann ich eine Umarmung bekommen?“
Reid zögerte nicht einmal eine Sekunde und öffnete seine Arme. „Immer.“
Jaren schlang seine Arme um ihn, legte seine Wange an Reids starke Schulter und seine Lippen streiften seinen Hals. Und dann entspannte er sich und hielt sich fest, sank mit allem, was er hatte, in die Umarmung. Reid erwiderte die Berührung, küsste ihn auf den Kopf und streichelte seinen Rücken.
„Es tut mir leid“, flüsterte Jaren.
„Bitte entschuldige dich nicht. Dazu gibt es keinen Grund.“
„Ich fühle mich, als ob ich dich vorführe, als ob ich gemischte Signale aussende und dich heißmache, ohne dich ranzulassen.“ Noch während er die Worte sagte, drückte Reids harter Schwanz gegen ihn.
„Das bist du nicht. Deine Signale sind kristallklar für mich. Daran gibt es nichts zu rütteln.“
Schließlich ließ Jaren den anderen Mann los. „Ich verstehe nicht, wie du so verständnisvoll sein kannst, während ich nicht einmal mich selbst verstehe.“
Reid strich ihm sanft über die Wange, seine Augen waren unendlich zärtlich. „Du magst dir unsicher sein, was deine Gefühle angeht und was sie bedeuten, aber du warst dir von Anfang an darüber im Klaren, dass du den nächsten Schritt nicht machen kannst, bevor du nicht alles verstehst. Das hast du vor ein paar Minuten wieder gesagt. Du sendest also keine gemischten Signale. Das war von Anfang an klar, und die Tatsache, dass du jetzt ein bisschen flirtest oder ein bisschen kecker und sexyer bist als zuvor, ändert daran nichts. Solange du mir nicht buchstäblich sagst, dass du zu mehr bereit bist, wird nichts, was du tust, mich glauben lassen, dass du mehr willst als ein bisschen harmlos herumexperimentieren, wovon ich übrigens ein großer Fan bin.“
Die Erleichterung, die ihn erfüllte, brachte ihn den Tränen nahe. „Ja?“
„Flirte, so viel du willst. Experimentiere mit allem, was dir in den Sinn kommt. Beobachte mich, so viel du willst, oder bitte mich sogar, dir Dinge zu zeigen. Dinge mit dir zu machen. Finde heraus, wer du bist, womit du dich wohlfühlst, wo unsere Grenzen sind. Ich bin dein sicherer Hafen, und nichts, was du tust, wird mich dazu bringen, anders über dich zu denken, das verspreche ich dir.“
Jaren konnte die Tränen nun nicht mehr zurückhalten und lehnte seine Stirn an Reids Brust, denn er brauchte einen Moment, um seine Fassung wiederzuerlangen. „Danke. Ich habe langsam das Gefühl, dass Bridget mir einen Gefallen getan hat, als sie mich vor dem Altar stehen ließ.“
Reid lachte leise, dann küsste er ihn wieder auf den Scheitel. „Zu diesem Schluss bin ich schon vor Wochen gekommen.“