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R eid war noch nie in seinem Leben so nervös gewesen. Nicht einmal, als er seinem Vater hatte sagen müssen, dass er das College abbrach, und das war kein angenehmes Gespräch gewesen. Das Dumme war, dass er rational gesehen wusste, dass er keinen Grund hatte, deswegen so aufgeregt zu sein. Er hatte Jarens Brüder schon einmal getroffen, und sie hatten nie Anzeichen dafür gezeigt, dass sie ihn nicht mochten. Verdammt, Nordin hatte sogar unauffällig mit ihm geflirtet, obwohl Reid vermutete, dass das mehr aus Gewohnheit als aus tatsächlichem Interesse geschah. Der Mann versprühte seinen Charme förmlich.

Aber damals war er nur Bridgets Bruder gewesen, Jarens zukünftiger Schwager. Jetzt stellte Jaren ihn als seinen Freund vor. Das Wort ließ Reid immer noch einen Schauer über den Rücken laufen. Freund. Jaren hatte zugestimmt, sein Freund zu sein. Sie waren jetzt seit sechs Tagen offiziell zusammen, und Reid hatte nicht einmal gewusst, dass man so glücklich sein konnte. Allein das gemeinsame Einschlafen und Aufwachen mit Jaren in seinem Bett war ein solcher Rausch, ganz zu schweigen von allem anderen, was sie zusammen unternahmen.

„Du hast dich wieder umgezogen?“, fragte Jaren mit hochgezogener Braue.

Reid trug ein weißes Polohemd und seine schönsten, dunkelblauen Shorts. „Sehe ich gut aus?“

„Ja, aber die vier Outfits davor standen dir auch gut.“

Reid lachte verlegen. „Ich bin nervös, falls es dir entgangen sein sollte. Aber ich habe alle Klamotten wieder in den Schrank geräumt, ich schwöre es.“

Jarens Lächeln war süß. „Danke.“

„Natürlich.“

Jaren kam zu ihm und küsste ihn, eine dieser spontanen Gesten der Zuneigung, die Reids Herz immer noch etwas höher schlagen ließ. Er hatte sich so lange nach ihm gesehnt, dass es ihm schwerfiel, die Tatsache zu begreifen, dass Jaren jetzt ihm gehörte. „Ich weiß, dass du einen guten Eindruck machen willst, und ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.“

„Allerdings habe ich heute Morgen mein nasses Handtuch auf dem Badezimmerboden liegen lassen.“

Jaren küsste ihn erneut und grinste. „Niemand hat gesagt, dass du perfekt bist oder sein musst. Die Tatsache, dass du es versuchst, ist genug, das verspreche ich.“

„Ich möchte dich glücklich machen.“

Jaren strich ihm über die Wange. „Das tust du, und ein Handtuch auf dem Badezimmerfußboden wird daran nichts ändern.“

„Okay.“ Dieses Mal küsste er ihn, und Jaren erwiderte den Kuss begierig und schmolz mit ihm zusammen. Reid zog ihn an sich, schlang einen Arm um seine Taille, während seine andere Hand Jarens Hintern berührte. Er knetete ihn, während sich ihre Zungen duellierten und die Leidenschaft zwischen ihnen aufflackerte, wie immer, wenn sie sich küssten. Reid hatte noch nie Probleme gehabt, in Fahrt zu kommen, aber mit Jaren schoss er innerhalb von Sekunden von Null auf Hundert.

„Mmm“, stöhnte Jaren gegen seine Lippen. „Ich liebe es, wenn du das machst.“

Reid schob seine Hand unter Jarens Shorts und strich über seine nackte Haut. Gott, ja, noch besser. Er neckte seine Spalte und Jaren erschauderte. So wie er reagierte, wenn Reid seinen Hintern berührte, hatte er keinen Zweifel daran, dass sein Freund Analsex genießen würde. Oder er könnte ihm zuerst Rimming zeigen, was Reid absolut liebte, sowohl beim Geben als auch beim Nehmen. Oder war das ein paar Schritte zu weit? Nicht jeder mochte es.

Es klingelte an der Tür, und sie sprangen auseinander. „Oh Gott, jetzt muss ich meinen Brüdern mit einem Ständer gegenübertreten“, beschwerte sich Jaren und richtete seine Kleidung.

„Mathematik“, sagte Reid und Jaren sah ihn verwirrt an. „Wann immer ich einen Ständer loswerden muss, mache ich ein paar Kopfrechnungen. Gleichungen, verstehst du?“

Jaren gluckste. „Kumpel, ich bin Buchhalter. Gleichungen sind mein Ding.“

Das stimmte. Der Mann hatte nicht ganz unrecht.

„Ich mache die Tür auf“, sagte Jaren, und Reids Nerven lagen erneut blank, was dazu beitrug, seinen Ständer erschlaffen zu lassen. Wenigstens würde er sich darüber keine Sorgen machen müssen. Er wischte seine plötzlich verschwitzten Handflächen an seinen Shorts ab. Würden sie es merken, wenn er die Klimaanlage ein Grad niedriger stellte? Scheiß drauf. Lieber riskierte er, dass sie sich erkälteten, als den ganzen Abend über zu schwitzen. Er regelte sie ein Grad herunter und zwang sich dann zu einem Lächeln, als Jarens Brüder ins Wohnzimmer traten.

„Hey, Mann.“ Nordin kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, um ihn zu umarmen. „Es ist mir eine Freude, dich in dieser Rolle kennenzulernen.“

Reid nahm das Angebot gerne an und tauschte eine klassische Bro-Umarmung mit Jarens Bruder aus, dankbar für Nordins soziale Fähigkeiten. „Danke gleichfalls.“

Hadley und Lagan folgten seinem Beispiel, und dann gab Jaren allen ein Zeichen, sich zu setzen, während er das Essen aus der Küche holte und auf dem Tisch abstellte. Reids Esstisch bot nur Platz für vier Personen, aber er hatte einige Klappstühle, die er benutzte, wenn er mehr Freunde zu Besuch hatte. Jaren setzte sich auf einen dieser Stühle, am Kopfende des Tisches, rechts von Reid.

„Gott, das riecht aber gut“, sagte Hadley. „Oh, das ist dieses erstklassige Hähnchen, das du schon mal gemacht hast, nicht wahr?“

Coq au Vin “, sagte Jaren. „Ihr habt es geliebt, als ich es das letzte Mal gemacht habe, also dachte ich, es wäre eine gute Wahl.“

„Du wolltest uns nur Honig ums Maul schmieren machen, damit wir deinen Freund akzeptieren“, neckte ihn Nordin.

„Mir war nicht bewusst, dass ich deine Zustimmung brauche, aber selbst wenn, brauche ich das schicke Essen dafür nicht. Du hast ihn verdammt heiß genannt, weißt du noch?“, schoss Jaren sofort zurück.

Nordin grinste. „Stimmt, aber leckeres Essen schadet nie.“

Das tat es nicht, und Reid wurde warm ums Herz. Jaren hatte sich große Mühe gegeben, seine Brüder in gute Stimmung zu versetzen. Und Nordin hatte recht. Das Coq au Vin war köstlich, vor allem gepaart mit dem butterweichen Kartoffelpüree und knackigen grünen Bohnen. Reids Nervosität verflog langsam, als die Unterhaltung leicht von der Hand ging und jeder der Brüder sein Bestes tat, um ihn in das Gespräch mit einzubeziehen.

„Was machst du beruflich?“, fragte Reid Hadley.

„Ich bin Persönlicher Assistent für verschiedene Kunden, einige online, andere in Person.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich war schon immer gut im Organisieren und Planen, also schien das eine logische Wahl zu sein, vor allem, wenn man bedenkt, dass ich Geschichte studiert habe und keine Ahnung habe, wie ich meinen Abschluss in der Praxis anwende.“

„Du könntest unterrichten“, schlug Nordin vor.

Hadley schnitt eine Grimasse. „Natürlich, aber ich würde innerhalb eines Jahres an einem aus Angst geborenen Herzinfarkt sterben. Nein, lieber nicht. Schulkinder sind bösartig. Außerdem mag ich meinen Job.“

„Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich könnte es auch nicht tun“, sagte Reid. „Ich weiß, du arbeitest als Anwaltsgehilfe“ – er nickte Lagan zu – „aber was machst du, Nordin?“

Er hatte die Frage, ohne nachzudenken, gestellt, und die Stille war ohrenbetäubend. Scheiße. Er hätte nicht fragen sollen. Hatte er nicht vor Kurzem erst daran gedacht, wie verschwiegen Nordin war? Er hätte es besser wissen müssen, aber die Frage war fast automatisch über seine Lippen gekommen, nachdem er die anderen nach ihren Jobs gefragt hatte.

Jaren sah Nordin an, der unauffällig den Kopf schüttelte.

„Nordin hat einen Job, über den er nicht sprechen kann.“ Hadley warf Reid einen entschuldigenden Blick zu.

Was zur Hölle? Arbeitete der Typ bei der CIA oder so? „Okay, keine Sorge. Ich werde nicht mehr danach fragen.“

„Danke.“ Nordins Miene war ernst. „Ich entschuldige mich für die Geheimniskrämerei, aber es ist besser, wenn du nichts darüber weißt. Glaub mir, meine Brüder kennen auch keine Details.“

„Okay. Tut mir leid, dass ich es angesprochen habe.“

„Das muss es nicht. Ich weiß es zu schätzen, dass du fragst und Interesse zeigst.“

Er schien es ernst zu meinen, und Reid atmete langsam aus, die Anspannung verließ seinen Körper. „Ich möchte euch alle wirklich kennenlernen. Ihr seid Jarens Familie, und das ist mir wichtig.“ Das brachte ihm ein dankbares Lächeln von Jaren ein.

„Apropos Familie. Darf ich den Elefanten im Zimmer ansprechen?“, fragte Nordin.

Reid gluckste. „Es ist nicht gerade nett von dir, meine Schwester als Elefanten zu bezeichnen, Mann.“

Das löste die Spannung und alle lachten.

„Weiß sie schon von euch beiden?“, fragte Hadley.

Reid sah Jaren hilfesuchend an. Wie sollten sie darauf reagieren?

„Sie weiß es noch nicht, aber ich habe vor, es ihr bald zu sagen“, sagte Jaren leise. „Auch wenn wir ihr genau genommen nichts schulden, fühlt es sich nicht gut an, dies hinter ihrem Rücken zu tun.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen“, sagte Hadley.

„Ich bin sicher, dass es eine Zeit lang seltsam sein wird.“ Jaren zuckte mit den Schultern. Erinnerte er sich an das Gespräch, das sie an diesem Morgen geführt hatten? Reid hatte gesagt, dass er nie etwas über den Sex hören wollte, den Jaren mit Bridget gehabt hatte. Er war beileibe nicht prüde und hatte kein Problem damit, dass Jaren ein Sexleben gehabt hatte, bevor sie sich kennengelernt hatten, aber hier zog er eine Grenze. Er wollte nicht einmal daran denken, dass seine Schwester überhaupt Sex hatte, schon gar nicht mit seinem Freund . Nein, ganz und gar nicht.

Lagan zuckte mit den Schultern. „Sie hat mit dir Schluss gemacht, also ist es nicht so, dass sie dir böse sein könnte, wenn du dir jemand anderen suchst, selbst wenn dieser jemand ihr Bruder ist.“

„Kennst du meine Schwester?“, scherzte Reid. Als das Gelächter verstummte, sagte er, „Ich glaube wirklich nicht, dass Bridget darüber verärgert sein wird. Sie will schon seit Langem, dass ich jemanden finde.“

„Das hoffe ich“, sagte Jaren.

„Jedenfalls freuen wir uns für euch“, sagte Hadley. „Ihr passt gut zusammen.“

„Das tun wir, nicht wahr?“ Jaren strahlte jetzt, und Schmetterlinge begannen in Reids Bauch zu flattern. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie viel es ihm bedeutete, dass Jaren so offen über ihre Beziehung vor seinen Brüdern sprach, so offensichtlich glücklich und stolz, ihn seinen Freund nennen zu können. Vielleicht, weil er tief in seinem Inneren befürchtet hatte, dass Jaren es für eine Weile geheim halten wollte, aus Scham, weil er so schnell nach Bridget jemanden gefunden hatte, oder weil er sich immer als heterosexuell präsentiert hatte? Was auch immer die Gründe waren, Reid war dankbar, dass sich keine seiner Befürchtungen bewahrheitet hatte.

„Wir treffen uns immer freitags“, sagte Nordin zu Reid.

„Jaren hat es mir erzählt.“

„Wir machen das, seit Jaren und ich aus der ursprünglichen Wohnung ausgezogen sind, die wir uns zu viert geteilt haben. Das ist jetzt … wie lange her?“ Nordin sah seine Brüder an.

„Etwas mehr als vier Jahre“, sagte Hadley. „Ihr beide seid ausgezogen, als Jaren seinen Job bei Welz & Hamilton annahm.“

„Richtig.“ Nordin richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Reid. „Vier Jahre lang haben wir uns fast jeden Freitagabend getroffen, nur wenn wir arbeiten mussten, haben wir einen Abend ausgesetzt.“

„Oder wegen Geschäftsreisen“, sagte Lagan. „So wie du.“

„Ich habe ein paar Mal gefehlt, weil ich nicht in der Stadt war“, räumte Nordin ein. „Aber ich will damit sagen, dass wir wahrscheinlich über zweihundert dieser Abende abgehalten haben, und bei mindestens einhundertfünfzig davon waren wir alle anwesend. Und in dieser ganzen Zeit hat noch nie jemand jemanden mitgebracht. Niemals. Unsere Freitagabende waren immer nur für uns vier reserviert, und niemand hat jemals einen Außenstehenden mitgebracht. Bis jetzt.“

Stille kehrte ein, und Reid schluckte. Was wollte Nordin damit sagen? Hatte er trotz seines freundlichen Auftretens und seiner offensichtlichen Akzeptanz doch Bedenken?

„War Bridget nicht mal an einem Freitagabend dabei?“, fragte Hadley.

Jarens strahlendes Lächeln war von einem besorgten Stirnrunzeln abgelöst worden, was Reids Sorgen nur noch vergrößerte.

Nordin schüttelte den Kopf. „Jaren hat sie nicht zu unseren Freitagabenden mitgebracht. Er hat uns an einem Sonntag zum Essen eingeladen, um sie kennenzulernen, weißt du noch? Wir waren in diesem schicken Thai-Laden.“

„Das war mir gar nicht bewusst.“ Jaren rutschte hin und her und wich den Blicken seiner Brüder aus.

Reid konnte seine Reaktion nicht deuten. War er verärgert oder wütend oder so was? Wollte Nordin damit sagen, dass Jaren ihn nicht hätte einladen sollen? Es war schwer vorstellbar, dass der Mann, der den ganzen Abend über freundlich gewesen war, seine Ablehnung auf so direkte, unhöfliche Weise zum Ausdruck bringen würde. Nein, er musste etwas anderes meinen, aber was?

„Du bist anders mit ihm“, sagte Lagan leise, und sein freundliches Lächeln in Jarens Richtung überzeugte Reid noch mehr davon, dass das, was auch immer hier gerade passierte, nicht in böser Absicht geschah.

„Das stimmt. Deine Mauern sind gefallen, deine Maske“, stimmte Hadley zu.

Schließlich blickte Jaren auf, seine Augen waren von Tränen getrübt. „Bei ihm bin ich ich selbst. Zum allerersten Mal bin ich ich selbst, wenn ich mit jemand anderem als euch dreien Zeit verbringe.“

Nordin nickte zufrieden. „Das stimmt, und deshalb hast du nicht einmal gezögert, uns an einem Freitag in Anwesenheit von Reid hierher einzuladen. Weil er auch diesen Teil von dir sehen darf, die Seite, die du niemandem sonst zeigst, die du nicht einmal Bridget gezeigt hast. Du hast ihn heute eingeladen, weil er alles von dir sehen darf, auch deine Vergangenheit.“

Jetzt verstand Reid, und eine gewaltige Flutwelle der Dankbarkeit durchströmte ihn. Er griff nach Jarens Hand, und Jaren verschränkte ihre Finger miteinander und suchte Reids Blick. „Er ist anders. Alles mit ihm ist anders und das nicht nur, weil er ein Mann ist.“

Reid hob ihre gemeinsamen Hände und drückte einen Kuss auf Jarens Handrücken. Worte waren überflüssig, aber er konnte sie sowieso nicht formulieren – sein Herz war zu voll. Für den Rest des Abends ließ Reid Jarens Hand nicht mehr los.