23

R eid hielt den Atem an. Jaren hatte die Liebe in seinem Blick gesehen, aber wie würde er reagieren, jetzt da Reid es laut ausgesprochen hatte?

Jarens Lächeln war so süß wie Honig. „Danke. Ich kann dir gar nicht sagen, was mir das bedeutet.“ Reids Atem stockte. „Ich möchte ehrlich zu dir sein, weil du es verdienst. Ich kann es nicht erwidern, noch nicht, aber das weißt du.“

Noch nicht? Bedeutet das, dass …? „Das tue ich, und ich verstehe.“

„Aber ich kann dir eins sagen. Ich könnte dich lieben, Reid. Ich glaube sogar, dass ich auf halbem Weg schon in dich verliebt bin. Wenn du mir Zeit gibst, könnte aus dieser tiefen Freundschaft und Anziehung, die ich für dich empfinde, mehr werden.“

Reids Herz schlug so schnell, dass es ihm aus der Brust zu hämmern drohte. „Ich kann warten. Ich werde ewig auf dich warten, wenn ich muss.“

„Ich verspreche, dass ich dich nicht so lange warten lassen werde.“

„Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Es gibt keinen Druck.“

„Ich danke dir. Ich habe so viel Glück, von dir geliebt zu werden.“

Gott, ihm wurde so schwindelig vor Glück, dass er fürchtete, er würde umfallen. „Du bist es wert, Hübscher. Du bist all meine Liebe und Zuneigung wert.“

„Du bringst mich noch zum Weinen. Bitte nicht, nicht nach so tollem Sex.“

Er küsste ihn zärtlich. „Das mache ich nicht absichtlich. Und dito, es war spektakulär.“ Er glitt aus ihm heraus, und Jaren zuckte zusammen. „Ich weiß, der Teil fühlt sich nicht gut an. Lass uns zusammen duschen, damit ich mich um dich kümmern kann.“

Sie ließen sich viel Zeit, als sie duschten, und die Intimität von dem, was sie zuvor miteinander geteilt hatten, hielt an. Reid gefiel das. Jetzt, da Jaren die Tiefe seiner Gefühle kannte, musste er sich nicht mehr zurückhalten oder befürchten, dass er ihn versehentlich vergraulen würde. Er liebte ihn so sehr, dass er sich sein Leben ohne Jaren gar nicht mehr vorstellen konnte. Seine impulsive Entscheidung, Jaren einzuladen, bei ihm zu wohnen, war das Beste gewesen, was er je getan hatte.

Er machte Frühstück – Blaubeerpancakes, Jarens Lieblingsspeise. Dann machten sie es sich auf der Couch gemütlich und schauten einen Film, während der Regen gegen die Fenster prasselte. Sie hatten den Film gerade zu Ende gesehen, als Jarens Handy klingelte. Reid sah sich die Vorschau der eingehenden Nachricht an. Wie ist es gelaufen?

Jaren sah zu ihm auf und seine Wangen röteten sich. „Nordin. Ich habe ihn letzte Woche um Rat in Sachen Analsex gebeten.“

„Okay.“

„Du bist nicht verärgert?“

„Nein, warum sollte ich das sein? Du hast meine Erlaubnis, mit ihnen über alles zu reden, was wir machen. Sie sind deine Brüder.“

Jarens Blick wurde sanft. „Du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen, weißt du das? Ich hatte erwartet, dass du ein bisschen verletzt bist, weil ich mit Nordin darüber gesprochen habe.“

„Ganz und gar nicht. Das ist deine erste Beziehung mit einem Mann, du betrittst also ohnehin Neuland, aber abgesehen davon sind Freunde heilig. Sie sind neben dem Partner das Wichtigste im Leben eines Menschen, und ich werde dich immer dabei unterstützen, einen engen Kontakt zu deinen Brüdern zu halten.“

„Danke. Sie bedeuten mir alles.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer deine Kindheit für dich gewesen sein muss, und ich bin so froh, dass du sie an deiner Seite hattest.“

Jaren schickte Nordin eine knappe Antwort, steckte dann sein Handy weg und drehte sich auf die Seite. Reid tat dasselbe, sodass sie sich auf der Couch ausstreckten und einander gegenübersaßen. „Das Gruppenheim, in dem wir uns kennengelernt haben, war furchtbar. Es lag in einer beschissenen Gegend, voller Kinder, die niemand haben wollte, und die Leiter kümmerten sich überhaupt nicht um uns. Einige Jungen waren …“ Jaren schluckte. „Einige Jungen wurden von älteren Kindern vergewaltigt, und die Heimleiter haben nichts unternommen.“

„Jaren.“ Reids Kehle wurde eng. Nachdem er von Jarens Erfahrungen mit seinen Pflegefamilien gehört hatte, dachte er, er hätte das Schlimmste gehört, aber das war eindeutig nicht der Fall.

„Wir nicht, dank Nordin. Er war schon da, als ich ankam, und wir wurden sofort Freunde, als er sich für mich einsetzte, als zwei ältere Jungen mich an meinem ersten Tag dort bedrohten. Schon mit zehn Jahren konnte er sich hervorragend aus brenzligen Situationen herausreden. Er entwickelte einen Plan, um sie uns vom Hals zu schaffen, und schloss einen Deal mit den älteren Jungen ab, die die jüngeren terrorisierten. Er …“ Jaren schien nach Worten zu suchen. „Er hat Dinge für sie getan, wie Zigaretten und anderes Zeug zu besorgen, und solange er geliefert hat, haben sie uns in Ruhe gelassen. Das galt auch für Lagan und Hadley, die nach uns kamen. Wir haben sie unter unsere Fittiche genommen, da Hadley gemobbt wurde, weil … wie auch immer, das ist nicht meine Geschichte, aber seitdem gibt es nur uns vier.“

Reids Herz schmerzte für diese kleinen Jungen. „Keiner der anderen wurde jemals adoptiert oder kam in eine Pflegefamilie? Ich weiß, dass du wirklich beschissene Erfahrungen gemacht hast.“

„Hadley wurde von einem Paar in Pflege genommen, die ihn adoptieren wollten, weil sie keine Kinder haben konnten. Alles war vorbereitet, aber dann wurde sie spontan schwanger und sie haben das ganze Verfahren abgebrochen. Ähnlich wie bei dem Paar, das nach Oklahoma gezogen ist, nur dass er jünger war als ich und es seine erste Vermittlung war.“

„Das ist das Grausamste, was man einem Kind antun kann. Wie alt war er?“

„Er war zehn. Seitdem ist er nicht mehr derselbe.“

„Und Lagan?“

Jaren schüttelte den Kopf. „Dieselbe Geschichte wie bei mir. Viele Pflegefamilien, aber es hat nie geklappt. Und Nordin … die Leiter des Gruppenheims bezeichneten ihn als Unruhestifter, und deshalb wurde er nie in eine Pflegefamilie aufgenommen. Er lebte acht Jahre lang in diesem Heim und verließ es an demselben Tag, an dem er achtzehn Jahre alt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die älteren Jungen ausgezogen, und die Dinge liefen etwas besser, sodass wir damit einverstanden waren, Lagan und Hadley dort zu belassen.“

„Ihr seid also zu einer Familie geworden.“

„Wir mussten es. Niemand sonst würde sich um uns kümmern. Wir feierten Geburtstage und Feiertage zusammen. Nordin fand immer einen Weg, um Geschenke für uns zu besorgen, auch wenn es nur kleine waren. Süßigkeiten, neue Socken oder Unterwäsche, ein Satz neuer Bleistifte.“ Er seufzte. „Weihnachten war das Schlimmste. Das Heim bekam jede Menge Spenden für uns von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, sogar von Geschäften in der Nachbarschaft, aber die Leiter nahmen immer die besten Geschenke und überließen uns die beschissenen Reste. Am liebsten erinnere ich mich daran, wie wir vier den Abend vor Weihnachten zusammen verbrachten, heiße Schokolade tranken, die Nordin irgendwie in die Hände bekommen hatte, und uns Geschichten darüber erzählten, was wir tun würden, wenn wir älter wären, in was für Häusern wir leben würden, wie unsere Familien aussehen würden, wie wir Weihnachten feiern würden. Wir hatten trotz allem Träume, und wir hielten an ihnen fest.“

Je mehr er hörte, desto wütender und trauriger wurde Reid. Wie konnten Menschen unschuldigen kleinen Kindern so etwas antun? Aber vor allem erfüllte ihn tiefes Mitgefühl. Er bewunderte nicht nur Jaren, sondern auch die anderen drei. „Ihr habt eure Träume verwirklicht. Ihr habt nie aufgegeben und so lange geträumt, bis sie wahr geworden sind.“

„Stimmt.“

„Es macht mir bewusst, wie privilegiert ich aufgewachsen bin. Ich meine, ich wusste immer, dass wir wohlhabend sind. Diesen Teil habe ich nie aus den Augen verloren. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, wenn man bedenkt, dass wir auf eine Privatschule gingen und so weiter.“

„Du warst auf einer Privatschule?“ Jaren riss die Augen weit auf.

„Ich ging auf eine reine Jungenschule und Bridget auf eine reine Mädchenschule. Alles in allem war es nicht schlecht. Sie waren streng, aber es hat mir nichts ausgemacht. Sie hatten ein tolles Programm für kreative Künste.“

„Ja, ich wette, du wusstest eine Schule nur mit Jungs zu schätzen.“ Jaren zwinkerte ihm zu, und Reid grinste.

„Vielleicht habe ich dort herausgefunden, dass ich schwul bin, vielleicht auch nicht … indem ich viel experimentiert habe.“

„Da bin ich mir sicher.“

Jaren reagierte nicht negativ, obwohl Reid frühere Sexualpartner erwähnte, und das war eine Erleichterung für ihn. Er war sich nicht sicher gewesen, wie offen er sein konnte, da er nicht wusste, ob Jaren eifersüchtig werden oder es als unhöflich empfinden würde, aber bisher war er entspannt damit umgegangen. „Aber unser Reichtum war nur ein Teil dessen, was meine Erziehung so privilegiert machte.“ Er wurde wieder ernst. „Mir war das nie bewusst, aber ein stabiles Zuhause zu haben, zwei Eltern, die zusammen sind und mich lieben, eine normale Familie, die mich größtenteils unterstützt, Menschen in meinem Leben, die mich ermutigen und an mich glauben – all diese Dinge hielt ich für selbstverständlich, aber das sind sie nicht.“

„Nein.“ Jarens Worte waren sanft. „Nein, das sind sie nicht. Mir fallen so viele Dinge ein, die andere für normal halten, die wir vier aber nie erleben durften, wie ein Haustier zu haben, in den Urlaub zu fahren, sogar die tägliche Routine einer Familie, leibliche Geschwister.“

„Es gibt so vieles, was ich für selbstverständlich hielt. Trotz der Kämpfe, die ich mit meinem Vater ausfocht, bin ich jetzt viel dankbarer für alles, was ich hatte, für alle Chancen und Möglichkeiten. Ich musste mir zum Beispiel nie Sorgen um das College machen. Ich wusste, dass meine Eltern in der Lage sein würden, es sich zu leisten.“

„Du brauchst dich deswegen nicht schlecht zu fühlen. Es ist nicht deine Schuld, dass andere nicht das hatten, was du hattest. Aber es ist gut, sich dessen bewusst zu sein, denke ich.“

„Das ist es. Würdest du in Zukunft selbst ein Kind adoptieren wollen?“

Jaren zögerte, dann nickte er. „Das würde ich gerne, aber nur mit der Unterstützung meines Partners. Bridget war noch nicht ganz überzeugt, aber sie war offen dafür. Und du?“

„Auf jeden Fall. Als schwuler Mann habe ich diese Option immer in Betracht gezogen, weil ich wusste, dass dies der einzige Weg sein könnte, um Vater zu werden. Leihmutterschaften sind schwer zu finden, ebenso wie Adoptivbabys. Aber ich liebe die Vorstellung, einem Kind, das ohne die geringste Schuld in Not geraten ist, ein besseres Leben zu ermöglichen. Erst recht nach dem, was du mir erzählt hast.“

Jarens Lächeln war so voller Stolz und Dankbarkeit, dass Reids Herz wieder einmal vor Liebe überquoll. „Du würdest das Leben dieses Kindes für immer verändern.“

„Wir“, sagte Reid leise. „Ich möchte nicht zu schnell vorpreschen, aber ich würde gerne mit dir darüber nachdenken.“

Jarens Lächeln wurde noch breiter. „Wir. Das gefällt mir. Das gefällt mir sehr.“

Reid streichelte seine Wangen. „Mir auch. Danke, dass du deine Vergangenheit mit mir teilst. Es kann nicht einfach sein, darüber zu reden.“

„Das ist es nicht, aber es ist wichtig. Ich glaube, mir war bis eben nicht bewusst, wie wichtig es ist. Meine Kindheit hat mich in jeder Hinsicht beeinflusst, viel mehr, als ich bereit war zu akzeptieren. Zum Beispiel unsere Geburtstage und die Feiertage, die wir immer zusammen gefeiert haben, sind besonders wichtig. Es ist etwas Kleines, und es scheint unbedeutend zu sein, aber es bedeutet uns sehr viel, weil wir nie die Gelegenheit hatten, wirklich zu feiern. Deshalb feiern wir jetzt immer im großen Stil, vor allem an Weihnachten.“

Reid zuckte zusammen. „Das hat Bridget wohl nicht so gut aufgenommen. Sie hasst es, ihren Geburtstag zu feiern, und sie ist kein großer Fan von Weihnachten, zumindest nicht, was die Dekoration und so angeht.“

„Nein, ist sie nicht. Das war einer der Gründe, warum wir nie zusammengezogen sind und warum ich meine eigene Wohnung behalten habe. Am Tag nach Thanksgiving habe ich sie in eine Winterlandschaft verwandelt, und ich habe mich immer außerhalb mit ihr getroffen, entweder bei ihr zu Hause oder woanders, damit sie es nicht sieht. Noch etwas, das ich vor ihr verbarg.“

„Es tut mir leid, dass du das Gefühl hattest, bei ihr nicht du selbst sein zu können.“

„Ich habe gemerkt, dass es sowohl an mir als auch an ihr lag. Wann immer ich etwas über meine Vergangenheit erwähnte, schien es sie traurig zu machen, oder sie reagierte mit etwas Positivem über das Hier und Jetzt, und so hörte ich auf, es zu erwähnen.“

„Ich will sie nicht verteidigen, aber sie hatte ein ziemlich simples Leben. Ich glaube nicht, dass sie wusste, wie sie mit solchen Informationen umgehen sollte. Meine Eltern haben sie immer von den härteren Seiten des Lebens abgeschirmt, und sie zieht es vor, das auch jetzt zu tun.“

„Ich weiß, und ich schätze, ich habe sie in diesem Verhalten unterstützt.“

„Nur damit du es weißt, am ersten November kannst du anfangen nach Herzenslust dekorieren. Ich meine es ernst. Verwandle das ganze Loft für zwei Monate in die Werkstatt des Weihnachtsmanns. Mir ist das nur recht.“

Jarens Augen weiteten sich. „Wirklich? Aber dein Loft ist so modern. Wenn du nicht so ein Schlamper wärst, würde ich sagen, es ist fast minimalistisch.“

Reid zuckte mit den Schultern. „Na und? Das heißt aber nicht, dass du es nicht schmücken kannst. Ich liebe Weihnachten, und ich finde, unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest sollte etwas Besonderes sein.“

Jaren lehnte seine Stirn gegen Reids. „Ich danke dir. Nicht nur dafür, sondern für alles, was du für mich getan hast. Ohne dich wäre ich verloren gewesen. Du warst mein Fels in der Brandung und hast mir geholfen, so viele neue Seiten an mir zu entdecken. Du hast mir geholfen, mich selbst zu finden, und dafür werde ich dir immer dankbar sein.“

„Ich liebe dich, Hübscher. Ich glaube, ich habe mich in dem Moment in dich verliebt, als ich dich getroffen habe, und ich werde dich bis ans Ende meines Lebens lieben. Du bist der Eine für mich, meine Person, meine bessere Hälfte, und ich bin so dankbar und glücklich, dich in meinem Bett, in meinen Armen, an meiner Seite zu haben.“

Jarens Lächeln raubte Reid den Atem. „Du bist nicht nur ein Künstler mit deinen Händen. Du hast das Herz eines Poeten.“

Reids Herz zersprang fast vor Glück.