Ich hatte gedacht, meinen Roman noch Szene für Szene und Wort für Wort im Kopf zu haben, aber als ich anfing, ihn von neuem zu schreiben, löste sich die Erinnerung auf, und ich merkte, wie viel mir entfallen war. Es war wie in einem Traum, in dem alles ganz klar zu sein scheint, aber sich sofort entzieht, wenn man genauer hinzuschauen, sich darauf zu konzentrieren versucht. Meine Erinnerung an das Buch bestand nicht aus Worten und Sätzen, sondern aus Gefühlen, die viel präziser sind, als jeder Gedanke es jemals sein könnte, aber zugleich viel schwerer zu fassen.
Das Buch, das ich damals geschrieben hatte, erzählte nicht wirklich die Geschichte von Magdalena und mir. Nachdem sie mich aufgefordert hatte, über sie zu schreiben, hatte ich schnell gemerkt, dass mir das nicht gelingen würde, dass ich zu befangen war, um sie klar zu sehen und zu beschreiben. Die fiktive Magdalena hatte die reale verdeckt wie eine Maske ein Gesicht. Davon handelte das Buch, von den Bildern, die wir uns voneinander machen, und von der Macht, die diese Bilder über uns bekommen.
Ich erinnerte mich an den Workshop in Stockholm, in dem uns der amerikanische script doctor erklärt hatte, wie eine Szene aufzubauen sei, wie eine Geschichte erzählt, ein Drehbuch geschrieben würde, das auf dem Markt bestehen könnte. Dabei spürte ich, dass so nie lebendige Texte entstehen könnten, Texte, die etwas mit mir zu tun hatten und mit den Fragen, die mich beschäftigten. Ich sah meine Karriere vor mir als Fernsehautor, der genau die technisch einwandfreien Drehbücher verfasste, die die Fernsehanstalten wollten, der regelmäßige Arbeitszeiten hätte und endlich keine Geldsorgen mehr. Ich würde Magdalena die Rollen schreiben, die sie sich wünschte, keine großartigen Dialoge, Unterhaltungsfutter, für das der Markt viel größer war als für Literatur. Das Leben ist schön, die Menschen sind gut, und jeder Konflikt wird bis zum Ende der Folge oder spätestens der Staffel aufgelöst. Und genauso lebten wir. Wir führten ein gutes, schmerzfreies Leben, wohnten in einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung und waren gerngesehene Gäste bei Premieren und Vernissagen. Man erkannte uns auf der Straße, die erfolgreiche Schauspielerin und ihr schreibender Mann, ein Bild von einem Paar.
Wir saßen an einem langen Tisch in einem schicken Restaurant in der Innenstadt, alle sprachen und lachten durcheinander. Neben mir saß der Regisseur und redete auf mich ein, sprach über eine meiner Figuren und darüber, wen er sich in der Rolle vorstellen könnte. Ich hätte ihm vorschlagen sollen, Magdalena den Part zu geben, aber ich brachte es nicht über mich, es reichte, dass ich diesen Unsinn geschrieben hatte, sie sollte ihn nicht auch noch spielen.
Es dauerte lange, bis das Essen kam, und wir hatten trotz der hohen Preise schon ziemlich viel Wein getrunken. Das nehmen wir auf die Spesenabrechnung, sagte der Regisseur und lachte. Er hatte ein Elchsteak bestellt, und als das Essen endlich kam, schob er den Teller schon nach dem ersten Bissen weg und rief den Kellner zurück an den Tisch. Saignant habe ich das Steak bestellt, sagte er mit wütender Stimme, nennen Sie das saignant? Er stach mit der Gabel in das Stück Fleisch und hielt es dem Kellner unter die Nase. Wissen Sie überhaupt, was das heißt, saignant? Blutig, heißt das, rot. Er ließ das Fleisch wieder auf den Teller fallen und forderte den Kellner auf, es zurück in die Küche zu bringen. Bei den Preisen, die sie hier verlangten, dürfe man wohl erwarten, dass der Koch ein Stück Fleisch richtig zubereiten könne. Die Szene schien dem Kellner peinlich zu sein, er entschuldigte sich mit leiser Stimme und trug den Teller davon. Der Regisseur sprach weiter mit mir, als sei nichts geschehen, aber ich hörte nicht mehr, was er sagte. Ich stand auf und ging.
Ich brauchte eine Weile, bis ich das Hotel gefunden hatte. Wir waren vorhin alle zusammen zum Restaurant gegangen, und ich hatte nicht aufgepasst und mir den Weg nicht gemerkt. Aber ich wollte kein Taxi nehmen, ich brauchte dringend frische Luft, Zeit zum Nachdenken. Als ich das Hotel endlich erreichte und in unser Zimmer trat, war Magdalena nicht da.
Ich fragte mich später nie, ob die Entscheidung in jener Nacht in Stockholm richtig gewesen war oder falsch. Es war einer jener Entschlüsse, nach denen man sich nicht mehr vorstellen kann, dass es eine Alternative gegeben hätte, einen anderen Weg. Zu gehen war die einzige Möglichkeit, immer weiter zu gehen, ohne anzuhalten und ohne zu wissen, wohin.