Magdalena musste sich über meine Nachricht gewundert haben. Ich hatte keine Telefonnummer und keine Adresse angegeben, nur die Zeit und den Ort und meinen Vornamen: Bitte kommen Sie morgen um vierzehn Uhr zum Skogskyrkogården. Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.
Ich wartete beim Ausgang der S-Bahn-Station auf sie. Um Viertel nach zwei war sie noch nicht da, und ich dachte kurz, sie könnte ein Taxi genommen haben. Aber ihre Verspätung hatte nichts zu bedeuten, sie war immer unpünktlich gewesen, nicht auf die aggressive Art, die dem Wartenden zeigen soll, dass seine Zeit weniger wert ist als ihre, eher aus einer Art Zerstreutheit, mit der sie ihr ganzes Leben anging. Ich war sicher, dass sie kommen würde, dass ihre Neugier größer sein würde als ihr Misstrauen.
Fünf Minuten später fuhr der nächste Zug ein, und als ich schon dachte, sie sei auch in diesem nicht gewesen, kam sie mit hüpfenden Schritten die Treppe herunter. Ich hatte mich gleich zu erkennen geben wollen, aber kaum sah ich sie, verschlug es mir wieder den Atem wie am Tag zuvor, als ich ihr vor dem Hotel aufgelauert und sie dann doch nicht angesprochen hatte. Sie musste bald dreißig sein, zwanzig Jahre jünger als ich, aber sie sah aus wie ein junges Mädchen, und wer uns zusammen begegnet wäre, hätte glauben können, wir seien Vater und Tochter. Ich ließ sie an mir vorübergehen, ohne sie anzusprechen, und folgte ihr in Richtung Friedhof.
Sie wirkte nicht wie jemand, der verabredet ist. Sie ging mit schnellen Schritten die Straße hinunter, als sei sie den Weg schon hundertmal gegangen. Ich hatte angenommen, sie werde beim Eingang des Geländes warten, aber sie ging hinein und, ohne zu zögern, einen kleinen Hügel hoch, auf dem ein Kreis alter Bäume stand. Am Fuß des Hügels gab es ein riesiges Steinkreuz, dennoch hatte die Anlage etwas Heidnisches, die Landschaft und die Natur wirkten stärker als die sakralen Bauten und alle christlichen Symbole.
Magdalena hatte sich oben auf dem Hügel unter einen der kahlen Bäume gesetzt und schaute mir entgegen, als hätten wir ein Wettrennen gemacht und sie sei die Siegerin. Außer Atem kam ich bei ihr an, und obwohl sie mich noch nie gesehen hatte, schien sie sofort zu wissen, dass ich es war, der sie hierherbestellt hatte. Lena, sagte sie und streckte mir die Hand hin. Christoph, sagte ich und gab ihr etwas irritiert die Hand. Nicht Magdalena? Niemand nennt mich so, sagte sie mit einem Lächeln. Ein ungewöhnlicher Ort für ein Treffen. Ich wollte, dass wir ungestört reden können, sagte ich.
Ich setzte mich neben sie, und wir schauten hinunter zu den Gebäuden aus gelblichem Stein, die aus den dreißiger Jahren stammen mussten. Neben einigen quaderförmigen Bauten war ein monumentales, von viereckigen Säulen getragenes Dach, davor ein großer, zugefrorener Teich. Auf den Wiesen der sanft gewellten Landschaft lagen Flecken von Schnee. Vom Eingang des Friedhofs her kamen Menschen in dunklen Mänteln, einige allein, andere paarweise oder in kleinen Gruppen. Vor einem der Gebäude blieben sie stehen, eine verstreute Versammlung, die nicht recht zusammenzupassen schien.
Ich mag Friedhöfe, sagte Lena. Ich weiß, sagte ich. Es ist kalt, sagte sie. Wollen wir uns ein wenig bewegen?
Wir gingen den Hügel hinunter. Die Trauergäste waren inzwischen unter dem ausladenden Dach der Kapelle verschwunden, und der Platz war wieder menschenleer. Neben dem Gebäude stand ein Kandelaber mit einer Uhr. Seltsam, sagte Lena, das sieht aus wie auf einem Bahnsteig. Sie stellte sich unter die Uhr, schaute zu ihr hoch und prüfte dann die Zeit auf ihrer Armbanduhr wie eine Reisende, die die Abfahrt ihres Zuges nicht erwarten kann. Endstation, sagte ich. Sie lächelte mich an, aber spielte ihre Rolle weiter, bis ich ein paar Mal leise in die Hände klatschte, worauf sie sich linkisch verbeugte.
Wir liefen weiter in das Gelände hinein, vorbei an geometrisch angelegten Grabfeldern in Richtung eines lichten Kiefernwaldes. Wir gingen so nah nebeneinander, dass unsere Schultern sich manchmal streiften. Lena schwieg jetzt, aber es war kein ungeduldiges Schweigen, wir hätten wohl noch lange so gehen können, ohne zu reden, nur mit unseren Gedanken beschäftigt. Schließlich, wir waren eben zwischen die ersten Bäume getreten, blieb ich stehen und sagte, ich möchte Ihnen meine Geschichte erzählen. Sie gab keine Antwort, aber sie wandte sich mir zu und schaute mich an mit einem Blick, der weniger neugierig als vollkommen offen wirkte.
Ich bin Schriftsteller, sagte ich, oder besser, ich war Schriftsteller. Ich habe nur ein Buch veröffentlicht, und das ist fünfzehn Jahre her. Mein Freund ist Schriftsteller, sagte sie, oder möchte es gerne sein. Ich weiß, sagte ich, deshalb will ich Ihnen meine Geschichte erzählen.
Wir gingen langsam den Kiesweg entlang, der in gerader Linie durch den Wald führte, und ich erzählte Lena von jener seltsamen Begegnung vor vierzehn Jahren, die dazu geführt hatte, dass ich das Schreiben aufgegeben hatte.