Prinzip 7

Liebe – Beziehungen transformieren

»Wenn ich liebe, bin ich glücklicher, als wenn ich geliebt werde. Ich vergöttere meinen Mann, meinen Sohn und meine Enkel, meine Mutter, meinen Hund, und, offen gesagt, ich weiß nicht einmal, ob sie mich auch nur mögen. Aber wen interessiert das? Sie zu lieben ist meine Freude.«

Isabel Allende

Liebe kennt keine Grenzen. Sie will das Beste für jeden. Weder unterscheidet noch wertet sie. Unser authentisches Wesen ist Liebe, und sie ist immer vorhanden, doch wie die Sonne kann sie vorübergehend hinter Wolken verschwinden.

Ohne Liebe fühlen wir uns allein, wir geraten ins Werten und Vergleichen – oft ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir suchen nach Verbundenheit, aber schneiden uns selbst von den anderen ab.

Mit Liebe sind wir verändert. Sie löst unsere Vorurteile auf und öffnet unsere Herzen. Sie verbindet uns mit uns selbst, miteinander, mit der ganzen Menschheit. Wir müssen Liebe sein.

WIR stellt einen Weg der Liebe dar. Liebe begleitet jeden unserer Schritte auf der Reise durch dieses Buch. Die lebenswichtigen Praktiken und die Prinzipien, die wir bisher kennengelernt haben, haben uns auf die Liebe vorbereitet. Wenn wir sie nutzen, um in uns das Gefühl der Zugehörigkeit zu stärken, das wir in der Verbindung mit anderen suchen, dann wird sich in uns ein Kanal öffnen, durch den Liebe fließen kann, und erstaunliche Dinge werden geschehen.

Der Schlüssel zur Liebe

»Das Heilmittel gegen all die Missstände, Sorgen, Leiden und Verbrechen der Menschheit, alles liegt in dem einen Wort ›Liebe‹. Es ist diese göttliche Lebenskraft, die überall Leben hervorbringt und erneuert.«

Lydia M. Child

Viele von uns beginnen diese Reise, weil sie nach Liebe suchen. In der westlichen Kultur ist das Streben nach der romantischen Liebe fast zu einer Art Religion geworden. Wir werden ermutigt, hingebungsvoll nach ihr zu suchen, in dem Glauben, dass sie uns die ideale Verbindung einbringt und unserem Leben Sinn verleiht. Wir werden mit Märchen über Mädchen gefüttert, die durch den Kuss ihres gutaussehenden Prinzen erlöst werden, und mit Bildern von glücklichen Paaren bombardiert. Ein Film um den anderen handelt von einem glücklichen Paar, das, nachdem es die erforderlichen Hürden überwunden hat, auf die Gewissheit immerwährenden Glücks blickt.

Kein Wunder, dass viele von uns die Liebe als den Heiligen Gral betrachten, den wir suchen, finden und erringen müssen. Wir haben nach ihr in den Armen unserer Mitmenschen gesucht und in allem, was wir taten. Oft wurde unser Herz dabei arg ramponiert. Manche von uns kehrten der Liebe den Rücken zu und gaben die Suche auf. Die gleichen Hindernisse, die uns davon abhalten, mit unserem authentischen Ich in Kontakt zu treten, können uns auch daran hindern, Liebe zu erleben. Unser Egodenken, unsere emotionalen Verletzungen und Ängste stellen sich uns in den Weg.

Doch egal, wie tief wir unser Verlangen in uns vergraben, wir alle sehnen uns schmerzlich danach, dass die Liebe unser Leben verändert und zum Guten wendet.

Die gute Nachricht lautet: Wir müssen nicht mehr länger nach ihr suchen. Sie ist genau hier vorhanden, genau jetzt, im Leben einer jeden von uns.

Liebe oder Koabhängigkeit

Zwanghaftes Helfen oder Koabhängigkeit ist mittlerweile als schwerwiegende Sucht anerkannt. Wenn wir koabhängig sind, dann wollen wir unser Selbstwertgefühl verbessern, indem wir uns um andere kümmern. Wir grübeln zwanghaft über sie nach, wollen sie kontrollieren und bringen sie, indem wir ihnen Schuldgefühle einreden, dazu, das zu tun, was wir für richtig halten. Andere Symptome sind: Ja zu sagen, wenn wir Nein meinen, inakzeptables Verhalten zu akzeptieren, eine schädliche Beziehung aufrechtzuerhalten, um es anderen recht zu machen, unerbetene Ratschläge zu erteilen und einen Mitmenschen retten zu wollen, der gar nicht gerettet werden will.

Es kann sehr schwer sein, Nein zu sagen, wenn wir erkennen, dass ein Mensch Hilfe braucht. Doch Ja zu sagen, wenn wir eigentlich Nein meinen, und Hilfe zu gewähren, die wir eigentlich gar nicht leisten können, ist ein Zeichen von Unaufrichtigkeit und nicht Liebe. Solches Verhalten macht uns zu Opfern und Märtyrern, die dann den Menschen grollen, denen sie geholfen haben, oder wütend werden, wenn ihre »Liebe« nicht erwidert wird. Außerdem fördert es das Risiko, Depressionen, Ängste und Abhängigkeiten zu entwickeln.

Andere dazu zu ermutigen, dass sie sich auf uns stützen sollen, damit wir ihre Bedürfnisse erfüllen, gibt uns zwar das Gefühl, gebraucht zu werden, und sorgt dafür, dass wir uns zunächst weniger verletzlich fühlen, aber Abhängigkeit ist keine Basis für gleichberechtigte zwischenmenschliche Beziehungen – weder auf der einen noch auf der anderen Seite.

Wenn du dir die Prinzipien in diesem Buch zunutze machst, um die Angst und das emotionale Narbengewebe abzubauen, die den Fluss der Liebe blockieren, dann wirst du auf eine fundamentale Wahrheit stoßen: Liebe ist nichts, was man suchen und für sich erobern muss, sie ist unbegrenzt vorhanden. Sie ist nicht auf eine bestimmte Person oder auf eine besondere Beziehung beschränkt. Von ihr ist für jede Einzelne von uns genug da. Wir müssen nur herausfinden, wie wir Zugang zu ihr erhalten.

Der Schlüssel zum Fluss der Liebe ist die Erkenntnis, dass es bei ihr nicht ums passive Empfinden, sondern ums Handeln geht. Liebe ist nichts, was wir auf der Basis unseres Empfindens tun oder nicht tun. Sie ist etwas, das wir jederzeit erleben können.

Das bedeutet: Liebevolles Handeln verbindet uns mit dem Vorrat an Liebe, der in jeder Einzelnen von uns vorhanden ist. Jedes Mal, wenn wir aus Liebe handeln, vermehren wir den Vorrat an Liebe in uns. Die Liebe ist wie ein Muskel – die Liebe mag verborgen sein hinter jahrelangem gerechtem Zorn, hinter Angst oder Verletzung, aber wir alle haben sie und können uns entscheiden, sie einzusetzen.

Wie Dankbarkeit verfügt sie über eine magische Verstärkerwirkung: Je mehr wir lieben, umso geliebter und liebevoller fühlen wir uns.

Außerdem spielt es keine Rolle, ob wir sie geben oder erhalten. Du erfährst sie auf die eine wie auf die andere Art. Es geht allein um den Fluss.

Sei auf die Einwände deines Egos vorbereitet. Für das Ego ist Liebe eine wechselseitige Angelegenheit, etwas, das man untereinander austauscht, ein Handel. »Und was ist mit mir?«, wird es wissen wollen. Dein Ego wird von dir verlangen, dass du deine Liebe rationierst und sie aufsparst für die besonderen und verdienstvollen Menschen in deinem Leben. Doch wenn du Liebe zurückhältst, dann enthältst du sie dir selbst vor, denn Liebe im spirituellen Sinn kennt keine Beschränkungen.

Liebe – im spirituellen Sinn – ist bedingungslos. Sie hat nichts damit zu tun, wie irgendwer sich verhält. Geben, um zu bekommen, hat nichts mit Liebe zu tun – das ist eine Form von Manipulation. Und Liebe nur denjenigen zu geben, die sie unserer Meinung nach verdienen, ist eine versteckte Form von Diskriminierung.

Mit ein bisschen Übung wird es möglich, sich für liebevolles Agieren zu entscheiden, ganz egal, wie sich jemand benimmt.

Liebe beginnt bei dir

Die vorausgegangenen Prinzipien haben dich auf die Liebe vorbereitet. Man kann nicht lieben, wenn man sich in den Fängen emotionaler Reaktivität befindet oder ein Durcheinander aus ungestillten Bedürfnissen ist. Genauso wenig kannst du Liebe erfahren, wenn du dich hinter Mauern des Selbstschutzes versteckst und Boxhandschuhe trägst.

Etwas, das du nicht hast, kannst du nicht verschenken. Mit leerem Tank kommst du nicht weiter. Wenn du dich nicht selbst um deine Bedürfnisse kümmerst, dann läufst du Gefahr, in die Koabhängigkeit zu rutschen in der Hoffnung, dass andere dein inneres Mangelgefühl ausgleichen. Man kann sein Zuhause nicht in den Armen oder in der Gesellschaft eines Mitmenschen finden. Du bist da zu Hause, wo du bist, in dir selbst.

Jede zwischenmenschliche Beziehung – ob zwischen Freunden oder Partnern – ist wie ein Torbogen: Wenn die zwei Menschen stark und aufrecht auf ihrem Platz stehen wie zwei Säulen, dann ist Liebe der Schlussstein in dem Bogen, der sie miteinander verbindet. Doch wenn einer von ihnen Schlagseite bekommt, dann kann das Konstrukt einstürzen.

Bisher hat dir dieses Buch hoffentlich dabei geholfen, die Verbundenheit mit dir selbst zu entwickeln oder zu vertiefen. Liebe verlangt nie von dir, dass du dich selbst im Stich lässt. Als Frauen wird von uns häufig verlangt, selbstlos zu sein, doch die Bedeutung des Begriffs »Selbstlosigkeit« wird missverstanden. Selbstlosigkeit bedeutet nicht, die eigenen Bedürfnisse zu missachten, sie bedeutet, ohne Ego zu lieben.

Andere lieben

Die Liebe verlangt von uns, dass wir keine Unterschiede machen. Dass wir jene lieben, die wir kennen, und jene, die wir nicht kennen, jene, die wir mögen, und jene, denen wir lieber aus dem Weg gehen würden. Die Definition »unser Nächster« schließt absolut jeden Menschen mit ein – dem Freund, Fremden und Feind.

Als Frauen wissen wir nur allzu gut, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen oder schlecht behandelt zu werden. Doch ohne sich dessen bewusst zu sein, machen sich die meisten Frauen des gleichen Verhaltens schuldig: Sie schließen andere aus und verurteilen ihre Mitmenschen.

Denk über diese Zusammenhänge nach. Wenn du Freundschaft suchst, schaust du dich dann bei den coolen, beliebten Leuten um? Rechtfertigst du die Tatsache, dass du nichts mit Menschen zu tun hast, die vor einem anderen Hintergrund aufgewachsen sind oder aus einer anderen sozioökonomischen Schicht kommen, indem du darauf hinweist, dass ihr wohl kaum so viel gemeinsam haben werdet?

Lässt du es zu, dass deine Pläne und deine Bedürfnisse Bindungen beeinflussen? Steckst du die Menschen, denen du begegnest, automatisch in Schubladen – vielleicht ohne dir dessen überhaupt bewusst zu sein? Beurteilst du sie nach ihrer Kleidung, ihrer Gesellschaftsschicht, ihrer Rasse, ihrer allgemeinen äußeren Erscheinung? Bist du ungeduldig und intolerant den Menschen gegenüber, die dir geistig unterlegen sind? Wie behandelst du diejenigen, über die du Macht hast – von dir abhängige Familienmitglieder, neu in eine soziale Gruppe Hinzugekommene oder Angestellte? Wie behandelst du Fremde, denen du auf der Straße begegnest, den Zeitungshändler, die Verkäuferin im Supermarkt, die Bedienung im Café?

Jede einzelne dieser Begegnungen verschafft dir die Gelegenheit, dich entweder abzugrenzen oder Liebe in die Tat umzusetzen.

Selbstvorwürfe

Wenn wir unser eigenes Verhalten überprüfen, dann kann es leicht passieren, dass wir uns selbst beschuldigen, uns Vorwürfe machen und uns beschämen. Widerstehe dieser Versuchung. Sich selbst fertigzumachen, ist nur sinnloses Egogetöse. Hier geht es darum, die Tatsachen festzustellen. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, denn ohne Bewusstsein von uns selbst können wir uns nicht verändern. Die Verhaltensweisen, die du beachtet und benannt hast, hast du entwickelt, um dich vor irgendetwas zu schützen und um die Befriedigung deiner Bedürfnisse zu erwirken. Vielleicht sind sie nicht wünschenswert, aber verständlich. Nun, da du sie dir bewusst gemacht hast, kannst du wählen. Also nutze deine Kraft, um etwas zu verändern, statt um dich zu beschimpfen. Vergiss nicht – Liebe ist nicht nur für andere da, sondern auch für dich.

Je weiter du auf dieser Reise vorankommst, umso weniger wirst du auf Verhaltensweisen zurückgreifen, die dir früher ganz selbstverständlich erschienen. Wie oft hast du durch das Reden über Dritte Verbundenheit mit anderen hergestellt? Oder deinen Mitmenschen (und dir selbst) vorgemacht, dass es gar nicht um Klatsch ging, sondern nur darum, zum Nutzen aller eine Situation am Arbeitsplatz richtig zu bewerten? Vielleicht hast du Tratschen sogar benutzt, um dich verständnisvoll zu geben. Jeglicher Klatsch und Tratsch ist eine Form von Angriff – ganz egal, wie gut du dich damit auch fühlen magst.

Stell dir bei jeder Begegnung die Frage: »Wie würde die Liebe handeln?« Wende die »Goldene Regel« an (in diesem Kapitel weiter unten) und geh so mit anderen Menschen um, wie du selbst behandelt werden möchtest.

Unsere Schablonen

Jeder Mensch befindet sich unablässig in irgendwelchen Beziehungen. Und ob es sich nun um romantische handelt oder nicht, wir müssen oft feststellen, dass wir in alte, schädliche Verhaltensmuster rutschen. Wir sind fähig, unsere alten Kindheitsmuster der Beziehungsaufnahme mit beängstigender Geschwindigkeit nachzubilden: am Arbeitsplatz, am Schultor, im Schlafzimmer.

Die Schablonen für das Wie der Liebe zu deinen Mitmenschen findest du in deiner Familiengeschichte und Erziehung. Das, womit du groß geworden bist, hast du verinnerlicht. Falls du mit Formen von Missbrauch aufgewachsen bist, dann trägst du das Wissen um diese und die Fähigkeit zu diesen Formen des Missbrauchs in dir.

Sollte Mitgefühl Bestandteil deines Heranwachsens gewesen sein, dann wird es dir leichter fallen, für andere Mitgefühl aufzubringen. Doch ganz egal, wie wunderbar unsere Eltern oder Bezugspersonen auch waren, die meisten von uns mussten in der Kindheit Verletzungen hinnehmen, die uns als Erwachsene in unserer Fähigkeit zu lieben beeinträchtigen.

Wenn wir uns weigern, die Verantwortung für diese Kindheitstraumata zu übernehmen, dann stecken wir ein Leben lang in einer ausweglosen Situation fest. Wir ertappen uns wiederholt dabei, wie wir die Dynamik, die wir aus unserer Kindheit kennen, wiederherstellen in der Hoffnung, dass das Ende diesmal anders ausfällt.

Doch wenn wir versuchen, jemanden – ein Elternteil, einen Freund, Partner oder sogar Vorgesetzten – dazu zu zwingen, dass er uns das gibt, was uns in der Kindheit gefehlt hat, dann bekommen wir zum Schluss nur das, was wir auch schon beim ersten Mal bekommen haben: einen Haufen Schmerz.

Unseren Mitmenschen ist es nicht möglich, unsere Schablonen zu verändern. Das können nur wir selbst. Wenn du also merkst, dass dir etwas schwerfällt, dann blicke zurück, um herauszufinden, ob vielleicht eine alte Kindheitsverletzung reaktiviert wurde, und bediene dich dann der spirituellen Werkzeuge, von denen du weißt, dass sie Veränderungen bewirken.

Halte deine Augen fest auf das gerichtet, was du verändern kannst: dich selbst (nicht deine Vergangenheit oder deine Familie oder deinen Partner).

Ich war schon viele Jahre lang berufstätig, als mir klar wurde, dass ich meine Beziehungsschablone aus der Kindheit mitgebracht hatte in mein Berufsleben als Erwachsene. Das machte sich nicht wirklich gut! Mein Vorgesetzter, der, wie in der Nachrichtenabteilung üblich, natürlich ein Mann war, verwandelte sich immer in meinen Vater. Ich buhlte bei jeder Gelegenheit um seine Aufmerksamkeit. Meine Kollegen wurden zu meinen Geschwistern, und ich spürte die Rivalität, wenn sie, genauso wie ich, um sein Lob kämpften. Ich entwickelte mich zurück zu dem eifersüchtigen, aber ansonsten lieben kleinen Mädchen, das sich selbst überbietet in dem Versuch, die Aufmerksamkeit seines emotional distanzierten Vaters zu erringen. Ich erlangte häufig die Zustimmung meines Chefs (und wurde in der Folge ein echter Workaholic), aber diese Tatsache heilte nicht das gebrochene Herz meines kleinen inneren Mädchens. Egal, wie viel Zustimmung es auch erhielt, es wollte immer noch mehr. Denn natürlich sehnte sich das kleine Mädchen in Wahrheit danach, als der Mensch geliebt zu werden, der es war, und nicht aufgrund seiner Leistungen. Dank der in diesem Buch dargelegten Prinzipien lernte ich, ihm selbst die Liebe zu geben, die es brauchte. Aber sobald ich einmal in meiner Selbstfürsorge nachlasse und mich in der Gegenwart eines starken, kompetenten Mannes befinde, falle ich leicht zurück in das alte Verhaltensmuster.

JN

Einen Großteil meines spirituellen Wachstums verdanke ich meinem ersten Ehemann. Wir hatten eine unglaublich schmutzige und schmerzhafte Scheidung mit zahllosen grauenvollen Konflikten, und ich brauchte viele Jahre, um mich davon zu erholen. Wäre da nicht all dieser Schmerz gewesen, ich wäre heute nicht auf dem Weg, auf dem ich mich befinde. Rückblickend kann ich erkennen, wie all dies mich verändert hat. Ich musste lernen, im Angesicht der Wut und des (vermeintlichen) Hasses zu lieben, sonst hätte ich es nicht überstanden. Inzwischen bin ich nicht mehr das kleine verletzte Mädchen, das die Ehe einging, um endlich geliebt zu werden. Ich bin jetzt eine erwachsene Frau, die sich in ihrer eigenen Haut wohlfühlt – ob mit oder ohne Partner. Inzwischen bezeichne ich meinen ersten Mann als meinen besten Lehrer und empfinde für ihn – erstaunlicherweise – höchste Dankbarkeit und Liebe trotz all des Schmerzes, den wir einander zugemutet haben.

JN

Je stärker die Verbindung ist, die wir zu einem anderen Menschen spüren, desto stärker sind auch die Auslöser, die uns in unsere Vergangenheit zurückwerfen können. Es mag dich überraschen, wie postwendend du zu kindlichem Verhalten regredieren kannst. Also nimm dir Zeit für den verletzten Teil deiner selbst, für das kleine Mädchen in dir (siehe »Prinzip 1: Aufrichtigkeit«). Lass dir von ihm sagen, was es braucht und will. Für gewöhnlich will es gesehen und gehört werden und sich sicher fühlen können. Dafür kannst du sorgen.

Sofortige Erleichterung

Wenn du dich von einer Emotion überfordert fühlst, dann versuch es einmal damit: Leg deine Faust über dein Herz. Drück sie sanft auf deine Brust, während du tief ein- und ausatmest und dir sagst (still im Inneren, falls du dich in der Öffentlichkeit aufhältst): »Obwohl ich traurig/wütend/aufgebracht bin über _____, bin ich in Sicherheit, und es geht mir gut.« Mit diesem Satz kann man sich wunderbar beruhigen, wenn man sich provoziert fühlt.

Und vergiss auch die anderen Hilfsmittel nicht, die du bisher kennengelernt hast: Beachten, Benennen, Empfinden und Loslassen deiner Emotionen (siehe »Prinzip 2: Akzeptanz«); Affirmationen und Meditation, damit du in deine Mitte zurückfindest (siehe »Prinzip 3: Mut« und »Prinzip 6: Frieden«); deinen eigenen Anteil bei deinem Groll finden (siehe »Prinzip 3: Mut«). Und dann hole dich zurück in die Gegenwart, und frage, was Liebe an deiner Stelle tun würde.

Verständnis

»Und es kam der Tag, an dem die Aussicht, in die Knospe eingezwängt zu bleiben, schmerzhafter war, als das Risiko, zu erblühen.«

Elizabeth Appell

Zwar gibt es in deinem Leben gewiss noch vieles, was verstanden werden muss, doch die Liebe verlangt von dir, den Spieß umzudrehen und es zu deiner Priorität zu machen, die anderen zu verstehen. Mit Verständnis geht Mitgefühl einher und die Erkenntnis, dass wir alle tief in unserem Inneren gleich sind und dieselben Bedürfnisse, Wünsche und Ängste haben.

Wenn wir andere wirklich zutiefst verstehen und unsere Wahrnehmung von Unterschieden sich auflöst, dann fällt uns Liebe leicht. Wir blicken über unsere persönliche Geschichte, über unsere Vorurteile und Vorlieben hinaus und werden wirklich zugänglich und präsent. Wir erkennen, dass unsere Gemeinsamkeiten wichtiger sind als das, was uns trennt, und wir werden fähig, in jeder Situation zu lieben.

Übung: In den Schuhen unseres Feindes

Diese Übung ermöglicht es dir, einen tieferen Einblick in die Gefühlswelt derjenigen zu erlangen, die dich verletzt haben, und aufgrund dessen mehr Verständnis und Mitgefühl für ihr Verhalten zu entwickeln.

Wähle jemanden aus, dem du feindselig gegenüberstehst. Es kann sich um einen Menschen direkt aus deinem Leben handeln oder aber um eine öffentliche Person.

Stell dir vor, du wärst Schauspielerin und sollst die Rolle dieser Person übernehmen. Um dabei gute Resultate zu erzielen, musst du ihre Motive verstehen. Du bist eine professionelle Schauspielerin, also nimm dir die Zeit, die du benötigst, um so viel wie möglich vor allem über das frühere Leben der Person herauszufinden und über die Einflüsse, denen sie ausgesetzt war. Wie war ihre Kindheit? Warum denkt und handelt sie so, wie sie es tut? Was hat sie verletzt? Was hat sie bestärkt? Wie ist sie zu dem Menschen geworden, der sie heute ist? Wenn du willst, kannst du deine Ergebnisse schriftlich festhalten oder, falls es sich um eine öffentliche Person handelt, die Bibliothek oder das Internet für deine Recherche nutzen.

Ist die Person Politiker, dann bemühe dich, ihr Anliegen zu verstehen und warum sie sich dafür einsetzt. Was bedeutet dieser Person ihr Anliegen? Dein Ziel ist es nicht, irgendetwas, das die Peron getan hat, zu entschuldigen oder stillschweigend hinzunehmen, du willst es nur verstehen, damit du deine Rolle so überzeugend wie möglich spielen kannst.

Wenn du genug Informationen beisammenhast, dann zentriere dich, und schließe die Augen.

Stell dir vor, dass du der Person gegenübersitzt. Sollte die Person jemand sein, der dir Angst macht, dann stell dir vielleicht besser vor, dass du sie im Gefängnis besuchst oder bei eurer Begegnung beschützt wirst durch einen Leibwächter oder Schutzengel.

Lass die Person vor deinem inneren Auge erstehen. Beachte und benenne die Stärke deiner Gefühle. Ist es Hass? Ist es Schmerz? Ist es eine Kombination aus beidem? Was immer es ist, gestatte es dir, Kontakt zu dem Gefühl herzustellen und es dann loszulassen. Erinnere dich: Du bist nicht hier, um zu urteilen, sondern um zu verstehen. Die Person sitzt vor dir, nur eine Armlänge entfernt. Wenn ihr beide die Hände ausstrecktet, würden sich vermutlich eure Finger berühren. Sieh der Person direkt in die Augen. Halte ihrem Blick stand und noch ein wenig länger. Stell dir vor, dass du deine Augen genau auf die Person ausgerichtet hältst, und behalte diesen vorgestellten Fokus für den Rest der Übung bei.

Nun fragst du dich, während du der Person in die Augen blickst, warum sie getan hat, was sie getan hat. Beginne dabei in der Gegenwart und geh dann in der Zeit zurück. Stelle immer wieder die Frage nach dem Warum. Lag es daran, dass die Person selbst misshandelt wurde? Daran, dass man sie im Stich gelassen hat oder dass ihr Vater starb, als sie noch klein war? Oder lag es vielleicht daran, dass sie in Armut aufgewachsen ist? Deine Fragen sollen dich in der Zeit immer weiter zurückführen. Sieh der Person fortwährend in die Augen. Was bemerkst du an ihren Augen? Wie unterscheiden sie sich von den deinen? Wie unterscheiden sie sich von den Augen eines anderen Menschen, eines Menschen, der dir am Herzen liegt? Nun hebe die Grenze zwischen euch auf, und stell dir vor, dass du diese Person bist. Sieh und empfinde das, was sie in ihrer Haut fühlt und wahrnimmt.

Möglicherweise geht es dir damit nicht gut. Diese Vorgehensweise kann alle nur denkbaren schwierigen Gefühle nach oben spülen. Aber sie hilft dir auch, Verständnis und Mitgefühl mit dieser Person zu haben. Wenn du meinst, alles nur Mögliche herausgefunden zu haben, dann nimm dir Zeit, um in deine Mitte zurückzukehren. Atme bewusst so lange aus und ein, wie es dir nötig erscheint, um zu dir zurückzufinden. Sprich deinen Namen laut aus, und, wenn du magst, schüttle deine Arme und Beine aus.

Denk nach über deine »Figur« und über ihre Motivation. Dann nimm neuerlich Verbindung auf mit den feindseligen Gefühlen, die du der Person entgegengebracht hast. Stell fest, ob oder wie sehr sie abgenommen haben. Je mehr wir einander aneinander teilhaben lassen, umso schwerer fällt es uns, einander zu verurteilen. Wenn du das nächste Mal den Impuls verspürst, jemanden zu verdammen, dann entschärfe diesen natürlichen Impuls durch Verständnis.

Diejenigen, die uns verletzen, können zu unseren bedeutendsten Lehrern werden. Liebe in Form von Mitgefühl zeigt uns, dass sie für gewöhnlich selbst in ihren eigenen Verletztheiten, Kümmernissen und Ängsten gefangen sind. Verletzte Menschen verletzen Menschen. Ziehe also die Grenzen, die du für dein Wohlergehen brauchst (siehe »Grenzen ziehen – Ja und Nein sagen lernen« in »Prinzip 8: Freude«), und, anstatt zurückzuschlagen, vertraue darauf, dass sie ihr Bestes geben, wie auch immer es aussehen mag.

Freiwillig Single

Falls du zwanghaft darüber nachgrübelst, wann du denn wohl endlich dem »Richtigen« begegnest, dann tue genau das Gegenteil von dem, was du eigentlich möchtest. Tritt einen Schritt zurück, nimm eine Auszeit, und finde heraus, was sich hinter deinem inneren Drang verbirgt.

Es kann sehr befreiend sein, wenn wir uns eine Zeitspanne zugestehen, in der wir nicht auf Partnerjagd gehen. Versuch es mit einem Zeitraum zwischen drei bis sechs Monaten. Stell in dieser Zeit die Gewohnheiten ab, die deine Bedürftigkeit fördern. Hör auf damit, Personen zu taxieren und mit ihnen zu flirten. Hör auf damit, dich an für die Partnersuche strategisch günstigen Orten zu platzieren. Verzichte darauf, dich liebenswert zu geben, und du wirst feststellen, dass du es bereits bist.

Nutze die Gelegenheit, um Freundschaften mit Frauen zu pflegen, die mit sich im Reinen und mit ihrem Singledasein zufrieden sind. Aber nutze die Zeit auch, um dich an deiner Beziehung zu dir selbst zu erfreuen. Führe dich aus, verwöhn dich, und sei glücklich mit dem einzigen Menschen, von dem du sicher sein kannst, dass er an deiner Seite sein wird, bis der Tod euch scheidet. Dann wirst du in viel besserer Verfassung sein, wenn du wieder Verabredungen triffst.

Sobald deine dir selbst auferlegte Abstinenz vorüber ist, überprüfe, in welchem Maß sich deine Emotionen im Familienkreis noch immer unkontrolliert Bahn brechen. Das mag dir unerheblich erscheinen, doch solltest du noch immer vor Verletztheit und Groll glühen, dann musst du dir vielleicht noch mehr Zeit für dich nehmen. Du möchtest, dass die erwachsene Frau und nicht das verletzte kleine Mädchen in dir bestimmt, wen du dir schließlich zum Partner wählst.

Auf der Suche nach romantischer Liebe

Die romantische Liebe wird die Belastungsgrenze deines spirituellen Wachstums mehr als jede andere Herausforderung auf die Probe stellen. Solange du dich, wenn du allein bist, nicht zufrieden und vollständig fühlst, bist du noch nicht bereit für einen anderen Menschen. So merkwürdig es auch klingt, aber du bist erst dann bereit für die romantische Liebe, wenn du kein verzweifeltes Bedürfnis mehr danach in dir verspürst. Die Prinzipien in diesem Buch ermöglichen dir das Wohlbehagen, das du dir in den Armen eines anderen erhoffst.

Partnersuche

»Wir sind nicht das, was andere Leute von uns behaupten. Wir sind die, als die wir uns kennen, und wir sind das, was wir lieben. Das darf so sein.«

Laverne Cox

Bisher hast du dir vermutlich mehr Sorgen darüber gemacht, ob dich die andere Person wohl mag oder auf dich steht, und dich weniger mit der Frage beschäftigt, ob du sie auch wirklich haben willst.

Aber inzwischen, da du dir die Prinzipien des Buches zu eigen gemacht hast, ist deine Einstellung eine andere. Du betrachtest dich nun als kostbaren und einzigartigen Menschen. Statt dir darüber Sorgen zu machen, ob du ausgewählt wirst oder nicht, findest du fortan aktiv heraus, was du dir an einem möglichen Partner vorstellen kannst und was nicht.

Die Partnersuche ist ein Prozess, bei dem du nach jemandem suchst, der es wert ist und der fähig ist, eine unglaublich wichtige und intime Rolle in deinem Leben zu spielen. Es ist ein Prozess, bei dem du in erster Linie Informationen sammelst, also lass dir Zeit. Führe ein erstes Gespräch, dann ein zweites, drittes, viertes und fünftes – so viele, wie du zu brauchen meinst. Nutze sie, um herauszufinden, wer dieser Mensch ist und ob er fähig ist, deine Anforderungen zu erfüllen. Nutze Verabredungen als Gelegenheit, um festzustellen, ob dir das gefällt, was dieser Mensch dir zu bieten hat. Verzichte unbedingt darauf, den wichtigen Graben zwischen dem Gefühl, jemanden zu mögen, und dem Nichtwissen, ob es für eine Beziehung reicht, allzu rasch zu überspringen.

Historisches Gepäck

Kein Wunder, dass Partnersuche manchmal nervenaufreibend ist. Historisch gesehen, hing unser Leben als Frauen davon ab, ob sich ein Mann uns gegenüber durch Ehe oder als Familienangehöriger als verantwortlich betrachtete oder nicht. Als Frauen über dreißig in Großbritannien 1918 das Wahlrecht erhielten, profitierten zunächst nur verheiratete Frauen davon. Auch heute noch belohnt das Steuerwesen in vielen Ländern Ehepaare. Wenn man dazu den ökonomischen und den sozialen Nutzen addiert, den ein gemeinsamer Hausstand mit sich bringt, das Ticken der biologischen Uhr (wenn wir uns Kinder wünschen) und die soziale Stigmatisierung alleinstehender Frauen, dann kann man leicht nachvollziehen, wie sich die natürliche Sehnsucht nach einem Partner in etwas weniger Gesundes verwandeln kann.

Ab sofort bist du diejenige, die wählt, und nicht die Auserwählte.

Wenn du merkst, dass du dich überwiegend damit beschäftigst, was die Person, mit der du ausgehst, wohl von dir hält oder ob sie dich mag, dann drück die Pausentaste. In dem Augenblick, in dem du versuchst, dir vorzustellen, was die andere Person denkt, bewegst du dich von dir selbst weg. Was andere über dich denken, ist ihre Angelegenheit. Maßgeblich ist, was du von dir hältst – und in diesem speziellen Fall mit der Person, mit der du ausgehst.

Übung: Wie soll dein Partner beschaffen sein?

Diese Übung macht Spaß, egal, ob du auf Partnersuche bist oder nicht. Sie verschafft dir Klarheit darüber, welche Art Partner du brauchst. Falls du dich bereits in einer Beziehung befindest, hilft sie dir, aufrichtig zu bleiben. Wenn du auf der Suche bist, dann kannst du dir mithilfe dieser Übung ein Bild davon machen, was du dir von deinem Partner erhoffst. Und falls du dir gerade eine Auszeit genommen hast, dann kannst du deine Aufzeichnungen später wieder hervorholen, wenn das Thema für dich aktuell wird.

Zieh auf einem leeren Blatt Papier in der Mitte eine vertikale Linie. Schreib über die linke Spalte »Bedürfnisse« und über die rechte »Wünsche«. In die Bedürfnisse-Spalte trägst du die Qualitäten einer Beziehung und die Eigenschaften eines Partners ein, die für dich unverzichtbar sind. So könnte etwa in der Bedürfnisse-Spalte »gegenseitige Anziehung« stehen, in der Wünsche-Spalte aber »gut aussehend«. »Zahlungsfähig« würdest du in die Bedürfnisse-Spalte eintragen, »wohlhabend« jedoch in die Wünsche-Spalte.

Der Grund für diese strenge Differenzierung ist die Wahrscheinlichkeit, dass deine Vorstellungen vermutlich mehr über deine Konditionierung aussagen als über die Werte, die für dein authentisches Ich von entscheidender Bedeutung sind. Diese Zusammenhänge mögen dir vielleicht nicht einmal bewusst sein.

Fülle beide Spalten aus, indem du so viele Details einträgst, wie du magst. Dann nimm das Geschriebene noch einmal gründlich in Augenschein. Fehlt vielleicht etwas auf der Liste, nach dem du dich wirklich sehnst? Ergänze deine Wünsche-Spalte.

Wenn du dir die Zeit dazu nehmen magst, dann geh mit einer vertrauten Person noch einmal durch deine Listen, um zu überprüfen, ob du auch deine Wünsche nicht mit deinen Bedürfnissen verwechselt hast.

Alle Listen unterscheiden sich voneinander, doch gibt es zwei Qualitäten, die auf den Listen aller Frauen vorkommen sollten: »frei« und »liebenswürdig«. Falls du diese beiden Begriffe vergessen hast, dann ergänze sie bitte jetzt. »Frei« heißt, dass die Person sich nicht bereits in einer anderen Bindung befinden und außerdem emotional zugänglich sein soll.

Damit sind natürlich auch alle Personen ausgeschlossen, die mit einer aktiven Sucht kämpfen. Suchtkranke, gleichgültig, woraus ihre Abhängigkeit besteht, sind für gewöhnlich emotional nicht zugänglich. Ihre vorrangige Beziehung ist immer die zu ihrem Suchtverhalten oder Suchtmittel.

Alles, was du in deine Bedürfnisse-Spalte eingetragen hast, ist nicht verhandelbar. Deine berechtigten Bedürfnisse müssen zu hundert Prozent erfüllt werden. Was du dir wünschst, ist weniger wichtig. Sie sind der Zuckerguss auf dem Kuchen, doch ohne den Kuchen sind sie bedeutungslos.

Halte eine Kopie deiner Bedürfnisse-Liste in deinem Tagebuch oder in deinem Handy bereit. Erinnere dich daran, dass du nicht bereit bist, dich mit weniger abzufinden. Dann falte die ursprüngliche Liste zusammen und leg sie in den Kelch der Akzeptanz (siehe »Prinzip 2: Akzeptanz«).

Du hast deinen Kurs festgelegt, und früher oder später wird das Universum reagieren. Woher willst du auch wissen, wann die Zeit gekommen ist? Du lernst jemanden kennen, der deine Bedürfnisse erfüllt. Dein Teil der Abmachung verlangt von dir, dass du dich mit nichts Geringerem zufriedengibst.

Die Goldene Regel

Die Goldene Regel rüstet uns mit einer einfachen Verhaltensvorschrift aus: Wir sollen andere so behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten. Das bedeutet zum Beispiel, nicht mit den Partnern anderer zu flirten. Falls eine solche Person mit dir flirtet, dann finde heraus, ob du darauf eingehen willst. Frag dich, was der Partner dieser Person empfinden würde, wenn er dich sähe, und du weißt sofort Bescheid. Eine etwas primitive Grundregel vielleicht, aber leicht zu vergessen.

Seit Ewigkeiten schickt die Gesellschaft Frauen gegeneinander in den Ring. Der Zeitpunkt, um damit aufzuhören, ist jetzt da! Wir müssen einander behandeln wie wichtige, wertvolle Menschen, wenn wir wollen, dass die Gesellschaft es ebenfalls tut.

Aufrichtig bleiben

»Es ist nicht deine Aufgabe, mich zu mögen. Das ist meine.«

Byron Katie

Ganz egal, wie viel Macht wir auch in anderen Bereichen unseres Lebens haben, viele von uns geben sich trotzdem mit Partnerschaften zufrieden, die in keiner Weise ihren Bedürfnissen entsprechen. Wir tun es aus der bangen Befürchtung heraus, dass sich vielleicht nichts Besseres einstellen könnte. Wir verbergen die Teile von uns selbst, die wir für nicht liebenswert halten, und drehen und wenden uns, bis wir in den Raum passen, den unser zukünftiger Partner uns vielleicht zugesteht.

Natürlich wollen wir gemocht werden. Wir wollen auch erwählt werden und sind bereit, uns einzufügen. Doch wenn wir es zulassen, dass Teile unseres authentischen Ichs unsichtbar sind, dann löschen wir uns schließlich selbst aus und stehen früher oder später wieder am Anfang dieser Reise – verloren und von Schmerzen gequält.

Erinnerst du dich an deine Selbstverpflichtung, die du in dem Kapitel »Prinzip 1: Aufrichtigkeit« eingegangen bist? Dass du in aller Aufrichtigkeit herausfinden willst, wer du wirklich bist? Wenn du dich dabei ertappst, dass du deinem Partner etwas vorspielst, was du nicht bist, nur um ihm zu gefallen, oder wenn du behauptest, Dinge zu mögen, die du in Wahrheit nicht ausstehen kannst, oder wenn du vorgibst, alles sei in Ordnung, obwohl es das tatsächlich nicht ist, dann mach dich sofort daran, den Vorfall und all die damit verbundenen Aspekte zu beachten und zu benennen. Gehe gleich danach in dich, um mögliche Ängste zu lokalisieren, sie zu empfinden und dann loszulassen (siehe »Prinzip 2: Akzeptanz«). Solltest du auf Ängste stoßen, dann nimm dir genug Zeit, um diese verletzten Bereiche in dir zur Ruhe zu bringen. Erinnere dich daran, dass du so, wie du bist, geliebt wirst und liebenswert bist. Kein anderer Mensch kann so wichtig sein, dass du dich selbst dafür jemals wieder im Stich lässt.

Der Großteil meiner Beziehungen während meiner Highschool- und College-Zeit lief nach dem gleichen Muster ab – ich lernte jemanden kennen, verliebte mich und verbrachte jede freie Sekunde mit ihm. Dabei hörte ich gleichzeitig auf, mich um mich selbst zu kümmern und die Dinge zu tun, die mir Freude bereiteten. Ich übernahm seine Interessen, Freunde, Musik und seinen Geschmack und tauchte so gründlich in ihn ein, dass ich mich selbst verlor und nicht mehr wiedererkannte. Früher oder später fing ich an, ihm das übel zu nehmen, obwohl ich es doch war, der sich selbst wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen. Seither habe ich erkannt, dass es eines der größten Geschenke an die geliebte Person und an die Beziehung mit ihr ist, wenn wir der Mensch bleiben, der wir sind, und uns sogar Zeit und Raum für uns herausnehmen, damit wir auch weiterhin authentisch sind.

GA

Vollkommen unvollkommen sein

Wenn wir selbst unsere sogenannten Unvollkommenheiten nicht annehmen, wie können wir dann erwarten, dass irgendeine andere Person es tut? Falls sich in dir gerade Befürchtungen regen, dass du vielleicht den zeitgemäßen Vorstellungen dessen, wie eine Frau sein soll, nicht entsprichst, dann mach dir klar, dass diese Vorstellungen ohnehin unrealistisch sind, und tu das Gegenteil, statt dich noch mehr anzustrengen und zu verbiegen.

Falls du dich für deine Singstimme schämst, dann sing so laut du kannst. Falls du dir Sorgen um dein Gewicht machst, dann trag eng anliegende Kleidung. Falls du Make-up trägst, weil du meinst, deine Haut sei zu dunkel oder zu hell, dann bleibe ganz und gar ungeschminkt.

Tu alles, was notwendig ist, um dich und deine Mitmenschen daran zu erinnern, dass du echt und dreidimensional bist. Du bist keine aus einer Zeitschrift ausgeschnittene Abbildung. Zeig der Welt, dass du so, wie du bist, vollkommen bist.

Wenn ich jemanden kennenlerne, der mir gefällt, dann tue ich drei Dinge. Ich achte darauf, dass die Person mich ohne mein Make-up sieht. Ich sorge dafür, dass sie mich singen hört, denn ich singe für mein Leben gern, auch wenn ich vollkommen unmusikalisch bin, damit muss derjenige also klarkommen. Und ich zeige meine Schwachstellen. Das tue ich nicht, um die Person in die Flucht zu schlagen, sondern um sicher zu sein, dass die Person mich als den Menschen will, der ich bin, mit allen meinen sogenannten Unvollkommenheiten. Wie wir alle sehne auch ich mich danach, geliebt zu werden, und ich versuche, mir meine Aufrichtigkeit zu bewahren, indem ich authentisch bin.

JN

Sexuelle Liebe

Sexuelle Anziehung kann man leicht mit Liebe verwechseln. Es geschieht gar zu leicht, dass man sexuelles Begehrtwerden für Geliebtwerden oder Gemochtwerden als der Mensch, der man ist, hält. Und wenn wir uns unsicher sind, dann kann es verlockend sein, Sex zu nutzen, um Nähe herzustellen.

Doch Sex – und die Gefühle, die er auslöst – kann zugrunde liegende Schwierigkeiten verdecken und uns blind dafür machen, wie eine Situation wirklich ist. Wenn wir dann bemerken, dass unsere Bedürfnisse wohl doch nicht erfüllt werden, kann es uns schwerfallen, die Beziehung aufzugeben, weil wir durch Sex Verbundenheit geschaffen haben und uns zugehörig fühlen.

Versuch also, eine Zeit lang zu warten, bevor du es zum ersten Mal zum Sex kommen lässt. Steck dir einen zeitlichen Rahmen ab. Einen Monat? Zwei Monate? Eine bestimmte Anzahl von Dates? Vielleicht kommt dir diese Vorsichtsmaßnahme abwegig vor, doch mach dir keine Sorgen, jeder, der an dir echtes Interesse hat, wird gerne warten.

Die Kein-Schaden-Regel

Sobald du dir sicher bist, dass du es zum Sex kommen lassen willst, nutze die nachfolgende Regel, um dich zu schützen. Es ist alles erlaubt, vorausgesetzt, du schadest weder dir noch anderen. Das bedeutet, du übernimmst die Verantwortung für deine sexuelle und emotionale Gesundheit, sagst nicht Ja, wenn du eigentlich Nein meinst, und tust nicht so, als gefiele dir irgendeine Praktik, die du nicht magst, nur um deinem Partner zu gefallen. Den Partner anzulügen, nur um ihn zufriedenzustellen, erweist euch beiden einen schlechten Dienst. Die Kein-Schaden-Regel bedeutet außerdem, dass du dich auch nicht zum Objekt machst. Die Gesellschaft ermutigt Frauen dazu, die Selbstvergegenständlichung als Freiheit zu interpretieren. Doch wenn du dich verdrehst, um einem sexuellen Paradigma zu entsprechen, das den männlichen Blick befriedigt, dann magst du dich damit noch so mächtig fühlen, aber in gewisser Weise lässt du dich selbst im Stich und fügst dir somit Schaden zu.

Sexting oder anonymer Sex mit jemandem, den du vielleicht gerade erst bei Tinder kennengelernt hast, mag sich wie Freiheit anfühlen, doch wenn du dabei deine sexuelle und emotionale Gesundheit riskierst, dann handelt es sich um eine Form absichtlicher Selbstverletzung. Also spule schnell vor und stell dir die Frage, wie du dich am Tag danach mit deinem Abenteuer fühlen wirst. Behandle dich selbst so, wie du auch jeden anderen geliebten Menschen behandeln würdest: sanft, freundlich und mit Respekt.

Gesunder Sex macht Spaß und kann unglaublich befreien. Aber er sollte nicht der Kitt sein, der eine halbherzige Beziehung zusammenhält. Außerdem brauchst du nicht zwingend einen Partner, um ein gesundes Sexualleben zu haben. Du kannst lernen, deine Bedürfnisse selbst zu befriedigen, damit dich keine unerfüllte sexuelle Sehnsucht in die Arme von jemandem treibt, mit dem du unter anderen Umständen keine Zeit verbringen wollen würdest.

Liebe oder Verliebtheit?

Verliebtheit und Liebe können sich anfühlen wie wunderbarer Irrsinn. Anfangs ist es fast unmöglich, zwischen beiden zu unterscheiden. Doch wenn es Liebe ist, dann stimmt sie mit deinem authentischen Ich überein. Es ist dir nicht unangenehm, deinen Partner deinen Freunden vorzustellen, und du suchst für ihn keine Entschuldigungen. Du empfindest aufrichtige Zuneigung. Und dir ist die sexuelle Chemie weniger wichtig als die Seelenverbindung. Vielleicht stellst du auch fest, dass die Anziehung erst einsetzt, nachdem ihr einander auf einer tieferen Ebene nahegekommen seid.

Verliebtheit hingegen beruht auf Fantasie. Ihre Blasen zerplatzen, sobald sie in Berührung mit der Wirklichkeit kommen. Manchmal kann starke sexuelle Chemie ein Hinweis auf Verliebtheit sein – das sexuelle Hochgefühl wird benötigt, um sich mit sich selbst oder dem Partner wohlzufühlen. In Zwölf-Punkte-Programmen wird dazu geraten, sofort die Flucht zu ergreifen, wenn sich die sogenannte »Liebe auf den ersten Blick« einstellt, denn mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dem vermeintlichen Seelengefährten um jemanden, der perfekt in unsere Beziehungsschablone aus der Kindheit passt, aber deshalb noch lange nicht »gesund« für uns sein muss. Falls du das Gefühl hast, ständig »high« sein zu müssen, um die Fantasie am Leben zu erhalten, dann leugnest du vermutlich eigene Aspekte oder Aspekte deines Partners. Früher oder später wird die berauschende Phase vorüber sein, und spätestens dann wirst du herausfinden, ob die Sache etwas Reales ist oder nicht.

Ist sie etwas Reales, dann magst du die Person, mit der du dich verabredest. Du bist erfüllt von echten, freundschaftlichen Gefühlen und willst nur das Beste für sie. Erst an diesem Punkt beginnt die Reise tatsächlich.

Ich komme!

Das Streben nach sexueller Erleichterung unterscheidet sich nicht von anderen körperlichen Bedürfnissen. Es ist gesund und natürlich. Deine eigenen sexuellen Bedürfnisse kennenzulernen und herauszufinden, wie du sie befriedigen kannst, hilft dir, dich als Akteur, statt als Objekt zu fühlen. Obendrein findest du heraus, was dich erregt. Eine gleichberechtigte sexuelle Beziehung ist möglich, wenn beide Partner wissen, wie ihre Körper funktionieren.

Die Masturbation dient auch der Gesundheit. Sie wird mit verbesserter Gebärmutterhals- und Herz-Kreislauf-Gesundheit in Verbindung gebracht, mit gesteigerter Beckenbodenkraft und besserem Schlaf.30 Außerdem verringert sie spürbar das Risiko, an Typ-II-Diabetes zu erkranken. Also befreie dich von überlieferter Scham, erkenne deine natürlichen Bedürfnisse an, und befriedige sie.

Die drei Phasen romantischer Liebe

»Wahre Liebe ist keine starke, feurige, ungestüme Leidenschaft. Sie ist ein ruhiges und tiefes Element.«

Ellen G. White

Alle Beziehungen durchlaufen Phasen – insbesondere diejenigen, die länger andauern. Am Anfang steht der Liebesrausch, der für gewöhnlich sechs bis achtzehn Monate andauert. In dieser Phase befinden wir uns auf einem natürlichen Hoch, und unser Partner kann kaum etwas verkehrt machen.

Danach kommt der Machtkampf, und in dieser Phase bleiben die meisten Paare stecken.

Die Eigenschaften, die wir an unserem Partner wahrgenommen haben und wegen der wir uns ursprünglich in ihn verliebt haben, erscheinen uns nun fast unerträglich. Ursprünglich liebten wir ihn, weil er so kontaktfreudig war, jetzt grollen wir ihm, weil er nie zu Hause ist. Nichts schien uns attraktiver als seine Sensibilität, nun kommt er uns hilfsbedürftig oder schwach vor.

Möglicherweise empfinden wir es als zutiefst schockierend, wie sehr sich der geliebte Mensch direkt vor unseren Augen verwandelt hat.

Diese Interpretation ist natürlich unzutreffend, er hat sich nicht wirklich verwandelt – die Wirklichkeit hat lediglich die Projektionen, die wir auf ihn gerichtet hatten, ersetzt.

Der Vertrautheitstanz

Die meisten von uns haben Schwierigkeiten mit Nähe und tanzen den Vertrautheitstango mit ihrem Partner: der eine einen Schritt zurück, der andere einen vor. Falls dies auch dein Tanz ist, dann beachte und benenne das, wovor du Angst hast – mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um die Angst vor dem Verlassen- oder Verschlungenwerden (siehe den Beginn dieses Kapitels). Nutze die lebenswichtigen Praktiken ganz am Anfang dieses Buches, um zu dir zu finden, damit du weder zurückweichen noch dich übergriffig verhalten musst.

Viele Paare verharren für den Rest ihres Lebens oder für die Dauer ihrer gesamten Beziehung in einem solchen Machtkampf. Beide wachen eifersüchtig über die Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse und tanzen dabei oft zu der in der Kindheit erlernten emotionalen Melodie. Auch wenn sich einer der beiden Partner geschlagen gibt, kocht die Spannung auch weiterhin unter der Oberfläche.

Wenn du Glück hast und deine Hausaufgaben machst, dann kannst du die dritte Phase erreichen, in der es keinen Machtkampf mehr gibt. Ein geheiligter Raum ist geschaffen, und die Schwierigkeiten, die sich innerhalb der Beziehung zeigen, werden als Gelegenheiten betrachtet, einander bei Heilung und spirituellem Wachstum zu unterstützen.

Die Magie des Zuhörens

»Zuhören ist handelnde Liebe.«

Katherine Woodward Thomas

Zuhören ist ein Akt der Liebe, dessen wir uns in allen unseren zwischenmenschlichen Beziehungen bedienen können. Doch erstaunlicherweise fällt uns Zuhören und wirkliches Begreifen dessen, was die andere Person sagt, umso schwerer, je näher wir ihr stehen.

Oftmals ist das, was wir als Zuhören bezeichnen, nur ein Warten darauf, dass wir mit Sprechen an die Reihe kommen. Und während wir warten, denken wir bereits über das nach, was wir dann sagen wollen, statt wirklich aufzunehmen, was der andere uns mitteilen will. Doch nur indem wir wirklich zuhören, gelangen wir zur Wahrheit – alles andere heißt nur, zu reagieren auf das, worum der andere vermeintlich bittet oder was er vermeintlich tut. Und an dieser Stelle setzt für gewöhnlich der Konflikt ein.

Übung: Magisches Zuhören

Diese Art des Zuhörens wird deine Interaktion mit der Welt transformieren, nicht nur mit Partnern, sondern auch mit Kindern, Freunden und Arbeitskollegen.

Setz dich deinem Zuhörpartner gegenüber, nah genug, damit ihr euch gegebenenfalls bei den Händen halten könnt, aber nicht so nah, dass ihr gegenseitig in eure persönliche Distanzzone eindringt – wenn ihr einander gegenübersitzt, dann am besten so, dass die Knie sich fast berühren. Atmet beide fünf Mal tief ein und aus. Dann einigt euch auf die Dauer, die jeder von euch an magischer Zuhörzeit erhält, und stellt entsprechend die Eieruhr.

Ihr dürft beide sagen, was euch am Herzen liegt. Es gibt nur eine Regel: Sprecht ausschließlich in Ich-Aussagen. Beginnt eure Sätze mit: »Ich spüre …« Oder: »Ich verstehe …« Verzichtet darauf, die andere Person in irgendeiner Form anzuklagen – es handelt sich nicht um eine Auseinandersetzung. Dies ist eine Gelegenheit, ohne Vorwürfe über eure Gedanken und Gefühle zu sprechen.

Ab und an wiederholt der Zuhörer mit den Worten des anderen das, was die Person gesagt hat. Wenn du eigene Worte verwendest, dann gibst du dem Gesagten deine Richtung, und die andere Person wird sich nicht wahrgenommen fühlen. Du könntest deinen Beitrag mit den Worten einleiten: »Ich habe gehört, du sagst, dass …«, und wenn die andere Person bestätigt, dass du richtig gehört hast, dann sag: »Ich höre dich.«

Wenn es uns nicht gefällt, was die andere Person sagt, oder wenn wir uns verletzt fühlen, dann kann uns Zuhören besonders schwerfallen. Doch deine Gefühle musst du erst einmal für dich behalten, denn während du zuhörst, ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sie zu äußern. Wenn die Zeit der anderen Person abgelaufen ist, dann bist du an der Reihe und darfst deine Gefühle zum Ausdruck bringen. Aber denk daran, es bei Ich-Aussagen zu belassen und dem anderen jegliche Vorwürfe zu ersparen.

Sei mutig. Geh ein Risiko ein. Befreie dich von dem Verlangen, durch Schweigen Kontrolle auszuüben, durch Geschimpfe zu tyrannisieren oder durch Seitenhiebe zu verletzen. Mach dir und deiner Beziehung das Geschenk eines offenen, liebevollen Gespräches.

Mitgefühl

Einen Mitmenschen wahrhaftig anzuhören hilft uns, Verständnis und Mitgefühl zu empfinden. Gut möglich, dass du dem, was du hörst, nicht zustimmen kannst – vielleicht glaubst du sogar, dass die andere Person vollkommen falsch liegt. Doch es hilft euch beiden, wenn du versuchst, ihre Wirklichkeit wahrzunehmen.

Verzichte auf irgendwelche Vorstellungen davon, was die andere Person deiner Meinung nach denken oder fühlen sollte, und stell dir vor, wie du empfinden würdest, wenn du in ihren Schuhen stecken und die Ereignisse so interpretieren würdest, wie sie es tut.

Gestatte es dir, die Dinge wirklich und wahrhaftig aus der Perspektive der anderen Person zu sehen. Du wirst wahrnehmen, wie sie sichtbar entspannt, wenn du zeigst, dass du nicht nur zugehört, sondern auch verstanden hast.

Ich weiß, ich habe in früheren Beziehungen verletzende Dinge gesagt. Ich weiß, ich habe reagiert, statt innezuhalten. Und ich hatte gewaltige Schuldgefühle. In einigen Fällen habe ich um Verzeihung gebeten. In anderen bin ich noch nicht dazu bereit, vertraue jedoch auf die Gewissheit, dass ich irgendwann dieses Ziel erreichen werde.

GA

Wertschätzung

Sobald wir Menschen eine Zeit lang kennen, nehmen wir sie in unserem Leben oft als selbstverständlich hin. Es kann leicht geschehen, dass wir mehr Zeit damit zubringen, uns auf ihre Fehler zu konzentrieren, statt uns an dem zu freuen, was an ihnen wunderbar ist.

Probier aus, was passiert, wenn du einem Menschen, den du liebst – es kann dein Partner, eine Schwester, ein Kind oder eine Freundin sein –, sagst, was du jeden einzelnen Tag der Woche an ihm zu schätzen weißt. Nenne ein konkretes Beispiel, so, wie du es auch im Fall von Kritik tun würdest, und erwähne auch, welche Gefühle die Eigenschaft oder das Tun dieser Person bei dir auslöst.

Je schwerer es uns fällt, dem anderen unsere Wertschätzung zu zeigen, umso dringender ist sie notwendig. Falls du besondere Mühe mit der Aufgabe hast, setz dich jeden Abend hin, und schreib auf, wofür du dieser Person zu danken hast. Worauf du dich fokussierst, das wächst. Je mehr du also nach den guten Eigenschaften eines Menschen suchst, umso mehr wirst du finden.

Ein spiritueller Lehrer gab mir einmal den Rat, an meinen Ex als an meinen »Liebsten« zu denken. Schließlich würden wir, trotz unserer Trennung, für den Rest unseres Lebens zwei Kinder miteinander großziehen, und das mache ihn zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben, ob mir das gefalle oder nicht. Wie du dir vorstellen kannst, fällt mir das nicht leicht. Doch die Male, bei denen ich den Rat des Lehrers befolgen kann und meine Beziehung mit meinem Exmann ausgehend von aufrichtiger Zuneigung und Wertschätzung statt von Groll, Härte und Gegnerschaft führe, verändern meine Wahrnehmung zunehmend. Wenn ich mich aktiv um eine solche Einstellung bemühe, dann tendieren meine Alltagsgedanken über ihn mindestens zu Neutralität, und das an sich ist schon etwas Besonderes. Manchmal empfinde ich aber tatsächlich auch echte Zuneigung, eine wundersame Wertschätzung und tiefe Dankbarkeit.

GA

Eine nonverbale Lösung

Wenn Worte versagen, dann versuch es mit einer Umarmung. Im Streit verhalten sich die meisten von uns zuletzt recht kindisch – und Kleinkinder sind nun einmal nicht gut darin, ihre Meinungsverschiedenheiten zu beenden. Also verzichtet auf Worte und nehmt einander so lange in den Arm, bis sich der emotionale Sturm gelegt hat. Eine Umarmung ist vielleicht das Letzte, was dir in einer solchen Situation in den Sinn kommt, doch ebenso, wie sich ein aufgewühltes Kleinkind durch In-den-Arm-Nehmen beruhigen lässt, gelingt es auch bei den meisten Erwachsenen.

Ihr könnt euch sogar bereits im Vorfeld darauf einigen, euch in den Arm zu nehmen, falls ihr euer Problem nicht innerhalb von dreißig Minuten aus der Welt geschafft bekommt. Haltet euch so lange, bis ihr beide vollkommen entspannt seid, und widersteht der Versuchung, das Gespräch dann noch einmal aufzuwärmen. Beruhigt einander und euch selbst, indem ihr freundlich miteinander seid. Denkbar ist auch, dass ihr euch schon vorher darauf einigt, das Thema in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht noch einmal auf den Tisch zu bringen, und bis dahin erinnert ihr euch vielleicht schon gar nicht mehr daran, worum es bei eurem Streit eigentlich ging.

Übergriffe

Die Forschung zeigt, dass Menschen, die die Grenze zu handgreiflichem Verhalten einmal überschritten haben, es mit großer Wahrscheinlichkeit wieder tun werden. Gleichzeitig fällt es Frauen umso schwerer, sich einer derartigen Behandlung zu entziehen, je länger sie sie akzeptieren.

Die Forschung zeigt außerdem, dass die meisten Frauen zwar meinen, Übergriffe niemals zu dulden, dass es aber im Durchschnitt zu fünfunddreißig Vorfällen kommt, bis eine Frau ihren Partner endlich bei der Polizei anzeigt.31

Wenn du das Opfer von Gewalt bist, dann weihe sofort jemanden ein. Das laute Aussprechen des Unaussprechlichen entfernt dich schon einmal einen Schritt weit davon, das Vorgefallene zu leugnen oder deine Opferrolle zu akzeptieren. Falls du dir nicht sicher bist, ob das, was du erlebt hast, einen Übergriff darstellt, dann sprich mit jemandem darüber, oder melde dich bei einer auf solche Vorfälle spezialisierten Hotline, und lass dich beraten. Du bist verantwortlich für deine Selbstfürsorge, und dazu gehört an allererster Stelle, es niemandem zu gestatten, dich zu verletzen.

Falls du bereits als Kind misshandelt wurdest, dann fällt dir eine solche Reaktion möglicherweise besonders schwer. Falls deine gegenwärtige Beziehung in die Beziehungsschablone aus deiner Kindheit passt, dann kann es sein, dass dein verletztes Ich dir weismachen will, dass die Beziehung »richtig« ist, auch wenn das Verhalten »falsch« war. Nun, da du erwachsen bist, kannst du dir sagen, dass es keine Rolle spielt, wie du den Vorfall interpretierst. Die Fakten sprechen für sich. Niemandem ist es gestattet, dich zu misshandeln. Niemandem. Gut möglich, dass keiner da war, um dich zu beschützen, als du jung warst, aber jetzt ist da jemand, der dir rund um die Uhr Rückendeckung gewährt, und das bist DU.

Als ich mich in einer von Gewalt geprägten Beziehung wiederfand, gab ich mir selbst die Schuld.

Damit hatte ich mich direkt zurück in meine Zeit als verängstigtes kleines Mädchen katapultiert, das für nichts gut genug war. Wie immer musste ich mich stärker anstrengen, höher springen, mehr gefallen. Obwohl ich eine hervorragende Anwältin war und ein Buch über häusliche Gewalt geschrieben hatte, war ich so neben mir, dass ich nicht einmal merkte, wenn es geschah.

Ich brauchte eine Therapeutin, die mir klarmachte, dass die Situation missbräuchlich war. Ich wollte Verständnis für meinen Partner aufbringen, aber sie blieb fest. Übergriffe sind inakzeptabel. Punkt. Sie erklärte mir, ich solle dem jüngeren, traumatisierten Teil meines Ichs sagen: »Das ist nicht in Ordnung. Es ist niemandem gestattet, dich so zu behandeln.« Und erst danach war ich fähig, fortzugehen.

JN

Geschützt durch das Gesetz?

Für eine lächerlich lange Zeit schützten Gesetze und unsere Kultur das Recht der Männer, Frauen zu misshandeln. Vergewaltigung in der Ehe gilt in England erst seit 1991 und in den Vereinigten Staaten seit 1993 als Verbrechen (in Deutschland seit 1997, in Österreich und in der Schweiz seit 2004 bzw. 1992, A. d. Ü.). Der gleichberechtigte Rechtsschutz für Frauen ist im Westen also erst seit Kurzem verwirklicht und fehlt in unglaublichen 127 anderen Ländern noch immer.32

Gehen oder bleiben?

»Der Schlüssel zum Glück ist Freiheit. Der Schlüssel zur Freiheit ist Mut. Der Schlüssel zum Mut ist Liebe.«

Kate Trafford

Wenn die Lage aussichtslos zu sein scheint, dann sagt uns unser Stolz, dass wir die Beziehung beenden sollten. Doch dieser Lösungsansatz hat einen großen, einen entscheidenden Nachteil: Was du in dieser Partnerschaft nicht heilst, das wiederholst du mit großer Wahrscheinlichkeit in der nächsten. Du kannst also, vorausgesetzt, du befindest dich nicht in einer emotional oder physisch missbräuchlichen Bindung, jede Beziehung als Chance zum Lernen und Wachsen nutzen.

Falls deine Beziehung gerade eine schwierige Phase durchläuft, dann kann die Trennung und der Neubeginn in einer anderen Konstellation eine Erleichterung sein. Doch wenn du deine Hausaufgaben nicht gemacht hast, dann ergeht es dir evnetuell wie den Gästen auf der Teeparty des verrückten Hutmachers bei Alice im Wunderland: Du rückst zwar immer einen Sitz weiter, landest aber doch nur wieder an einem Platz mit ebenso dreckigem Geschirr wie zuvor.

Wie man so sagt: Du kannst entweder die gleiche Beziehung mit vielen verschiedenen Leuten haben oder verschiedene Beziehungen mit der immergleichen Person. Wenn du auf dich fokussiert bleibst, dann wirst du wachsen und heilen, egal, ob dein Partner sich verändert oder nicht. Sobald du deine persönliche Entwicklung so weit vorantreibst, dass dein Partner bei dir keine traumabedingten Verhaltensweisen mehr auslöst, weißt du, was auf lange Sicht gut für dich ist.

Indem du dein Leben immer mehr mit Klarheit und Rechtschaffenheit annimmst, schaffst du Raum für die Antworten, die du suchst.

Die Liebe dauert fort

»Du lernst mit jedem Lebewohl.«

Joy Whitman

Wenn eine Beziehung oder enge Freundschaft zu Ende geht, dann sind wir so todunglücklich, dass es sich anfühlt, als sei alle Liebe für immer und ewig dahin. Doch so schwer es uns auch fällt, uns in solch schmerzvollen Zeiten an diese Tatsache zu erinnern: Liebe ist immer und ohne jede Einschränkung vorhanden.

Jede unserer Begegnungen – sei sie nun romantischer oder anderer Natur – trägt in sich das Potenzial wahrer Liebe und Verbundenheit. Sei offen, die Liebe in allen ihren vielen und häufig unerwarteten Gestalten zu erleben. Sie wohnt nicht in irgendeiner einzelnen Person. Während wir uns nach der einen »besonderen« Beziehung verzehren oder uns mit der Frage martern, wie sie denn nur schiefgehen konnte, verpassen wir die Liebe, die jederzeit zu haben ist.

Liebe ist immer da – so wie die Sonne an einem wolkigen Tag – und wartet auf dich und darauf, dass du sie bereitwillig empfängst. Liebe ist Handeln und etwas, wofür du dich aktiv entscheiden musst. Und wenn du es der Liebe durch dein liebevolles Handeln gestattest, in dir zu strömen, dann verbindest du dich nicht nur mit der ewig sprudelnden Quelle der Liebe, die in jedem von uns zu finden ist, du musst auch nie wieder das Fehlen der Liebe beklagen.

Liebevolles Handeln im größeren Rahmen

»Schenke Licht, und die Leute werden ihren Weg finden.«

Ella Baker

Die Lektionen, die wir in unseren für unsere persönliche Entwicklung bedeutsamen Beziehungen lernen, können wir ohne Mühe in die Welt hinaustragen. Wenn wir anderen Menschen zuhören, mit ihnen mitfühlen und sie wertschätzen, dann werden wir bei unseren alltäglichen Begegnungen zu den dringend benötigten Friedenstiftern.

Von frühester Kindheit an lernen wir, uns in Gruppen aufzuteilen: Geschlechtszugehörigkeiten, Familien, Klassen, Teams, Städte, Nationalitäten, Ethnien. Wir beschäftigen uns damit, wer auf unserer Seite ist und wer nicht. Doch es ist unmöglich, sich der einen Gruppe zugehörig zu fühlen, ohne die anderen auszuschließen.

Wenn wir uns auf unsere Unterschiede zwischen uns und den anderen konzentrieren, dann folgen Wertungen und Intoleranz auf dem Fuße. Danach kommt der Hass. Indem wir uns auf die Wahrnehmung unserer Unterschiedlichkeit zwischen uns und den anderen reduzieren, beginnen Fehden, Kämpfe, Kriege und Völkermorde. Intoleranz verursacht noch mehr Intoleranz. Gewalt erzeugt Gegengewalt und zuletzt Abschottung und Terror.

Die Liebe will uns zu der Erkenntnis führen, dass unsere Ähnlichkeiten viel wichtiger sind als unsere Unterschiedlichkeiten. In jeden von uns ist ein Faden der Nächstenliebe eingewoben, der uns alle, einen mit dem anderen, verbindet. Ist es denn bei näherer Betrachtung nicht doch offensichtlich, dass wir als Menschen alle auf der gleichen Seite sind?

Liebe unterscheidet nicht – ganz egal, welche Hautfarbe, Geschlechtszugehörigkeit, sexuellen Vorlieben, Gender-Identifikation, Religion, Gesellschaftsklasse, Behinderung, kulturellen Hintergrund wir haben. Liebe ist Liebe ist Liebe.

Wir müssen einen Menschen nicht kennen und nicht einmal mögen, um ihm Liebe entgegenzubringen. Wir sind zu liebevollem Handeln fähig, auch dann, wenn wir nicht die Liebe in engerem Sinne empfinden – je höher der Einsatz, umso größer ist der Gewinn. Je mehr Liebe du schenkst, umso mehr Liebe empfängst du.

Stell dir vor, was geschehen würde, wenn wir alle es uns erlauben würden, Liebe für jeden zu empfinden – nicht nur für die Mitglieder unserer Familien und Freundeskreise, sondern für jeden, dem wir begegnen.

Probier es bei Fremden aus. Suche nach dem gemeinsamen Menschlichen, das euch verbindet, und tu dein Bestes, um liebevoll zu handeln. Dann richte dein Denken auf die Menschen, die du ablehnst. Befreie dich von deiner Wertung, und suche nach den empfindlichen, verletzten Bereichen, die, oft verborgen, in jedem Menschen vorhanden sind – suche nach dem Teil, der nach Liebe schreit. Vernachlässige die äußere Hülle, und verbinde dich mit ihren Herzen.

Jeder Mensch braucht und verdient Liebe. Auf deinem Lebensweg erwirbst du dir Hilfsmittel, die dir bei der Verarbeitung deiner Verletzungen helfen. Du musst sie nicht wieder und wieder ausleben.

Stell dir in jeder Situation – ob von großer oder kleiner Bedeutung – die Frage: »Was würde die Liebe tun?« Und tu dein Bestes, um diese Antwort umzusetzen. Weigere dich, dich oder jemand anderen zu verletzen.

Besinnung

»Halt dein Gesicht ins Sonnenlicht, und du siehst keinen Schatten.«

Helen Keller

Wenn ich mich auf den Schmerz und das Ringen um mich her fokussiere, dann ist es leicht, Wut, Angst und Hass zu empfinden. Doch wenn ich es mir erlaube, zur Ruhe zu kommen, dann merke ich, dass tief unter meinen negativen Emotionen Liebe verborgen ist. Sie ist wie die Sonne hinter den Wolken an einem regnerischen Tag. Ich muss sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie noch da ist. Wenn ich es den Wolken der Wertung und Angst erlaube, sich zu teilen, und mein Gesicht zur Sonne aufhebe, dann spüre ich die Wärme der Liebe.

Maßnahme: Heute beantworte ich den Blick aller, denen ich begegne, mit Liebe.

Affirmation: Ich bin Liebe.