34

Der Junge erreichte das Ende der Treppe und verschwand hinter dem Absatz. Robin und Kenway stürmten hinterher, der Titan-Fuß schepperte wie ein Roboter, der Champagner schwappte in ihrer Hand. Als sie das unbeleuchtete Apartment erreichte, scannte sie die Schemen und versuchte, etwas Vertrautes, Menschliches zu erkennen.

Wayne stand in der offenen Küche. Er hob ein leuchtendes Viereck hoch und fuchtelte damit über dem Kopf. »Das ist Dads Handy!« Er kam zurück und hielt Leons und sein eigenes Handy in den Händen. »Warum ist Dads Handy hier? Ist Dad hier? Warum sollte Dad hier sein? Er war noch nie hier, oder?«

»Komm her«, forderte Robin ihn auf. Ihre Arme und ihr Nacken kribbelten. »Wir müssen hier raus, sofort.«

Sie packte seinen Unterarm. »Kommt, wir müssen …«

»AAAH!«, schrie Kenway und ging auf ein Knie. Die Zigarette fiel ihm aus dem Mund.

Über ihm stand Leon Parkin.

Leon hielt den Osdathregar mit beiden Händen und hatte ihn Kenway in den Rücken gerammt. Wetterleuchten tauchte die Wolken draußen in Blau und verwandelte die Fenster, die zum Kanal hinausgingen, kurz in eine Reihe flackernder Fernsehbildschirme. Eine seltsame Silhouette, gedrungen und kantig, erschien vor dem trüben Licht von draußen. Das Apartment versank erneut in Dunkelheit.

Wir sind im Arsch, wir sind mitten reingelaufen. Kenway kroch davon, der Silberdolch ragte aus seinem Rücken. Sie ging auf Leon zu, der wie irre grinste, ballte die Fäuste und machte sich auf einen Kampf bereit. Cutty hat gewartet, bis die Magier abgezogen waren, damit sie wieder die Oberhand gewinnt. Robin hatte noch die Champagnerflasche. Die würde sie Waynes Vater über den Kopf hauen. Zuerst muss ich Parkin ausschalten, entschied sie, aber Wayne warf sich ihr gegen die Brust.

»Nein!«, schrie der Junge. »Bring ihn nicht um!«

Nachdem Wayne sie weggedrängt hatte, rannte er zu Leon. Der verhexte Mann riss die Arme auseinander, Augen und Zähne blitzten im Abgrund seines Gesichts auf, und Wayne krachte seinem Vater in den Bauch. Beide purzelten rückwärts die Treppe runter und produzierten mit Knien und Ellbogen ein übles Drumsolo. Leon knurrte. Wayne kreischte. Der Lärm ihres Kampfes war bis oben zu hören, und sie wollte gerade nach unten laufen, als sie Kenway mit dem Messer im Rücken sah und zögerte.

Ein lautloser Blitz erhellte die Fenster, und vor dem Licht zeichnete sich abermals die fremde Gestalt ab. »Wie schön, dich endlich kennenzulernen«, sagte das Ding im Rollstuhl mit einer Stimme wie trockenes Laub, das über einen Gehweg raschelt.

»Morgan«, sagte Robin.

»Morgan«, sagte die Matrone. »Sycorax. Kirke. Kassandra von Apollon. Miss Cleo von der übernatürlichen Hotline. Ich habe es vergessen. Wenn man in meinem Alter ist, vergisst man so einiges.«

Indirekte Küchenbeleuchtung ging mit einem Klick an und tauchte das Apartment in sanftes Licht. Marilyn Cutty stand hinter Kenways Hackklotz. »Happy Halloween, Vögelchen«, sagte die Hexe und kam würdevoll um die Kücheninsel.

Robin riss den Blick von Cutty los, schaute hinüber zu dem Rollstuhl am Rande des Lichts und sah eine dünne, zusammengekauerte Alte, die in eine Decke eingewickelt war.

Die Arme der Matrone waren dürr wie Zweige und endeten in verhärmten, papierartigen Fäusten. Ihr Gesicht war in einem tragischen Stirnrunzeln erstarrt. Die Augen saßen in hängenden Höhlen. Eins der Löcher reichte bis zu den Mundwinkeln und den steifen Lippen und entblößte einen knubbeligen Wangenknochen in grotesker C-Form. Sie war das lauernde Gespenst, das Annie vor so vielen Jahren die Einfahrt hinunter gefolgt war. Sie war Haruko Nakasones prophetisches Geistergemälde. Sie war die ertrunkene Frau in der schwarzen Badewanne.

In der Beuge zwischen dem linken Ohr der Matrone und der Erhebung der Schulter saß ein Stück schweißnasses Fleisch, das sich wand wie das Ei einer Riesenschlange. »Ah ja«, schnarrte die uralte Hexe, die fast von dem Tumor verborgen war. »Happy Halloween, meine Liebe.«

»Champagner«, sagte Cutty. »Es gibt etwas zu feiern, wie ich sehe.«

Vorsichtig stellte Robin die Flasche auf den Boden, damit sie die Hände frei hatte. Ihr Blick ging zu dem Osdathregar, der aus Kenway ragte, und aus den Augenwinkeln sah sie, dass ihn auch Cutty beobachtete.

Zwischen den Lippen des Veteranen glänzte Blut.

Ist er tot? Ihr Herz flatterte in ihrer Brust. Sie stürzte sich auf den Dolch, allerdings war es schon zu spät. Er sprang aus Kenways Rücken und wirbelte durch den Raum in Cuttys ausgestreckte Hand. Ehe Robin reagieren konnte, zeigte Cutty auf sie, und eine unsichtbare Kraft packte sie und warf sie gegen die Wand über dem Bett, wo sie in über zwei Metern Höhe hängen blieb. Bilder lösten sich von ihren Haken, und Leinwandvierecke taumelten gen Boden, wo sie klappernd landeten.

Die Matrone lachte pfeifend.

»Ereshkigal.« Cutty lächelte und kam langsam, aber unaufhaltsam aus dem Küchenbereich. Sie fuchtelte mit dem Dolch. »Wir bebrüten sie schon eine Weile lang. Es braucht seine Zeit, eine tote Göttin wiederzubeleben, weißt du.« Die Hexe lehnte sich lässig an die Kücheninsel und deutete auf die Matrone und den fleischigen, pulsierenden Tumor. »Seit Jahrhunderten arbeiten wir daran, Ereshkigal in die materielle Welt zu holen. Wir verwöhnen sie und ernähren sie mit dem Leben der Dryaden. Mum isst schon sehr, sehr lange für zwei.« Die Hexe spottete traurig. »Halloween. Es ist doch fast zu offensichtlich, nicht? Rührselig. Aber mir gefällt es irgendwie.«

Robin versuchte, sich von der Wand zu lösen, hatte aber keine Chance: Sie war wie festgeklebt. Die Hände konnte sie jedoch bewegen, und während Cutty weiterredete, ließ sie eine in die Jacke gleiten.

»Leider habe ich einige deiner Geburtstage verpasst, Vögelchen«, sagte die Hexe und betonte ihre Worte mit dem Griff des Dolches. »Was für eine Großmutter ich nur bin. So, nachdem deine Magier-Freunde abgereist sind, dachte ich, warum bringe ich Mutter nicht in die Stadt und mache mir einen schönen Abend? Mit einer Überraschungsparty. Ist das nicht wunderbar? Ich wollte, dass du siehst, was Annie und dir entgangen ist. Annabelle hat uns verraten und unsere Familie in Gefahr gebracht. Du hast meine Großzügigkeit abgelehnt und meine Schwestern getötet. Die Zeit für Versöhnung und Waffenstillstand ist vorbei. Dein Lehrer ist tot. Deine Familie ist tot. Dein kleiner Freund ist tot. Jetzt wirst du das Antlitz der Göttin Ereshkigal sehen, und du wirst das ganze Ausmaß deines Versagens begreifen, während sie wiedergeboren wird, ehe du kalt und einsam sterben wirst.«

»Aber ich habe die letzte Staffel Breaking Bad noch nicht geguckt«, sagte Robin trotzig. »Kann ich das nicht erst machen, und dann kommt ihr noch einmal und erweckt die mesopotamische Inkarnation des Todes in unserer Küche? Okay? In der Zwischenzeit behalte ich den Dolch hier.«

»Du solltest …«

Sie wurde unterbrochen, als der riesige Buckel der Matrone aufplatzte – platsch!

Heraus sprühte ein Fluss von … Zuerst war Robin nicht sicher. Es sah aus wie Öl, schwarz und dick – dann erfüllte ein stechender Gestank nach Fisch und faulen Eiern das Apartment. Eiter und Blut und Gott weiß was spritzten in die Luft und ergossen sich um den Rollstuhl herum auf den Boden.

Sogar Cutty war überrascht. »Oh, gute Güte«, sagte sie und zog sich den Kragen ihres Pullovers vor die Nase.

Robins Finger schlossen sich um das Geschenk in ihrer Jackentasche. Sie zog Gendreaus Uhr hervor und drehte sie mit dem Daumen auf. Die Rückwand löste sich mit leisem Klick und enthüllte eine Haarlocke.

Die gerissene Haut über dem riesigen Buckeltumor öffnete sich wie Lippen, und das ganze Ding kippte nach vorn und ergoss seinen Inhalt.

Ein großer Schwall faserigen schwarzen Etwas löste sich aus dem Buckel wie ein Fohlen, das von einer Stute geboren wird, und landete mit einem erstaunlich knochigen Rums auf dem Boden. Der leere Sack klatschte der Matrone in den Schoß und bedeckte mit der losen Haut ihr Gesicht. Suppiger Schleim lief an ihren Beinen hinunter.

Robin nahm das Teratom aus der Uhr, konzentrierte sich darauf und suchte die latente Energie darin. Licht wand sich in Spiralen ihren Arm hinauf, und ihre Haut leuchtete grün von innen heraus, als der Herzweg ihren Kopf erreichte und sie mit fremder Kraft erfüllte. Zu ihrem erstaunten Entsetzen hatte sie das Gefühl, ihr Gehirn habe Finger bekommen, Dutzende, die von innen gegen die Schädeldecke drückten. Die Kopfhaut schmerzte, während sie sich zu dehnen und zu recken schien.

Dann zeigte sie auf Cutty.

Cutty war mit der erschütternden Wiedergeburt beschäftigt, sah jetzt aber auf. Robin richtete die Spitze des Zeigefingers auf den Osdathregar und stahl ihn aus Cuttys Händen, als würde sie eine Datei über einen Computerbildschirm ziehen. Der Dolch bewegte sich aufwärts und schwebte über dem Kopf der Hexe.

»Was zum Teufel soll das?«, fragte Cutty und sah hoch. Robin riss die Hand nach unten. Der Osdathregar schoss abwärts auf die Hexe zu, blieb aber mitten in der Luft stehen, als hätte er ein unsichtbares Hindernis getroffen.

Trotz konzentrierter Miene lächelte Cutty. »Wo hast du denn das gelernt, Vögelchen?«

Wie die Nadel eines Kompasses zitterte der Osdathregar in der Luft, als Robin dagegendrückte. »I get by with a little help from my friends«, stieß sie hervor. Der Dolch war zum Ball im Spiel des Willens geworden, und die Spitze zeigte langsam wieder auf sie.

»Die Hunde des Odysseus?«, schnatterte Cutty. »Die haben so einen schlechten Einfluss auf dich.« Die Hexe stieß mit dem Zeigefinger zu, überwand Robins Widerstand, und der Osdathregar schoss durch das Zimmer. Im letzten Augenblick hob Robin die Hände, und der Dolch bohrte sich in ihre Rechte und kam auf der Rückseite zum Vorschein. Das Heft rammte ihren Handballen, und die Spitze kam weniger Zentimeter vor ihrem Gesicht zum Halt.

Das tut verdammt weh. Die Klinge knirschte zwischen den Knochen, riss den Muskel auseinander und zwang ihre Finger zu Spocks Vulkaniergruß. Sie schrie, bis ihr der Hals wehtat und ihr der Atem ausging.

»Ich tue es ja nicht gern, mein kleiner süßer Dämon, aber Strafe muss sein.« Cutty suchte sich ein Filetiermesser aus Kenways Besteckkorb. Sie ging zu dem Wesen, das sich auf dem Boden krümmte, und durchschnitt die Eihaut, die das Gesicht bedeckte.

Robin packte den Osdathregar und zog ihn aus ihrer Hand, was den Schmerz abermals verstärkte. Blut rann ihren Arm hinunter. Sie schleuderte den Dolch erneut auf Cutty, die aufsah und warnend eine Hand hob.

Der Dolch verharrte mitten in der Luft.

»Du brauchst neues Material«, sagte Cutty und ließ den Zeigefinger kreisen. Der Osdathregar wollte sich wieder drehen, doch Robin formte die Hände zu Pistolen und zeigte auf die Waffe. Dabei heulte sie vor Anstrengung, Tränen standen in ihren Augen, Muskeln spannten sich unter ihrer Haut. Cuttys Gesicht wurde dunkel. »Kennst du die Definition von Wahnsinn, meine Liebe?«

Leuchtend rotes Blut tropfte von der geballten Faust des Mädchens. »Wahnsinnig bin ich vielleicht nicht«, knurrte Robin von der Wand, während ihr ganzer Körper vor Anstrengung zitterte, »aber wohl ganz schön verrückt.«

Die Hexe machte einen Schritt fort von dem Ding auf dem Boden, strengte sich noch mehr an und riss die Augen dabei auf.

»Uungh«, sagte eine tiefe Stimme.

Zuerst dachten beide Frauen, es sei das Ding auf dem Boden, doch wie sich herausstellte, war es das andere Ding auf dem Boden – der große Blonde, dem das Blut den Rücken hinunterlief. Kenway regte sich, kam langsam auf die Beine und stand auf.

»Was machst du denn?«, fragte Robin. »Bleib unten, ich habe alles im Griff.«

»Wir sitzen in der Scheiße, Baby.« Er sah sie an und schätzte die Lage ein. Der Mann krümmte sich vor Schmerzen. Blut lief ihm übers Kinn und über den Hals, da es aus der Wunde bis über die Schulter gelaufen war. Er ging zu dem Dolch, der mitten in der Luft schwebte, und griff mit beiden Händen danach.

»Was soll das?«, schnaubte Cutty. »Halt dich da raus, Bursche!«

Quälend langsam drehte Kenway den Dolch wie ein Druckventil, bis er in die andere Richtung zeigte, auf die Hexe in der Küche.

Schweiß lief Cutty über das graue Gesicht. »Nein! Nein!«

»Ich habe genug von diesem Mist, Lady«, gab Kenway zurück. »Ich mache dem jetzt ein Ende, und wenn ich dabei draufgehe.« Er lehnte sich gegen den Dolch und schob ihn auf sie zu, was sehr komisch aussah, als würde ein Pantomime gegen unsichtbaren Sturmwind ankämpfen. Robin hätte fast gelacht. Cutty reckte die Hände vor, und der Knauf traf ihn an die Lippen, doch er knurrte nur böse und lehnte sich wieder dagegen.

Drei Meter. Zwei Meter. Anderthalb Meter.

Der Osdathregar zitterte in seinen Händen, und dann begann Kenway zu vibrieren wie ein Mann, der einen elektrischen Zaun berührt, und er knurrte weiter, nur diesmal klang es wie eine schleudernde Waschmaschine: »GRR-R-R-AAAH Cutty wich an die Kücheninsel zurück, als sich ihr die Klinge auf Armeslänge näherte.

Robin warf sich wie Superman aus dem Stand nach vorn und schlug mit beiden Fäusten zu. Der Osdathregar wurde Kenway aus den Händen gerissen, schoss das letzte Stück pfeilartig vor und traf Cutty in den Solarplexus, durchbohrte sie und hob sie in die Luft. Robin rammte die Fäuste nach unten wie ein Dirigent beim Schlussakkord, und der Dolch bohrte sich in den Boden und nagelte die Hexe auf die Bretter.

Kenway brach neben ihr auf dem Boden zusammen.

Cutty stieß einen unglaublichen ohrenbetäubenden Schrei aus. Die Herdtür, die Mikrowellentür und jede Glühbirne im Raum explodierten, überall in der Küche regnete es Scherben. Auch die Trinkgläser in der Spüle zersprangen. Sogar über den Fernsehbildschirm zog sich ein Spinnennetz aus Rissen.

Die Kraft, die Robin an der Wand gehalten hatte, ließ nach, und die Hexenjägerin landete auf Händen und Knien und stieß sich das Schienbein dabei an einem Nachttisch.

»Uuuuuuuhr«, stöhnte das aasige Ding mit den Pferdegliedern auf dem Boden.

Robin kam auf die Beine und stolperte hinüber. Eine kantige Form bewegte sich unruhig in einer trüben weißen Eihaut. Der gummiartige Sack war klar genug, dass man hindurchsehen konnte. Dicke schwarze Haarbüschel um bleiche Glieder … ein Ellbogen … eine Hüfte … eine Hand … ein Gesicht.

Ein blutunterlaufenes Auge spähte durch die Membran. Ein Finger bohrte sich durch das Messerloch und riss es weiter auf. Robin fuhr voller Horror zurück und stieß mit dem Fuß gegen etwas.

Die Champagnerflasche.

Sie hatte eine Idee und ging auf das Ding zu, das sich aus seiner Fruchtblase kämpfte. Ihr Herz donnerte in ihrer Brust, durch ihre Adern schoss Adrenalin. Robin nahm allen Mut zusammen und packte die wiedergeborene Ereshkigal. Ihre Finger bohrten sich in das klebrige Fleisch wie in kalte Butter.

Ein dünnes missgebildetes Gesicht starrte sie an, glasige, geäderte Augen unter kaltem klarem Schleim. »EEEEEEEEE

Entsetzt brüllte Robin zurück: »Aaaaah!«, aber sie hatte die Sache einmal angefangen und konnte jetzt nicht mehr zurück. Sie stand auf, beugte sich vor und hob Ereshkigal an den Oberarmen an. Das Gespenst unter der Eihaut kreischte und strampelte wie ein wildes Kind.

Ein harter eigenartiger Wind wirbelte durch das Apartment, wehte und heulte und stank nach Fäulnis und Schwefel, und die Gemälde flatterten und klatschten ihren steifen, hölzernen Applaus. Zettel wurden von den Kühlschrankmagneten gezerrt und flogen durch die Luft und landeten auf der Couch und auf den Schränken. Robins sexy Hexenkleid schlackerte wild um ihre Beine. Mit Mühe hob sie die Ereshkigal-Larve über die leblose Matrone im Rollstuhl und ließ sie auf Morgan oder Sycorax, oder wie sich die greise Hexe auch nennen wollte, fallen. Dann drehte sie sich um, schnappte sich die Champagnerflasche, und …

… erinnerte sich, dass Champagner nicht brennt.

»Scheiße. Scheiße!«, schrie sie in den Hurrikan.

Sie rannte zur Küche, warf die Flasche ins Waschbecken (wo sie zerbrach) und riss die Kühlschranktür auf.

Darin befanden sich ein Eierkarton mit einem Ei, eine Flasche Ketchup, ein Flasche Milch, eine Schachtel mit Resten vom mexikanischen Essen und genug Schnaps und Bier, um eine Kneipe aufzumachen. »Nicht schlecht ausgestattet.« Sie nahm eine Flasche Stolichnaya, stürmte um die Kücheninsel (wich dabei Cuttys greifenden Händen aus) und trat an die Leiche der Matrone im Rollstuhl und die Todesfee in ihrem Schoß heran.

»Neieiein!«, brüllte Cutty. Ihr Gesicht verwandelte sich, wurde zu einem Schlund voller Zähne. Ein bestialisches Licht funkelte in ihren Augen, und sie wölbte sich wild gegen den Griff des Dolches. »Du mieses Stück Scheiße!« Wind schlug gegen die Seite des Gebäudes und heulte durch die zerbrochenen Fenster in die Wohnung. Cutty brüllte fauchend. »Ich reiße dir die Brust auf und fresse dein Herz, Mädchen!« Die Hexe schnaubte wie ein atemloses Pferd und wand sich unter dem Dolch in ihrer Brust. »Wenn ich dieses Ding los bin, zeige ich dir, was Schmerz ist! Du wirst dir wünschen, die verdammte Annie hätte dich niemals zur Welt gebracht.«

»Weiß du was? Ich habe keine Lust mehr, mir deinen Mist anzuhören.« Robin machte einen weiten Bogen um sie und schloss die Kühlschranktür. Dann stemmte sie ihren Fuß an die Wand und klemmte die Finger hinter den Kühlschrank.

Zwei Meter rechts von ihr schaute Cutty neugierig zu.

»Verfaul in der Hölle, Mee-Maw«, sagte Robin und zog.

»Was hast du v…? Nein! Nein!«

Robin schloss die Augen, weil sie das verzerrte Gesicht der Frau nicht sehen wollte, die sie mit aufgezogen hatte, kippte den Kühlschrank von der Wand und ließ ihn auf Marilyn Cuttys Kopf krachen. Der Kenmore plättete den Hexenschädel mit einer Wucht, dass der Boden bebte. Graue Gehirnmasse und Schädelfragmente spritzten in alle Richtungen.

Dünne Stränge aus Energie krochen unter dem Gerät hervor. Blut brutzelte, als wäre der Boden ein Backblech, und löste sich auf, bis nur schwarzer Dreck blieb. Tief in sich bedauerte Robin ihre Tat. »Tut mir leid, Marilyn«, sagte sie und schaute zu, wie die Energie verblasste. Sie konnte sich nicht überwinden, den Herzweg zu absorbieren, der in der verstümmelten Leiche nachklang. Tut mir leid, dass es doch keine Liebe in dir gab. Wir haben dich für ein Geschenk gehalten, aber du warst eine Schachtel voll hinterhältiger Schlangen mit Schleife und Geschenkpapier. Du hast unsere Liebe zu dir ausgenutzt, du hast unsere Familie und mich benutzt, um deinen Zirkel zu stärken. Tut mir leid, dass du nicht die Großmutter warst, für die wir dich gehalten haben.

Nur eins tut mir nicht leid: dir dein Ende zu bereiten.

Sie nahm die Wodkaflasche und wandte sich den beiden letzten Monstern zu, der entstellten Matrone und dem Ding, das wie ein Käfer auf dem Rücken in ihrem Schoß strampelte. »Also los. Zur Sache, Schätzchen«, sagte sie, öffnete den Stolichnaya und näherte sich dem Rollstuhl. In der Flasche schwappte klarer Wodka, und Robin hob sie über die angebliche Ereshkigal. »Wo waren wir stehen geblieben? Wie wäre es mit einer Party, Gollum?«

Sie goss den Schnaps über ihnen aus und beging dabei den üblen Fehler, nach unten in den Rollstuhl zu gucken.

Die Matrone mit dem Loch im Gesicht blickte sie an.

Harte Augen starten sie aus hohlen, vertrockneten Höhlen an. Robin zuckte zusammen. Während der Wodka über das schaurige Gesicht rann, bewegte sich die ledrige Zunge im Mund, und die Hexe sagte heiser: »Yee-Tho-Rah.«

Dunkle Tentakel schossen aus der Schulter der Matrone, wo sich das Teratom selbst geboren hatte. Dünne Pseudopodien schlängelten sich wie schwarze Spagetti über das entsetzliche Gesicht über Brust und Arme und bedeckten sowohl sie als auch die wiedergeborene Ereshkigal und hüllten sie in schützende Wurzeln. Die Tentakel wurden dicker und härter und vermehrten sich und bildeten eine schartige Rinde.

»Yee-Tho-Rah«, sagte die Matrone erneut, und eine Druckwelle löste sich explosionsartig aus ihrem Schädel und warf Robin zu Boden. Knöchel schlugen auf Holz. Ihre Stirn krachte gegen Küchenfliesen.

Und damit war Robin weg.