Da kommst du nicht weg, Pizzamann. »Oh, Gott, oh, himmlischer Gott«, flüsterte Joel vor sich hin und drückte das Gesicht an die blutverschmierten Kacheln. Sein Herz war auf Mach 3. Er spürte den Puls in Hals und Händen. »Du willst mich wohl verarschen.«
(nenn mich die Schlange)
Euchiss blieb oben an der Treppe stehen. »Was zum Teufel ist hier passiert?«
(so haben mich die Zeitungen in New York genannt)
»Was?«, rief Fish.
»Haben Sie das Chaos angerichtet, Mr. Ellis?«
»Chaos? Wovon reden Sie?«
Der Cop trat vorsichtig in die Küchenzeile. »Überall in der Küche ist Blut und Haar, Mann! Sieht aus, als hätte jemand versucht, einen Waschbären im Abfallzerkleinerer durchzumöllern.«
Fish stürmte mit donnernden Schritten hoch in die Wohnung.
»Ach, du Scheiße.«
»Genau das habe ich gemeint, Mr. Ellis. Sie sollten vielleicht Ihre Fähigkeiten als Tierpräparator noch verfeinern, wenn Sie …«
Euchiss verstummte. Joels Herz hämmerte hart wie die Ouvertüre 1812 und pochte bis in die Schläfen. Vorsichtig durchquerte der Cop den Raum, und Joel hörte das leise Schleifen von Plastik an Waffenstahl. Die Fußspuren auf dem Teppich. Die Fußspuren, die ins Bad führen. Er hat sie gesehen. »Ich weiß, dass Sie drin sind, Freundchen«, sagte der Cop. Er stand genau auf der anderen Seite der Tür. »Sie können genauso gut auch rauskommen. Da kommen Sie woanders nicht raus.«
»Joel!«, kreischte Fish. Er schrie heiser und am Rande der Tränen. »Warum hast du meine Katze umgebracht? Was ist in dich gefahren?«
Zuerst wollte Joel Red/Euchiss seine Stimme nicht hören lassen und zögerte, während er rein instinktiv die Hände an die Seiten des Gesichts hielt. »… Ich war das nicht, ich habe das nicht gemacht! Die Katze war’s! Ich habe auf dem Sitzsack gesessen und ferngeschaut, als …«
»Willst du mir weismachen, Selina hat den Abfallzerkleinerer allein angestellt? Und dann ihren Kopf reingesteckt?«
»J-ja!«
»Begreifst du eigentlich, wie beknackt sich das anhört?«
»Ja.« Joels Hals brannte vor Angst und Schuld. Alles war so unwirklich, abgedreht und falsch, als würden sich im nächsten Moment die Fliesen von den Wänden lösen, in einem schwarzen Loch davonwirbeln und ihn in einem Kosmos aus Lügen schweben lassen.
»Sie sollten da jetzt rauskommen«, sagte Euchiss. »Zwingen Sie mich nicht, die Tür selbst zu öffnen. Was dann passiert, wird Ihnen sicherlich nicht gefallen.«
Joel war wieder auf Händen und Knien und spähte unter der Tür durch. Die Naht an seinem Bein zog schmerzhaft, nur das Paracetamol nahm den Qualen die Spitze. Direkt vor dem Badezimmer stand das Laufband, vielleicht zwei Meter entfernt. Euchiss hatte sich darauf gestellt, vielleicht weil es besseren Stand versprach als der Teppich, oder um Joel Platz zu lassen, wenn er rauskam, oder um eine gewisse Distanz zu haben, wenn er seine Pistole abfeuerte – Joel wusste es nicht, aber es brachte ihn auf eine Idee. Er nahm die Fernbedienung des Laufbands aus der Tasche, ging auf ein Knie hoch und packte den Türknauf.
Er zielte mit der Fernbedienung unter der Tür hindurch, nahm seinen ganzen Mut zusammen und drückte die Start-Taste.
Zerp! Das Laufband, das auf höchste Geschwindigkeit eingestellt war, zog dem Cop die Füße unter dem Körper weg. Joel riss die Badezimmertür auf und sah, wie Euchiss mit dem Kopf gegen die Schreibtischkante knallte.
Joel stürmte aus dem Badezimmer, sprang über das Laufband, schwang sich am Geländer herum und landete auf der Treppe, schon halb unten, wobei einige Stiche der Naht aufrissen. Ein Höllenfeuer entflammte in seinem Bein, doch das ignorierte er, machte einfach einen Satz nach unten und rannte durch die offene Tür. Er lief nach rechts und verließ den Raum mit den Videos. Preschte durch den Comicladen aufs Tageslicht zu.
Lieutenant Bowker drehte sich überrascht um und langte nach der Zigarette, die er im Mund hatte.
»Guten Morgen!«, sagte der Officer fröhlich, warf die Marlboro-Kippe weg und rempelte ihn aus der gleichen Bewegung an, wodurch sich Joel den Kopf am Türrahmen stieß. Hinter Joels Augen flammte ein Blitz auf, dann lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem Bürgersteig, und grober Splitt drückte sich in seine nackte Brust. »Schön, dass man sich mal wieder sieht, Junge.« Bowker zerrte seine Arme hinter den Rücken und zurrte die Hände mit einem Kabelbinder zusammen. Der Polizist drehte ihn auf die Seite. »Hast du gedacht, du kommst damit einfach davon?«
Die Sonne stach wie ein heißes Messer durch die frische Oktoberluft und hatte die Pflastersteine in ein Backblech verwandelt. Der Schmerz im Schenkel loderte auf wie ein Brandeisen und stellte alles andere in den Schatten.
Joel blickte die Straße in beide Richtungen entlang und sah ein paar Leute, die auf dem Bürgersteig stehen blieben und gafften. Natürlich waren alle weiß. »Na los, schaut es euch ruhig genau an, Arschlöcher«, murmelte er vor sich hin. »Seht euch an, wie ich hier gefesselt liege. Das gefällt euch, was?« Er schmeckte Salz und leckte an seinen Lippen. Es war Blut von einer aufgeplatzten Stelle. Dann drehte er sich und versuchte, Bowker vors Knie zu treten, doch der Cop streckte den Hintern aus wie eine Cabaret-Tänzerin und wich ihm aus.
»Hilfe!«, schrie Joel in die Morgenstille hinaus und versuchte, seinen Arm loszureißen. »Die wollen mich umbringen! Hilfe!«
»Niemand will dich umbringen, Idiot«, knurrte Bowker, zog die hintere Tür des Streifenwagens auf und drückte Joel ins Innere. Zu seiner Erleichterung rammte der Lieutenant seinen Kopf nicht an die Dachkante.
»Hilfe!«, kreischte Joel, und Bowker knallte ihm die Tür vor die Nase.
Er lag auf der Seite. Er wälzte sich strampelnd herum, bis er saß, dann drückte er die Stirn an die Scheibe und sah Fisher und Kenway aus dem Comicladen kommen. Der große Veteran stützte Euchiss, ja, schleppte ihn fast. Neben Kenway wirkte der Polizist wie ein kleiner Junge. Euchiss setzte sich auf die äußere Fensterbank, beugte sich vor und hielt sich den Kopf mit den Händen.
Kühler Wind wehte durch das Trenngitter in die Bullenschüssel herein. Die vorderen Fenster waren heruntergelassen, daher konnte Joel hören, was draußen gesagt wurde. »Opie! Was zum Teufel hast du angestellt?«, fragte Bowker und ging hinüber zu dem anderen Cop.
Euchiss sah auf und blinzelte in die Sonne. »Ich bin gestürzt.«
»Du bist gestürzt«, höhnte der Lieutenant.
Euchiss warf ihm einen Blick zu, der Stahl hätte schmelzen können. Joel begriff sofort, wer in dieser Partnerschaft die Hosen anhatte, obwohl der körperlich imposante Bowker eigentlich den höheren Rang hatte als der rothaarige Streifenpolizist. »Angriff auf einen Polizeibeamten und Fluchtversuch«, sagte Lieutenant Bowker und wandte sich Fisher zu. »Ihr Bruder hat sich einiges zu Schulden kommen lassen, was? Könnten Sie mir erklären, warum Sie ihn versteckt haben?«
Anstatt den Köder zu schlucken, beugte sich Fisher ins Beifahrerfenster des Streifenwagens. »Ich habe keine Ahnung, was mit meiner Katze passiert ist, aber ich folge dir zum Polizeirevier und stelle die Kaution für dich. Du kannst mir alles auf dem Weg nach Hause erklären.«
»Die lassen mich niemals gegen Kaution frei. Die sperren mich ein«, sagte Joel. »Die schleppen mich irgendwohin und schießen mir eine Kugel in den Kopf.« Er zog zum Beleg das Knie hoch und zuckte angesichts des Schmerzes zusammen. »Das haben die doch schon mal versucht. Die werden …«
Mit gereiztem Blick zog Bowker einen zweiten Kabelbinder aus dem Gürtel und trat hinter Fish.
»Hey, nein! Nein!«, schrie Joel.
Fisher wollte sich umdrehen, doch der Polizist hatte eins seiner Handgelenke gepackt und nach hinten gedreht und drückte ihn nun an die Seite des Wagens. »Sie sind fit wie ein Turnschuh, hä?«, fragte der Cop und fesselte seine Arme zusammen.
»Hallo, was machen Sie da, Alter?«, fragte Kenway. »Fisher hat nichts angestellt. Hören Sie auf.«
»Was soll das?«, fragte Fisher. »Lassen sie mich los …«
»Festnahme, weil Sie einem Flüchtigen Unterschlupf gewährt und sich der Festnahme widersetzt haben.« Joel lehnte sich zurück, während Bowker die Tür öffnete und Fisher hineinschob, sodass er auf seinem Bruder landete. Joel schob sich zurück, um unter Fisher hervorzukommen.
»Wenn ich diese Handschellen wieder los bin«, sagte Fisher, »kriegen Sie einen Tritt in den Arsch. Und danach rufe ich meinen Anwalt an.«
Joel drückte sich an die andere Tür; Fisher sah aus wie ein wildes Tier, fast so, als wollte er sich aufbäumen und ihn tottreten. Die Situation wäre beinahe lustig gewesen, wenn die Lage nicht so ernst wäre – das Ganze erinnerte an schwüle Sommerabende ihrer Kindheit, wenn sie zusammen auf der Rückbank im Wagen der Eltern gesessen hatten, Mama und Daddy vorn, Joel und Fisher hinten. Lass deinen Bruder in Ruhe! Zwing mich nicht zu wenden! Er legte den Kopf in den Nacken und leckte sich die trockenen Lippen. »Mein Bein bringt mich um. Pass auf, Mann, ich habe deine Katze nicht gekillt. Bei Gott, ich schwöre, sie hat den Müllzerkleinerer allein angemacht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wieso, aber sie hat’s getan.« Er sah hoch und deutete auf Euchiss, der auf der Fensterbank hockte und sich den Kopf hielt. »Und der Kerl«, murmelte er vertraulich, »ist der Serienkiller, vor dem ich geflohen bin. Den Bowker ›die Schlange‹ genannt hat.«
Fish erstarrte. »Der Kerl? Aber er ist ein …«
»Ja, ein Cop. Wie ich es dir gesagt habe, die stecken alle unter einer Decke. Sie arbeiten für diese Hexenweiber draußen in der Slade-Siedlung. Die gegenüber den Martines wohnen. Vielleicht war Mama am Ende doch gar nicht so verrückt.« Joel schob sich im Sitz zurecht und bewegte die Hände zum Hosenbund seiner Jeans. Er zog sie nach unten und enthüllte seine rechte Pobacke und die Narbe auf der Haut. »Scheiße, scheiße. Jetzt hat das alles plötzlich einen Sinn.«
»Was?«
Bowkers Telefon klingelte und unterbrach ihr Gespräch mit der Titelmelodie von Bonanza. »Hallöchen?«
Joel betrachtete die Pobacke, die er entblößt hatte, und sagte: »Pass auf. Die Brandzeichen, die uns Mama auf den Hintern gebrannt hat, als wir klein waren. Das waren ›Schutzrunen‹ wie die, die sich Robin auf die Brust tätowiert hat.« Ein vierendiges Y von ungefähr zweieinhalb Zentimetern Länge bildete eine Narbe auf seiner Haut. Ein Algiz. Der mittlere Strich der Rune war ein bisschen länger als die beiden anderen, sodass es aussah wie der Abdruck eines Hahnenfußes. »Robin Martine hat es Al-Jazira genannt.«
»Der arabische Fernsehsender?« Fish zuckte verwirrt. »Was haben die damit zu tun? Die Tochter dieser Frau ist in der Stadt? Hast du mit ihr gesprochen?«
»Ja. Keine Ahnung, vielleicht hat deine Katze Selbstmord begangen, weil diese Hexen mir irgendwas antun wollten, und das Ding auf meinem Hintern hat mich gerettet. Vielleicht sollte ich mich umbringen, und stattdessen hat es Selina erwischt.«
Fish spitzte die Lippen und sah ihn schief von der Seite an.
Bowker beendete das Gespräch und sagte zu Euchiss: »Planänderung.« Die rothaarige Vogelscheuche stand auf und setzte eine Sonnenbrille auf. »Der Boss hat angerufen und uns einen Job gegeben. Komm. Wir müssen runter zum Tierheim und ein paar Katzen abholen. Warum auch immer jetzt gerade. Cutty möchte, dass wir uns alle Katzen unter den Nagel reißen, die sie haben.«
»Was ist mit den beiden?«
»Die andere Sache ist wichtiger. Die können uns helfen.«
»Wichtiger?«, fragte Kenway mit düsterer Miene. »Nein, ich will gar nicht mit Ihnen beiden reden. Sie zwei machen einen Fehler.«
Der birnenförmige Lieutenant beachtete ihn nicht, trampelte ums Heck des Streifenwagens und setzte sich hinters Lenkrad, während sich Euchiss auf den Beifahrersitz fallen ließ.
»Was ist mit dem Burschen?«, fragte Euchiss, deutete mit dem Daumen auf den Veteranen und legte sich derweil den Sitzgurt an. Joel blickte aus dem Heckfenster und sah Kenway dastehen, einen dicken Schlüsselring in einer Hand. Er wirkte verwirrt und zunehmend wütender.
»Um den kümmern wir uns später. Für seinen großen Hintern haben wir sowieso keinen Platz mehr im Wagen. Und um ehrlich zu sein, finde ich die Aussicht nicht besonders verlockend, dem blonden Bastard die Hände auf den Rücken zu fesseln. Ich habe so das Gefühl der könnte uns beide arschficken und bräuchte nicht mal die Hände aus den Taschen zu nehmen.« Bowker setzte den Wagen in Bewegung und fädelte sich in den Verkehr ein. »Der kann warten, bis wir zurückkommen, und er wird glauben, wir fahren zum Revier. Wenn wir mit dieser Sache fertig sind, holen wir uns schnell was zu essen, fahren danach hierher zurück und unterhalten uns mal mit ihm.«
»Und wenn er aufs Revier kommt?«
»Na, dann werden wir ja nicht da sein, oder?«
Euchiss drehte sich um und starrte Joel durch das Trenngitter an. Joel starrte wachsam zurück. »Das hast du bestimmt sehr lustig gefunden, was? Das Laufband in Gang zu setzen, während ich draufstehe?«, fragte Euchiss mit Gift in der Stimme. »Vielleicht habe ich eine Gehirnerschütterung.«
»Was denn, soll ich jetzt weinen? Sie haben mich in einer Garage verkehrt herum aufgehängt und wollten mir die Kehle aufschlitzen.«
Euchiss zeigte zitternd mit dem Finger auf ihn. Seine Lippen klebten zusammen, als er sprach. »Blut für den Garten, Arschloch. Vergiss Kehle aufschlitzen – ich hänge dich da wieder auf, und dann säge ich dir den Kopf ab wie einer dieser Turbanterroristen. Und das …«
»Hey, es reicht mit deinem Köpf-Mist«, warnte Bowker, schlug ihm mit der Rückhand auf die Brust und hielt ihm den Zeigefinger vor die Nase. »Wir sind doch keine verdammten Taliban.«
Geschlagen drehte sich Euchiss nach vorn, verschränkte die Arme und lehnte sich zurück wie ein kleiner Junge vorm Tobsuchtsanfall.
Der Lieutenant schüttelte den Kopf. »Du kannst ruhig ausrasten, wenn du willst – mir ist das kackegal, wen du kennst. Aber ich habe Grenzen, und du bist im Begriff, sie zu überschreiten. Meine Mama hat mich zu einem gottesfürchtigen Mann erzogen, nicht zu einem wilden Heiden.«
»Gottesfürchtige Männer tun aber nicht solche Dinge wie Sie«, sagte Joel.
»Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt«, knurrte Bowker über die Schulter. »Ich sollte dich eigentlich gleich abknallen für das, was du gestern Nacht mit deiner Schrotflinte angestellt hast. Aber wir haben gerade Wichtigeres vor, und dabei könnt ihr mit anpacken. Ihr wurdet gerade freiwillig zwangsverpflichtet.«
Restaurants und Tankstellen zogen in einer Parade bunter Schilder vorbei. Sie fuhren die Broad Avenue entlang nach Westen und dann auf die Main in Richtung Süden, mitten durch das Herz des Geschäftsviertels. Der Mittagsverkehr umfing sie wie ein Getümmel aus Licht und Stahl.
Fisher gab noch nicht auf. »Wohin geht es eigentlich?«
Keine Antwort.
Der Streifenwagen schlängelte sich durch die Innenstadt, vorbei an der Universität und der dreizehnstöckigen Bibliothek durch die feineren Straßen und dann in die verruchteren Viertel. Bowkers verschlungener Weg führte durch Gegenden, die Joel schon einige Male aufgesucht hatte, und zwar meistens, um Haschisch zu kaufen.
Dealer und Sexarbeiterinnen trieben sich auf den Gehwegen vor heruntergekommenen Reihenhäusern mit vernagelten Fenstern herum, und aus den Mauern stillgelegter Fabriken mit eingeworfenen Fensterscheiben spross Unkraut. Lebensmittelgeschäfte mit Eisengittern vor den Fenstern. Schmutzige, mit Brettern verkleidete Hütten auf wuchernden Rasenflächen mit verstreutem dreckigem Spielzeug. Eine alte Frau im Nachthemd stand mit einem Sauerstoffbehälter an der Straße und brüllte die vorbeifahrenden Autos an.
Kahle Granitkanten ragten aus Hügeln. Schließlich wurde der Lieutenant langsamer und bog in eine Seitenstraße ab, die in ein Waldstück führte, wo immer weniger und dann gar keine Häuser mehr standen, nur tote braune Bäume, die in den Himmel griffen, und altes Laub auf welligem Gelände.
Joel dachte schon, sie würden die Stadt verlassen, als der Wagen knurrend auf einen kiesbedeckten Parkplatz fuhr. Ein Metallschild, das mit Kabelbindern an einem Maschendrahtzaun befestigt war, verriet, dass sie das Tierheim Blackfield erreicht hatten. Das einzige andere Fahrzeug war ein Klein-LKW mit Kofferaufbau. Bowker parkte auf der anderen Seite, die beiden Cops stiegen aus und betraten ein großes Ziegelgebäude. Euchiss kam zurück, öffnete den Kofferraum des Streifenwagens und nahm ein Jagdgewehr heraus. Joel war nicht sicher, um welches Kaliber es sich handelte, aber es hatte einen Kammerverschluss und ein Fernrohr. Er nahm eine Schachtel Patronen dazu, warf den Kofferraum zu und verschwand im Tierheim.
Nachdem die beiden gegangen waren, herrschte Schweigen im Wagen, unterbrochen nur von unverständlichem Müll aus dem Polizeifunk. Fisher standen Tränen in den Augen und Verwirrung ins Gesicht geschrieben. »Was machen die im Tierheim? Haben die nicht was von Katzen gesagt?«
»Keinen Schimmer. Ich will es auch gar nicht wissen.«
»Was hast du über Schutzrunen und Hexen und Robin Martine gesagt?«
Joel drückte die Stirn schräg an die Scheibe und versuchte durch die Fenster ins Gebäude des Tierheims zu spähen. Innerhalb des Zaungeheges gab es ein Labyrinth aus Maschendraht: kleinere Käfige für einzelne Hunde. Von seinem Sitzplatz sah er Dutzende großer Tiere: Rottweiler, Deutsche Schäferhunde, eine kleine Armee Pitbulls.
»Tja, nachdem, was Robin Martine mir erzählt hatte, wird die Magie der Hexen durch Worte und Symbole beherrscht.« Joel berichtete seinem kleinen Bruder, was Robin ihm und Kenway im Wagen erklärt hatte, nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatten. »Das Symbol, das auf unseren Hintern eingebrannt ist, trägt Robin auf der Brust. Es beschützt dich vor ihrer Magie so wie Insektenspray vor Mücken, glaube ich. Scheiße, ich habe keine Ahnung. Aber ich glaube, die Selbstmordaktion deiner Katze hängt damit zusammen.«
Fish warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
»Nein, ehrlich. Laut Robin können die Hexen Katzen opfern und ihre Seelen in Menschen schicken und so Zombie-Sklaven erschaffen. Und die Symbole auf unserem Hintern haben uns davor gerettet.«
»Einmal angenommen, ich würde den Unfug glauben«, sagte Fish. »Wenn es stimmt, dass irgendeine Hexe meine Katze zum Selbstmord getrieben hat, wo ist dann …« Er verkniff sich das Ende des Satzes, als hätte er auf etwas Saures gebissen, und sein Gesicht verzog sich qualvoll für eine Sekunde. »Wo ist dann Selinas Seele geblieben?«
Joel hatte darauf keine Antwort.
Die beiden schwiegen niedergeschlagen und angespannt.
Nach vielleicht einer halben Stunde kamen Bowker und Euchiss schließlich heraus. Der Lieutenant ging auf die gegenüberliegende Seite des Gebäudes und öffnete ein breites Schwingtor im Zaun. Euchchiss trug das Jagdgewehr zum Klein-LKW und setzte den Wagen rückwärts hinter das Gebäude.
Bowker kam zum Streifenwagen und zog die Pistole.
Unterwegs zog er den Schlitten zurück, lud eine Kugel durch und ließ den Schlitten vorschnellen, kl-klack! Joels Herz machte einen Satz, doch der Cop stellte sich bloß neben den Wagen, starrte in den Wald und rieb sich den Kinnbart.
Eine Weile später kam die selbst ernannte Schlange aus der Umzäunung. Bowker öffnete Fishers Tür, Euchiss die von Joel. »Aussteigen«, knurrte der Killer und zog ihn am Arm. Joel taumelte, der Kies drückte sich in seine nackten Füße. »Wenn ihr versucht, Mätzchen zu machen, bläst euch mein Kumpel das Hirn raus.« Er grub in seiner Tasche, zog ein Mehrzweckmesser heraus und klappte es auf. Joel zuckte zusammen, doch Euchiss hielt ihn fest und schnitt den Kabelbinder durch.
Dann drehte er Joel an der Schulter um und schob ihn auf das Tierheim zu. »Geh.«
Joel rieb sich die Handgelenke. »Was sollen wir denn machen?«
»Habe ich gesagt: rede?« Euchiss schnitt Fish die Fesseln durch, zog seinen Taser hervor und lud eine neue Kartusche. »Wir haben hier ein bisschen echte Arbeit zu erledigen. Miss Cutty möchte, dass wir einen Stapel Käfige in den LKW laden und sie zum Steinbruch bringen.«
Die vier gingen in die Umzäunung und zur Rückseite des Gebäudes über einen Kiesweg zu einer offenen Tür, vor der der kleine LKW abgestellt war.
Als sie näher kamen, hörte Joel das Jaulen von Katzen aus dem Tierheim. Im Inneren erwartete sie ein schrecklicher Anblick. Vielleicht zweihundert Drahtkäfige waren in einem weitläufigen Betonraum gestapelt, jeweils sechs übereinander. Sie waren klein, eher Waschbärfallen als Tierboxen. Der beißende Gestank von Katzenkot in der Luft ließ die Augen tränen, und eine Armee von winzigen Pfoten reckte sich durch die glänzenden Stangen wie die Hände von Kriegsgefangenen in einem mittelalterlichen Kerker.
»Oh Gott«, entfuhr es Fish.
»Ladet die Käfige in den LKW«, sagte Euchiss.
»Was machen Sie mit denen?«
»Ich weiß es, und du wirst es noch herausfinden.« Der rothaarige Killer drängte ihn mit dem Taser voran. »Zack, zack. An die Arbeit.«
Der polierte Betonboden war eiskalt und glatt wie Marmor unter Joels nackten Füßen. Er ging zum vordersten Stapel Käfige – hier waren es nur drei Stück übereinander – , schob die Finger zwischen die Stäbe und hob ihn hoch. Die plüschige Katze darin schlug mit der Pforte nach seiner Hand und jammerte mit heiserer Stimme: »Jaaauull.«
Joel sah Bowker an. Der Lieutenant zog die Mundwinkel zurück und setzte ein fieses, gebieterisches Lächeln auf. Na los, mach schon, was man dir gesagt hat.