Ein Blick in den Himmel

»Im Osten geht die Sonne auf, im Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen.« Mit diesem einfachen Reim können wir fast alles beschreiben, was sich an unserem Himmel abspielt. Alle täglichen Bewegungen der Himmelskörper, wie Sonne, Mond oder Sterne, beginnen im Osten, und dann wandern sie über den Süden nach Westen. Das liegt – wie Kopernikus richtig annahm – an der Rotation der Erde. Wenn wir die Sonne am Horizont aufgehen sehen, müssten wir also eigentlich statt von »Sonnenaufgang« von der »Erd-Sonnen-Einwärtsdrehung« sprechen. Da das aber leider nicht so leicht über die Lippen geht, hat es sich nicht durchgesetzt. Besser so.

Aber was ist mit dem Mond? Was macht der eigentlich den ganzen Tag? Auch er bewegt sich von Osten nach Westen über den Himmel. Grundsätzlich ist der Mond ein faszinierender Himmelskörper. Er wechselt die Form von Tag zu Tag, steht mal als schlanke Sichel vor einem blauen Himmel, mal als strahlender Vollmond blutrot getränkt am Horizont, oder er verdeckt als Neumond die Sonne und stürzt den helllichten Tag für ein paar Minuten in pechschwarze Nacht.

Eine Sonnenfinsternis ist seit Menschengedenken ein markerschütterndes Erlebnis. Bereits die antiken Babylonier waren in der Lage, sie vorherzusagen. Dafür stützten sie sich auf Regelmäßigkeiten bei Auf- und Untergang von Sonne und Mond und fanden heraus, dass eine solche Eklipse alle 223 Mondmonate auftritt. 48 Auch in China wurde den Eklipsen schon vor über 4000 Jahren eine besondere Bedeutung beigemessen. Dort und damals galten sie als religiös-mythische Ereignisse: Angeblich schob sich ein Drache vor die Sonne, um sich den Feuerball einzuverleiben. Um das zu verhindern, zogen die Chinesen, bewaffnet mit Trommeln, Pfeilen und Bogen, gegen ihn in die Schlacht. Wundersamerweise waren sie dabei jedes Mal aufs Neue erfolgreich: Die Sonne kam wieder. Entsprechend war es eine der obersten Prioritäten der chinesischen Hofastronomen, jede einzelne Sonnenfinsternis vorherzusagen. Eine chinesische Legende erzählt von Hi und Ho, den Astronomen des damaligen Kaisers. Die beiden nahmen ihre Aufgabe nicht immer ganz so ernst, führten stattdessen ein Lotterleben und waren ständig betrunken. So verpassten sie es fatalerweise, die Sonnenfinsternis am 13 . Oktober 2128 v.u.Z. vorherzusagen, und wurden zur Strafe hingerichtet. 49 Eine Legende aus dem alten Griechenland beschreibt, wie sich in einer epischen Schlacht zwischen Lydern und Medern am 28 . Mai 584 v.u.Z. ein Schatten vor die Sonne schob und den Tag zur Nacht machte. Beim Anblick des Spektakels ließen die Kämpfenden ihre Waffen fallen, und noch am selben Tag wurde Frieden geschlossen, dem Himmel sei Dank. 50

Dass der Mond überhaupt in der Lage ist, die komplette Sonne zu verdunkeln, grenzt an ein Wunder. Denn dafür müssen Sonne und Mond sich in einem perfekten Größe-Abstands-Verhältnis zueinander befinden. Die Sonne ist zwar etwa 400 Mal größer als der Mond, aber der Mond ist uns auch 400 Mal näher als die Sonne. Durch dieses unglaubliche kosmische Zusammentreffen erscheinen beide an unserem Himmel exakt gleich groß, was die Sonnenfinsternis erst möglich macht. Wer jetzt Lust bekommen hat, ein solch monumentales Ereignis einmal selbst mitzuerleben, muss sich, zumindest in Europa, noch eine Weile gedulden: Die nächste totale Sonnenfinsternis wird am 12 . August 2026 stattfinden und vor allem in Island und Spanien gut zu sehen sein. In Deutschland, Österreich und der Schweiz müssen wir uns noch bis zum 3 . September 2081 gedulden. Eine ausführliche Liste mit den Daten aller Sonnenfinsternisse der nächsten Jahrzehnte findet sich über den Link in der Fußnote. 51

Eine Sonnenfinsternis vorherzusagen, ist die eine Sache, zu verstehen, wie sie genau verursacht wird, eine andere. Der griechische Philosoph Anaxagoras glaubte schon vor über 2500 Jahren, dass der Mond, ganz ähnlich wie die Erde, ein Gesteinskörper sei: 52 Er leuchtet nicht von selbst, sondern reflektiert lediglich das Licht der Sonne. Anaxagoras zufolge waren Sonne und Mond keineswegs Gottheiten, über die man nicht fachsimpeln durfte, sondern schlicht und ergreifend Himmelskörper mit geometrischen Eigenschaften. So konnte er problemlos Mondphasen und Eklipsen wissenschaftlich korrekt erklären, weit vor Kopernikus, Galilei und Co.! Er verstand auch, wieso es die Mondphasen überhaupt gibt. Warum ist unser Mond mal voll erleuchtet, mal nur als Sichel und manchmal gar nicht zu sehen? Warum steht er manchmal mitten am Tag am blauen Himmel, weiß er etwa nicht, dass er nur nachts arbeiten muss?

Für Interessierte kommt hier eine kleine Astronomie-Challenge: Dokumentiert mal im Verlauf von ein, zwei Monaten, wann der Mond aufgeht und welche Form er dabei jeweils hat. Wo steht die Sonne in diesem Moment? Dabei werdet ihr schnell merken, dass der Zeitpunkt des Mondaufgangs ganz schön stark variiert. Er findet jeden Tag etwa 30 bis 70 Minuten später statt als am vorherigen. Interessant ist hier die Regelmäßigkeit bei Vollmond: Jedes Mal, wenn der Mond als kreisrundes Käserad am Himmel auftaucht, ist es Abend. Der Vollmond geht immer dann auf, wenn die Sonne untergeht, und verabschiedet sich von seiner Nachtschicht, wenn die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages zu sehen sind. Warum ist das so?

Abbildung 2.7:
Mondphasen erklärt

Der Mond leuchtet bekanntlich nicht von sich aus, sondern wird nur von der Sonne angestrahlt. Und er kreist um die Erde. Steht er zwischen Sonne und Erde, ist Neumond. Wir können ihn dann gar nicht oder nur schemenhaft am Himmel sehen, weil die Sonne seine Rückseite anstrahlt. Die uns zugewandte Seite liegt komplett im Schatten. Etwa 14 Tage später ist Vollmond. Der Mond steht nun nicht mehr zwischen Sonne und Erde, sondern hinter der Erde. Das Licht der Sonne fällt zu 100 Prozent auf die Mondseite, die uns anschaut. Deshalb geht der Vollmond immer abends auf: Wir können ihn erst sehen, wenn sich die Erde von der Sonne wegdreht. Wenn das passiert, geht die Sonne unter, und der Mond geht auf. Logischerweise kann auch nur in dieser Stellung eine Mondfinsternis auftreten, und zwar nur dann, wenn der Schatten der Erde perfekt den Mond abdeckt. Dazu kommt es etwas häufiger als zu der für eine Sonnenfinsternis typischen Konstellation, nämlich bis zu sechs Mal pro Jahr!

All das verstand auch schon der erwähnte Anaxagoras. Durch seine Theorien, mit denen er die Bewegungen am Himmel erklärte, schuf er überhaupt erst das Gedankenkonstrukt eines geometrischen Raumes – des Raumes, den wir heute Weltraum nennen. Doch obwohl der griechische Philosoph während der »intellektuellen Revolution« Ioniens 53 im 6 . Jahrhundert v.u.Z. lebte, waren seine Ideen zu radikal und ketzerisch für die Öffentlichkeit. Da er Sonne und Mond nicht als Gottheiten begriff, sondern als Objekte »verunglimpfte«, zerrte man ihn vor Gericht. Er entging nur knapp der Hinrichtung und wurde in die antike griechische Stadt Lampsakos verbannt, wo er den Rest seines Lebens zubrachte. 1935 wurde ein Mondkrater an der Nordseite unseres grauen Begleiters nach ihm benannt.