Im selben Jahr, in dem Galilei sein Fernrohr der Öffentlichkeit vorstellte, publizierte der in der Nähe von Stuttgart geborene Johannes Kepler seine Astronomia nova, die Neue Astronomie . Darin enthalten sind seine Planetengesetze, mit denen er berechnet hatte, dass die Umlaufbahnen aller Planeten keine perfekten Kreise, sondern Ellipsen seien, in deren Brennpunkt die Sonne stehe. Wie er das beweisen wollte? Nun, Kepler hatte sich einige Jahre zuvor einen höchst umfangreichen Wissensschatz angeeignet. Gleich zu Anfang des 17 . Jahrhunderts hatte er die Stellung als kaiserlicher Hofmathematiker in Prag angetreten. Sein Vorgänger, der ihm einen riesigen Berg wahnsinnig präziser astronomischer Beobachtungsdaten vererbt hatte, war niemand Geringeres als der große Tycho Brahe, für den Kepler zwei Jahre lang, bis zu dessen Tod im Jahr 1601 , als Assistent gearbeitet hatte. Brahe war eine einflussreiche Persönlichkeit und hatte zeit seines Lebens Zugang zu einer unglaublichen Menge an astronomischen Werkzeugen. Er selbst hatte 1572 eine Supernova mit dem bloßen Auge gesehen, ein Ereignis, das ihn dazu inspirierte, eine Karriere als Astronom zu verfolgen. 63 Eines Nachts leuchtete ein neuer Stern am Himmel, heller als die Venus und alle anderen Gestirne, in einer Intensität, die Brahe sprachlos machte. Beobachten ließ sich die Supernova von November 1572 bis März 1574 , dann verschwand sie wieder im Schwarz der Nacht.
Supernovae entstehen unter anderem dann, wenn ein Stern, der mindestens acht Mal so massereich ist wie unsere Sonne, am Ende seiner Lebenszeit steht und sein Kern in sich kollabiert. Dabei kommt es zu einer Explosion, die so hell ist, dass der Stern für kurze Zeit stärker leuchtet als die gesamte Galaxie, in der er sich befindet. 64
Außer für die Beschreibung und Untersuchung dieses aufregenden Ereignisses war Brahe noch für viele andere Dinge bekannt: Zum einen trug er eine golden glänzende Prothese, die seinen Nasenrücken abdeckte, da er einen beträchtlichen Teil seiner echten Nase einst bei einem Duell mit seinem Cousin verloren hatte. 65 Wegen dieses Accessoires wurde er auch »der Mann mit der goldenen Nase« 66 genannt, obwohl spätere Untersuchungen zeigten, dass sie vermutlich eher aus Messing bestand. (Brahes Schädel wurde zwei Mal ausgegraben, einmal 1901 und dann noch mal 2010 , nur um herauszufinden, was es mit seiner Nasenprothese auf sich hatte. Wer also seine Totenruhe genießen will, sollte es sich sehr genau überlegen, bevor er unsterblichen Ruhm in der Wissenschaft anstrebt.) 67 Des Weiteren entwickelte Brahe auf der Grundlage von Daten, die er in einem von ihm selbst aufgebauten Observatorium in Dänemark gesammelt hatte, eine eigene Weltsicht, die den Heliozentrismus von Kopernikus und den ptolemäischen Geozentrismus vereinte: In dem Modell kreisten alle Himmelskörper um die Sonne, die wiederum um die Erde kreiste.
In seiner Funktion als kaiserlicher Astronom in Prag traf Brahe schließlich auf den cleveren deutschen Mathematiker Johannes Kepler. Kepler selbst war ein gläubiger Mensch und hatte ursprünglich Theologe werden wollen, bis ihm die Astronomie Gottes Vollkommenheit offenbarte. Gleichzeitig war er überzeugter Kopernikaner auf der Suche nach Belegen für das heliozentrische Weltbild. Die Planetengesetze, die er aufstellte, waren für ihn weniger Gesetze als vielmehr Ausdruck einer himmlischen Ordnung, welche die Existenz Gottes eher belegte, als dass sie ihr widersprach. 68 Seine Überzeugung, auch die Erde drehe sich um die Sonne, sorgte regelmäßig für Streit mit Brahe, der ihm deshalb einige Beobachtungsdaten vorenthielt, aus Sorge, Kepler könne sie nutzen, um das kopernikanische Weltbild zu beweisen. Doch als Brahe 1601 starb und Kepler all seine Aufzeichnungen vermachte, konnte dieser endlich seine Berechnungen mit empirischen Daten anreichern und seine Planetengesetze vervollständigen, die zu seinen größten Errungenschaften gehören.
Auch hier zeigt sich wieder, dass der »Kampf« zwischen Wissenschaft und Kirche nicht immer so schwarz-weiß war, wie viele Dokumentationen oder Geschichtsbücher ihn aussehen lassen. Kepler wähnte sich auf einer göttlichen Mission und leistete dabei der Wissenschaft unvorstellbar große Dienste. Seine Präzision, sein Verstand und das wissenschaftliche Gespür, mit dem er seine Theorien mit vorhandenen Beobachtungsdaten abglich – das sind Leistungen, vor denen wir heute den Hut ziehen müssen. Nach seiner Neuen Astronomie veröffentlichte Kepler noch weitere wegweisende astronomische Werke, die den Kopernikanern des 17 . Jahrhunderts intellektuelle Munition lieferten.
Galileis Entdeckungen durch das Fernrohr und Keplers messerscharfe mathematische Berechnungen revolutionierten das Sonnensystem des Ptolemäus nach kopernikanischem Vorbild und setzten Zeitalter der Aufklärung in Gang. Ein Jahr nach Galileis Tod erblickte ein Kind das Licht der Welt, das später als das wohl größte Genie der Menschheitsgeschichte in die Annalen eingehen würde. Mithilfe der Arbeiten seiner Vorgänger begründete dieser Mann wissenschaftliche Prinzipien, auf deren Grundlage die Physik heute noch mit unglaublicher Präzision arbeiten kann. Die Rede ist von Isaac Newton.