Ein riesiger, weithin sichtbarer Turm krönt das ZARM an der Universität Bremen. Ich öffne die Glastür, die mich ins Gebäude des Zentrums für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation bringt, und werde von einer freundlich grinsenden Wissenschaftlerin mit pinken Haaren begrüßt. Ich bin hier auf Dreharbeiten für die Webdoku-Reihe Tomorrow Now des SWR , die man kostenlos in der ARD -Mediathek abrufen kann. 399 Christiane Heinecke führt mich durch die große Halle, in deren Mitte der 120 Meter hohe Fallturm steht, in dem Forschende aus den Bereichen Astrophysik, Biologie, Chemie oder Verbrennungsforschung überprüfen, wie sich ihre Geräte im freien Fall aus großer Höhe verhalten. Dabei sind die Objekte nämlich für etwa fünf Sekunden nahezu schwerelos, es herrschen also kurzzeitig fast die gleichen Bedingungen wie im Weltall. 400 Doch den Turm lassen wir links liegen und gehen weiter in eine große Lagerhalle, in der die MaMBA steht (kurz für Moon and Mars Base Analog ), das Projekt der Geophysikerin: Christiane Heinecke entwickelt ein realistisches Habitat für Mond und Mars, also eine extraterrestrische Station, in der Menschen längere Zeit leben könnten. Auf den ersten Blick sieht dieses neue Weltraum-Zuhause ziemlich unspektakulär aus: wie ein großes, silbernes Getreidesilo, komplett ohne Fenster. Innen wurde auf engstem Raum ein effizientes Labor aufgebaut, eine steile Treppe führt in den zweiten Stock, wo ein Feldbett steht, und wenn man einige Platten von den Wänden entfernt, entdeckt man einen Hohlraum, in dem Platz für lebenserhaltende Systeme sein könnte. Zum Beispiel Sauerstoff produzierende Cyanobakterien, bekannter unter dem Namen Blaualgen. Genau daran forscht Christiane Heineckes französischer Kollege Cyprien Verseux. In seinem Labor auf dem ZARM -Gelände zeigt er mir jede Menge Reagenzgläser mit einer bläulich-grünen Flüssigkeit, die bei unterschiedlichen Temperaturen aufbewahrt werden. Erinnert ihr euch an die Sauerstoff pupsenden Algen aus Red Planet? Der Astrobiologe simuliert die Atmosphäre des Mars, um zu überprüfen, unter welchen Bedingungen sich die Cyanobakterien vor Ort am besten vermehren könnten. Die Idee dahinter: Die Blaualgen sollen, genau wie sie es auch hier auf der Erde tun, Sonnenlicht per Fotosynthese in Sauerstoff umwandeln. Wenn alles gut geht, muss man womöglich nur einen Tropfen Bakterien zum Mars mitnehmen, damit die Astronautinnen und Astronauten irgendwann autark atmen können, sagt Cyprien Verseux. 401 Wie lange das dauern wird? Nach etwa zehn Jahren könnte man genug Blaualgen und entsprechend genug Sauerstoff für eine ganze Marsstation haben.
Warum aber forschen Heinecke und Verseux hier in Bremen gemeinsam an Überlebensbedingungen auf dem Mars? Das kommt nicht von ungefähr: Die beiden haben sich 2015 beim Marssimulationsprojekt HI - SEAS IV der NASA auf Hawaii kennengelernt. 366 Tage lebten sie mit vier anderen Forschenden in einem gerade mal 100 Quadratmeter großen, fensterlosen Zelt, um die Verhältnisse einer Marsmission möglichst realgetreu nachzustellen. Sechs Menschen, zusammengepfercht auf 100 Quadratmetern, das klingt jetzt erst mal wie der ganz normale Alltag jeder zweiten Studi-WG , ist tatsächlich aber weitaus unangenehmer und auch riskanter. Hinzu kam nämlich noch, dass die Kommunikation mit dem Mission Control Center zeitversetzt stattfand. Wenn man auf dem Mars ist, braucht jede Nachricht, die man zur Erde schickt, mindestens drei Minuten und die Antwort dann wieder drei Minuten. Ist nicht so dramatisch? Na ja, zum Beispiel bei einem medizinischen Notfall kann eine derartige Zeitverzögerung über Leben und Tod entscheiden. Außerdem sind Videoanrufe mit Freunden oder der Familie unmöglich, was das Gefühl der Abgeschnittenheit bei den Teilnehmenden noch verstärkte.
Als Basis für die Marssimulation wurde der Hang des 4160 Meter hohen Vulkans Mauna Loa gewählt, weil die staubtrockene, steinige Landschaft der Oberfläche des Mars sehr ähnlich ist. Jeder Spaziergang nach draußen musste Monate im Voraus geplant und konnte nur im Raumanzug mit externer Luftzufuhr durchgeführt werden.
Nach einem Jahr der Isolation auf engem Raum beschlossen die beiden Forschenden, die zukünftigen Lebensumstände auf fremden Planeten zu optimieren. Cyprien Verseux machte sich daran, die Bedingungen der Sauerstoffproduktion durch Blaualgen auf dem Mars zu untersuchen, und Christiane Heinecke entwickelte ein komfortables zweistöckiges Wohnmodul als Basis für die Besiedlung von Mond und Mars. So soll die geringe Grundfläche der Station optimal ausgenutzt und Einzelnen die Gelegenheit gegeben werden, sich auch mal zurückzuziehen – was in dem Zelt auf Hawaii unmöglich war.
Das Wohnmodul kann mit weiteren Modulen zu einer größeren Forschungsstation verbunden werden (siehe Abbildung 10 .4 ), in der zusätzlich Platz ist für ein Labor, Freizeitaktivitäten sowie Küche und Lager. 402 Das große Highlight: Eins der Module soll sogar ein kleines, kreisrundes Fenster bekommen, durch das man die Außenwelt betrachten kann.
Aber warum bauen sie nicht einfach ein großes Panoramadach, um den marsianischen Nachthimmel in voller Schönheit bewundern zu können? Das wird wohl unmöglich sein. Grund dafür ist die Weltraumstrahlung, eine hochenergetische Mischung aus Protonen, Elektronen und ionisierten Atomen, die von der Sonne, der Milchstraße und anderen, weiter entfernten Galaxien ausgeht. Auf der Erde haben wir kein Problem damit. Von tausend Teilchen, die pro Sekunde und Quadratmeter herniederprasseln, gelangt nur ein Bruchteil zu uns, und der ist kaum messbar. Der Großteil wird von der Erdatmosphäre und dem Magnetfeld, das die Erde umgibt, verschluckt. 403 Im All und auch auf dem Mars fehlen diese natürlichen Schutzschilde oder sind deutlich schwächer als hier. Bewohner des Mars wären der Strahlung permanent ausgesetzt. Wie schädlich diese für den menschlichen Körper ist, wissen wir aber noch gar nicht so genau. 404 Die NASA schätzt, dass Astronautinnen und Astronauten im Weltall unter einer Strahlenlast leiden, die 150 bis 6000 Röntgenaufnahmen des Brustkorbs entspricht! 405 Fakt ist: Ab einer gewissen Strahlenkonzentration wird das Erbgut von Zellen zerstört, 406 was mit einem erhöhten Risiko für Krebs und andere potenziell tödliche Krankheiten einhergeht. Deshalb wäre ein Panoramadach auf der Marsstation eine schlechte Idee, denn Glas blockiert diese Strahlung nicht. Wir könnten uns aber davor schützen, wenn wir unterirdisch bauen oder einen steinernen Schutzwall um das Habitat errichten würden (wie es auch in Christiane Heineckes Modell vorgesehen ist). Das hätte dann zwar nicht mehr so viel mit den coolen Sci-Fi-Visionen zu tun, die man aus Comics und Filmen kennt, aber wenn ich die Wahl habe zwischen einer tollen Aussicht und einem längeren Leben, dann fällt mir die Entscheidung doch relativ leicht.