A m nächsten Morgen packte Bruno um kurz nach sieben seine Tennissachen in den Transporter, setzte Balzac auf den Beifahrersitz und fuhr zum Château Rock, um einer Bitte nachzukommen, die sein Eigentümer am Abend zuvor an ihn gerichtet hatte. Rod Macrae war ein in die Jahre gekommener Rockmusiker aus Schottland, dem ein erfolgreiches Comeback gelungen war mit einem neuen Song, den er zum ersten Mal auf einem von Bruno organisierten Sommerkonzert gesungen hatte.
»Ich muss morgen für einen neuen Plattenvertrag nach London fliegen«, hatte er am Telefon gesagt. »Könntest du dich bitte um The Bruce kümmern? Ich werde Mittwoch, spätestens Donnerstag zurück sein.«
The Bruce war ein Welpe aus dem von Balzac gezeugten Wurf. Bruno hatte sich bei Claire, der Züchterin, anstatt einer Deckgebühr zwei Welpen aussuchen dürfen, und The Bruce war einer der beiden. Als er ihn Rod verkaufte, hatte Bruno versprochen, für den Welpen zu sorgen, wenn sein neuer Besitzer auf Reisen war. Der volle Name des Kleinen war Robert The Bruce, benannt nach dem legendären schottischen König, der 1314 die Engländer in der Schlacht von Bannockburn geschlagen hatte.
Bruno freute sich, dem Versprechen nachkommen zu können, und dasselbe galt wohl auch für seinen eigenen Hund. Balzac hatte seinen Nachwuchs erstmals einen Monat nach der Geburt gesehen. Es waren insgesamt neun Welpen, die ihre Mutter, die stattliche Diane de Poitiers, zur Welt gebracht hatte. Bruno bezweifelte, dass sich Balzac seiner Vaterschaft bewusst war. Allerdings war er überglücklich gewesen, seine Bekanntschaft mit Diane wieder auffrischen zu können, und schien, nachdem er die Kleinen ausführlich beschnüffelt hatte, zu verstehen, dass sie zu ihr gehörten. Er hatte sich daraufhin freundschaftlich zu Diane gelegt und es genossen, als die Welpen auf ihnen herumgeklettert waren. Zwei davon hatte Bruno ausgewählt, einen kleinen Rüden für Macrae und eine Hündin für Yveline. Sie hatte die Hündin nach Gabrielle d’Estrées benannt, einer Geliebten von Brunos französischem Lieblingskönig, Heinrich IV .
Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Gabrielle Balzac erkannte, sooft sie ihm auf dem Markt oder sonst wo begegnete. Bruno fragte sich, ob sie auch The Bruce als ihren Bruder erkennen würde? Die Leute von Saint-Denis, die Brunos Basset ins Herz geschlossen hatten, freuten sich immer, wenn sie Vater und Tochter neben Yveline und Bruno durch die Stadt laufen sahen.
»Du sollst nicht umsonst auf ihn aufpassen«, sagte Macrae direkt bei Brunos Ankunft. The Bruce begrüßte seinen Vater überschwänglich, was der sich geduldig gefallen ließ.
»Kommt überhaupt nicht infrage«, entgegnete Bruno und packte das Kissen, auf dem The Bruce zu schlafen pflegte, sowie den Futter- und Trinknapf ein. »Ich bin gespannt, wie die beiden miteinander klarkommen.«
»Vielen Dank, Bruno«, sagte Rod. »Der kleine Bursche wird mir fehlen, aber ich weiß, dass er bei dir und Balzac gut aufgehoben ist.«
»Versuch zum Konzert am Freitag zurück zu sein. Les Troubadours werden ihren neuen Hit Song für Katalonien spielen.«
»Ja, das will ich mir nicht entgehen lassen«, erwiderte Rod. »Ich habe den Song auf meinem Handy und werde ihn meinem Agenten vorspielen. Vielleicht können sie ihn unter einem britischen Label veröffentlichen.«
Als Bruno mit Balzac und The Bruce zurück in Saint-Denis war, ging er über den samstäglichen Morgenmarkt. Er war im Vergleich zum großen Markt am Dienstag sehr viel kleiner und nahm nur den Platz vor der Mairie ein. An rund zwanzig Ständen wurden hauptsächlich heimische Lebensmittel verkauft, daneben gab es aber auch mauritische und vietnamesische Essensstände sowie einen Stand mit afrikanischen Kaffeesorten und Kakao. Bruno schätzte insbesondere den Haushaltswarenstand, der auf keinem Markt auf dem Land fehlen durfte. Hier fand man Nähzeug, Kochgeschirr und -utensilien, Taschenmesser, Topfreiniger und Schürzen zum Umbinden.
Bruno kannte alle Händler und grüßte sie mit Namen. Er grinste über das allseitige Hallo, das dem neuen Welpen entgegenschallte, und steuerte auf Fauquets Café zu, wo The Bruce mit den besten Croissants weit und breit bekannt gemacht werden sollte. Balzac liebte sie über alles und legte einen Schritt zu in Richtung auf Brunos Lieblingstisch vor der steinernen Balustrade mit Blick auf den Fluss und den kleinen Hafendamm. Fauquet kam heraus und brachte Bruno seinen Kaffee zusammen mit einem Korb voller Croissants, chocolatines und pains aux raisins. Wie immer lag obenauf ein Croissant, das beim Backen im Ofen verunglückt und ein wenig unansehnlich war. Für den Verkauf kam es nicht infrage, aber in Balzac fand Fauquet einen dankbaren Abnehmer.
»Darf ich vorstellen: Balzacs Sohn The Bruce«, sagte Bruno. »Rod Macrae fliegt nach London, und ich passe ein paar Tage auf ihn auf.«
»Hübsches Kerlchen«, erwiderte Fauquet und riss das missratene Croissant in zwei Stücke. Eines gab er Balzac, das kleinere dem Welpen. Der beschnupperte es argwöhnisch. Als er sah, wie sein Vater den Happen hinunterschlang, leckte er zögernd daran und schnappte dann ebenfalls zu. Den flehenden Blick nach oben gerichtet, hoffte er auf mehr, aber Fauquet hatte anderes im Sinn.
»Was hat es eigentlich mit Florence und diesem Ehemann auf sich, der von den Toten auferstanden oder zumindest aus dem Gefängnis entlassen worden ist?«, fragte er so leise, dass nur Bruno ihn hören konnte. »Er soll acht Jahre eingesessen haben.«
»Woher hast du das?«
»Von Rosalie, der Putzfrau in der Klinik, dem Horchposten vom Dienst. Sie ist noch einmal auf eine Tasse Kaffee hier vorbeigekommen, obwohl sie schon heute Morgen, als ich aufgesperrt habe, einen hatte.«
»Und ich dachte, du wärst der Klatschkönig, Fauquet?«, erwiderte Bruno, um Zeit zu gewinnen und sich zu überlegen, wie er auf die Fragen in Florences Sinn antworten sollte. Rosalie war Fauquets schärfste Rivalin, wenn es darum ging, Gerüchte zu verbreiten. Anscheinend hatte sie irgendetwas von Fabiola aufgeschnappt.
Fauquet hob den Kopf, stolz, wie es schien. »Das muss ja wohl auch so sein, oder nicht? Wer geht schon in ein Café, wenn es da keine Neuigkeiten zu erfahren gibt?«
»Wenn du gehört hast, dass ihr geschiedener Mann nach Jahren in Haft zu ihr zurückkommen will, ist dir das Wesentliche entgangen«, sagte Bruno. Er hielt es für das Beste, ehrlich zu sein. »Florence hat Angst vor ihm. Sie ist von ihm verprügelt worden, auch als sie schwanger war. Wir können nur hoffen, dass das Vergangenheit ist. Jetzt stellt sich eine ganz andere Frage, nämlich die, ob Saint-Denis Florence womöglich verlieren wird. Sie denkt daran, nach Kanada auszuwandern, um sich und ihre Kinder vor ihm in Sicherheit zu bringen.«
»Kanada? Warum ausgerechnet Kanada?«
»Eine Französin mit ihren Qualifikationen, eine ausgebildete Lehrerin mit zwei französischsprachigen Kindern, ist genau das, was in Quebec gefragt ist. Sie würde dort mit offenen Armen empfangen werden, sofort einen Job bekommen und sogar umsonst wohnen können. Deren Gewinn wäre unser Verlust.«
»Aber da ist es doch eiskalt, und das halbe Jahr über liegt Schnee. Das habe ich im Fernsehen gesehen. Alle Geschäfte sind unter der Erde, weil es im Winter oben zu kalt ist.«
»Was hat sie für eine Alternative?«
»Putain de merde«, schnaubte Fauquet. »Du weißt doch genauso gut wie ich, dass sie einen guten Grund braucht, um hierzubleiben, etwas Persönliches, etwas von Dauer. Sie braucht eine Zukunft.«
»Was soll das heißen? Sie hat hier doch eine Zukunft?«
»Bruno, wie dumm bist du eigentlich?«, entgegnete Fauquet. »Muss ich noch deutlicher werden? Sie braucht einen Vater für ihre Kinder, einen guten Mann an ihrer Seite, vielleicht noch ein Kind oder zwei, eine richtige Familie.«
»Ich glaube, von Männern hat sie genug.«
Fauquet schüttelte den Kopf und sah Bruno weiter mit strenger Miene vielsagend an. Dann zuckte er mit den Achseln, seufzte laut und räumte Brunos Tisch ab. Im Davongehen murmelte er wütend vor sich hin.
»Ich hätte gern noch einen Kaffee«, rief Bruno ihm nach. »Oder bring gleich zwei. Da kommen Yveline und Gabrielle. Und lass die Croissants hier.«
Er stand auf, um sie zu begrüßen, und beugte sich zu Gabrielle hinab, die sich schon mit The Bruce beschnupperte. Beide erkannten sich offenbar wieder. Dann beschnupperte sie auch Balzac, der freundlich auf sie reagierte und sich auf den Rücken wälzte, damit die Kleinen über ihn hinwegkrabbeln konnten.
»Von der Gendarmerie in Périgueux wird Verstärkung für das Konzert kommen«, sagte Yveline, nachdem sie sich gesetzt und sich ein Croissant geschnappt hatte. »Sieht so aus, als würden sich deren Bürgermeister und Präfekt die Ehre geben. Ich hoffe, die ganze Sache kommt deinem Tennisturnier nicht in die Quere. Apropos, spielst du heute?«
»Ja, mit Pamela im gemischten Doppel. Wir haben heute Nachmittag ein Spiel. Wer unsere Gegner sind, weiß ich aber nicht. Und wie steht’s mit dir?«
Das Tennisturnier von Saint-Denis fand schon seit Anfang der Woche statt. Bruno war im Einzel und Doppel mit Gilles bereits ausgeschieden. Mit Pamela lief es viel besser; sie waren bestens aufeinander abgestimmt und eingespielt.
»Ich habe heute Nachmittag ein Einzelmatch gegen eine Besucherin, die richtig gut sein soll«, sagte Yveline. »Falls ich gewinne, wäre ich im Finale. Hilfst du morgen beim Festmahl?«
Es war zur Tradition geworden, dass der Tennisklub an den beiden Sonntagen des Turniers ein großes Festessen gab, zu dem ein Wildschwein am Spieß über offenem Feuer gegrillt wurde. Die Jagd auf Wildschweine begann am 15 . August. Bruno wartete allerdings für gewöhnlich die allgemeine Jagdsaison Mitte September ab, denn dann konnte er auch auf bécasses anlegen, das Federvieh, das er am köstlichsten fand. Zur Jagd auf Wachteln hatte er Balzac eigens abgerichtet. Unabhängig davon half er aber immer mit, wenn es darum ging, das Feuer vorzubereiten und das Wildschwein darüber zu braten.
»Ich hoffe, es kommt nicht noch etwas dazwischen. Die Planungen für das Konzert nehmen viel Zeit in Anspruch, und außerdem ist da ja auch noch Florences Problem. Das gemischte Doppel mit Pamela will ich aber auf keinen Fall ausfallen lassen. Irgendwie kriege ich das schon auf die Reihe.«
Bruno machte sich auf zu einem zweiten Rundgang über den Markt. Auf der Rue de Paris drängten sich mittlerweile die Menschen, und der Anblick des Welpen sorgte für einen endlosen Chor aus Oohs und Aahs, an denen sich nicht nur bekannte Anwohner und Händler, sondern auch Touristen beteiligten. Aus der Kirche waren Orgelmusik und Gesang zu hören. Der Chor probte.
Er schlüpfte durch die Pforte und setzte sich mit The Bruce auf dem Schoß in die hinterste Bank. Balzac nahm neben seinen Füßen Platz. Ein Dutzend anderer Zuhörer saß in der Kirche verteilt. Ein Mann eine Reihe vor ihm drehte sich um und reichte Bruno ein Programm der Stücke, die geprobt wurden. Es war Brosseil, der notaire, wie üblich sehr formell gekleidet mit Anzug, Krawatte und Manschettenknöpfen. Seine Frau war Mitglied des Chors. Er tippte mit dem Finger auf das Stück, das gerade gesungen wurde, Vivaldis Gloria.
»Florence und meine Frau singen die beiden Soli im dritten Satz, der kommt als Nächstes«, flüsterte er. Er tätschelte The Bruce liebevoll und drehte sich wieder um.
Es war angenehm kühl in der Kirche. Balzac streckte sich auf dem Boden aus, als wollte er mit den kalten Steinfliesen so viel Kontakt wie möglich haben. Bruno hielt The Bruce fest und schloss die Augen, als die Musik begann. Nach einer kurzen, anregenden Eröffnung im typischen Stil des Barocks setzten die beiden Frauenstimmen ein, zuerst wie im Dialog, dann unisono, Florence im Sopran, die andere Stimme etwas tiefer. Bruno wusste nicht, in welcher Lage Madame Brosseil sang, ob Mezzosopran oder Alt. Beide Stimmen harmonierten jedenfalls wunderschön miteinander. Noch ein Grund mehr, warum Florence unbedingt in Saint-Denis bleiben muss, dachte er.
Den Wohlklang der Musik im Ohr, ließ Bruno seinen Gedanken freien Lauf. Und ihm kam etwas in den Sinn, worüber er noch nie näher nachgedacht hatte, wie zum Beispiel Florences Engagement im Chor. Sie sang fast an jedem Sonntag zur Messe, obwohl sie für den polnischen Katholizismus, mit dem sie aufgewachsen war, kein gutes Wort mehr übrighatte. Es empörte sie, dass ihre eigenen Eltern Scheidung und Abtreibung für undenkbar hielten, für Todsünden, und dass deren Meinung nach die Ehe mit einem gewalttätigen Trinker erduldet werden musste, weil das Ehesakrament heilig sei. Bruno konnte kaum fassen, dass eine Mutter im Namen eines angeblich liebenden Gottes ihrer Tochter so viel Kummer und Leid zumuten konnte.
Jetzt, in dieser alten vertrauten Kirche, die er zu Trauungen und Trauerfeiern oft besuchte und in der er als Pate vor dem Taufbecken gestanden und versprochen hatte, dem Teufel und seinen Werken abzuschwören, spürte Bruno deutlich, dass seine religiösen Ansichten vom orthodoxen Katholizismus weit entfernt waren. Er hatte nie verstanden, warum Priester ein zölibatäres Leben ohne Ehe führen sollten. Der Grund dafür, so hatte es ihm ein spöttischer Kamerad beim Militär weismachen wollen, sei bloße Besitzstandswahrung; Priester sollten keine legitimen Erben haben, sodass keine Ansprüche an die Kirche gestellt werden konnten. Doch ebendieser Soldat hatte wie Bruno und alle anderen seiner Einheit in den Schützengräben unter feindlichem Beschuss Gebete vor sich hin gemurmelt. Obwohl er nie zur Beichte ging und auch nicht an ein Leben nach dem Tod glaubte, fand Bruno etwas Tröstliches in den Gottesdiensten, an denen er teilnahm, und insbesondere an der getragenen und erhebenden Kirchenmusik, so wie er sie jetzt gerade hörte. Selbst das kleine Hündchen in seinen Armen schien davon angetan zu sein oder zumindest beruhigt.
Bruno schaute sich in der Kirche um und fragte sich, ob Florence wohl mit dem Priester darüber gesprochen hatte, dass ihr geschiedener Mann zu ihr und einer Art Familienleben zurückkehren wollte. Pater Sentout war ein weiser, verständnisvoller alter Mann, das perfekte geistliche Oberhaupt von Saint-Denis, denn er wusste die Freuden geselliger Mahlzeiten zu schätzen und hatte immer ein offenes Ohr für die Belange der kleinen Landgemeinde im Périgord. Jedes Jahr segnete er in einer Messe den Jagdverein, und seine Begeisterung für das Rugbyteam war legendär. Sonntags verlegte er sein Mittagessen vor, um rechtzeitig zum Spiel der zweiten Mannschaft zur Stelle zu sein, bei Wind und Wetter seinen Platz in der ersten Tribünenreihe einzunehmen und bis zum Ende des Spiels der ersten Mannschaft vier Stunden später auszuharren. Wenn es zur Verlängerung kam, mussten sich die, die vor der Abendmesse die Beichte ablegen wollten, gedulden. Das konnte den Sündern und Sünderinnen nur recht sein, weil Pater Sentout dann seinen Amtspflichten umso hastiger nachkam und nur sehr gnädige Bußen auferlegte. Bruno war deshalb zuversichtlich, dass der Pater, wie auch immer er zur Scheidung und zu Strafentlassenen stand, im besten Interesse von Saint-Denis handeln würde.
Als sich sein Pflichtgefühl meldete, verließ Bruno die Kirche widerwillig und trat ins Freie hinaus, wo ihn der helle Sonnenschein eine Weile blinzeln ließ, ehe sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Die Menge war noch dichter geworden. Er drückte The Bruce schützend an seine Brust und ging über die Grande Rue Richtung Bürgermeisteramt. Für den Rundgang über den Markt am Dienstag würde er den Welpen irgendwo sicher unterbringen müssen. Vielleicht konnte er ihn zusammen mit Balzac in einer von Pamelas leeren Stallboxen zurücklassen. Er blickte zur Mairie hinauf. Sein Büro hatte einen Balkon mit einer steinernen Balustrade. Für den Moment bot der sich zur Unterbringung der Hunde an.
Er ging nach oben und öffnete das Fenster seines Büros, stieg mit The Bruce hindurch und half Balzac über den niedrigen Rand. Im Büro füllte er dann Balzacs Napf mit Wasser und brachte ihn zusammen mit dessen Schlafkissen auf den Balkon. Der Abstand zwischen den Docken der Balustrade war zu klein für Balzac, vielleicht aber nicht für den Welpen. Doch zum Glück war der Sockel hoch genug und für ihn unüberwindbar. Zufrieden mit der Lösung, die er für die beiden gefunden hatte, schloss Bruno das Fenster und ging wieder nach unten, um seine Patrouille durch die Stadt fortzusetzen. Bruno spazierte weiter in das ruhige Wohnviertel, in dem der Bürgermeister sein Häuschen hatte, und sah Mangin mit seiner Partnerin Jacqueline im Garten arbeiten.
»Ah, Bruno, kommen Sie rein, kommen Sie – Sie liefern die perfekte Entschuldigung für eine Erfrischungspause«, rief der Bürgermeister. »Wie wär’s mit einem Glas Cidre?«
»Ich hätte nichts dagegen, monsieur le maire. « Bruno umarmte Jacqueline, schüttelte Mangin die Hand und setzte sich mit Jacqueline unter die Markise neben der Küchentür, während sich Mangin um die Getränke kümmerte.
»Auf dem Markt alles wie immer?«, fragte er und stellte drei Gläser auf den Tisch. »Wo ist Balzac?«
»Auf dem Balkon vor meinem Büro, zusammen mit seinem Sohn, Rod Macraes Welpen. Ich wollte mit ihm nicht über den Markt gehen, er ist noch zu klein.«
»Nächstes Mal bringen Sie ihn bei uns vorbei. Wir passen gern auf ihn auf«, sagte Jacqueline.
»Schön, das werde ich tun. Übrigens, hat einer von Ihnen schon einmal von Joël Martin gehört, einem Experten für die okzitanische Kultur? Er hat den Song geschrieben, um den gerade viel Wirbel gemacht wird. Darüber haben wir ja bereits gesprochen, monsieur le maire. «
»Natürlich, den kenne ich, und Sie, Bruno, müssten ihn auch kennen. Er ist ein SHAP -Mitglied und hat für das Journal ein paar interessante Artikel über Bertran de Born und die anderen Troubadoure geschrieben.«
»Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«, fragte Bruno.
»Er hat hauptsächlich in Barcelona gelebt«, antwortete der Bürgermeister, »aber wie ich gehört habe, ist er zurzeit vor allem bei seiner Verwandtschaft in Urval. Früher hat er in Bergerac gewohnt und am lycée unterrichtet, dann aber diese Katalanin kennengelernt und sie geheiratet. Ich hätte ihn gern als Lehrer in unserer Stadt gesehen, womit er allerdings jetzt sein Geld verdient, weiß ich nicht.«
»Er hat mit diesem Song einen Hit gelandet und bekommt sicher Tantiemen, außerdem hat er in den sozialen Netzwerken Tausende von Followern. Davon wird er wohl auch profitieren«, erwiderte Bruno.
»Mon Dieu«, wunderte sich Jacqueline, die über ihr Smartphone wischte. »Er taucht ja gerade überall auf. Interessant – er hat mehrere Websites, eine mit Gedichten, eine andere zur Geschichte des Périgord, und hier ist eine, auf der man sich selbst Okzitanisch beibringen kann. Den Mann würde ich gern mal kennenlernen. Wie ist er so?«
»Groß, mit lockigen roten Haaren«, wusste der Bürgermeister. »Wenn ich mich richtig erinnere, hat er auch einen Artikel über Herzog Wilhelm IX . von Aquitanien geschrieben, den Großvater unserer Eleonore von Aquitanien und ersten Troubadour, dessen Werk erhalten ist.«
»Ein Herzog, der auch Troubadour war?«, fragte Bruno, erinnerte sich aber dann vage an den Vortrag von Joël Martin, den er auf Yvelines Handy gehört hatte. »Ich dachte, diese Granden hätten vor üppig gedeckten Tafeln gesessen und sich von niederen Sterblichen unterhalten lassen.«
Der Bürgermeister musterte ihn scharf. »Mein lieber Bruno, Sie trauen doch nicht etwa solchen Klischees. Herzog Wilhelm war ein Mann ganz nach Ihrem Geschmack, ein Soldat, der an der Seite Spaniens gegen die Mauren gekämpft hat. Joël vertritt die Ansicht, dass er Troubadour geworden ist, nachdem er dort die Musik der Araber gehört hat. Gefangene, die in Spanien gemacht wurden, holte er an seinen Hof nach Bordeaux, wo er auf Lösegeldzahlungen wartete. Vermutlich hat auch Eleonore zu dieser Zeit ihre Liebe für die Musik und die Dichtung der Troubadoure entdeckt. Sie wurde deren wichtigste Gönnerin.«
»Die SHAP wird doch bestimmt Joël Martins Telefonnummer haben, oder?«, sagte Bruno. »Ich würde mich gern mit ihm in Verbindung setzen.« Der Bürgermeister griff zum Handy und suchte die entsprechende Nummer.
Plötzlich gab Jacqueline einen erschrockenen Laut von sich. »Er bekommt Morddrohungen«, rief sie aus. »Mon Dieu, überhaupt stehen da widerliche Kommentare über Joël Martin und die Band Les Troubadours.«
»Genau darüber wollte ich mit Ihnen noch einmal reden«, sagte Bruno, als der Bürgermeister sein Gespräch beendet hatte, und berichtete von den Bedenken in Paris um Joëls Sicherheit.
»Hat das Ganze was zu tun mit der E-Mail, die Sie an den Jagdverein geschrieben haben, wegen einer großkalibrigen Waffe, für die Sie sich interessieren?«, fragte Mangin und reichte Bruno einen Zettel. »Das ist Joëls Telefonnummer, Vorwahl 0553 , muss also ein Festnetzanschluss sein. Ich habe sie von der Sekretärin von SHAP . Was meinen Sie, Bruno, müssen wir uns in Saint-Denis Sorgen machen?«
»Ich weiß nicht. Jedenfalls sollten wir alle die Augen offen halten Wir haben in einem spanischen Auto nach einem fingierten Unfall eine Spezialpatrone sichergestellt. Die Ermittlungen sind in vollem Gange, man will mich auf dem Laufenden halten«, antwortete Bruno gelassen.
Mehr wollte er nicht sagen. Der Bürgermeister war zwar diskret, nicht aber Jacqueline. Bruno wählte die Nummer, die Mangin ihm gegeben hatte. Es meldete sich ein Anrufbeantworter. Bruno hinterließ eine Nachricht und erklärte, dass er Fragen zu dem Konzert in Saint-Denis habe, und bat um einen Rückruf. Jacqueline lud ihn zum Mittagessen ein, was er aber dankend ablehnte, weil es sich mit vollem Magen schlecht Tennis spielen ließ, besonders bei der Hitze, die momentan noch herrschte.