Kapitel 58
Die Uhr auf dem Nachttisch tickte auf fünf Uhr zu. Henley lag wach in einem vertrauten Bett, starrte an die Decke und lauschte dem Morgenlied der Vögel. Pellacia lag links neben ihr. Er hatte sich ihr zugedreht, doch seine Augen waren geschlossen, und sein Arm lag auf ihrem Bauch. Schuldgefühle suchten Henley heim.
Sanft schob sie Pellacias Arm beiseite.
»Wo willst du hin?«, murmelte er.
»Ins Badezimmer.« Henley rutschte nach rechts und stellte die nackten Füße auf den Teppich.
»Aber komm ja wieder zurück.« Pellacia rutschte dorthin, wo sie bis gerade noch gelegen hatte, und zog die Decke bis zur Brust. Sie antwortete nicht, sondern hob einfach ihre Kleider auf und verließ das Schlafzimmer. Rasch wusch sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser und versuchte, den Schlaf aus den Augen und die Kissenabdrücke aus der Haut zu bekommen. Sie ging die Treppe hinunter und achtete dabei sorgfältig darauf, nicht auf die Stufe zu treten, die immer knarrte. Bevor sie jedoch die letzte Stufe erreichte, durchbrach das Klingeln ihres Handys die Stille. Sie lief ins Wohnzimmer und sah das Display des Handys zwischen den Sofakissen auf dem Boden leuchten. Henley verzog das Gesicht, als sie Ramouters Namen auf dem Display sah. Aber warum rief er so früh an?
»Ich versuche schon ewig, Sie zu erreichen«, sagte er. »Wir haben noch eine.«
»Was?«, flüsterte Henley. Ihr Herz schlug immer schneller und lauter. Sie klemmte das Handy unters Kinn und griff nach ihren Turnschuhen, die ebenfalls neben dem Sofa lagen.
»Ich kann Sie kaum verstehen, Boss. Eine Streife hat eine weitere Leiche gefunden. Sie ist genauso verstümmelt wie die anderen …«
»Wo?« Henley stand auf, als sie ein Knarren von der Treppe hörte.
»Auf der Isle of Dogs.«
»Wie haben Sie davon erfahren?«
»Ich habe Rufbereitschaft. Das
CID
von Limehouse hat bei der
SCU
angerufen, und der Anruf wurde an mich weitergeleitet.«
»Wo sind Sie jetzt?«
»Ich bin in der
SCU
. Ich war nicht sicher, ob ich direkt zur Isle of Dogs fahren oder auf Sie warten sollte.«
Henley drehte sich um und sah Pellacia in der Tür stehen. Er beobachtete sie. Selbst in der Dunkelheit des Wohnzimmers konnte sie den kleinen Muskel an seinem Kiefer erkennen, der sich immer wieder anspannte, während er sich mit der Hand durchs zerzauste Haar fuhr. Sie schaltete das Handy kurz auf stumm und drückte es sicherheitshalber auch noch an die Brust.
»Du hast gesagt, du wolltest nur ins Badezimmer«, sagte Pellacia.
»Ich muss weg«, erklärte Henley, ging an ihm vorbei und schnappte sich ihre Jacke und Tasche von der Garderobe.
»Anj …« Pellacias Stimme klang wütend und flehentlich zugleich.
»Ich kann nicht … Nicht jetzt.« Sie schaltete den Ton wieder an.
»Hallo? Sind Sie …?«, fragte Ramouter.
»Du kannst nicht einfach …«, sagte Pellacia.
»Fahren Sie direkt zur Isle of Dogs. Ich bin in zwanzig Minuten da, höchstens dreißig«, erwiderte Henley und beendete das Gespräch. »Stephen, du verstehst das nicht. Es geht nicht um uns. Wir haben noch eine.«