Ein­und­zwanzig
Daniel
Das Klopfen kam kurz nach acht und mein Herz schlug schneller vor Nervosität und Erwartung in gleichem Maße. Ich ließ ihn herein, bemerkte, dass er sich für das Treffen mit Scott schick gemacht hatte, gute Jeans, ein Hemd und er hatte sich rasiert, hatte seine Haare aber in Ruhe gelassen, sie nicht wieder raspelkurz geschnitten.
Ich hängte seinen Mantel auf und wir unterhielten uns über Belanglosigkeiten, während wir in die Küche gingen, damit ich Kaffee machen konnte. Ich holte heraus, was von Moms Kuchen noch da war, eine Art Schokoladenschichtkuchen mit Vanilleguss und schnitt Micah ein Stück ab.
„Lief mit Scott alles gut?“
Er nahm den Kuchen und den Kaffee. „Du hast in Scotts Firma investiert.“
„Ja.“
„Dann weißt du ja, was er angeboten hat, oder? Jedenfalls, ich habe den Preis akzeptiert, den Vertrag unterschrieben.“ Er klang angespannt und es musste wehtun, einen Teil seines Landes zu verkaufen, wenn man bedachte, wie sehr er es als Kind geliebt hatte.
„Wolltest du das wirklich? Es tut mir leid, wenn wir davon profitieren, dass Rachel das Geld braucht.“ Ich meinte es ernst.
„Es ist Geschäft und es ist mir tatsächlich recht. Die Ranch braucht das Geld, um sie am Laufen zu halten, und es macht keinen Sinn, sich an etwas festzuklammern, das wir vielleicht niemals nutzen werden.“ Er seufzte schwer. „Es ist in Ordnung.“
Das war der perfekte Einstieg für meine erste Frage. „Ich weiß, dass du auf einer Ranch gearbeitet hast. Kannst du mir erzählen, was du da gemacht hast?“
Er blickte für einen Moment auf seinen Kuchen und dann wieder zu mir. „Du meinst, du willst, dass ich erkläre, wie ich so viel Geld für die Ranch schicken konnte?“ Er klang nicht defensiv, eher resigniert, dass die Frage gestellt wurde. Ehe ich darauf bestehen konnte, dass ich es so nicht gemeint hatte, redete er weiter. „Ich war Partner in einem Ausbildungsbetrieb für Pferde. Habe mit Kindern gearbeitet, nicht viel gebraucht, habe darum den Großteil meines Einkommens in die Lennox Ranch investiert, habe dazu noch etwas gespart, um alles für Rachel zu erhalten.“
Mir fiel auf, dass er sich selbst nicht einschloss. Er war im Herzen ein Cowboy, rau und bereit, aber das Land gehörte ihm und ich konnte mir nicht für einen Moment vorstellen, dass er es aufgab.
„Das ist viel langweiliger als Drogengeld“, scherzte ich und fragte mich dann, ob ich einen Schritt zu weit gegangen war. Da grinste er, breit und offen.
„Maggie Gentry hat mich beim Einkaufen angesprochen und mich gefragt, ob ich die letzten neun Jahre damit verbracht habe, Pornos zu drehen.“
„Maggie Gentry ist eine Idiotin“, versicherte ich ihm. Die alte Frau wurde leicht verwirrt, aber das hieß nicht, dass das Gerücht, Micah hätte sich für Geld verkauft, nicht die Runde gemacht hätte, zusammen mit dem Gedanken, dass er Spion geworden war. Ich nahm an, die Leute aus der Stadt suchten nur nach Gründen, warum er in der Lage war, so viel Geld zu schicken.
„Nun, es waren ganz eindeutig keine Pornos“, sagte er und hob seinen Teller ein wenig an. „Nehmen wir das mit ins Wohnzimmer?“
Kaffee und Kuchen in der Hand setzten wir uns gegenüber hin.
„Die Kuchen deiner Mom waren immer so gut.“ Er brach ein kleines Stück ab und schob es auf eine Seite des Tellers, genau wie es die Sheridan Geschwister machten. Für Mom. Dieselbe Frau, die für Micah da gewesen war.
„Sie ist nicht hier“, sagte ich und er sah mich verwirrt an.
„Was?“
Ich tippte mit meiner Gabel an seinen Teller. „Du hast das Stück für Mom gelassen.“
Da lächelte er, stach auf das kleine Stück ein. „Es ist eine Angewohnheit, etwas, das ich immer mache.“ Sein Lächeln war genauso, wie ich mich erinnerte, und die Tatsache, dass er in Erinnerungen verloren war, machte seinen Gesichtsausdruck weich. Für einen Moment sah ich den Neunzehnjährigen mir gegenübersitzen.
„Ich erinnere mich daran, wie ich mich gefühlt habe, als du gesagt hast, dass du mich liebst“, platzte ich heraus und sein Lächeln verschwand und er sah stattdessen schmerzlich berührt aus. „Ich erinnere mich daran, dass ich so wütend auf dich war.“
Das war das vollkommen Falsche, was ich sagen konnte und ich wartete darauf, dass er ging. Er spannte sich an, bewegte sich aber nicht.
„Es ist mir egal, das habe ich empfunden.“
„Ich weiß, aber ich hatte mein ganzes Leben geplant, ich würde Arzt werden, meine Assistenzzeit in einem Krankenhaus absolvieren, neue Fähigkeiten mit nach Hause bringen. Nirgendwo gehörte dazu, dass ich mich in einen Mann verlieben würde, der mich vielleicht dazu bringen konnte, zu Hause zu bleiben. Aber als ich in dieser Nacht aufgewacht bin und du weg warst, war ich von mir selbst enttäuscht. Ich war entschlossen, dich zu finden und dir zu sagen, dass ich dich auch liebte.“
Schweigen. Micah stellte den Teller auf den Kaffeetisch zwischen uns und ich wusste, dass er etwas zu sagen hatte, aber ich machte weiter, solange ich noch konnte.
„Dann habe ich gesehen, dass du das Auto genommen hattest, aber das war immer noch in Ordnung, weil ich gesagt hatte, dass du es dir jederzeit leihen kannst und es fühlte sich gut an, dass mein fester Freund meine Sachen teilte, dass der Mann, den ich liebte, so ein integraler Teil meines Lebens war. Es machte mich glücklich.“ Ich schluckte die Emotionen herunter, die sich in mir ballten und Micah war blass, sein Mund leicht geöffnet.
„Daniel—“
„Ich sollte mich bei dir bedanken“, unterbrach ich ihn, weil die Worte mich innerlich erwürgten. „Danke, dass du Chris aus dem Auto gezogen hast. Die Feuerwehrmänner haben gesagt, dass er in den Flammen gestorben wäre, gefangen, aber du bist zurück in das Auto.“ Ich berührte mein Handgelenk, um seine Verbrennungen anzuzeigen. „Also danke, dass du dein Leben für meinen Bruder riskiert hast.“
„Ich habe ihn in diese Situation gebracht—“
„Das war das Erste, was ich zu sagen habe“, unterbrach ich ihn, denn da war noch eine Menge mehr. „Ich habe dich geliebt, danke, dass du meinen Bruder gerettet hast, und es tut mir leid, was ich dir angetan habe, dass ich dich gezwungen habe zu gehen, weil du die Unterstützung verdient hättest, um deine eigene Trauer aufzuarbeiten. Ich habe dich weggeschickt und du hast meine Familie genauso verloren wie deine eigene Mutter.“
Er schüttelte seinen Kopf, als ob er dem, was ich sagte, nicht zustimmen konnte.
„Ich bin verwirrt“, murmelte Micah. „Was ich deiner Familie angetan habe, Isaac—“
„Das hast du nicht selbst gemacht, es war ein Unfall. Ich habe die Gefühle des Hasses und des Verrates so lange mit mir herumgetragen und es wurde noch schlimmer, als ich Chris bewusstlos mit der Tablettenflasche gefunden habe.“
„Er hat mir erzählt, was er getan hat.“
„Ja, Chris hatte eine dunkle Zeit, als er nach Hause kam.“
„Es tut mir leid.“ Die Schuld war wieder in seiner Stimme.
„Ich glaube, für Chris war es eine Art, sein Hirn neu aufzusetzen. Als er aufwachte, hielt er meine Hand und sagte mir, dass er nicht sterben wollte. Es war ein Wendepunkt.“
„Er hatte so viel, was er hätte tun können.“
„Du weißt, dass ich genauso ein Teil von dem war, was passiert ist, auch wenn ich nicht in dem verdammten Auto gesessen bin. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, mir eine Zukunft mit dir vorzustellen, wenn ich gedacht hätte, dass ich stark genug bin, dass wir zusammenbleiben konnten und wenn ich dir vor all dieser Zeit einfach gesagt hätte, was ich wirklich empfinde.“
Er runzelte erneut die Stirn und ich konnte seinen inneren Kampf in seinem Gesichtsausdruck gespiegelt sehen. „Aber wenn ich das Auto nicht genommen hätte …“
„Und wenn ich nicht dir und Chris beigebracht hätte, wie man fährt.“ Ich scherzte, aber rückblickend war dies nicht der Zeitpunkt, um die Dinge aufzulockern. Ich hatte Micah kalt mit den Ergebnissen einer Menge interner Evaluation erwischt und das hier war ernster Scheiß.
„Mach keinen verdammten Witz daraus“, sagte er und stand hektisch auf. „Die ganze verdammte Zeit.“
Scheiße. Ich verlor ihn, darum stand ich ebenfalls auf.
„Warte, da ist noch eine Sache. Ich glaube nicht, dass ich, trotz allem, je aufgehört habe, dich zu lieben.“
Das war das letzte Geständnis und es hing zwischen uns, wartete darauf, dass er reagierte. Ich ging um den Tisch herum und hielt ihm meine Hand hin und nach einem Moment des Zögerns nahm er sie. Ich verflocht unsere Finger und nahm dann seine andere Hand.
„Ich habe seitdem niemanden so sehr gewollt, ich habe niemand anderen so vollkommen geliebt. Es tut mir leid, dass ich nicht um dich gekämpft habe. Es tut mir leid, dass ich der Polizei nicht gesagt habe, dass du dir das Auto leihen durftest. Sie haben gesagt, dass es für deine Verteidigung keinen Unterschied machte, aber wenn ich für dich da gewesen wäre, dann hättest du gewusst, dass die Dinge eines Tages wieder in Ordnung sein würden.“
Die Schuld, die in mir aufblühte, war gewaltig und ich wartete auf ein Anzeichen, dass er meine Reue verstand und dass ich ebenso sehr ein Kind gewesen war wie er. Wir hatten so viel Zeit verschwendet und ich wollte sie zurück.
„Was jetzt?“ Er trat auf mich zu, ließ meine Hände los, während er sich bewegte. Ich könnte ihn umarmen, ihn halten und vielleicht könnten wir durch die Berührung dafür sorgen, dass alles irgendwie einen Sinn ergab.
Stattdessen wartete ich und er drückte einen sanften Kuss auf meine Lippen.
„Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Ich bin mir nicht sicher, ob wir jemals etwas füreinander sein können. Was würden die Leute denken?“
Mein Magen wurde schwer. Ich hatte Hoffnung gewollt, aber es schien, als ob ich nicht so viel Glück hätte, sie zu bekommen. Er wich zurück und verließ mein Wohnzimmer und ich wartete auf das Geräusch, wie er seinen Mantel anzog, seine Stiefel und das Knallen der Haustür. Da war nichts und ich stellte mir vor, dass er dastand und über das nachdachte, was ich gesagt hatte. Sollte ich zu ihm gehen? Ich starrte auf den dunkelbraunen und orangenen Teppich, durchscheinend und alt und folgte den Mustern dorthin, wo sie unter dem Sofa verschwanden.
Ich spürte Micah wieder im Zimmer, an der Tür. „Zur Hölle damit, was die Leute denken.“ Er sprach mit fester Stimme. Er hatte eine Entscheidung getroffen und er war fertig. Ich sah zu ihm auf, wartete darauf, dass er sagte, dass es zu lange her war, dass zwischen uns zu viel Wut und Hass lagen.
Wir bewegten uns gleichzeitig, ich fragte mich, ob ich ihn anflehen würde zu bleiben, oder ob ich akzeptieren würde, dass er ging, als er mich in seine Arme nahm und mich küsste. Nicht brutal, nicht um zu bestrafen. Es war sanft, aber entschlossen.
Micah umfasste mein Gesicht, hob seinen Kopf an und vertiefte den Kuss und es war wie ein Streichholz an Späne. Er bestimmte und ich war glücklich, bei der Fahrt dabei zu sein. Wir trennten uns und für einen langen Moment starrten wir einander nur an, aber mir entging nicht, dass er ebenso schwer atmete, wie ich es tat. Wir trafen uns erneut in der Mitte, küssten, stoppten nur, um das Wohnzimmer zu verlassen und zur Treppe zu gehen. Wir küssten uns auf jeder Stufe und bei jedem Zentimeter nach oben kämpften wir damit, unsere Kleidung loszuwerden, und gaben dann auf, als wir beinahe die verdammte Treppe hinuntergefallen wären.
Konnten wir nach dem, was ich gerade gesagt und was Micah mir gegenüber zugegeben hatte, unkomplizierten Sex haben? War die Liebe nicht kompliziert genug?
„Das hier wird so verdammt kompliziert werden“, murmelte er an meinen Lippen. Dann hielt er inne und lehnte sich zurück. „Ich werde dennoch die Stadt verlassen“, sagte er und obwohl die Worte etwas in mir zerbrachen, entschied ich mich, nicht über sie nachzudenken. Ich war ein Mann und ich wollte Micah und es spielte keine Rolle, was morgen passierte, wenn ich ihn heute hier in meinen Armen hatte.
Ich küsste ihn, ließ ihn nicht daran zweifeln, dass es keine Rolle spielte, was er sagte, wir würden das hier tun und nach einem kurzen Zögern erwiderte er den Kuss. Das war alles an Gespräch, was wir brauchten.