Epilog
Micah
„Bist du hier fertig?“, fragte ich den Jungen mit der Schaufel. Er hatte leuchtend rote Haare, ein Gesicht voller Sommersprossen und sein Name war Archie. Ich mache keine Witze. Nichts davon würde ihn im Leben aufhalten. Er war sieben, aber so selbstbewusst wie ein Sechzehnjähriger, voller Chuzpe und wurde störrisch wie ein Esel, wenn ich ihn nicht machen ließ, was er wollte.
„Klar bin ich das, Mister Lennox“, sagte er und warf die letzte Schaufel Mist in die Schubkarre. Für ein kleines, dünnes Kind war er stark und ich mischte mich nicht ein, als er die Griffe nahm und vorsichtig aus dem Stall zu dem Misthaufen fuhr, der morgen auf einem der Felder verteilt werden würde. Er stellte die Schubkarre auf und ich musste mich davon abhalten, ihm zu helfen, als er beinahe das Gleichgewicht verlor und selbst auf den Haufen fiel.
„Wo ist deine Mama?“, fragte ich, war mir bewusst, dass Archie erneut allein im Stall war, LouAnne nirgendwo in Sicht.
„Sie hat Kopfschmerzen.“ Archie verdrehte seine Augen theatralisch bei diesen Worten. Wir beide wussten, dass diese Kopfschmerzen höchstwahrscheinlich von zu viel Wein in der Nacht davor rührten. Sie fuhr ihn hierher, parkte unten an der Auffahrt und schlief. Ich wusste nicht, was ich mit der Tatsache anfangen sollte, dass sie wahrscheinlich Alkohol im Blut hatte, wenn sie fuhr, aber ich hatte in einer ruhigen Minute mit Neil geredet und er hatte gesagt, dass er aufpassen würde.
Das schien Archie jedoch nicht zu stören, er ging als der Mann seiner kleinen Familie durchs Leben. Er kümmerte sich um seine kleine Schwester ebenso wie um seine Mom und er machte es mit einem Grinsen und absoluter Entschlossenheit. Ich liebte den kleinen Kerl und seinen Biss, sah in ihm eine Menge von dem, was ich selbst einmal gewesen war. Er gehörte zum zweiten Schwung Kinder, die wir während der Sommerferien täglich auf der Ranch hatten. In dem Programm, das Rachel sich ausgedacht hatte. Sie kümmerte sich um die Verwaltung und kochte das Mittagessen.
„Ab ins Haus zum Essen“, sagte ich und wartete, als er zurück zu den Pferden schaute. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck von Sehnsucht. Er wollte die ganze Zeit über bei den Pferden sein. Sie waren sein sicherer Hafen. Ich konnte mir seine Gedanken vorstellen, als wären es meine eigenen, Pferde oder Essen … Pferde … Essen. Er war so leicht zu überzeugen wie Laurie mit Kuchen.
Endlich schien es, als ob sein Bauch gewann und mit einem letzten Grinsen rannte er zum Haus. Er joggte nicht oder ging schnell. Er rannte mit Höchstgeschwindigkeit, fiel bei den Stufen beinahe auf den Hintern. Ich folgte ihm langsamer und hielt am Fuß der Treppe zum Haus an. Zu dieser Tageszeit waren wir nur zehn Leute. Ich, Archie und seine schlafende Mom und Rachel und die Kinder sowie zwei weitere Arbeiter, die dauerhaft hier waren. Manchmal kam Amy aus der Stadt herauf, um zu helfen. Der Ruhestand schien ihr nicht zu gefallen und so viel Zeit, wie Jeff mit den Pferden verbrachte, schien er auch nicht davon begeistert zu sein.
Der Tisch würde voller Essen und Lachen sein und ich würde so viel davon einsaugen, wie ich konnte, das Lachen und die Zuneigung festhalten und sie für mich behalten. Die Lennox Ranch war ordentlicher, eher wie der Ort, den ich als Kind geliebt hatte. Sie war atemberaubend, hoch in den Bergen, die Luft frisch und sauber, was das Marketing einfach machte. Noch etwas, um das Rachel sich kümmerte. Sie wohnte im Haupthaus, das alte Schlafzimmer war um- und ausgebaut worden, bis sie und die Jungs ihren eigenen Raum hatten, mit einer riesigen Küche, die um die alte herum installiert worden war, die Rachel nicht hatte loswerden wollen.
Ich konnte mich nicht dazu überwinden, darüber nachzudenken, hier zu leben, auch wenn es jetzt ein anderes Haus war. Anstatt mit Trauer erfüllt zu sein, war es ein Familienhaus. Laurie erschien oben an der Treppe, indigniert, dass ich noch nicht eingetreten war. Er war jetzt sechs, beinahe sieben und seine Lennox Gene waren nie offensichtlicher, als wenn er sein Sommeroutfit, bestehend aus Jeans und T-Shirt, trug. Mit seinen kurzen blonden Haaren und seinen blassen Augen war er wirklich mein Abziehbild.
Oliver war an allem interessiert, hielt Rachel auf Trab und er liebte seinen Onkel Scott, der eine Menge Zeit im Haus verbrachte. Scott sagte, dass er in der Gegend war, seine übliche Entschuldigung, aber er kümmerte sich tatsächlich um die Erweiterung der Holzhütten, die verkauft waren, sobald die Leute die Pläne sahen.
„Onkel Micah, das Essen wird kalt“, drängte Laurie. Ich hob ihn hoch, hielt ihn fest und er wand sich. Schon bald würde er zu groß sein, als dass ich ihn so halten konnte. Er war stark und fit und arbeitete wie ein Profi mit den Pferden. Er sah immer noch einen Therapeuten, genau wie Rachel, aber sein Blick war weniger gehetzt. Rachel ging es weniger gut, sie hatte Träume, in denen sie nicht entkommen war. Sie sagte, es half, wenn Scott bei ihr schlief. Wer war ich, dagegen etwas einzuwenden?
In Momenten wie diesen, wenn ich meine Augen schloss und den Geruch von Sommer und Pferden einatmete, hätte ich wieder auf der K sein können, mit Henry Junior, der meine Kündigung angenommen hatte, aber sehr traurig gewesen war. Er war auf Besuch gekommen, hatte mir im ersten Jahr sogar geholfen, den neuen Stall zu bauen, und er war Weihnachten gekommen, was gut gewesen war. Ich ließ die sensorische Erinnerung ziehen, als Rachel nach Laurie rief und wir uns wieder darauf konzentrierten, zum Mittagessen zu gehen.
Wenn der Arbeitstag vorbei, die Aufgaben erledigt und das Abendessen gegessen war, wurde ich ruhelos und spazierte hinunter zur Whisper Creek Brücke. Es war einiges getan worden, die Straße war verlegt worden, an einer Seite befand sich Schutt, über den ich klettern musste, um zur Brücke zu gelangen. Ich setzte mich auf die Seite, ließ meine Füße baumeln und starrte hinunter ins Wasser. Mit dem Daumen strich ich über Isaacs Namen und versuchte zu verstehen, wie ich mich fühlte. Ich musste im Augenblick leben, aber auch die Vergangenheit respektieren. Ein kluger Rat von Daniel. Ich schaute auf den Hügel, die Straße, die sich nach unten wand und die jetzt niemand je wieder würde fahren können, weil sie versperrt war und ich erinnerte mich an diese Nacht.
Den Moment, als ich die Kontrolle verloren hatte.
Den Moment, als Chris und Isaac mich aufgefordert hatten, schneller zu fahren.
Den Moment, als ich die Schlüssel genommen hatte.
Und dann an den Moment, als ich Daniel gesagt hatte, dass ich ihn liebte.
Ein Teil davon schmerzte, ein Teil davon brachte mich zum Lächeln, an einen Teil konnte ich noch nicht denken. Ich hörte ein Auto, erkannte den Klang des Motors und rutschte auf der Brücke ein wenig weiter.
Hier wartete ich nach der Arbeit auf Daniel, seit die Sommernachmittage meine Knochen gewärmt hatten und das Eis in mir geschmolzen war. Er setzte sich neben mich und ließ seine Beine ebenfalls baumeln. Wir küssten uns zur Begrüßung und hielten uns an den Händen.
„Der Klempner hat angerufen“, sagte er.
Ich kicherte. „Ich bin so froh, dass du diesen Anruf angenommen hast.“
„Er hat gesagt, und ich zitiere, ‚wie können zwei erwachsene Männer zum dritten Mal innerhalb eines Monats eine solide Duschwand kaputtmachen?‘“
Ich schaute zu unserem Haus, dem ersten von Scotts neuen Gebäuden, das der Brücke am nächsten stand, mit einem großen Garten und genügend Platz für uns beide. Wir waren erst vor einem Monat eingezogen, fanden als Paar immer noch zusammen, aber ich war glücklich und es bestand die Chance auf mehr Glück jeden weiteren Tag.
„Was hast du ihm geantwortet?“
Er stieß mich mit der Schulter an, der Mann, den ich geliebt hatte, seit ich zu jung gewesen war, um es besser zu wissen. „Ich habe ihm gesagt, dass die Tür irgendwie beschädigt gewesen sein muss.“
Ich musterte ihn von der Seite. „Wie zur Hölle hast du das gemacht, ohne zu lachen?“
„Es war schwierig.“
Wir saßen eine Weile schweigend da, beide in Gedanken verloren. Jeden Abend, oder Morgen, wenn Daniel aus irgendeinem Grund gerufen wurde, nahmen wir uns etwas Zeit, hielten uns an den Händen und waren einfach nur. Bis jetzt hatte es funktioniert.
„Ich habe heute nachgedacht“, murmelte Daniel, stupste meinen Fuß mit seinem an, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Gefährlich“, grinste ich.
„Willst du mich heiraten?“
Die Worte drangen zunächst nicht durch und als sie es taten, musste ich keine Sekunde nachdenken.
„Ja.“
Er drehte sich mir zu und umfasste mein Gesicht, genauso, wie er es immer machte und lächelte mich an. „Ich liebe dich“, sagte er und küsste mich.
„Ich liebe dich auch.“
Ich verlor mich in dem Kuss und in der Spätsommerbrise erinnerte ich mich an Isaac und Chris und Rachel und alles ergab einen Sinn.
Ich war genau dort, wo ich sein sollte und ich war froh, dass ich zurückgekommen war, was auch immer der Grund für die Rückkehr gewesen sein mochte.
Ich war zurückgekommen zum Land, zur Familie und dem Mann, den ich liebte.