15
Clair
Tag 5, 9.17 Uhr
Clair stand in Jerome Stouts überfülltem Arbeitszimmer. Der Leiter der Krankenhaus-Security saß auf einem klapprigen Bürodrehstuhl an seinem Schreibtisch und hatte das klobige Telefon zwischen sie beide gestellt. Auf Stouts ausdrücklichen Wunsch rief sie bei Captain Henry Dalton an.
»Fünf? Das ist alles?«, krächzte Daltons Stimme aus dem Lautsprecher. »Wie können Sie ein Krankenhaus dieser Größe überwachen, wenn nur fünf Securityleute im Dienst sind?«
Stout kratzte sich am Kopf. »Diese Frage stellen Sie besser unseren Controllern und nicht mir. Ich versuche, aus den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, das Beste zu machen. Ganz ehrlich? Ich hab einen Kumpel, der am Cleveland General arbeitet, und dort sind sie nur zu dritt. Da kann ich schon dankbar sein für das, was ich hier zur Verfügung habe.«
Clair beugte sich vor. »Captain, er ist hier drin. Wir brauchen Verstärkung.«
»Das CDC wird keine weiteren Zugänge erlauben, genauso wenig, wie auch nur einer von Ihnen rauskommt«, antwortete Dalton. »Außerdem können wir doch gar nicht sicher sein, dass er drin ist.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass unser Toter sich nicht selbst Ohr und Zunge abgeschnitten und dann fein säuberlich in Schachteln verpackt hat. Und das Auge hat er sich wahrscheinlich auch nicht selbst rausoperiert.«
»Wir haben seit heute früh zwei vergleichbare Leichen hier in Chicago und eine weitere in Simpsonville. Ich habe meine Zweifel, dass Ihr Arzt von Bishop ermordet wurde. Viel wahrscheinlicher wäre ein Nachahmungstäter.«
»Und da soll ich jetzt aufatmen, ja? So oder so sind wir in diesem Krankenhaus mit einem Mörder zusammengepfercht!«
»Sie sind Ermittlerin. Machen Sie sich an die Arbeit und ermitteln Sie. Wie viele Kollegen sind bei Ihnen vor Ort?«
»Noch vier«, antwortete Clair. »Einen habe ich zu Darlene Biel und ihrer Tochter Larissa geschickt, Nummer zwei steht vor Kati Quigleys Tür, der Rest ist in der Cafeteria. Ich überlege derzeit, sie alle vier dort runterzuschicken, damit es dort nicht zu einem ausgewachsenen Tumult kommt. Ich kann mich jetzt nicht auch noch um den Mord kümmern. Ich muss diese Leute beschützen. Wir brauchen Verstärkung. So können wir nicht rund um die Uhr weitermachen.«
»Keiner bei Upchurch?«
»Der liegt im Koma. Unwahrscheinlich, dass er noch mal zu sich kommt. Außerdem habe ich keine Ressourcen, um jemanden bei ihm zu postieren.«
»Was ist mit den werten Bundesbehörden?«
»Ich hab schon mit SAIC Hurless gesprochen. Der sieht das wie Sie. Bis das CDC uns erlaubt, die Türen wieder zu öffnen, kommt keiner rein und keiner raus. Nur so behalten wir die Lage unter Kontrolle.« Clairs Blick huschte zu Stout und wieder zurück zum Telefon. »Wo ist die Leiche überhaupt hin – und wer weiß noch davon?«
»Ich habe sie nach unten in die Leichenhalle bringen lassen«, erklärte Stout. »Eine Pathologin hat dort unten Dienst, eine gewisse Amelia Webber. «
»Gut«, sagte Dalton. »Bringen Sie sie in Kontakt mit Eisley aus der Rechtsmedizin. Er hat die beiden von heute früh auf dem Tisch. Und er steht in Kontakt mit Simpsonville. Die drei müssen jetzt ihre Ergebnisse abgleichen – und natürlich muss das so diskret wie möglich passieren. Wenn auch nur irgendwas aus dem Krankenhaus nach draußen durchsickert, könnte die Lage bei Ihnen im Handumdrehen eskalieren.«
Clair verdrehte die Augen. Super Erkenntnis, kam nur zu spät. Die Krankenschwester, die Pentz’ Leiche gefunden hatte, hatte den anderen auf der Station laut genug Bericht erstattet, dass mehrere Angestellte in Hörweite – drei Krankenwärter, ein Arzt und zwei vom Cafeteria-Personal –, aufgehorcht hatten. Clair hatte noch versucht, sie zusammenzurufen und ihnen zu erklären, wie wichtig es jetzt sei, den Mund zu halten. Doch da hatten sie bereits anderen davon erzählt. Die Lawine war schon losgetreten worden.
»Die Katze ist aus dem Sack, Captain«, sagte sie.
»Dann behandeln Sie die Angelegenheit wie jeden anderen Todesfall und versuchen Sie, ihn so schnell wie möglich aufzuklären. Wenn diese anderen Leichen nicht wären, hätte ich auf einen Nachahmungstäter getippt, der diesen Kardiologen einfach nur auf dem Kieker gehabt hat. Irgendwer, der den Hype um 4MK ausnutzt, um jemanden aus dem Weg zu räumen. Diese Version steht nach wie vor im Raum, aber Sie müssen natürlich auch offen bleiben für andere Möglichkeiten. Hat Klozowski den Namen schon überprüft? Hatte er mit Upchurch zu tun?«
»Nicht direkt, nein, allerdings saß er im Klinik-Verwaltungsrat. Kloz versucht gerade herauszufinden, ob er vielleicht mit Budgetierung zu tun hatte, was Upchurch dann mittelbar doch betroffen und Pentz in Bishops Blickfeld gerückt hätte. «
»Gut, sehr gut«, sagte Dalton. »Halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich berichte dann an die nächste Ebene.«
Dann legte er auf.
»Tja, das war kein bisschen hilfreich«, stellte Clair fest.
Stouts Rückenlehne ächzte, als er sich zurückfallen ließ. »Egal ob es Bishop war, irgendein Nachahmer oder wer auch immer – Dr. Pentz’ Mörder ist hier in der Klinik.«
Clair kam etwas in den Sinn. »Sind Sie hier eigentlich mit dem Tunnelsystem unter der Stadt verbunden?«
»Mit welchem Tunnelsystem?«
Clair nickte nachdenklich. »Alte Schmugglertunnel. Verlaufen vom Hafen bis wer weiß wohin, zu zig Stellen innerhalb von Chicago. Wurden während der Prohibitionszeit gebohrt, um Alkohol von A nach B zu transportieren. Inzwischen nutzen Telefongesellschaften und andere Firmen Teile davon. Als wir damals nach Emory Connors gefahndet haben, ist uns irgendwann aufgegangen, dass sich Bishop dort unentdeckt fortbewegen konnte. Da unten kommen Sie ungesehen von einem zum anderen Ende der Stadt.«
Stout runzelte die Stirn. »Ist mir neu.«
»Dann sollten wir jetzt wohl den Keller kontrollieren.«