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Poole
Tag 5, 12.07 Uhr
Sobald Bishops Gesicht auf dem Bildschirm erschien, hielt Poole die Fernbedienung in Richtung des DVD-Spielers und drückte auf Play. Porter starrte gebannt hin.
»Warum haben Sie sich der Polizei gestellt?«, hörte Poole seine eigene Frage aus dem scheppernden Lautsprecher. Nur ein Teil seines Kopfes und seiner Schulter war am äußersten Bildrand zu sehen. Er hatte der Überwachungskamera den Rücken zugekehrt. Die Linse war über seine Schulter hinweg auf Bishop gerichtet.
Bishop blickte kurz auf seine Hände hinab, dann geradeaus. »Ich hatte zig Monate lang Kontakt zu Detective Porter … Ich hätte mich gern schon viel früher gestellt, aber er hat mir immer wieder geraten, es nicht zu tun. Er hat behauptet, es könnte die Suche nach dem wahren 4MK gefährden. Die Öffentlichkeit sollte weiter glauben, dass ich 4MK wäre, während er selbst nach der Person fahndete, die wirklich dahintersteckte.«
»Das ist kompletter Bullshit«, kommentierte Porter. »Warum hätte ich so etwas sagen sollen? Sie haben meine Wohnung doch selbst gesehen. Seit er uns durch die Lappen gegangen ist, hab ich versucht, ihn zu finden.«
Poole hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und zeigte dann auf den Bildschirm
.
»Ich war dumm«, fuhr Bishop fort. »Naiv. Ich hätte ihm kein Wort glauben dürfen. Ich hätte mich an jemand anders wenden müssen, aber er war wahnsinnig überzeugend. Er erzählte mir immer wieder, dass er ganz nah dran wäre, dass es nicht mehr lange dauern würde – das sagte er immer wieder. So hat er mich hingehalten. Aus einem Tag wurde eine Woche, aus einer Woche wurde ein Monat, dann mehrere Monate. Als ich ihn schließlich damit konfrontiert habe, hat er diese Frau erschossen und versucht, auch mich zu erschießen. Wieder musste ich die Flucht ergreifen. Ich hatte gar keine Wahl.«
»Das war im Guyon Hotel, ja?«
»Ja, im Guyon.«
»Warum sollte er die Frau erschossen haben?«
»Er meinte, sie kannte ihn – aus seiner Zeit als Polizeineuling in Charleston. Sie war einer der letzten noch lebenden Zeugen, die die Wahrheit über ihn kannten.« Bishop starrte kurz auf die Tischplatte hinab, rieb den Daumen über die Zeigefingerkuppe und wandte sich wieder an Poole: »Er hat gesagt: ›Sie war dabei, sie hat gesehen, was ich getan habe, also muss sie weg.‹ Das waren exakt seine Worte. Dann hat er für einen Moment nach oben geguckt – irgendwie ins Leere –, hat geflüstert: ›Vater, vergib mir‹, und den Abzug durchgedrückt.«
Bishop hatte Tränen in den Augen. Er versuchte, sie sich mit dem Handrücken aus dem Gesicht zu wischen, und musste sich aufgrund der Fesseln nach unten beugen.
»Er hat sie eiskalt abgeknallt – einfach so in den Kopf, direkt vor meinen Augen! Ich stand unter Schock, aber irgendwie kam ich dann doch wieder zu mir, als er plötzlich die Waffe auf mich richtete und wieder abdrückte. Die Kugel ist haarscharf an mir vorbei … Aber ich hab es geschafft zu entkommen.«
Auf dem Bildschirm nahm sich Poole am Tisch gegenüber
von Bishop einen Moment lang Zeit, über all das nachzudenken. Dann beugte er sich leicht vor, sodass Bishops Gesicht für einen Augenblick verdeckt war, ehe er sich wieder zurücklehnte. »Was ist mit der Frau, die bei ihm war? Sarah Werner?«
Bishop sah ihn verdattert an. »Da war niemand bei ihm. Außer sie hat draußen oder woanders im Hotel gewartet. Ich hab zumindest niemanden gesehen.«
»Porter behauptet, das sei Ihre Mutter gewesen.«
Bishop schloss die Augen und seufzte tief. »Meine Mutter ist vor Jahren gestorben, als mein Elternhaus abgebrannt ist. Mein Vater ebenfalls. Ich bin mir sicher, das steht irgendwo in Ihren Akten. Da war ein See auf unserem Grundstück, dort war ich öfter, um Steine übers Wasser zu schnicken. Wenn ich an jenem Tag nicht am See gewesen wäre, gäbe es mich wahrscheinlich nicht mehr. Ich war ein paar Stunden weg, und als ich wiederkam, war das Feuer schon außer Kontrolle. Die Feuerwehr war angerückt, aber ich konnte ihnen ansehen, dass sie aufgegeben hatten. Einer der Feuerwehrleute hat mich entdeckt und gefragt, ob ich hier wohne, und ich bejahte. Dann fragte er, wo meine Eltern seien. Ich wusste, dass sie im Haus gewesen waren, ich wusste es einfach, aber ich brachte es nicht übers Herz, es laut auszusprechen. Danach weiß ich nicht mehr allzu viel, aber ich war damals ja noch ein Kind. Sie haben mich in eine Einrichtung namens Camden Treatment Center gebracht, wo ich mich ein paar Wochen lang erholen sollte, während sie versucht haben, einen Verwandten ausfindig zu machen, der mich bei sich würde aufnehmen können. Als sie niemanden finden konnten, wurde ich Pflegekind.«
»Sie kamen ins Finicky-Heim, richtig?«
Bishop sah ihn verwirrt an. »Ich … Keine Ahnung, wovon Sie reden. Vom Camden aus bin ich zu den Watsons g
ezogen, die etwa anderthalb Stunden außerhalb der Stadt – also außerhalb von Woodstock, Illinois –, gewohnt haben. David und Cindy Watson.«
»Watson? War das nicht Ihr Künstlername, damals als Sie sich als Metro-Techniker ausgegeben haben?«
Bishop seufzte erneut und versuchte, in einer beschwichtigenden Geste die Hände zu heben. Die Ketten rasselten durch den Metallsicherungsring am Tisch. »Das war dumm von mir, ich weiß. Aber ich hatte befürchtet, wenn ich bei der Metro meinen richtigen Namen benutzen würde, bekäme jemand von alledem Wind – von der Art und Weise, wie meine Eltern gestorben waren … Ich wollte nicht, dass die Leute Mitleid mit mir hätten oder mich irgendwie anders behandelten, also dachte ich mir, es wäre am besten, wenn ich da unter anderem Namen arbeitete. Als ich noch ein Kind war und die Watsons mich gerade erst frisch bei sich aufgenommen hatten, waren dort draußen immer wieder Reporter unterwegs und wollten über das Feuer schreiben. Sie haben mich an der Schule unter ›Paul Watson‹ angemeldet, um diese Schmierfinken loszuwerden.« Er wedelte mit der Hand durch die Luft. »Paul war Davids zweiter Vorname. Ich würde sagen, es hat funktioniert. Man hat mich in Ruhe gelassen. Und irgendwie ist der Name dann hängen geblieben. Soweit ich weiß, haben sie nie offiziell die Änderung beantragt, und ich nehme an, ich hätte mich irgendwann selbst darum kümmern müssen. Aber ich bin einfach nie dazu gekommen, und mit der Zeit fühlte es sich auch nicht mehr so wichtig an.«
»Sie waren also nie in einer Einrichtung namens Finicky-Heim?«
Bishop schüttelte den Kopf.
»So steht es aber in Ihren Tagebüchern.«
Bishop beugte sich so weit vor, dass die Ketten sich spannten und ihn zurückhielten. »Sorry, ich … Ich weiß ni
cht, wie viel Zeit uns bleibt. Ist … Bitte sagen Sie mir, dass Paul Upchurch noch am Leben ist. Er dürfte der Einzige sein, der außer mir die Wahrheit kennt.«
»Warum? Woher kennen Sie ihn?«
Bishop lehnte sich zurück. »Ich kenne ihn gar nicht, also, nicht wirklich. Aber er ist der Typ, den Porter damit beauftragt hat, diese Sachen aufzuschreiben.«