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Poole
Tag 5, 16.06 Uhr
Poole starrte immer noch auf den Schreibblock, als Nash endlich ebenfalls in den Vernehmungsraum kam und die Tür hinter sich zumachte. Leise ergriff er das Wort: »Wer immer Ihren Chef herumscheucht, der scheucht auch meinen herum. Ich hätte längst suspendiert sein müssen – die Presse spielt dieses verdammte Video von mir und Bishop auf Dauerschleife. Sogar ich
bin von mir angewidert. Trotzdem hat er mir gerade das Gleiche gesagt, was Hurless zu Ihnen gesagt hat: Bis der Bürgermeister wieder aufgetaucht ist und wir alles unter Kontrolle gebracht haben, bleib ich an Bord.«
»Was ist mit Bishop und Porter?«
»Jeder draußen hat sie auf dem Schirm – Bundesbehörden ebenso wie die Metro. Flughäfen, Busse, Bahn – es ist alles gesperrt. Offiziell heißt es, 4MK habe einen Mann verschleppt. Dass man noch nicht wisse, um wen es sich handelt, dass der Mann aber noch am Leben sei. Dem Captain zufolge darf ich außer mit Ihnen mit niemandem darüber reden, nicht einmal mit Klozowski und Clair – was Bullshit ist. Ich bespreche alles mit den beiden.«
Er hielt einen Zettel in die Höhe.
»Aber ich hab die Adresse von Pizza Carmine. Womöglich sollten wir dort gleich mal vorbeigucken. Ich traue
Warnick nicht über den Weg. Kann sein, dass er recht hat, aber …«
Poole sah nicht mal von seinem Schreibblock auf. »Ich fliege nach Charleston.«
»Jetzt? Haben wir dafür Zeit?«
»Wir hinken von Anfang an hinterher und verlieren allmählich den Anschluss. Ich will endlich wissen, womit wir es zu tun haben. Wir müssen die Zügel wieder selbst in die Hand nehmen. Sie haben es draußen im Wagen doch selber gesagt: Alles weist in Richtung Charleston. Ich glaube, wenn wir herausfinden, was dort passiert ist, dann wissen wir auch, wer all diese Leute umbringt und warum.« Er tippte auf einen Namen auf seinem Block. »Außerdem ist da noch das hier.«
Nash folgte Pooles Fingerzeig. »Wiesel?«
»So hieß der Dealer, der Porter angeschossen hat. Und Porters Aufzeichnungen zufolge kam er in Bishops Tagebüchern vor.«
»Ich dachte, Sie geben nichts auf die Tagebücher?«
Nash sah sich im Raum um und dann zu dem Spionspiegel, hinter dem er vor Kurzem erst gestanden und Porter beobachtet hatte. Im selben Moment dämmerte es ihm.
»Porter hat die Tagebücher mitgenommen«, stellte er leise fest, während sein Gehirn noch immer auf Hochtouren lief. »Wenn er Upchurch beauftragt hätte, sie zu fälschen, hätte er sie hier liegen lassen.«
»Vielleicht wollte er auch einfach nicht, dass das Sprinklerwasser sie zerstört. Vielleicht hat er sie einfach nur woanders hingebracht«, gab Poole zu bedenken, obwohl er selbst hörte, wie wenig überzeugend das klang.
»Er hat sie mitgenommen, weil er damit noch nicht fertig war«, entgegnete Nash. »Er weiß genauso wenig wie wir, was da noch alles drinsteht.«
»Keine voreiligen Schlüsse«, sagte Poole und hielt sein
Handy in die Höhe. »Hier drin hab ich die Scans. Ich lese ebenfalls. Vielleicht kann ich mich so besser in ihn hineinversetzen.«
»Oder in Bishop.«
Poole sah wieder auf den Block hinab. »Ob sie nun echt oder gefälscht waren … Diese Bücher sind die Brotkrumen, an denen sich einer der beiden gerade orientiert – oder vielleicht sogar beide. Irgendetwas aus der Vergangenheit drängt da ans Licht. Was immer wir bislang ausgegraben haben, verweist nach Charleston. Wir müssen endlich herausfinden, was dort vorgefallen ist. Wenn wir das wissen, wenn wir endlich wieder vorne mit dabei sind, dann lösen wir diesen Fall und finden auch den Bürgermeister.«
Nash sah durch das Fensterchen hinaus auf den Flur, ehe er umso leiser erwiderte: »Sie werden uns nicht dorthin fahren lassen. Nicht im Moment. Die brauchen uns hier.«
»Und genau deshalb sagen wir ihnen nichts davon.«