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Porter
Tag 6, 5.39 Uhr
Einen schweren anthrazitgrauen Wollmantel, einen grauen Schal und die passende Mütze, schwarze Lederhandschuhe – all das hatte Porter in dem Cadillac Escalade vorgefunden, der am Flughafen für ihn bereitgestanden hatte. Die .38er steckte in seiner rechten Manteltasche. Jedes Mal, wenn er die Hand aus der Tasche zog, wanderte sie wie von allein wieder zurück, als wollte sie unbewusst den Stahl spüren. Die Waffe fühlte sich beruhigend und vertraut an.
In der Linken hielt Porter das Handy. Die Menschenmenge rund um das Guyon war riesig – und wuchs weiter an. Er hatte den Wagen drei Blocks entfernt abgestellt und war zu Fuß durch den Schnee weitergeeilt; näher heran hätte er gar nicht fahren können. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Durcheinander auf Bishop zu treffen, war höchst gering – aber irgendwas sagte ihm, dass Bishop ihn mithilfe des Handys würde aufspüren können.
Über ihm kreiste ein Hubschrauber.
Überall Einsatzkräfte sämtlicher Behörden – Metro-Uniformen, Zivilfahnder in der Menge. Für ihn leicht zu erkennen – die meisten anderen unterhielten sich, scherzten, sahen sich neugierig nach jedem sich nähernden Fahrzeug um, während die Officers schweigend und systematisch die Menge absuchten .
Sie suchten nach ihm.
Er wusste, dass sie ihn genauso sehr würden unschädlich machen wollen wie Bishop. Also zog Porter sich die Mütze tief ins Gesicht und den Schal so weit wie nur möglich nach oben, während er selbst den Blick schweifen ließ.
Wenn Bishop wirklich vorhatte, das Virus hier freizusetzen, dann bräuchte er dafür eine Art Verteiler. Porters erster Gedanke war die Sprinkleranlage im Guyon gewesen, gerade angesichts der Ereignisse in der Metro, aber diese Leute hier standen im Freien.
Das Handy vibrierte.
Unbekannte Nummer.
»Was für ein Spektakel, finden Sie nicht?«
Diesmal war es nicht Sarah, sondern Bishop selbst.
Porter blickte kurz auf, musterte die Gesichter um ihn herum. Er wusste, dass Bishop nah an ihm dran war – das sagten ihm sein Instinkt und das Prickeln auf seiner Haut. Allerdings war Bishop nirgends zu sehen. »Sag mir, was mit Libby passiert ist.«
»Sie wissen, was mit Libby passiert ist.«
»Ich weiß, dass sie inzwischen tot ist«, erwiderte Porter nüchtern. »Aber in deinem Tagebuch steht nicht, was nach dem Finicky-Heim mit ihr passierte. Nachdem ihr Stocks totgeschlagen hattet. Du hast sie irgendwann wiedergefunden, stimmt’s?«
»Werden wir jetzt sentimental, Sam?«
Porter sah sich erneut um – Bishop musste hier sein. »Ich ziehe nur meine Schlüsse. Poole hat Franklin Kirbys Haar in einer Schublade in dem Haus gefunden, das Libby hier in Chicago gemietet hatte. Sie hatte auch das Foto von deiner Mutter mit Mrs. Carter – und eine Waffe. Einen gefälschten Ausweis. Was ist passiert, nachdem sie das Farmhaus verlassen hatte? «
Bishop seufzte. »Sie und ich, wir haben für Mr. Franklin Kirby einen speziellen Platz in unseren Herzen.«
»Du hast behauptet, Kirby sei mit deiner Mutter durchgebrannt.«
»Und ich war ihm so dankbar dafür! Mutter wäre schwer aufzuspüren gewesen, wie Sie sich bestimmt denken können. Aber Franklin Kirby – der hat die eine oder andere Spur hinterlassen. Er war nicht schwer zu finden. Ich hab ihm ein paar Jährchen lang aufgelauert. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie überrascht ich war, als Libby so lange danach behauptete, ihn wiederzuerkennen.« Er hielt für ein paar Sekunden inne. »Warum haben Sie meine Freunde getötet, Sam? Warum konnten Sie uns nicht einfach ziehen lassen? Wir hatten ohnehin schon so viel durchgemacht. Waren wir für Sie wirklich nur Dollarscheinchen? Vieh, das man zum Fleischmarkt trieb?«
Im selben Moment entdeckte er ihn – im Profil, nur ganz flüchtig, weil Bishop sich sofort weggedreht hatte und in die Gegenrichtung blickte. Vielleicht fünf, sechs Meter vor ihm in der Menge, mit dem Handy am Ohr. Porter schob sich zwischen den Schaulustigen hindurch und packte ihn am Kragen.
Es war nicht Bishop.
»Wenn Sie sich jetzt auch noch festnehmen lassen, Sam, dann verpassen Sie die Show.«
Porter bedachte den Mann mit einem bedauernden Blick und drehte sich langsam um die eigene Achse. »Wo zur Hölle steckst du?«
»Ganz in der Nähe.«