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Tagebuch
Stocks war tot.
»Nimm seine Knarre«, sagte Vincent und starrte die Leiche an.
»Stocks? Was ist da oben los?«, brüllte Welderman aus dem Erdgeschoss.
Stocks war tot. Aus seinem Hinterkopf sickerte ein wenig Blut, wo Vincent ihn mit dem Schraubenschlüssel getroffen hatte, allerdings konnte ich unter dem verfilzten Haar und dem Riss in der Kopfhaut weißen Knochen sehen. Er hatte ihm den Schädel eingeschlagen.
»Nimm einer die gottverdammte Knarre!«, wiederholte Vincent. Er stellte sich mit dem Rücken zur Wand an die Tür und machte sich bereit, die nächste Person, die die Treppe hochkäme, ebenfalls niederzuschlagen.
Mit zitternden Händen beugte Libby sich hinunter und nahm die Waffe hoch.
Ich nahm sie ihr ab. Ich wusste, was als Nächstes passieren würde, und wollte nicht, dass Libby erfuhr, wie es sich anfühlte, jemanden umzubringen. Ich wollte nicht, dass sie dieses Gefühl je haben müsste.
Kid stöhnte auf seinem Bett.
Tegan war leichenblass. Kristina klammerte sich an sie und starrte immer noch auf Stocks’ leblosen Leib hinab.
»Stocks? Ich komm jetzt hoch!«
»Beeilen Sie sich«, rief ich, »ich glaube, er hatte einen
Herzinfarkt!« Dann kniete ich mich zwischen Stocks und die Tür, sodass von dort der zertrümmerte Schädel nicht zu sehen wäre. Die Waffe hielt ich mit dem Finger am Abzug hinter die Leiche. Ich hatte von Schusswaffen nicht sehr viel Ahnung, aber das hier war ein Revolver, insofern glaubte ich nicht, dass er entsichert werden müsste. Ich hoffte
, er müsste nicht entsichert werden.
Vincent presste sich so dicht an die Wand, dass ich schon glaubte, er würde durch die Tapete verschwinden. Er nickte mir knapp zu und hob den Schraubenschlüssel über den Kopf.
Welderman nahm immer zwei Stufen auf einmal. Noch ehe er in Sicht kam, konnte ich seinen Schatten an der Wand sehen, der mit jedem Stampfen seiner Stiefel höher aufragte. Und ab dem Moment, da er die Tür erreichte, lief alles in Zeitlupe ab. Ich bin mir nicht sicher, ob es Stocks’ Anblick war, die Angst in Tegans Blick, Paul, der sich in die Ecke drückte, oder ich selbst, der am Boden kauerte. Aber irgendwas sorgte dafür, dass er jäh innehielt. Und zwar noch vor der Schwelle.
Vincent hatte damit gerechnet, dass er ins Zimmer stürmen würde, und schwang den Schraubenschlüssel, noch ehe Welderman den nächsten Schritt gemacht hatte. Wenn er weitergegangen wäre, hätte Vincent ihm den Kiefer gebrochen. Doch weil er stehen geblieben war, erwischte Vince ihn bloß am Oberarm, direkt unterhalb der Schulter. Streifte ihn eher. Welderman zuckte zurück und griff nach seiner Waffe.
Ich riss Stocks’ Revolver hoch und feuerte dreimal ab. Die erste Kugel schlug ein paar Zentimeter über seinem Kopf in die Wand ein. Ich spürte den Rückstoß, dann den zweiten – und traf wieder die Wand, diesmal höher, und dann die Decke im Flur.
Welderman wich von der Tür zurück, riss Fotos von der
Wand, rollte sich zur Seite ab und verschwand dann die Treppe hinunter, noch während ich ein viertes Mal schoss.
»Gib her!« Vincent riss mir die Waffe aus der Hand und rannte Welderman über den Flur nach.
Dann hörte ich zwei weitere Schüsse. Keiner davon kam von Vincent.