Kapitel 5
Simona bekam ihren impulsiven Anfall und wenn wir beide auch nur halbnackt gewesen wären, hätte Simona mich vermutlich stranguliert. 
Trotzdem sie das nicht tat, kochte sie vor Wut, was eine innere Freude in mir auslöste, auch wenn sich das Gewitter nicht sofort verzog. Eine Tasse flog in meine Richtung und das war nicht als Spaß gemeint.
»Ich dachte, ich hätte endlich einen Freund gefunden. Drei Tage bin ich weg und du liegst mit einer anderen im Bett.«
Das war nicht unbedingt logisch. Es zeigte aber Simonas Neigung aus einer gewöhnlichen Beobachtung ein Drama wie bei den Tudors zu machen. Ich musste allerdings zugeben, die Situation bot einen gewissen Spielraum für verwirrende Gedanken. Ich sagte:
»Erst war ich betrunken dann war Emilia betrunken, es ist garantiert nichts passiert.«
»Und was macht der BH da?« Neben Emilia lag ein rosafarbener BH. Emilia bekam kaum ihre Augen auf. Sie hob ihren Kopf um ein paar Zentimeter.
»Der hat in der Nacht gedrückt.«
»Was willst du überhaupt hier, dein Vater sucht dich.«
»Mein Vater? Der hat mir die doch auf den Hals gehetzt.«
»Wer sind die, drück dich mal klar aus.« Simona kochte weiter.
»Mafia, die Cosa Nostra, die ’Ndrangheta.« Ich verdrehte meine Augen.
»Was wollen die denn von dir? Glaubst du die geben sich mit sowas ab und wieso soll sich dein Vater mit denen einlassen, verrückt ist er wohl nicht, glaube ich zumindest.« Ich erklärte Emilias Gedanken. Vielleicht tat ich das mit einer Spur Ironie. Emilia lief rot an und schrie geradezu:
»Ihr Idioten, es stand in der Zeitung, lest ihr keine Zeitungen, bekommt ihr keine Pushnachrichten…?« Ich fragte mich, wie man sich aus dem Schlaf heraus so aufregen konnte. Simona und ich sahen Emilia fragend an.
»Dass ich gesagt hätte, die Mafia wars, das ging in ganz Italien durch sämtliche Medien, glaubt ihr vielleicht die lassen sich das gefallen, seid ihr so naiv? Ich war schockiert darüber, was ich gesagt hatte, was ich angerichtet hatte, es ist für immer in der Welt. Ich musste weg, weg aus Triest, mich kennt jeder, erst hier, jetzt in ganz Italien.« Simona schob ihren Pullover hoch, legte ihren BH an und schloss ihn auf ihrem Rücken.
»Erst wollte ich nach Frankreich, dann viel mir ein, ich hatte kein Geld, keine Kreditkarte einfach nichts, es war alles zuhause. Seit mich dieser Commissario verhört hat, bin ich in Panik, ich war nur unterwegs, bin rumgelaufen, wie eine Obdachlose, dauernd habe ich mich umgesehen, es wurde so schlimm, dass ich ein Messer geklaut habe, ein Küchenmesser, hier ist es.«
Emilia zog ein Brotmesser, das in einer Plastikscheide steckte, aus der Innentasche ihrer Lederjacke.
»Es war kalt in der Nacht, mir war nicht klar wie kalt es einem wird, wenn man nichts isst, sich nicht ausruht. Den Pullover habe ich auch geklaut, die verschwitzte dünne Bluse weggeschmissen. Ich hatte kein Geld, zurück bin ich schwarz gefahren, habe mich die ganze Zeit auf den Klo eingeschlossen. Du musst mir helfen Simona, du kannst dich durchsetzen.« 
»Was ist mit deinem Vater, willst du den nicht anrufen?«
»Nein, das geht nicht, er hat sich an die Clans verkauft, sie haben seine Partei finanziert, so ist das in Italien. Ich habe ihn ja angerufen, er denkt ich bin in Frankreich, ich kenne dort auch Leute, mein Vater weiß nicht, wer das ist.«
Diese Emilia war bemerkenswert, ich dachte an Bellini. Emilia war es, die dem nachgehen konnte.
»Emilia, du kannst in den Keller gehen und Duschen, das hast du nötig.« Emilia ließ ihre Schultern fallen, blies ihre Backen auf, dann begriff sie, dass es so war wie ich sagte.
»Es ist jetzt nicht die Zeit das beleidigte Mädchen zu spielen, geh nach unten. Simona, gibst du ihr was zum Anziehen?« Beide Frauen stutzten. 
»Komm mit, ich zeige dir, wo das ist«, sagte Simona. Emilia wandte mir noch einmal ihren Kopf zu und streckte die Zunge raus. 
***
Ich war ungeduldig, sah eine Schlussfolgerung, sah das, was sich ereignet haben könnte und das ließ mir keine Ruhe. Ich musste nur noch den Abdrücken folgen wie ein Detektiv mit der Lupe.
Der Gegenstand, der sich vor mir auftat, war wenig kompliziert. Man musste die Ereignisse Zurückspulen, wie man eine Wolle aufwickelt. Jetzt musste ich die Dinge in die Hand nehmen und nach vorne treiben. Simona kam zurück.
»Die drei Bilder, die gestohlen wurden, sind von einem Amadeo Bellini. Ich habe diesen Bellini gefunden, er lebt in Limassol, auf Zypern.« Ich zeigte Simona Amadeos Homepage. Er war ein Dutzend Mal abgebildet. Meistens grinste er breit in die Kamera. Er schob eine gewaltige Sonnenbrille hoch und hielt ein Whiskeyglas in der Hand. Dann zeigte ich Simona den Tweet von dem Anonymus Leonardo, der einen Mann, mit demselben Körperumfang zeigte.
»Das ist er, Amadeo Bellini. Leonardo der Maler und Leonardo, der mir auf Twitter eine Nachricht geschickt hat und den Mittelfinger zeigt«. Ich schilderte Simona meinen Besuch im Museum.
»Er ist ein Clown, kann nicht stillhalten, er musste mich provozieren als er gesehen hat, dass ich in die Sache verwickelt worden bin. Eine falsche Spur, das hat ihn natürlich erbost.« Ich sah Simona an, die mit zugekniffenen Augen mal die Homepage, dann den Tweet ansah. 
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir fliegen nach Zypern, nehmen dem Dicken sein Whiskeyglas aus der Hand und fragen ihn höflich in welchem Wäscheschrank die geklauten Bilder stecken. Dann nehmen wir sie mit, hängen sie wieder auf wo sie waren, und kassieren die 500.000 Euro.« Simona sagte nur:
»Ich muss erst mal meine Backpackertaschen ausräumen.« Sie ging zu ihrem Rad, das im Flur stand, nahm ihre Taschen ab und schüttete alles auf den Boden. Ich suchte schon Flugverbindungen raus, als Simona und Emilia gleichzeitig zurückkamen.
Simona erklärte Emilia was es mit dem Tweet, dem Pseudonym Leonardo und der Homepage von Amadeo auf sich hatte. Ich saß auf dem Bett und lehnte an der Wand, Simona setzte sich neben mich, Emilia in den Sessel.
»Natürlich ist dieser Leonardo und Amadeo derselbe, vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist niemand so blöd und versteckt frisch geklaute Bilder bei sich. Überleg doch mal, warum er den ganzen Aufwand getrieben hat«, fragte Simona warmherzig, offensichtlich bemüht darum, dass ich das, was sie sagen würde, nicht als Kritik verstehen sollte.
»Er hat Leute beauftragt, die den Überfall vorbereiteten, andere haben ihn ausgeführt, sicher nicht dieselben, dann muss er die Bilder aus Italien herausgebracht haben. Wie viele Leute hat er bezahlt, wie viele bestochen?« Simona verschränkte ihre Arme, ihr Blick ruhte auf mir.
»Keine Ahnung, er hat seine Bilder klauen lassen um bekannt zu werden, ist doch klar. Er hat sie nur deshalb irgendwie in die Ausstellung gebracht, um sie stehlen zu lassen. Wir können auch da anfangen und untersuchen, wie er sie angeboten hat.«
»Das ist doch Quatsch«, mischte sich Emilia ein.  Scheinbar hatte auch sie eine grobe Seite. Vielleicht war es ihre Absicht, die Harmonie, die Simona und mich umfing zu stören.
»Jede Galerie kann die Bilder angeboten haben und die haben sie wieder von einer anderen Galerie übernommen. Das war keine besondere Ausstellung, die Bilder sind nicht schlecht, nicht ohne Talent gemalt. Sie zurückzuverfolgen, zumal ihr Ursprung überhaupt nicht bekannt ist, kann man vergessen. Natürlich ist Amedeo Bellini ein Pseudonym, jeder kann sich so nennen, oder den Namen kopieren. Ein Gemälde kann zehnmal höher oder zehnmal niedriger taxiert werden, es ist ideal für Geldwäsche und Steuergeschäfte, keine Ahnung was die Motive von dem, der sich Bellini nennt sind.«
»Wie kamen die Bilder in das Museum?«, fragte ich Emilia.
»Das Museum sagt nichts, sie würden unter einem Schock stehen«, antwortete Simona.
»Ein Schock? So ein Blödsinn, die sind happy, dass sie in die Schlagzeilen kommen«, erregte sich Emilia.
Wir schwiegen. Simona sagte:
»Was ich sagen will, dieser Bellini hat sich schon einiges ausgedacht und jetzt, wo über die Bilder aufgeregt berichtet wird, nützen sie ihm zuhause überhaupt nichts, er hat sie angeboten, irgendwo, durch irgendwen, von Triest nach Limassol fahren jeden Tag Schiffe.«
»Das ist mir auch klar, Simona, das mit dem Wäscheschrank war natürlich nicht ernst gemeint.« Simonas Belehrungen gingen mir auf die Nerven.
»Wir müssen aber irgendwo anfangen und das ist bei ihm zuhause, oder in seinem Atelier, das ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben.«
Vielleicht fühlte sich Emilia von uns ignoriert.  Ich wohnte bei Simona und auch wenn sich Simona über mich aufgeregt hatte, die Vertrautheit zwischen Simona und mir war nicht zu übersehen. Emilia ätzte:
»Und wie willst du das machen? Gehst du hin, klingelst und sagst, entschuldigen sie, haben sie ihre eigenen Bilder in Triest klauen lassen? Ist doch ziemlich dämlich, oder?«
»Ich? Nein du gehst hin, du bist die Kunstexpertin, in Zypern gibt es sicher einen Galeristen, der Bellinis Bilder ausstellt, zu dem gehst du zuerst, fragst ihn, wer der Maler sei, du würdest ihn nicht kennen und so weiter, du musst halt charmant sein, das kannst du doch.« 
Diese Bemerkung führte zu einer ziemlichen Verwirrung in Emilias Kopf.  Emilias Gesicht verhärtete sich, mein Spott ärgerte sie. Etwas hatte ich ausgelöst.
»Ich neige vielleicht zu Übertreibungen, das ist meine Fantasie, wie die Angst vor der Mafia, ich weiß das. Wie ich mich selbst sehe, ist nicht, wie ich auf andere wirke. Stimmt, ich verstehe die Malerei, ich kann mich mit denen unterhalten, kann sie ausfragen, wir müssen wissen wer die Bilder zurzeit hat, vielleicht hat er sie tatsächlich per Schiff nach Triest gebracht. Ich kann das machen, ich kann mit Menschen umgehen, kann mich einfühlen…« In dieser Art der Selbstbestätigung redete Emilia weiter.
»Mir ist aber auch klar, ich bin viel zu bekannt, für dieses Wagnis. Tagelang wurde über mich spekuliert, ob ich hinter den Zerstörungen stecke, jeder kennt mich in ganz Italien. Ich bin bekannt, man kennt mich«, wiederholte sie noch einmal.
Das war es wohl, was ihr zu Kopf gestiegen war. Im Übrigen zeigte sich, Emilia war beängstigend labil.
»Hatte die Bande irgendeine Beziehung zu Triest, würde ich sofort erkannt werden…oder ich habe Glück und die Zyprioten wissen nichts von mir. Ich ignoriere diesen Gedanken, wir müssen weiterkommen. Ich bin Emilia Firenzzi, ich weiß.« Emilias Hals hatte sich gerötet.
»Der einzige Lebenstrieb ist der Zynismus«, sagte sie ohne einen Zusammenhang plötzlich aus einem Gedanken heraus.
Als sie endlich schwieg, dachte ich, du bist doch ziemlich Gaga.
»Lasst uns die Flüge buchen«, sagte Simona.
An diesem Abend, es war eigentlich in der Nacht, fragte mich Simona, ob ich in ihrem Bett schlafen würde. Keine Ahnung, ob es daran lag, dass Emilia mein Bett belegte, oder ob sie mich bei sich haben wollte. Im Haus waren ein Dutzend Zimmer frei.
Als wir dort lagen, drehte sich Simona zu Seite. Später drückte ich mich an ihren Rücken. Sie stieß mich mit ihrem Ellenbogen zurück, und bewegte sich an den Rand des Bettes.
Es war Morgen, Emilia tauchte wieder auf. Ihr Blick fiel auf die gedruckten Flugtickets.
»Wann fliegen wir?«, fragte sie und griff nach den Tickets.
»Morgen früh schon?«, stellte sie fröhlich fest.
»Ich muss was zum Anziehen kaufen, kommt ihr mit?« Simona schien durch die lange Anwesenheit von Emilia genervt zu sein. Sie saß an ihrem Rechner und raunte nur:
»Ich muss Arbeiten die Aufnahmen schneiden und das Audio in Ordnung bringen.« Ich verneinte ebenfalls mit einer Kopfbewegung. Als die Tür zufiel, sagte Simona trocken:
»Vielleicht kommt sie auch nicht wieder.« Ich nahm meinen Rechner auf die Knie und googelte alles, was ich über unsere Sache wusste.
***
Wir nahmen unser Gepäck vom Band und gingen zu einem Schalter für Mietwagen. Emilia schob einen unglaublich großen Koffer vor sich her.
»Was hast du denn in deinem Koffer?«, fragte ich Emilia, während wir im Fahrstuhl standen, um auf die Straßenebene zu kommen.
»Meine neuen Sachen, ich hatte ja nichts.«
»Aha und was ist das genau?«
»Klamotten eben, nichts Besonderes, hat alles zweitausend Euro gekostet, man muss ja nicht immer so viel Geld ausgeben.« Simona und ich sahen uns an. Emilia meinte das ganz sicher ernst.
»Woher hattest du denn plötzlich Geld?«
»In den Boutiquen, in denen ich kaufe, brauche ich kein Geld. Die Rechnungen schicken die irgendwo hin.«
Wir fuhren los. Richtung Norden sahen wir Geröll und karge Bergrücken. Häuser klebten einsam wie Wadis in der Wüste an ihnen. Sie waren von Bäumen und weißen Mauern umgeben.
Entlang des Meeres leuchteten warme Farben. Es reihten sich Pinien neben den Villen mit ihren Pools und Gärten. Ein endloser Blauer Himmel strahlte über dem Meer. Ich fuhr langsam. Schweigend genossen wir die Morgenstimmung. 
Emilia spielte einen italienischen Schmusesong auf ihrem Telefon. Amarti è l'immenso per me. Sie sangen beide, meine Freundinnen. Ich lächelte abwesend.
Es ist nicht so, dass Autofahrten in Zypern lange dauern würden, egal wo man hin will. Sosehr wir die Fahrt genossen, nach einer Stunde parkten wir vor unserem Hotel. Simona hatte drei Zimmer gebucht, eines stornierte sie beim Check-in.
Wir waren in einer Urlaubsstimmung und redeten nicht einmal über unser eigentliches Vorhaben. Wie die Kinder strebten wir ans Meer. Zum Strand mussten wir nur über die Promenade gehen. Wir kauften einen Ball, Emilia ein paar Dosen Bier und wir alberten im seichten Wasser herum, sogar ich, was etwas heißen will. Es war Hochsaison der Strand war voll. Wir hörten russisch, dazwischen Engländer und andere Europäer.
Ich glaube in dem Augenblick fühlten sich sowohl Simona, als auch Emilia von ihrer jeweiligen Last befreit. Bei Emilia war klar, was es war, bei Simona vermutete ich es war ernster, sie war krank. Nach zwei Stunden wich unsere Albernheit, es wurde heiß. Wir machten uns auf den Weg zurück ins Hotel. Ich setzte mich an meinen Rechner.
In einem Verzeichnis für Galeristen auf Zypern fand ich einen Pierre Ardéche der Amadeo Bellini vertrat. Die Internetseite war auf Französisch und Griechisch, weshalb sie mir nicht früher aufgefallen war. Den Link sandte ich an Emilia und Simona. Super und Danke , kam zurück.
Von der Sonne ermüdet, legten wir uns hin. Später trafen wir uns in der Lobby. Wir gingen wieder über die Straße, das Meer war still die Dämmerung brach herein. Bars und Restaurants reihten sich entlang der Promenade. Wir schoben uns durch die Menschenmassen.
»Wo wollen wir hingehen?«, fragte Simona, die plötzlich in eine nervöse Eile verfiel, wodurch sich auch bei mir eine Unruhe einstellte. Simona ging schneller, Emilia und mir voraus.
»Ich habe keine Ruhe, ich muss zurück ins Hotel, ich komme gleich wieder.« Ohne eine Reaktion abzuwarten, wandte sich Simona um und verschwand in der Menge.
Was hieß das? Ich blieb stehen. Ich verstand Simona nicht. Es ging nicht darum allein mit Emilia zu sein. Sofern sie nicht auf der Flucht oder sonst wie überreizt war, stellte sie sich als umgänglich heraus.
Es ging darum, dass ich mir Sorgen um Simona machte. Was sollte ich tun, sollte ich ihr Folgen? Ging es Simona schlecht, musste sie sich übergeben, hatte sie Schmerzen?
Wir schlenderten allein weiter, entfernten uns immer mehr von der Stelle, an der uns Simona verlassen hatte. Sollte ich Emilia stehen lassen und zu Simona ins Hotel eilen, ohne dass ich wusste, was war, würde ich mich lächerlich machen?
»Was heißt den sie hat keine Ruhe? Weißt du was?«, fragte ich Emilia. Emilia musterte mich.
»Ihr kennt euch erst ein paar Tage. Ich sollte dir das wahrscheinlich nicht sagen, frag sie besser selbst was ist. Lass uns da rüber gehen, sie wird ja gleich wiederkommen.« Emilia wies auf eine Bar, die von außen zu den besseren zu gehören schien. Schweigsam saßen wir an einem geöffneten Fenster. Ich sah auf die Uhr. Mir fiel auf, dass Emilia dieselben Klamotten trug, wie vor zwei Tagen, nämlich Netzstrümpfe, den knappen roten Rock, schwarze Stiefel, die Absätze waren höher. Anstatt des Pullovers, trug sie eine transparente schwarze Bluse, ein schwarzer BH war zu sehen. Ihre Lippen waren mit einem dunklen Blau geschminkt, ihre Augen mit Kajal umrandet. Die Perlenohrringe und ihre Perlenkette passten nicht dazu.
»Eigentlich trage ich einen Nasenring, aus Titan…«, plapperte Emilia los. Mir war überhaupt nicht danach, mich mit ihr über Stilfragen und ihr Äußeres zu unterhalten, obwohl klar war, dass ihr ihre Erscheinung wichtig war. Im Falle von Äußerungen meinerseits hätte sie wohl kaum eine MeToo Debatte gestartet.
Mein Blick schweifte auf das Meer. Silhouetten von Tankern hoben sich in der Nacht ab. Eine Plattform zur Exploration von Öl oder Gas lag draußen und war nur schemenhaft zu sehen. Um uns herum war es laut, die schmale Promenade quoll über von Menschen. Zyprioten und Griechen, schwitzende Touristen, Russen.
Flüchtlinge hockten auf einer kleinen Mauer. Manche unterhielten sich, während sie auf ihre Telefone starrten, andere blickten apathisch vor sich hin, andere bettelten.  Polizisten gingen auf sie zu, die Gruppe löste sich auf.
Der Himmel wurde von irgendeinem Ort aus mit Laser beleuchtet, überhaupt war die Promenade grell, Musik überschnitt sich. Glücklicherweise lag unser Hotel auf der Rückseite eines Straßenzuges.
Die Frau an der Rezeption hatte ein Fischrestaurant empfohlen, das neben dem Hotel lag. Emilia redete irgendwas über Maler, von denen ich keinen kannte, ich hörte nicht hin. Noch einmal sah ich auf meine Uhr, fast eine Stunde war vergangen.  Meine Nervosität quälte mich.
»Ich gehe zurück.« Ich stand auf, wollte einfach weggehen, Emilia war auch aufgestanden, sie folgte mir, wie konnte ich sie jetzt loswerden?
»Kannst du bezahlen?«
»Hast du Geld?« Ich drückte ihr Scheine in die Hand. Beim Gehen dachte ich noch, hoffentlich ist sie Morgen in der Lage die Galerie zu besuchen, dann verschwand Emilia aus meinen Gedanken.
In der großen weiten Halle mit ihrem Marmorfußboden, in den Ornamente eingelegt waren, herrschte eine sakrale Stille.  Die schweren Vorhänge waren zugezogen, man hörte die Klimaanlage, es war kalt. Vorne an der Bar lief tonlose eine Fußballübertragung. Nur der Barkeeper warf ab und zu einen Blick auf den Bildschirm, während er mit einem Tuch Gläser auswischte.  Die Sitzgruppen lagen weit auseinander, kaum eine war besetzt.
Sie saß ganz hinten, zusammengekauert, mit angezogenen Beinen in einem Sessel.
Simona war leichenblass, sie fror. Sie hielt eine Tüte, ähnlich wie sie in den Sitzen in Flugzeugen stecken in ihrer Hand.  Der tiefe Sessel hinderte mich daran sie in den Arm zu nehmen. Ich kniete mich vor ihr nieder und nahm ihre Hand.
»Warum bist du nicht auf dem Zimmer?«
Mit matter Stimme antwortete Simona:
»Ich habe keine Kraft. Die Entzündungen, meine Brust ist heiß wie Feuer. Blut fließt aus der rechten Brust. Letzte Woche, bevor ich nach Dalmatien bin, habe ich gemerkt, dass meine Lymphknoten unter den Achseln geschwollen sind... es ist zurück Carlo.«  Ich war so hilflos, wie man in so einer Situation nur hilflos sein konnte. Sanft strich ich über Simonas Haar.
»Ich habe Angst Carlo, ich wollte es dir sagen, du bist ein Geschenk des Himmels…« Ich legte einen Finger auf Simonas Lippen. Sie beugte sich nach vorne, wir umarmten uns.
»Ich wollte es nicht wahrhaben, ich war blockiert, ich dachte, wenn ich Sport mache, halte ich das Monster in seiner Höhle. Natürlich bin ich nur geflohen. Ich habe Angst, dass die Metastasen gestreut haben, verstehst du? Ich habe Angst vor dem Moment, indem ein Arzt sagt, der Krebs wäre in meinem ganzen Körper. Wenn es nicht zu spät ist, werden beide Brüste entfernt.«
Wir hielten uns fest.
»Ich habe keine Kraft mehr Carlo, vor zehn Jahren habe ich gekämpft, mein Vater ist an einem Herzinfarkt gestorben. Ich war allein, ich bin immer allein, ich hatte das Weingut, das Haus, alles verfiel. Mein Leben besteht nur aus Rückschlägen. Plötzlich, in dem Moment als der Krebs zurückkam, bist du vor meiner Tür gestanden.« Simona zog ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und trocknete ihre Augen.
»Du bist so sanft Carlo, so klug, wir kennen uns so kurz, aber ich spüre es, du kannst alles weiterführen, unsere Familie wird ausgelöscht, ich habe keine Verwandten, von denen ich weiß, es sollen welche in Amerika sein. Ich wollte immer Kinder, drei, vier, aber wie sollte das gehen, mit dem Krebs? Ich hatte einen Freund, danach andere, sie sind gegangen, sie wussten nichts, ich wollte nicht mit ihnen schlafen, ich konnte ihre Nähe nicht ertragen.« Simona atmete durch. Diese Worte erleichterten sie.
»Wann warst du zum letzten Mal bei einer Untersuchung?« Simonas Mund zuckte, ein verlegenes Lächeln erschien.
»Vor zwei Jahren.« Fahrig fügte sie hinzu:
»Ich dachte es ist vorbei, nach fünf Jahren ist es eigentlich vorbei.« Ihr Blick durchdrang mich, was sollte ich sagen?
»Morgen fliegen wir zurück, du gehst sofort ins Krankenhaus. Vorher geht Emilia in die Galerie zu diesem Pierre Ardéche. Emilia kann in Zypern bleiben, wenn sie will, hier sucht sie niemand.« Simona sah mich dankbar an. An einer Hand zog ich sie hoch, wir stießen zusammen, wir lachten, wissend, dass man mit seinem Lachen eine Tragödie nur für einen Moment überdeckte. Ich nahm ihre Hand und wir gingen zum Fahrstuhl.
***
Beim Frühstück machte Emilia Gott sei Dank einen wachen Eindruck. Simona war schweigsam.
»Wir fliegen zurück Emilia, Simona muss ins Krankenhaus.« Emilia erstarrte für einen Moment.
»Ich dachte du fühlst dich elend von dem Flug, oder so.« Natürlich dachte sie das nicht. Ich sagte:
»Wir gehen zusammen zu der Galerie. Ich warte auf der Promenade, wenn was ist, lässt du mein Telefon klingeln.« In einem nüchternen Ton, über dem etwas lastete, sprachen wir darüber, was wir erreichen wollten.  Nebenher bestrich ich ein Brötchen mit Butter und Marmelade und legte es Simona auf ihren Teller, Tatsächlich aß sie es.
»Sprichst du Französisch?«
»Natürlich und Spanisch«, antwortete Emilia munter. Sie nahm sich Obst, gab es in eine Schale, schüttete Haferflocken darüber und begoss das Ganze mit Hafermilch. Während sie kaute, sagte sie:
»Das ist gut, das Hotel hier, vielleicht etwas einfach, aber gut.«
»Das ist ein Vier-Sterne-Hotel, eines der besten in Limassol.«
»Ach ja?«
»Okay Emilia, du betrittst die Galerie, sprichst nur französisch, der Typ wird ja auch französisch sprechen, sofern er da ist, gibst du dich als zufällig vorbeikommende Touristin aus, führst ein allgemeines Gespräch, über das, was da ausgestellt ist und fragst irgendwann nach Amadeo Bellini. Dann siehst du was passiert.«
»Welchen Namen soll ich annehmen? Vielleicht Claire Ducas, oder Dominique-Odile La Comtesse de Besançon? Wenn ich meinen Namen nenne, Emilia Firenzzi und der Typ hat eine Beziehung nach Triest, fliege ich sofort auf, ich bin bekannt und mein Vater sowieso.«
Ich war angespannt, wegen Simona und weil ein kurzer Besuch in einer uns unbekannten Umgebung darüber entschied, ob wir völlig ins Leere laufen würden.  Und jetzt diese Albernheit von Emilia. Ich überlegte kurz ob ich mitkommen solle. Allerdings war ich schon immer davon überzeugt, dass ein Gespräch unter vier Augen, indem eine Vertrautheit entstand, mehr Informationen zu Tage fördern würde.  Etwas angestrengt sagte ich:
»Nenn dich Dominique-Odile La…wie war das? Das passt zu einer Sammlerin.«
»Dominique-Odile La Comtesse de Besançon«
»Wir kommst du denn auf den Namen?«, fragte Simona.
»Der ist aus einem witzigen Buch.«
»Hoffentlich kennt dieser Pierre das Buch nicht.«
»Vielleicht das wäre ja lustig. Die Reise nach Rom spielt in Spanien, Frankreich und endet in Italien beim Papst.« Ich konnte nicht anders als meinen Kopf zu schütteln.
»Meint ihr ich sollte meinen BH ausziehen?« Emilia trug an diesem Morgen eine identische transparente Bluse wie am Abend zuvor, nur in Weiß, natürlich mit einem weißen BH. 
»Natürlich zieh den BH aus und besorg dir eine Zigarettenspitze.«
»Oh ja, herrlich, das ist eine gute Idee. Auf dem Weg dahin, an der Promenade ist ein Tabakladen.«
Ich fragte mich, wie sich eine Frau, die vor kurzem dachte, sie würde von der Mafia ermordet werden und in Panik als Obdachlose lebte, sich plötzlich in Jean Harlow verwandeln konnte. Eines war sicher, auch Emilia unterlag plötzlichen Stimmungsschwankungen. Italienerinnen schienen das Leben intensiver wahrzunehmen als die Norddeutschen in ihrer flachen Landschaft.
***
Wir gingen also entlang der Uferpromenade. Hundert Prozent der Männer und neunundneunzig Prozent der Frauen starrten Emilia an. Zwischen ihren Zähnen steckte die Zigarettenspitze, es glomm, Emilia hustete.
»Ich rauche nicht.«
»Egal jetzt.«
Sie steckte ihre Hände in die Taschen ihres Rockes und wackelte zum Spaß mit ihrem Po.  Ich dachte, wenn uns jetzt eine Horde betrunkener Briten begegnet, kommt es zu einer Massenvergewaltigung.
Emilias Fröhlichkeit steigerte sich dahin, dass sie während wir über die Promenade gingen vor sich hin sang. Es war Italienisch, ich dachte an den Römischen Gott der Ekstase und des Lasters, keine Ahnung wie ich auf den Gedanken kam. Vor dem Gehweg, der hinüber zu der Galerie führte, stemmte Emilia ihre Hand in ihre Hüfte winkelte ihr Knie an, zog an ihrer Zigarettenspitze und lachte mir herzlich zu. Sie hatte große, feste Brüste, wie gewaltige Tropfen schimmerten sie überdeutlich unter ihrer Bluse. Emilia war verführerisch, sie konnte einen Mann und Frauen um den Verstand bringen, sie konnte zweifellos eine Gier erwecken.
Das war es, was sie wollte. Sie wollte eine Femme fatale sein, eine Versuchung. Sie ging auf den Übergang, der auf die andere Straßenseite führte, blieb stehen und warf mir eine Kusshand zu. Emilia hatte wieder eine Rolle gefunden. Vor der Tür zu der Galerie, blieb sie stehen. Sie zog ihre Lippen nach, dann tippte sie in ihr Telefon, meines vibrierte.
»Die Macht der Verführung dient beidem, dem Guten wie dem Bösen.« Ich sandte ein Emoji Lachen zurück.
Gerade als sich Emilia der Galerie näherte, hielt eine schrotticke Chevrolet Limousine, vor dem Eingang. Die Wagentür wurde knarrend geöffnet. Ein junger Typ stieg aus, er war im Unterhemd, Totenkopftätowierung am Oberarm, eine Goldkette, protzige Uhr, Cowboystiefel, runde Sonnenbrille, Schnauzer und Drei-Tage-Bart. Ein Nietengürtel steckte in seiner Jeans, die Knie waren eingerissen.
Er öffnete den Kofferraum, entnahm eine schlauchförmige Reisetasche, knallte den Deckel zu, sah sich um und schloss die Tür zur Galerie Pierre Ardéche auf. Emilia hatte er nicht zur Kenntnis genommen, obwohl sie nur zwei Meter von ihm entfernt stand. Es konnte nur der Galerist selbst sein.
Was sich ab jetzt abspielte, hatte Emilia mit Ihrem Mobiltelefon aufgenommen, zwei Kameras in der Galerie hielten außerdem die Szene fest.
Die Galerie war winzig. Nicht mehr als fünf Bilder fanden einen Platz an den Wänden. Pierre Ardéche erstarrte, als er Emilia vor sich sah. Er schluckte, ich meine, er rang nach Luft. Dann stotterte er, sagte was in der Richtung, was kann ich für sie tun? Er schob seine Sonnenbrille auf den Kopf. Seine Augen lösten sich nicht von Emilias Brüsten. Emilia tat so, als gäbe es nichts Besonderes.
»Ich bin Sammlerin, aus Paris, ich kam hier vorbei uns wollte mal sehen, was sie haben.« Pierre verschwand in einem winzigen Büro.  Als er zurückkam war sein Haar gegelt und nach hinten gekämmt.
»Was wir haben, was wir haben, Pierre drehte sich im Kreis, er fuhr sich mit beiden Händen durch sein Haar.
»Heute Morgen bin ich aus San Francisco zurückgekommen, ich habe dort bis zum Schluss, gearbeitet. Die Galerie öffnet zum ersten Mal seit drei Wochen. Bestimmt haben sie gewisse Ansprüche. Pierre sah sich um. Was wir hier haben, sind junge Künstler aus Zypern, die müssen sich noch finden, sie verstehen, aber sehen sie sich um, bitte sehen sie sich um.« Was Emilia sah, waren warme Acrylfarben, die Motive Sonnenaufgänge, die Aphrodite, ein griechischer Tempel und dergleichen.
»Was ich suche, ist abstrakte, moderne Kunst, auch Objekte, analytische Malerei, die Reduzierung auf ein Minimum, etwas verwirrendes, raumschaffende Eigenschaften, Black Painting, oder Action Painting aber nicht destruktiv, das gibt es genug. Optimistisch muss es sein, lachend, eigentlich schreiend, vielleicht Bewegungsarten die Flugrouten andeuten, also abstrakten Expressionismus, slowenischen Kubismus, gerne von Alkoholikern.« Emilia ging nachdenklich an den fünf Exponaten vorbei, schob einen Arm unter ihre Brüste, verharrte, zog an der Zigarette, hustete und tippte Asche auf den Boden. 
»Slowenische Alkoholiker, gewiss, gewiss, sowas haben wir, nicht hier natürlich, aber wir haben es.«
»Vielleicht auch schwarze, geschwungene Linien, die eine Wellenbewegung vortäuschen, Feldlinien etwa, die würden hinter mein Sofa passen, fünf auf sieben Meter, geht das, oder haben sie vielleicht sowas wie transzendentale Animation?« Emilia ging nochmal im Kreis. 
»Vielleicht auch rezeptive Streifengruppen in einem ständigen Wechsel, vier mal sieben Meter, für das Badezimmer. Eben habe ich eine Wohnung am Montmartre bezogen, ein Neubau natürlich, neben mir wohnen Francois Hollande und Pablo de Sarasate, die kommen ab und zu vorbei, manchmal auch Saul Bellow, der Schriftseller. Sie kommen zum Tee und Kuchen. Selbst backe ich natürlich nicht, sie verstehen? Also was ich eigentlich suche, ist eine spontan-abstrakte Bildsprache, nicht ganz so avantgardistisch, Marcel Proust vielleicht.«
Pierre hatte schwer atmend hinter dem winzigen Tresen Schutz gesucht. Sein Blick wurde von Emilias Brüsten angesaugt. Mit aufgerissenen Augen trat er hinter dem Tresen hervor, stumm, ohne etwas von sich zu geben, legte er beide Hände auf Emilias Brüste. Emilia ließ es erst geschehen, dann sagte sie in aller Ruhe:
»Die stehen nicht zum Verkauf mein Lieber.« Sie zog ewig lange an ihrer Zigarette. Sie hustete und blies Rauch nach oben. Ihre Lippen kamen der Öffnung eines Vulkanes gleich. Sie tippte Asche auf den Boden. Pierre nestelte an seinem Gürtel.  Ihre Zigarettenspitze graziös in ihrer erhobenen Hand haltend, griff sie mit der Rechten nach Pierres Nase und drehte sie um. Pierre schrie auf.
»Na, na, wir wollen uns doch benehmen.«
»Bitte, bitte nur einmal, du machst mich wahnsinnig.« Pierre machte eine Bewegung auf Emilia zu, er versuchte seinen Arm um ihre Hüfte zu legen und sie zu küssen. Sie schob in sanft zurück, griff nach seinem Zeigefinger, bog ihn durch, sodass er aufschrie, mit kalter Stimme sagte sie:
»Mein Name ist Dominique-Odile La Comtesse de Besançon, wir sind nicht per du.« Pierre hielt sich die Hand, er bog sich vor Schmerzen.
»Also mein Freund, können sie mir jetzt helfen oder nicht?« Mit der Verzweiflung des Gedemütigten schrie Pierre:
»Was denn, was soll ich tun, was wollen sie, ich verstehe sie nicht, kein Wort von dem, was sie sagen, verstehe ich.«
»Kennen sie einen Amadeo Bellini?« Pierre sah Emilia Blöde an.
»Amadeo Bellini? Ob ich ihn kenne? Natürlich kenne ich Amadeo, ich bin sein Galerist.« Pierre Ardéche fasste sich wieder, er wollte etwas gut machen, hektisch, in der beflissenen Sprache des Verkäufers sagte er:
»Ein großer Künstler, ein Genie, er lebt nur zwei Blocks von hier, ich kann sie zu ihm führen, ganz schnell, wenn sie wollen, jetzt sofort. Ohne auch nur einen Hauch von Ironie zu zeigen, sagte Emilia:
»Er hat Meisterwerke geschaffen, arbeitet er weiter an diesem Stil? Das würde mich interessieren.« Pierre verstand nichts, noch nicht. Er kam auch nicht auf die Idee nachzufragen, woher Emilia Amadeo Bellini kannte.
»Selbstverständlich, wir stellen auf der Frankfurt Fair For Modern Art aus, das heißt ein Kollege aus den USA stellt dort aus.«
»Ach! Waren sie schonmal auf der Messe?«, fragte Emilia an ihrer Bluse zupfend.
»Ich? Nein, auf einer Messe war ich noch nie.«
»Schade, und wie heißt er, der Kollege?« In diesem Moment beschlich Pierre Ardéche ein mulmiges Gefühl. Etwas warnte ihn vor dieser Frau. Seine Gedanken kühlten ab und Pierre löste sich aus seiner Verwirrung. Er wollte sich lieber mit Fatih al-Duri beraten.
»Ach ein Amerikaner, der stellt zum ersten Mal in Frankfurt aus.  Geben sie mir ihre Karte, wir laden sie natürlich auf die Messe ein.«
»Deutsche Messen besuche ich nicht, Deutsche sind so grob, können sie mir nicht den Namen des Galeristen sagen?«
»Nein, keine Chance.« Emilia drückte die Taste, unter der meine Nummer hinterlegt war. Innerhalb von Sekunden stand ich in der Galerie.
»Schatz, da bist du ja. Wir kommen wieder auf sie zu, Monsieur Ardéche.« Ich fragte noch:
»Wo haben sie denn den coolen Chevrolet her?«
»Den Chevrolet? Wieso, habe ich im Internet gekauft und mir an den Flughafen liefern lassen.« Wir verließen die Galerie Pierre Ardéche.
»Musstest du unbedingt sagen, dass du mich beobachtet hast und nach dem Chevrolet fragen?« Ich überlegte.
»Das ist doch plausibel, Männer fragen nach Autos.«
»Du machst mich zum Mädchen, du Schnösel.« Ich konnte ja noch nicht wissen, was für eine brillante Show Emilia geboten hatte.
***
Während wir auf der Promenade zurückgingen, war unsere Stimmung geteilt. Ich dachte an Simona, Emilia war aufgedreht, das heißt, sie redete sofort los, ich war natürlich auch gespannt, drückte das aber nicht so aus, wie es Emilia vermutlich erwartete. Das Erste, was Emilia sagte, war, dass Pierre Ardéche einen starken arabischen Akzent hätte.  Dann erzählte sie ziemlich anschaulich, was sich ereignete.  Ganz ehrlich, ich dachte Emilia folge ihrer Einbildungskraft, bis sie, während wir am Meer entlang gingen, ihr Telefon einschaltete und ich hörte, wie virtuos sie mit Pierre umgesprungen war.
Als Emilia und ich in Simonas Zimmer erschienen, saß diese schweigend, mit verschränkten Armen auf ihrem Bett. Kurz sah sie auf, lächelte für eine Sekunde und fragte dann tonlos:
»Wie war es?« Simona hatte sich in die Selbstbezogenheit der Kranken verkrochen.
»Sehr gut, Emilia hat alles aufgenommen, wie geht es dir?«
»Ich war im Fitnessraum, im Kopf geht es besser«, sagte Simona mit müder Stimme. Emilia nahm das nicht wahr.
»Ich habe alles aufgenommen«, sagte Emilia selbstbewusst. Wir setzten uns. Emilia schaltete ihr Mobiltelefon ein. Sie beugte sich nach vorne und stellte den Ton laut.
Sofort waren wir beide im Bann der Szenerie. Simona und ich lachten zwischendurch, Emilia auch, wir blieben verhalten, um ja nichts zu verpassen. Immer wieder musste ich Emilia ansehen, sie war einfach unglaublich. Es war irrsinnig, eine geniale witzige Stelle folgte der nächsten, es war ein Meisterwerk wie sie den armen Pierre vor sich hertrieb und ihm am Ende den Namen Bellini wie ein nasses Handtuch ins Gesicht schleuderte.
»Die Macht der erotischen Verführung, du bist unglaublich Emilia, du bist genial! Die Idee mit der Wohnung am Montmartre und wo hast du die ganzen verrückten Ausdrücke her und Pablo de Sarasate und Saul Bellow, einfach genial.«
Trotz des Lobes, in der Art wie ich redete, behielt ich meine Begeisterung an der Leine. Emilia trug noch immer keinen BH. Die ganze Zeit schon musste ich mich beherrschen, nicht auf ihre perfekten Brüste zu starren.
»Unglaublich Emilia, du bist unglaublich schlagfertig, wie bist du auf die ganzen Ideen gekommen, war das alles spontan?«, fragte Simona, ebenfalls verhalten.
»Ich bewundere dich Emilia, ganz ehrlich, dass jemand so perfekt ein Gespräch führt, so zielgerichtet, was für eine Darbietung.« Emilia hörte unser Lob. Äußerlich blieben wir ohne eine Teilnahme. Sie mochte denken euphorisch sind sie nicht gerade. Sie ließ es sich nicht anmerken. Vielleicht spürte sie meine und Simonas Verbundenheit und welche Last über Simonas schwebte musste ja von den Wänden hallen.
»Lass es noch einmal hören«, bat ich Emilia. Dieses Mal lachten wir laut, hatten unseren Spaß, wir wussten was kommen würde. Emilia wurde gelöster, ihr war die Freude anzusehen. Ich fasste zusammen:
»Pierre Ardéche kann so heißen, oder auch anders, er hat einen arabischen Akzent und kam aus San Francisco zurück. Amadeo Bellini wohnt auf Zypern, keine Ahnung, ob er Italiener ist und natürlich wissen wir nicht, wie er auf Triest kam. Ein Amerikaner stellt auf der Messe aus. Adeché war noch auf keiner Messe, er kleidet sich nicht gerade so wie ein Galerist. Er fährt einen alten Chevrolet, möchte unangepasst wirken. Was wissen wir noch?«
»Die Aufzählungen der Kunststiele, die es alle gibt, haben ihn komplett verwirrt, er hat keine Ahnung davon«, sagte Emilia und fuhr fort:
»Die Frage ist auch, woher er kommt, sein Französisch ist sehr gut, aus Tunesien, oder Algerien alles passt zusammen, vor allem dieser Pierre passt zu der verrückten Idee Bilder zu stehlen, um sich bekannt zu machen.« Ich fragte:
»Woher kennen sich Pierre und Amadeo Bellini?  Hat Bellini Pierre zum Galeristen ernannt, ihn in die USA geschickt, und dort hat er sich nicht sofort blamiert, sondern zufällig einen Käufer gefunden? Dieser Käufer stellt, in Frankfurt, in Europa aus?« Wir alle waren nachdenklich. Simona wurde löste sich aus ihrer Erstarrung.
»Wie passt den Chao Wang und eine Verbindung nach Usbekistan da rein?« Niemand wusste eine Antwort.
»Hat Amadeo auch die Bilder zerstören lassen?«, fragte Simona weiter.
»Niemals!«, schoss Emilia wie aus der Pistole.
»Die Idee, die letzte Generation da reinzuziehen, kann unmöglich von denen kommen, das waren die Nazis von meinem Vater, sonst niemand.« Unsere Euphorie, die kurz aufgeflammt war, nahm ab. Emilia erhob sich.
»Ich gehe dann mal in mein Zimmer«, sagte Emilia. Sie wirkte unsicher.
»Um sieben geht unser Flug«, sagte ich, als Emilia in der Tür stand. Simona sagte:   
»Es ist so, sie haben die Bilder selbst gestohlen und werden sie in Frankfurt ausstellen allein deshalb, um Amadeo Bellini bekannt zu machen.« Ich sah Simona fragend an, das hatten wir ja nun festgestellt.
»Er leidet darunter, dass er nicht zum Establishment der Kunstszene gehört und nie gehören wird. Er ist nicht der erste Maler, Schriftsteller, oder Komponist, der daran verzweifelt.« Simona drückte sich von der Matratze ab.
»Wir gehen zu ihm, zu Bellini, jetzt, wir bleiben noch einen Tag, wir sagen ihm, wir möchten Bilder kaufen, der wird denken es hat alles funktioniert und uns mit Freuden alles über sich erzählen.«
Ich war ja grundsätzlich beherrscht, verlor nie die Contenance, auch wenn ich einmal innerlich erregt gewesen sein sollte. Jetzt aber wurde ich zornig.
»Wer geht denn da hin Simona, Emilia und ich? Wir sind verbrannt, willst du da hingehen? Bist du in der Lage sowas durchzuziehen und vermutlich Pierre zu treffen, der natürlich Verdacht schöpfen muss? Was passiert dann? Simona, du denkst du hast Krebs, hast das ignoriert, wir fliegen zurück, heute und wir machen jetzt sofort einen Termin bei deinem Arzt, oder im Krankenhaus, ist das klar?«
Simona erstarrte, dann ließ sie sich auf das Bett sinken.
»Und du bist pünktlich in der Lobby, in zwei Stunden und jetzt zieh dir was an, bevor sie über dich herfallen, es sind Rußen im Hotel.«
»Ja Chef«, sagte Emilia und grinste schelmisch. Sie begann sich ihre Bluse aufzuknöpfen, während sie hinausging.
Kapitel 6
Die erste gute Nachricht war, dass Triest ein Universitätsklinikum hatte. Simona war dort bekannt, zu der Untersuchung ging Simona allein. Mit bösen Ahnungen zu warten ist das Schlimmste, dachte ich. Wie würde es mit Simona und mir weitergehen, sollte sie sich einer Chemotherapie unterziehen müssen, was vier bis fünf Monate dauern würde.
Wir waren kein Paar, wir waren ein Paar in Spe, der Krebs lag zwischen uns. Keine Ahnung, ob Simona das ernst gemeint hatte, oder es ein Ausdruck von Verzweiflung war, dass ich ihre Villa und ihr Weingut übernehmen solle. So hatte ich sie verstanden.
Ich spürte, dass sich mein Leben änderte, hier in Triest, wo meine Familie herstammte.  Ich will sie nicht mit diesen Gedanken über mein Los langweilen, das mir das Leben bereitete und die jeder schon hatte und die nie ein Ziel kennen, sondern ich möchte das rekapitulieren, was hinter mir lag.
Simona und ich kannten uns kaum, sie war impulsiv, vielleicht lag das an ihrer Krankheit, sie war pleite und welche Zukunft hatte sie? In Simona lag eine Ernsthaftigkeit, das mochte ich, das passte, auch wenn das bei ihr auf die Schläge zurückging, die ihr das Schicksal bereitet hatte. Ich war ebenso ernsthaft. Ich würde mich an Triest gewöhnen können.
Vor allem aber wirkte Simona wie ein Zauber auf mich. Mir war jedoch klar, ich musste meine Bedächtigkeit überwinden und mich diesem Gefühl wie sie mich anzog hingeben, sonst würde Simona spüren, wie unschlüssig ich eben auch sein konnte.
Jetzt war ich unglaublich nervös. Was für ein Horror würde gleich auf mich, das heißt auf Simona zukommen? Ich saß nach vorne gebeugt in einer weißen Plastikschale, die auf einer Stange verschraubt war, welche fünf weitere Stühle hielt. Meine Hände waren gefaltet, ich sah auf den Fußboden. Ich war schrecklich nervös.
»Deine Villa hat potential, du kannst sie renovieren und die Zimmer als Airbnb anbieten und das Weingut, an dem ebenso dein Herz hängt?« Jemand kam auf mich zu, ich schrak auf, es nicht Simona.
»Ich kenne das Benchmarking im Weinanbau nicht, habe auch keine Ahnung, was Land kostete, wenn das Airbnb aber läuft und das wird es, kannst du euer Land nach und nach zurückkaufen.« Ich spürte, wie uns Simonas Krankheit verband. Diese Krankheit war eine Erklärung für alles, was ich bisher über Simona gelernt hatte.
»Weißt du Simona, das klingt jetzt verrückt, aber ich habe nachgelesen, ich könnte als Anwalt in Triest praktizieren. Natürlich müsste ich Prüfungen ablegen, aber das Umweltrecht ist ziemlich europäisch angelegt.«
»Mit wem redest du denn?« Ich schrak auf. Simona stand vor mir. Sie war gelöst, die Furcht war aus ihren Augen gewichen. Ein Arzt ging lächelnd mir einen Blick zuwerfend vorüber. Ungläubig drückte ich mich aus meinem Stuhl, ich wusste nicht, ob ich Simona umarmen sollte.
»Simona, wie geht’s dir?« Simona setzte sich in den Plastikstuhl neben meinem und zog mich an meiner Hand herunter, sie sah mir in die Augen.
»Ich habe einen Tumor, er ist ein paar Millimeter groß, in der rechten Brust, er ist gutartig.« Simona strahlte wie die Sonne über der Adria. Ich war sprachlos.
»Die Flüssigkeit aus meiner Brust war irgendwas, es war nur einmal, sie kam auch nicht mehr, sowas kommt vor und die geschwollenen Lymphknoten waren Einbildung.«
»Was, das ist ja unglaublich! Du hast gespürt, dass du einen Tumor hast, ohne ihn tasten zu können?« Simona nahm meine Hand.
»Ja, so ist es wohl, eine Ahnung, psychosomatisch, ich wusste, es ist etwas. Meine Gedanken haben verrückt gespielt, Panik, ich habe eine Chemotherapie hinter mir, meine Angst hat sich verselbständigt, eine Selbsttäuschung, als Schutz. Ich war einsam, nach der Chemo habe ich mich zurückgezogen, das machen Kranke so. Sobald man spürt, dass was nicht in Ordnung ist, rasen die Gedanken und die Angst und die Erinnerungen kommen zurück.
Man braucht jemanden zum Reden, einfach zum Erzählen, ich hatte niemand, ich wollte dir das nicht sagen, dich nicht schockieren, ich wollte dich kennenlernen, ich mag dich, sehr, hoffentlich bleibst du in Triest. Ich bin nicht immer so ruppig, du musst keine Angst haben, ich kann auch zuhören, war halt lange allein mit meinen Problemen.
Ich habe mich durchgeschlagen, mit dem Weingut und dem großen Haus. Ich mochte meinen Vater, es hat mir unglaublich weh getan, als er gestorben ist, ich vermisse ihn.« Was Simona über ihre Krankheit sagte, war mir eine Spur zu esoterisch, sie hätte sich sofort untersuchen lassen müssen, andererseits, in so einer Situation, einer so schweren Krankheit war ich noch nie. Ihre Gedanken suchten Hilfe, auf die eine, oder die andere Weise.
»Und, was ist jetzt, mit dem Tumor?«
»Der wird beobachtet, wenn er wächst, wird er entfernt.« Simona stand auf, ging zu einem Kaffeeautomat, fragte, ob ich auch einen wolle, was eigentlich nicht der Fall war, ich spürte aber, sie brauchte mich, genau jetzt, also nahm ich einen.
»Es ist schön, das heißt, es macht mich glücklich, dass du dir solche Sorgen um mich gemacht hast.« Simona küsste mich auf die Wange. Wir saßen nebeneinander, unsere Plastikbecher in unseren Händen haltend.
»Eigentlich kann man das nicht trinken.« Simona lächelte mich an, ungenießbarer Kaffee verband uns.
»Komm, wir gehen nach Hause.« Als wir im Taxi saßen, rief Commissario Ambrosio an.
»Loretta Cucinotta will sie sprechen, jetzt sofort.«
***
Nachdem wir die übliche Prozedur hinter uns gebracht hatten, ließ man uns zur Oberstaatsanwältin vor.
Die Qualle stand gebückt am offenen Fenster. Ihre Unterarme lagen auf dem Rahmen, sie blies Rauch in den Himmel von Triest. Sie wandte sich um und blieb stehen. Ich erschrak, sie war müde. Die Tränensäcke unter ihren Augen waren dunkel. Mir fiel ein Gehstock auf, der in der Ecke lehnte.
Es gab auch eine positive Veränderung in ihrer Erscheinung. Sie bestand darin, dass sie beim Frisör war. Ihr dünnes Haar hing nicht mehr fahl und lang herunter, es war kurz, einen Scheitel andeutend, gestuft, es wirkte voller und hatte eine neue, eine besondere grau-weiße Farbe. Mit ihrer tiefen Stimme redete sie langsam, eher leise, ihr Blick war mal auf meine, mal auf Simonas Augen gerichtet. Sie sprach präzise und es klang nachdrücklich, sofort kam sie zur Sache:
»Ihr kümmert euch um den Chinesen, um Chao Wang. Er schweigt, sagt kein Wort, macht in Omerta, wie alle diese Chinesen. Er ist unser einziger Zeuge, wenn er nichts sagt, stecken wir fest.« Ich atmete durch, ich war erleichtert, dass Loretta nichts von unserem Ausflug nach Zypern mitbekommen hatte.
Die Oberstaatsanwältin litt an ihrem schlechten Zustand. Wahrscheinlich lebte sie selbst wie eine Gefangene hinter Mauern. Hatte sie Freunde, hatte sie eine Familie, hatte sie irgendeine Art von Vergnügen? Hatte sie auch nur an einem Tag ein Privatleben in den letzten Jahren erlebt? Sollten wir sie einmal in Simonas Villa einladen?
Ich überlegte, ob ich ihr sagen solle, dass wir nur auf die Messe in Frankfurt warten müssten, dann würde sich alles auflösen. Nun ja, vielleicht aber auch nicht, wer auch immer hinter Pierre Ardéche steckte, war nun aufgeschreckt, wie ein Wolf vor einem Zaun, wenn ein Schuss fällt.
»Was heißt kümmern? Ist er nicht in Untersuchungshaft?«, fragte ich.
Die Qualle stützte ihre Hände zu Fäusten geballt auf ihrem Schreibtisch ab.
»Natürlich ist er das, wir machen ihm ordentlich die Hölle heiß, er weiß aber auch, dass wir ihn nicht ewig einsperren können. Sobald er raus ist, haben wir ihn das letzte Mal gesehen. Er geht nach China und wenn er Glück hat, lebt er noch ein paar Jahre in einem chinesischen Gulag.« Die Oberstaatsanwältin rang nach Luft, so erregt war sie.
»Wir machen es so, ihr schickt Romano Gicalone zu ihm in das Untersuchungsgefängnis.«
»Romano, den Taschendieb?«, fragte ich ungläubig, während Simona nicht überrascht zu sein schien.
»Natürlich Romano den Taschendieb. Romano schafft es jeden dusselig zu Quatschen. Ich kann die Untersuchungshaft noch eine oder um zwei Wochen verlängern, hier in Italien läuft das anders, wie bei euch in Berlin, wo die Polizei Wasserpistolen trägt und die Staatsanwälte mehr Angst vor der linken Presse, als vor den Arabischen Clans haben.
Ich kann Romano nicht schicken, er traut mir nicht, haut ab wie eine Maus in ihr Loch, wenn er meine schlanke Figur auch nur aus der Ferne sieht. Simona, dir vertraut er, Romano soll sich bei Commissario Ambrosio melden, der wird ihn Einweisen. Dafür erlassen wir ihm dreißig Tage zukünftige Haft, er bekommt jeden Tag ein extra Essen und tausend Euro, wenn er rausbekommt, wer hinter dem Überfall steckt, oder wer die Komplizen von Chao Wang sind, sicherlich niemand in Usbekistan, die Nummer wurde umgeleitet.«
Ausnahmsweise täuschte sich Loretta Cucinotta. Wir hatten das Telefon von Chao Wang. Auf der Voice Box war Usbekisch gesprochen worden. Wegen der Reise nach Zypern hatten wir noch niemanden gefunden der uns übersetzen konnte. Das war unsere Sackgasse. Davon wusste die Oberstaatsanwältin nichts, was nicht überraschte, da sie es nur von Chao Wang erfahren haben konnte.
Simona war nicht begeistert, sie brummte was vor sich hin, was ich nicht verstehen konnte.
»Was hast du gesagt?«, fauchte die Qualle sie an.
»Ich bin Kommunistin, sowas mache ich nicht mit einem Parteimitglied.« Loretta schlug mit ihrer Faust auf den Tisch.
»Red kein dummes Zeug, Kommunistin, ich kann dich auch wegen Körperverletzung einsperren, eigentlich müsste ich das tun. Wir müssen diesen Fall aufklären es geht um Triest, um unseren Ruf, wir lange lebt deine Familie hier, 100 Jahre, 200?« Simona schwieg lange, dann fragte sie:
»Wo ist Romano Gicalone?«
»Was weiß ich, in seinem verrotteten Bauwagen, am Bahnhof, Klauen, du wirst ihn ja wohl finden, vielleicht liegt er auch tot in einem Graben, dann haben wir Pech gehabt. Geht jetzt, ich habe zu tun.«
»Wir haben noch das Telefon«, flüsterte ich Simona zu, während wir den Palast der Justiz verließen. Simona dachte nach.
»Und wer soll das übersetzen?«
»Deine Kommunisten.«
»Wir haben niemanden aus Usbekistan.«
»Emilia ist mit ihrer letzten Generation über die Welt vernetzt, ihr nicht? Gibt es keine kommunistische Internationale?« Ich glaube, Simona hatte was gegen Emilia, keine Ahnung warum. 
In dieser Nacht schliefen Simona und ich zusammen, nachdem sie hundertmal über ihr Sprungseil gehüpft war.
***
Ich dachte noch, wir hatten uns ziemlich abrupt von Emilia getrennt, jedenfalls hatten wir sie am Flughafen zum letzten Mal gesehen, ab da war sie verschwunden.
»Ich hoffe,« sagte Simona, »sie macht nichts auf eigene Faust, ich meine zurückzufliegen nach Zypern zum Beispiel, um Amadeo Bellini zu treffen, oder den armen Pierre endgültig aufs Kreuz zu legen, bei Emilia weiß man das nie, sie hat Spaß an ihren Rollen.« Mir war das inzwischen egal.
Zwei Tage waren vergangen. Simona sprach das Audio für ihr Video in Dalmatien, schrieb Followerinnen, was sie eigentlich jeden Tag machte, verhandelte mit Sponsoren und packte danach ihr Rennrad ein, weil sie ein Neues von einem Hersteller bekam.
»Ich habe zwei neue Verträge«, sagte sie, »einen für Sportnahrung und den zweiten von einem Fahrradhersteller. Dafür muss ich internationaler werden, also meine Texte Englisch sprechen. Italien ist eine der Fahrradnationen, die Konkurrenz ist groß.
Radsport boomt, Rennrad und Gravel-Bike, vor allem Frauen beginnen zu verstehen, dass Radfahren für ihre Gesundheit ideal ist, die Bewegungen stundenlang gleichförmig sind, das heißt, man kann gut nachdenken und wie man sich anstrengt, kann man ja selbst entscheiden. Außerdem kann man allein, oder in Gruppen fahren. Frauen kämpfen mit ihrem Gewicht, Männer natürlich auch, über das Thema spreche ich immer wieder.«
»Wir viele Follower hast du denn?«
»35.000, jeden Tag kommen welche dazu«
***
Simona und ich besuchten ihr Weingut. Sie wollte mich dem Geschäftsführer vorstellen, der gleichzeitig die Kelterei, den Anbau und den Verkauf leitete, was selbstverständlich niemals funktionieren konnte.
»Doktor Karl, er ist Österreicher, Chemiker und 75 Jahre alt. Er arbeitet seit 40 Jahren bei uns, leider sieht er nicht mehr gut, in einen Computer kann er jedenfalls nicht mehr tippen.«
»Hm, ehrlich gesagt…und wer macht den Papierkram?«
»Ein Mädchen, ist ziemlich clever, sie macht eigentlich alles, die Buchhaltung, die ganze Technik, sie entscheidet wann geerntet wird und macht den Einkauf«
»Und was macht Doktor Karl?«
»Doktor Karl ist der Chef, er hat das letzte Wort, naja, ich weiß nicht ob er noch alles versteht, in letzter Zeit ist er ein bisschen abwesend, döst wenn ich komme, aber allein kann das Roberta noch nicht, sie hat was ganz anderes gelernt.«
»Wie alt ist denn das Mädchen, dass die ganze Arbeit macht?«
»Roberta ist 19, kümmert sich wie gesagt um alles, sie hat angefangen Theologie zu studieren, hat sofort abgebrochen, als sie bei den Weltjugendspielen in Moskau teilgenommen hat. Sie meint es gäbe keinen Gott, außer dem Kapitalismus, ist überzeugte Kommunistin, sie sagt nur der Kommunismus schaffe Gerechtigkeit unter den Völkern.«
»Ist das jetzt progressiv oder konservativ?« Simona lachte.
»Und Doktor Karl und Roberta kommen klar miteinander?«
»Natürlich, Doktor Karl bringt ihr alles bei.«
»Erstaunlich.« sagte ich ziemlich ernst.
»Gibt es noch andere Mitarbeiter?«
»Achmed und Ivo. Achmed stammt aus Syrien und Ivo aus Ghana.«
»Und Achmed und Ivo sind angemeldet? Ich meine die Sozialversicherung und so?«
»Selbstverständlich, in der Partei, irgendwann bekommen die auch eine Arbeitserlaubnis.« Ich hob meine Augenbrauen.
»Hier läuft das eben manchmal anders, ist halt Italien.«
»Roberta hat Achmed und Ivo im Griff?«
»Selbstverständlich, du wirst sie kennenlernen«, sagte Simona mit einer sanften Stimme, die neu an ihr war. Seit dem Krankenhaus war sie ruhiger. Es schien ihr unangenehm zu sein, wie heftig sie reagiert hatte.
»Wir nehmen den Roller, es geht in die Berge.«
Auf einer Anhöhe erreichten wir zwei alte Bauernhäuser. Simona parkte den Roller, ich war neugierig.
Das Weingut Il vigneto Simona Cinquetti machte einen ordentlichen Eindruck, auch wenn der Investitionsstau selbst mir in den Blick fiel. Ich will mich nicht lange mit Beschreibungen über die Kunst der Kelterei und dergleichen aufhalten. Was man sagen kann, die Weinherstellung war weniger kompliziert als ich erwartet hatte.
Roberta war äußerst selbstbewusst. Sie erwähnte, sie wäre mit drei Brüdern aufgewachsen, was eine gewisse Erklärung dafür bot.  Von der Führung eines Unternehmens, was eine ganz eigene Sichtweise erforderte, nämlich die Abstraktion eines Zahlengerüstes, schien sie nichts zu verstehen. 
Doktor Karl sagte, als wir unter vier Augen waren, er hoffe, das Weingut gäbe es noch in zehn Jahren. Keine Ahnung, wie er meine Rolle einschätzte. Er war ein jovialer und gutmütiger Grazer, der deutlicher seine Sorgen nicht ausdrücken würde. Vor ihm stand eine geöffnete Flasche.
Ich spazierte herum, während Simona und Roberta alles mögliche im Schnelldurchgang besprachen, die Weinlese stand bevor.
Ich traf auf Achmed und Ivo, erklärte ihnen ich wäre ein Freund von Simona. Sie legten Leitungen für eine Bewässerung. Alles in allem lag in dem Weingut Il vigneto Simona Cinquetti ein Stück Normalität, oder ich empfand es einfach so, nachdem, was ich bisher in Triest erlebt hatte.
Ich fragte Achmed und Ivo wo sie herkämen und ob sie eine Familie hätten, was Achmed bejahte, Ivo verneinte.
Ich hatte den Eindruck, sie waren es nicht gewohnt, dass sich jemand für sie interessierte.
»Wie seid ihr nach Italien gekommen?«
Achmed setzte sich auf eine Bank, ich tat es ihm gleich. Vor uns fiel die Fläche ab. Die Trauben leuchteten verlockend an ihren Reben. Ivo ging mit Roberta auf einen Schuppen zu.
»Ivo und ich sind ins selbe Schlauchboot gestiegen, mit fünfzig anderen. Nach drei Stunden fiel der Motor aus. Es war so, wie man es jeden Tag liest. Jeder hatte eine Flasche Wasser, einer hat Panik bekommen, ist ins Meer gesprungen, war sofort weg, keine Ahnung wer das war, niemand hat ihn gekannt.
Die Lybische Küstenwache war zu sehen, ich glaube nicht, dass die uns sehen konnten, trotzdem, wir bekamen Angst.« Ich unterbrach Achmed.
»Die libysche Küstenwache? Wie bis du denn nach Libyen gekommen?« Achmed nickte verstehend.
»Wir waren seit drei Jahren in der Türkei. Ich, meine Frau und unsere Kinder. Wir hatten eine Wohnung, ich hatte Arbeit auf einer Werft in Tuzla bei Istanbul. Ich bin Elektroingenieur, eigentlich war alles in Ordnung, wie es eben in Ordnung sein kann, wenn man sein Land verlässt.  Sie haben mich einfach auf ein Schiff geschleppt, sie brauchten einen Schiffsingenieur. Das Schiff fuhr nach Libyen, es wurden Waffen geliefert, ihr habt ja keine Ahnung was da los ist. Meine Frau hat von nichts gewusst ich war vom Erdboden verschluckt.
Jedenfalls musste ich runter von dem Schiff, Flugzeuge sind während der Fahrt nach Libyen über uns geflogen keine Ahnung, wo die herkamen. In Tripoli bin ich von dem Schiff abgehauen, bin einfach über den Steg und verschwunden. Es gibt dort viele Gestrandete, an Informationen zu kommen, war kein Problem. Gleich nach einer Woche bin ich in das Schlauchboot gestiegen, das Geld hatte ich auf dem Schiff geklaut.« Achmed machte eine Pause. 
»Es war Nacht, wir hatten vier Paddel, schafften es weiter auf die See, ein Rettungsschiff kam und hat uns aufgenommen. Wir mussten vier Wochen warten, bis wir an Land gehen durften. Als ich in Italien war, konnte ich meine Frau anrufen. Sie war verzweifelt und hat endlos geweint, als sie meine Stimme gehört hat,
In Catania haben sie uns in einen Käfig gesperrt, Ivo und ich sind abgehauen, zu Fuß zu einem Bahnhof. Auf einem Güterzug sind wir bis Mailand gefahren. Beim Absteigen habe ich mir einen Arm gebrochen.
In Mailand waren wir dehydriert, wir waren so fertig, dass wir uns der Polizei gestellt haben. Am Ende waren wir in Triest. Ich kam in ein Krankenhaus. Roberta arbeitet für eine NGO, sie hat uns gefunden. Seitdem sind wir hier, seit zwölf Monaten.  Roberta verdanken wir unsere Leben.«
»Wie geht es weiter?«
»Keine Ahnung, irgendwie.«
Ivo kam zurück, er trug einen Kopfhörer, Achmed stand auf.
»Ich muss weiterarbeiten.« Mir war klar, wer sich hier durchkämpfte, wie die beiden es taten, würde seinen Weg gehen.
Einfach so fragte ich die beiden:
»Ihr kennt nicht zufällig jemanden aus Usbekistan?«
»Usbekistan?«, wiederholte Ivo, während er einen Schlauch von einer Trommel zog.
»In der Unterkunft, der Kaserne, waren welche aus Usbekistan.« Ich blieb gelassen.
»Könnt ihr mich hinbringen, erkennt ihr die wieder, ihr seid vor einem Jahr dort gewesen.«
»Natürlich erkenne ich die wieder, sagte Ivo, sind echte politische Flüchtlinge, keine Ahnung, ob die noch da sind, wenn nicht, haben sie neue, die Usbeken kommen immer nach Triest.«
***
Das Weingut Il vigneto Simona Cinquetti verfügte über einen klapprigen Subaru Kleinbus. Roberta saß am Steuer. Es fuhren außerdem mit: Simona, Ivo, Achmed und ich. Zackig ging es den Berg hinunter, wir brausten quer durch die Stadt und hielten vor dem Kasernentor.
»Ich gehe rein«, sagte Roberta, stellte den Motor ab, stieg aus und verschwand im Wachgebäude. Die Zeit verging. In einem engen Auto zu warten ist so aufregend wie ein Schulunterricht über Algen im Holozän.
»Sorry, hat gedauert. Vor zwei Tagen haben sie neue Usbeken bekommen, kommt mit.«
»Werden wir nicht begleitet?«
»Dafür haben die hier keine Zeit«
Nach langem Suchen fanden wir die Usbeken. Sie begannen eben zu Essen.
»Das ist Osch«, sagte Yashar, als er nicht wissend, wer wir waren zu uns aufsah und unser Eindringen irgendwie mit ihrem Mittagessen in Verbindung brachte.
»Ihr Nationalgericht«, erklärte Roberta. Wir waren zu fünft, sie zu zweit, der zweite hieß Timur.  Sie waren junge Männer, gescheitelt, glattrasiert, trugen Hemden und Halbschuhe. Ich vernahm Rasierwasser. Wir standen in einem Halbkreis um sie herum, ihr Unbehagen war offensichtlich. 
»Welche Sprachen sprechen die denn außer Usbekisch?«, fragte Simona in einem Anfall völliger Ignoranz.
»Wollen wir uns nicht vorstellen?«, fragte ich, was unterging. Roberta sagte:
»Ich weiß es nicht, vielleicht Russisch?« Die beiden verstanden nicht.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Simona.
»Keine Ahnung, könnt ihr Russisch, du vielleicht?«, fragte Roberta Achmed den Syrer.
»Russisch? Nein, Arabisch und Englisch.«
»Frag sie, ob sie Arabisch sprechen«, bat Simona. Achmed fragte sie.
»Arabisch? Nein.«
Die Situation war surreal und jeder in dem kleinen kahlen Raum mit seiner winzigen Küchenzeile und den abgenutzten Gartenmöbeln, an denen die beiden saßen, wusste das. Yashar fragte:
»Spricht jemand von euch Deutsch? Ich spreche Deutsch, ich habe in Frankfurt in Germanistik promoviert. Timur spricht Mandarin, er war in China. Um was geht es denn?« Acht Augen flogen mir zu. Ich rückte einen der Plastikstühle zurecht, nahm Platz, zog das Telefon von Chao Wang hervor und sagte:
»Ihr sollt nur was übersetzen, es ist eine Nachricht auf einer Voice Box, geht schnell.« Ich drückte auf die Taste, Yashar hörte konzentriert zu.
»Der spricht heißt Azmat. Azmat sagt, er könne den, dem das Telefon gehöre nicht erreichen, er solle sich melden. Er sagt, er würde ihm seine Fragen beantworten, er hätte vorher keine Zeit gehabt. Jetzt habe er Zeit, er sitze in einer Shisha Bar, in Beirut. Er sagt, das Geld wäre überwiesen. Er fragt, ob der, dem das Telefon gehörte, noch mehr für ihn erledigen könne. Es geht um irgendwelche Bilder, er sagt, er hätte dort, in Beirut sein Lager, es wären alles Bilder, an die er gekommen wäre, so ähnlich, wie in Triest eben.
»Chao Wang spricht Usbekisch?«, stellte ich fest. Niemand sah auf. Yashar fuhr fort.
»Die nächste Mitteilung liegt zwei Monate zurück, die müssen welche gelöscht haben. Gibt das an deinen Italiener weiter sagt er. Grundsätzlich läuft es so. Ich lagere und verkaufe Bilder an Sammler, Händler und solche die sie zerstören wollen und arbeite für solche, wie deinen Italiener.
Es gibt Leute, die wollen Bilder aus dem Verkehr ziehen, Gutachter zum Beispiel, die ihre Expertisen gefälscht haben, was an der Tagesordnung ist.
Es gibt auch Leute, die Bilder stehlen lassen und sie mit Äxten zertrümmern, oder sie verbrennen. Manche lassen sich mit geklauten Bildern beerdigen. Die meisten kaufen aber einfach Bilder, egal woher sie stammen, sie hängen sie bei sich auf und verkaufen sie, wenn die Preise gestiegen sind, am besten in ein anderes Land, es geht um Bargeld, eigentlich geht es nur darum und um Steuern.«
Yashar stoppte, trank Wasser, dann ging es weiter,
»Die Museen und Galerien sind voll mit Kopien, das Geschäft boomt und Beirut ist ein idealer Handelsplatz. Hier ist es so chaotisch, kein Mensch interessiert sich für Kunst aus Europa oder den USA.« Yashar drückte wieder die Pausentaste.
»Er macht immer wieder Pausen beim Sprechen, raucht irgendwas.« Yashar hatte eine Freude daran uns zu helfen. Mir gefielt seine Art, er war besonnen und präzise.
»Es geht weiter. Die Hisbollah, die das Sagen haben, hält Kunst für ein Werk des Teufels, sie haben nur ihre vergilbten Drucke von Ali Chamenei und Ayatollah Khomeini. Sie bekommen ein paar Prozent, andere auch, der Zoll zum Beispiel, der so tut als gäbe es ihn, so läuft das hier. Dieser Azmat gähnt immer wieder, er sagt, okay genug jetzt. Chao Wang solle sich melden, wenn er wieder Bilder hätte.« Yashar sah staunend zu mir auf.
»Er hat einfach aufgelegt, oder die Mailbox konnte nicht mehr speichern.« Ich übersetzte auf Englisch. Dann fragte ich:
»Kommt noch mehr, über einen Amadeo Bellini vielleicht?« Yashar spielte alles nochmal ab.
»Nein, das ist alles.« Ich sah zu Simona.
»Verrückt er erzählt die ganze Geschichte.«
»Seine Geschichte, nicht wirklich mehr, das meiste passt natürlich, lasst uns gehen.« Simona ging auf die Tür zu. Den Usbeken zu danken viel ihr nicht ein. Ich legte hundert Euro auf den Tisch.
»Das ist zufiel, viel zufiel.«
»Ihr habt uns geholfen.«
»Wollt ihr einen Tee?«, fragte Yashar, stand auf und nahm einen Kocher in seine Hand.
»Vielen Dank, wir müssen gehen«, sagte Roberta. Simona öffnete die Tür, sie schien nicht zu verstehen, wie hilfsbereit Yashar war. Roberta lenkte den Subaru, der sich den Berg hochquälte. Ich sagte:
»Das ist also die wahre Bestimmung der Kunst. Ein Präparat für Steuerhinterzieher und Wirrköpfe und allein dem Betrug dienend. Eigentlich hätte ich mir das denken können. Kunst um ihrer selbst willen, interessiert Niemanden.«
Am Abend saßen Simona und ich auf ihrem Bett. Wir beide hatten unsere Rechner auf den Knien. Simona sah mich an, dann legte sie ihren Rechner zur Seite und bettete ihren Kopf auf meine Beine.
»Ich möchte dir nicht mehr widersprechen, ich tue das nur aus Prinzip, ich glaube ich bin es einfach nicht gewohnt jemanden zu haben, dem ich vertrauen kann, den ich so akzeptieren kann, wie er ist.« Ich dimmte das Licht.
»Ich möchte, dass du bei mir bleibst Carlo.«
***
Am nächsten Tag, es war gegen Zwölf, tauchte Emilia auf. Sie war müde und wortkarg, ihr Haar war zerzaust, ihre Strümpfe eingerissen, was zu ihrem Stil passte, ihren Rock trug sie verkehrt herum, sie roch nach Schweiß und verwischte Spuren von Kajal lagen um ihre Augen.
»Ich muss ins Bett«, sagte Emilia. »Ich bin aber neugierig, habe Roberta getroffen, beim Tanzen, was kam heraus, ich meine was ist mit der Voicebox?« Simona antwortete munter:
»Möchtest du Kaffee? Sieht so aus, als könntest du welches Gebrauchen. Emilia nickte, sie ließ sich in den Sessel fallen, kurz fielen ihre Augen zu.
»Wir sind weitergekommen.« Simona brühte den Espresso auf. Abwechselnd erzählten wir die Einzelheiten. Emilia bat um einen zweiten Espresso. Die Rolle der Kunst beschäftige sie. Etwas gestelzt sagte sie:
»Zum Kunsthandel habe ich ein paarmal einen Vortag gehalten, hat meinem Vater natürlich nicht gepasst.« Emilia gähnte, nahm einen Schluck Espresso, richtete sich in dem Sessel auf und warf das Kissen, das dort neuerdings lag, auf den Boden:
»Für Sammler geht es nur um die Geldanlage. Anderseits, warum soll man nicht auch bei Kunst auf eine Wertsteigerung setzen? Natürlich ist das mit Geldwäsche und der Steuerhinterziehung verbunden. Der Umsatz im Kunsthandel hat letztes Jahr fast siebzig Milliarden Dollar betragen. Auf einer Messe wie in Frankfurt geht es um kleine Beträge und um Millionen für ein einziges Exponat, vor allem bei moderner Kunst ist das so.« Emilia wurde wacher.
»Es gibt kein anderes Gebiet, bei dem Angebot und Nachfrage ohne ein Fundament sind, beziehungsweise, irgendeine Substanz zu erkennen ist. Der Kunsthandel hat aber auch eine Art von Ehrlichkeit, wie man sie woanders kaum finden würde. Die Preise richten sich danach, was man vor sich hat, man kauft einen natürlichen Gegenstand wie er ist. Natürlich gibt es Fälschungen und Nachahmer, was ärgerlich ist, das stört aber die meisten nicht. Eine Fälschung verkauft man stillschweigend weiter, ganz einfach, jeder betrügt jeden. Wohlgesinnte Gutachter gibt es unendlich viele am Markt. Die Nachahmer, eine andere Kategorie, sieht man auf den ersten Blick, jedenfalls wenn man Sachverstand hat. Die Größe der Exponate spielt auch eine Rolle, weil groß für teuer steht.« Emilia schwieg, ihre Augen fielen zu. Nach einem Moment schreckte sie auf.
»Moderne Kunst kennt keine eigenen Merkmale. Bunt mit glatten glänzenden Oberflächen ließ sich eine Zeitlang gut verkaufen, im Übrigen besteht die Kunst nicht aus den Werken selbst, sondern darin, sie mit Worten einem höheren Etwas zuzuführen, einem höheren ideellen Zweck oder Appell.
Das kann Protest oder Lob sein, Übersinnliches oder etwas die Psyche des Menschen Ansprechendes. Diese Storys sich auszudenken ist eine hohe, ist die wahre Kunst, denn praktisch alles, was gezeigt wird, hat keinen Sinn aus sich heraus. Es ist meistens naiv, was gut in die Zeit passt, oder Farben und Formen hat, bei deren Betrachtung man das Gefühl bekommt, das ganze irgendwo schon einmal gesehen zu haben.« Simona und ich sahen Emilia schweigend an.
»Ja, das ist es«, sagte ich lakonisch.
Emilia schlief endgültig ein.  Wir ließen sie in dem Sessel sitzen. Ich muss zugeben, an dieser Stelle waren wir ratlos, oder wie soll ich sagen, vielleicht auch ausgepowert. Emilias Beschreibung des Kunstmarktes war natürlich völlig übertrieben, so war sie eben. Aber immerhin in Verbindung zu Azmat, war etwas Reales dran. Das jemand eigene Bilder stehlen ließ, schien nichts Ungewöhnliches zu sein.               
»Ständig erfahren wir was Neues, aber es nützt uns nichts«, sagte ich.
»Chao Wang muss zugeben, wer ihn beauftragt hat und was genau seine Rolle war, dann schließt sich der Kreis.«
»Und wir schicken Emilia nach Beirut, sie soll sich mit diesem Azmat treffen, mit oder ohne ihren BH.« Simona sah mich belustigt an. Ich stutze, für Menschen wie mich musste Humor übersetzt werden.
»Das meinst du nicht ernst?«
»Natürlich nicht.« Simona küsste mich auf meine Wange. Wir lehnten uns zurück und machten ein Spiel daraus, abwechselnd im Flüsterton von unseren Leben zu erzählen. So verging der Nachmittag. Emilia wachte irgendwann auf, murmelte etwas und verschwand.
***
Bei Romano Gicalone vermengten sich Aufmerksamkeit mit einer blöden Schläfrigkeit, je nachdem in welchem Zustand sich Romano befand. Wollte man etwas von ihm, brauchte man vor allem eines, Geduld. Etwas Druck machen helfe auch, sagte Simona, die Widerstandskraft von Romano halte nicht lange an.
»Du sollst dich zwei drei Tage, vielleicht eine Woche mit einem Chinesen im Gefängnis unterhalten. Eigentlich wollen wir nur zwei Dinge von ihm erfahren, nämlich wer sein Freund ist und was er mit einer bestimmten Sache zu tun hatte.«
»Mit einem Genossen, ich soll einen Genossen ausspionieren, einen Kommunisten? Die Gewerkschaft der Taschendiebe hat ihren Stolz…«
»Hör jetzt mit dem Quatsch der Gewerkschaft der Taschendiebe auf Romano, oder ich breche dir einen Arm.« Das verstand Simona unter etwas Druck machen? Romano sah Simona ängstlich an. Er knirschte mit seinen Zähnen.
»Du bekommst die ganze Woche ein ausgezeichnetes Essen und dreißig Tage Knast gutgeschrieben und außerdem tausend Euro. Überleg mal, was du damit alles machen kannst.« Ich redete mit der Freundlichkeit eines neutralen Ratgebers.  Simona ergänzte:
»Dafür kannst du ein paar Geldbörsen klauen und fünfzig Gramm Haschisch verkaufen, oder wahlweise in die Kasse eines Supermarktes greifen, ein Auto aufbrechen, japanischen Touristen fünfhundert Euro für eine Stadtführung abknöpfen, oder 1.000 Zigaretten schmuggeln.«
Wir hatten Romano auf einer Parkbank am Hafen aufgetrieben. Er brauchte dringend eine Dusche, darüber hinaus hätte ein Haarschnitt einiges an seiner Erscheinung zum Besseren verändert.  Das Misstrauen des Außenseiters ließ Romano zögern.
»Jetzt überleg mal welche Vergünstigungen dir offenstehen.« Mehr wollte ich ihn nicht drängen. 
»Wann soll das denn sein? Kann ich vorher noch in Urlaub?« Simona reizbare Seite entfaltete sich, was ich nicht für klug hielt, immerhin war Romano in diesem Augenblick ein freier Bürger.
»Du Holzkopf, warst doch noch nie im Urlaub, außer in meinem Weinkeller…« Ich unterbrach Simona.
»Moment, Romano hat alle Rechte eines freien Wählers…«
»Ein freier Wähler, der?« Simona lachte los, sie gab Romano eine Kopfnuss.
»Ist da was drin, ist da jemand zuhause? Hör zu Romano du gehst jetzt in den Knast, jetzt sofort, oder ich betoniere deine Füße ein und versenke dich im Hafen, klar?« Romano schluckte, er stotterte:
»Simona, das kannst du doch nicht machen...Ich dachte wir sind Freunde.«
»Ach was Freunde, halt die Klappe.« Simona nahm ihr Telefon und tippte eine Nummer ein:
»Commissario kommen sie zum Hafen und holen sie Romano ab.« Sie legte auf. 
»Arturo Ambrosio wird dir genau sagen, was du zu tun hast, du kannst das«, versuchte Simona versöhnlich zu sein.
»Ja, ja ich kann das, bestimmt kann ich das.« Romano Gicalone Vorstand der Gewerkschaft der Taschendiebe von Triest vergaß die Zumutung, die mit der Sache verbunden war. Seine Naivität gewann unter Simonas Drohung die Oberhand.
»Ziemlich autoritär, findest du nicht?«, sagte ich zu Simona, als wir den Alfa Romeo wegfahren sahen.
»Ach was autoritär, Stalin war auch autoritär, nur so erreicht man was.«
»Romano ist ziemlich wankelmütig, ich hoffe, er kann sich gegen Chao Wang durchsetzen.«
»Nun ja, manchmal verheddert er sich in der Kabellage seiner Gedanken, das löst sich aber, seine Erfindungsgabe darf man nicht unterschätzen, er wird das schon hinbekommen.  Das ist doch die Idee der Qualle.«
Simona lächelte und gab mir einen Kuss. Ich muss zugeben, meine Simona irritierte mich. Vor allem musste ich als Staatsanwalt ihre Methode einen Spitzel anzuheuern ablehnen.
War Simona in der Lage den Schrecken des Verdachtes ihrer neuen Erkrankung einfach so beiseite zu schieben? Ich fragte sie:
»Wirst du nie sanfter und einfach weniger impulsiv?«
***
Das folgende gebe ich aus den Protokollen der Polizia wieder und wie es mir Romano und andere Zeugen ein Jahr nach den Ereignissen berichtet haben, auch war ich zum Teil selbst Zeuge der Geschehnisse.
Romano Gicalone wurde in den ihm allzu bekannten Verhörraum, den mit dem großen Spiegel und dem Metallbügel auf dem breiten Tisch geführt. Romano sah auf das verschraubte Metall, das dem Zweck diente, Handschellen zu befestigen. Der Raum war dunkel und kalt, ihm war unwohl. Man war dabei, ihn in eine miese Sache zu ziehen. Wie sollte er diese Aufgabe überhaupt lösen?
Natürlich, er hatte gewisse Geistesgaben, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, war er jedoch nicht gewohnt. Vielleicht sollte er es als Wertschätzung sehen, dass man ihn und kein anderes Gewerkschaftsmitglied ausgewählt hatte.
Seit Monaten ernährte sich Romano aus den Tonnen von Supermärkten. Er sehnte sich nach der Kost, die er auf den Tellern von Touristen sah, wenn er in ihre Taschen griff. Die Sache mit dem Essen, überwog die Gutschrift auf eine zukünftige Haft bei weitem.
Commissario Ambrosios Fähigkeit sich in die Empfindungen verdächtiger hineinzuversetzen hatte über die Jahre hinweg nicht zugenommen, sondern das Gegenteil war der Fall. Sein Gemüt war schlichtweg nicht mehr in der Lage, den Personen, die vor ihm saßen, Empathie entgegenzubringen. Das lag daran, dass alle logen, dass sich die Balken bogen. Auch die Unschuldigen, entwickelten im Angesicht der Staatsgewalt ein sofortiges Misstrauen. Ambrosio sah es so:
»Prinzipiell trägt jeder eine Schuld auf seinen Schultern. Ob es die Steuern sind, der frisierte Tachostand, die erfundene Erkrankung, das Zeugen fremder Kinder, die Beschönigung des Lebenslaufes, oder zehn Leichen auf dem Dachboden, die Furcht ertappt zu werden sitzt tief.«
Es traf ein Beamter, der nur das Üble im Menschen sah, auf einen ihm bekannten Schwadronierer und Kleinkriminellen, dessen Hilfe er nun einholen sollte. Der Commissario stand missmutig hinter dem Spiegel und beobachtete seinen Delinquenten.
Simonas Gefühllosigkeit gegenüber Romano war verblasst. Romano Gicalone bewunderte Simona, er sah zu ihr empor sie war einer der Pfeiler in seinem Leben, an dem er sich festhielt. Er wusste, Simona war launisch und sie konnte grob sein. Plötzlich war sie aber auch wieder mütterlich ihm gegenüber. Romanos Temperament war das eines naiven Optimisten, auch wenn das hin und wieder unschönen Einwirkungen auf ihn ausgesetzt war, sodass sich Romano aufs Neue aus Phasen der Bedrücktheit befreien musste.
Weitschweifige Vorreden waren nicht die Sache von Commissario Ambrosio, auch wenn das in diesem Falle angebracht gewesen wäre, schließlich musste Romano für diese, für ihn fremde Aufgabe animiert werden.
Der Commissario erklärte, Chao Wang habe die Logistik des Diebstahles koordiniert, wäre vermutlich nur deshalb in Italien, was natürlich frei erfunden war und Romanos Aufgabe bestünde darin, erstens, zu ermitteln mit wem Chao Wang während des Überfalls telefonierte und zweitens, wer die Bilder tatsächlich gestohlen habe und schließlich drittens, welche Rolle spielte Chao Wang?
»Kannst du dir das merken?«
Romano Gicalone war in diesem Moment voller Bewunderung für den dreisten Raub. Auch spürte er seine Bedeutung in diesem Fall, den er genau verfolgt hatte, auch wenn die Ausgaben der Zeitungen, denen er habhaft werden konnte, meistens ein paar Tage zurück lagen.
»Du wirst gleich Essen. Das Victoria Hotel Letterario, hat das schon bereitgestellt.  Vorher wirst du untersucht werden, wirst Duschen, deine Haare werden geschnitten, du wirst rasiert und bekommst neue Kleidung.«
»Neue Kleidung, darf ich die behalten?« Der Commissario hob seine Augenbrauen und seufzte.
»Dann gehst du in die Zelle zu Chao Wang. Ispettore Ferro hat ihn in Turin geschnappt, wollte wohl das Land verlassen. Er ist seit Tagen allein. Es geht darum, dass du sein Vertrauen gewinnst, normalerweise quatschten die Insassen irgendwann drauflos, wenn sie in Einzelhaft schmoren, Okay?«
Romano hörte nicht wirklich hin. Er dachte darüber nach wie man ihn behandelte. Selbstverständlich fühlte sich Romano geschmeichelt. Hatte er das jemals erlebt? Auch dämmert ihm, er befand sich im Zentrum eines nationalen Ereignisses.
»Komm mit, wir gehen zu Schwester Agatha.« Arturo Ambrosio ging voraus. Sie durchquerten die verzweigten Katakomben des Palazzo di Giustizia, bis sie in einen spärlich beleuchteten Flur eintraten.  Krankenstation , der Commissario klopfte an.
»Herein!«, erscholl eine kräftige Frauenstimme. Romanos Blick fiel auf eine farbige Krankenschwester mittleren Alters.  Ein Schild auf ihrem weißen Kittel wies sie als Schwester Agatha aus, sie trug eine Haube.
»Ich komme wieder«, sagte der Commissario und verließ die Station. Ein schäbiges Lächeln, lag auf seinen Lippen. Schwester Agatha streifte schwarze Latexhandschuhe über, die zu ihren Ellenbogen reichten.
»Mach er sich keine falschen Hoffnungen.«
»Äh, was?«
»Er versteht schon.« Schwester Agatha drückte Romano auf eine Bank nieder.
Hat er die Krätze?«, herrschte sie Romano an.
»Wer ich?«
»Siehst du hier noch einen? Also hat er die Krätze?«
»Äh, nein.«
»Hat er Läuse, Fußpilz, Entzündungen oder Tuberkulose?«
»Äh, nein auf keinen Fall«, antwortete Romano, in der Überzeugung seiner Unschuld. 
»Na, wir werden sehen. Leg deinen Arm da drauf.« Romano verstand das Kommando, es wurde ihm Blut entnommen.
»Mach er zwanzig Liegestützen.«
»Was, hier?«
»Nein, vor dem Stuhl des Papstes, auf was wartet er?« 
»Zwanzig? Wie soll ich zwanzig Liegestützen machen?«
»Fang an, er wird schon nicht sterben.« Romano legte sich auf den Fußboden und begann mit den Liegestützen. Schwester Agatha, hielt einen Stift und ein Klemmbrett, sie zählte mit:
»Eins, Zweiiii, Dreiiiiiii.« Romano senkte seine Ellenbogen und legte sich schwer atmend flach auf den Boden.
»Was, das ist alles, wie alt ist er? Achtzig? Aufstehen, hop, hop. Er riecht wie zehn Hundehaufen, geh er zur Reinigung, dann komm er wieder.«
Romano sah Schwester Agatha hilflos an.
»Raus, raus vor die Tür!«
Romano war froh, dieser Schinderei erst mal zu entkommen und verlies schleunigst die Krankenstation. Ihm war schon der Duft des köstlichen Essens in die Nase gestiegen. Ein Wachmann führte Romano durch die Gänge, schließlich öffnete er eine Tür, die in den nächsten Raum führte, dort wartete - Schwester Agatha. Hinter einem Vorhang hörte Romano wie Wasser in eine Wanne eingelassen wurde.
»Zieh er sich aus und leg er sich in die Wanne. Dort sind Seife, Bürsten und Shampoo.« Romano starrte Schwester Agatha an.
»Ausziehen, ich?«
»Ja sicher er, auf was wartet er? Soll ich ihm den Mund mit Seife auswaschen? Jetzt hop, hop, er muss fertig werden.« Romano öffnete den Vorhang, es war sogar Schaum in der Wanne. Das Wasser duftete wie ein Blumenladen, bei dem er mal die Kasse gelehrt hatte.
Als er sich vorsichtig in das Wannenbad begab, das Erste, seit er auf die Welt gekommen war, kamen Romano Gicalone Tränen des Glücks. Er legte sich tief hinein und vergas vor Rührung die Bürsten anzuwenden. Immer wieder ließ er sich mitsamt seinem Kopf in die Tiefe der Wanne sinken, nahm Schaum auf seine Hände und blies ihn in die Luft.
Er dachte: Das Leben ist in ewigen Hierarchien, in Rangfolgen gegliedert. Ich stehe ganz unten. Er war auf einer Bank abgelegt worden, wo ihn ein Straßenkehrer fand. Kurz berichteten Zeitungen über einen abgelegten und verlassenen Jungen. Vielleicht kam er aus Bulgarien, es spielte keine Rolle.
Sein Name war der, des Vorstehers des Amtes, Romano Gicalone. Er wuchs in Heimen auf, ohne eine Zuwendung, manchmal verprügelt, doch nie schwer, er wurde um sein weniges Geld erleichtert, das er sich mit kleinen Arbeiten verdiente. Zu Weihnachten schenkte die Kirche Bücher an die, denen sie zutrauten sie zu lesen. Das war das erst mal im Leben des kleinen Romano, dass ihm eine Anerkennung zuteil wurde.
»Das ist aus einer Entrümpelung«, sagte der Pastore wenig einfühlsam. Das Buch hieß Moby Dick, ein Werk, das in seiner Weitschweifigkeit und Komplexität unlesbar war, vor allem für einen achtjährigen. Romano hütete sein Buch wie einen Schatz. Er las es, von der ersten, bis zur letzten Zeile.
Darin mag ein Ursprung für seine ungeordneten Gedanken liegen. Der Roman handelt, neben Dutzenden akribisch ausgearbeiteten Themen und das auf höchstem literarischem Niveau, von Freundschaft und der Gewalt der Natur. Das verstärkte Romanos Sehnsucht nach Anerkennung, nach einer Aufnahme in die wärmende menschliche Gesellschaft, nach Stärke und Selbstbehauptung. Romano hatte nie eine Leitfigur, keine Mutter und keine Vaterfigur, er war ein Kind der Straße.
Vor Männern hatte Romano schlichtweg Angst.  Frauen waren für ihn Bedrohlich, doch zugänglich. Neben Simona gab es andere Frauen, bei denen er eine Anteilnahme an seinem Schicksal suchte. Hätte sich nur einmal jemand dafür verantwortlich gefühlt, dem Jungen mit der überschäumenden Fantasie zuzuhören und ihm nur etwas Geleit zu geben, wäre Romano ein anderer geworden. Seine Verwilderung, sein fettiges Haar, seine Bettelei, seine Ausdünstungen und dass er Drogen nahm und jeden bestahl, verhinderten diesen sehnlichen Wunsch. 
Das Einzige, was Romano Gicalone auszeichnete, war, dass er alles las, was er in die Hände bekam. Seine wenig geordneten Gedanken vielen dadurch mit einem besonderen Einfallsreichtum zusammen, man kann es auch Luftschlösser nennen, Phantome, oder Traumbilder.
Die Leitende Oberstaatsanwältin Loretta Cucinotta kannte den verschwitzten Jungen. Sie durchdrang mit wenigen Blicken eine psychische und nervliche Konstitution. Sie wusste genau, warum sie Romano Gicalone für den erforderlichen Erkenntnisgewinn auf Chao Wang angesetzt hatte. Nur er konnte den verstockten Chinesen zum Sprechen bringen.
Erst einmal musste Romano jedoch das Erlebnis einer Menschwerdung zuteil werden. Er sollte seine Bedeutung verstehen und an Selbstachtung gewinnen. Auch sollte er begreifen, dass sein Leben in der Gosse ein Ende finden konnte. Trat diese Erweckung ein, was sich die Qualle durch die Vorbereitungen erhoffte, würde Romano seinen sprühenden Gedanken freien Lauf lassen, hoffentlich einigermaßen geordnet und zielgerichtet.
Schwester Agatha trat ein. Sie drückte Romanos Kopf gegen seine Knie.
»Hat er sich nicht den Rücken geschrubbt?« Verlegen verneinte Romano.
»Na, dann wollen wir mal.« Während Schwester Agatha Romanos Rücken striegelte, pfiff sie vor sich hin. Am Ende sagte sie:
»Wir arbeiten nach der Lehre der Asepsis Generalis, er ist sauber.« Romanos Rücken brannte wie die Hölle.
Später stand er vor einem Spiegel. Er trug eine gebügelte Stoffhose, ein Gürtel mit goldener Schnalle steckte darin, ein neues blaues Hemd mit Bügelfalten, so eines das er nie getragen hatte, lederne blitzende Schuhe und eine wirkliche Uhr, von deren Anblick er sich kaum lösen konnte. Bei allen Kleidungsstücken waren die kleinen bedruckten Zettel, die Maß und Herkunft beinhalteten angehängt, alles war neu. Er streifte sich eine Lederjacke über, deren Geruch er tief einsog. Die Jacke hatte aufgesetzte Nähte, Innentaschen mit ledernen Knöpfen und einem seidig glänzenden, mit königlichen Insignien bedruckten Futter.
Das Menü, das Romano Gicalone an einer mit einer weißen Tischdecke bedecken Tafel serviert worden war, bestand aus einem Salbanello Rosso, einem Rotwein aus Venezien, der Tiefe hatte und durch seinen süßlichen Abgang eine allseitige Verzückung hervorrief. Die Speisen waren, gegrilltes und in Öl mariniertes Gemüse, eingelegte, Paprika grigliati, eine Leber alla Veneziana auf Reis, Venusmuscheln, Oktopusse und Krebse auf Spiralnudeln, alles auf das Köstlichste abgeschmeckt und schließlich ein Sorbetto al Limone.
Romano befühlte sein glatt rasiertes Kinn. Sein Haar war kurz und lag fein auf seinem Haupt.  Das alles und sein Scheitel gaben ihm das Aussehen eines Barbesitzers, oder auch eines von Erfolg verwöhnten Schriftsellers, oder von beidem. Noch einmal musste sich Romano bei Schwester Agatha melden. Stolz trat er in den kleinen Untersuchungsraum ein. Schwester Agatha war klar, dass sie Romanos Metamorphose nicht gänzlich ignorieren konnte, auch wenn sie eisern ihren in Tabellen festgelegten ärztlichen Anweisungen folgte.
»Er hat einmal Drogen genommen? Habe ich gleich gesehen, welche?«
»Keine Ahnung, seit heute Morgen bin ich hier.«
»Brav, dass er sich befreit hat. Jetzt gehe er, er hat ein Talent, habe ich gleich gesehen, viel Erfolg.«
Kapitel 7
Die Gespräche, zwischen Chao Wang und Romano Gicalone oder besser Romanos Phantastereien, wurden mit höchstrichterlicher Genehmigung aufgezeichnet.
Sowas wie eine Strategie konnte Romano schon deshalb nicht haben, weil ihm die Aufgabe überstürzt, angetragen worden war. Auch war er nicht der Typ, wie inzwischen bekannt ist, der eine Reihenfolge in seine Gedanken zu bringen imstande war. Das maximale an innerer Ordnung war, dass Romano einer Abfolge von Impulsen folgte.
Als Romano in die Zelle, die im Halbdunkeln lag, eintrat, schreckte Chao Wang auf und sah Romano mit zusammengekniffenen Augen entgegen. Chao Wang begriff, dass er von nun an einen Zellengenossen hatte, was seine Verbitterung nicht zu lindern vermochte.
Er machte keine Anstalten zu Grüßen, sondern legte sein Haupt zurück auf seine zusammengelegten Arme, die er wiederum auf seine Knie stützte. Er saß inzwischen seit zwei Wochen, ohne ein Wort gesprochen zu haben in dem kalten Gewölbe. Beschwingt von dem göttlichen Mal trat Romano in den Raum ein, hielt auf dem Absatz und sagte pathetisch:
»Ist ja wie beim Grafen von Monte Christo hier.« Romano stolperte über Chao Wangs Schuhe, die parallel auf der nächsten Stufe standen. Er torkelte auf Chao Wang zu, stützte sich auf dessen Schulter und Kopf ab, sein Mund berührte den des entsetzten Chao Wang und Romano viel schließlich hin, wobei seine Hose im Gesäß einriss. Chao Wang sprang auf und spie auf den Boden. Romano sagte:
»Heiter, bleib heiter mein lieber Freund, kennst du Schwester Agatha?« Romano befand sich von jetzt ab in der Spur. Chao Wang sah Romano an, als würde er ihn umgehend erwürgen. Romano spürte, nach seinem Missgeschick, brauchte Chao Wang Zeit, um sich zu sortieren, was aber nur einen Moment anhielt. Er stellte sich in die Mitte des Raumes und sah sich um. 
»Es gibt Kellerasseln hier, wie nett.« Es folgte:
»Ich werde mich erstmal umsehen.« Romano mochte das klackende Geräusch, das seine Schuhe auf den Steinplatten erzeugten. Fest auftretend ging er auf und ab. Dann setzte er sich mit zusammengerückten Knien auf seine Pritsche, prüfte aus mehreren Perspektiven seine geschnittenen Nägel, stand auf, ging noch einmal herum, setzte sich wieder und wiederholte das Ganze. Als sie sich lange schweigend gegenübersaßen, sprang Romano auf, ging in die Mitte des Raumes, reichte Chao Wang seine Hand und sagte:
»Mein Name ist Romano Gicalone, ich bin, äh, ich bin Doktor der psychologischen Ornithologie.« Chao Wang blickte Romano für einen Moment mit einem leichten anheben seines Kopfes an. Dann fluchte er schrecklich auf Chinesisch, was hier nicht wiedergegeben werden soll. Wieder saßen sie schweigend da.
»Ich weiß, ich weiß, es ist in Asien nicht üblich, starke Gefühle zu zeigen, also mach dir nichts aus deinem Schweigen, du musst nichts sagen, du musst nichts tun, genieße deine Zeit, genieße den Müßiggang und die Zerstreuung, ich werde das auch tun, ich werde auch die Zeit der Einkehr hier genießen.« Nach vorn gebeugt, rubbelte sich Chao Wang mit beiden Händen durch sein Haar.  
»Du hast schönes Haar, woher kommst du, aus China, aus dem großen Reich der Mitte zwischen Himmel und Erde? Weißt du, dass eines der am meisten gedruckten Bücher die Mao-Bibel ist? Das Buch wurde eine Milliarde Mal gedruckt. Es geht darin um Sozialismus und Kommunismus, der Kommunismus ist ja die einzig wissenschaftliche Weltanschauung, wie Karl Marx in seiner kritischen Weitsicht nachgewiesen hat.
Außerdem schreibt Mao, über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke, die Führung durch die Parteikomitees, unser Land mit Fleiß und Genügsamkeit aufbauen und vieles mehr. Ich habe sie gelesen, Maos Bibel.« Ohne eine Unterbrechung plapperte Romano weiter.
»Ihr seid doch geschäftstüchtig, ihr Chinesen, bist du auch Geschäftsmann, mein Freund? Ich habe da so eine Idee, brauche nur etwas Kapital, vielleicht die Chinesische Staatsbank? Egal, ich habe mir überlegt, man könnte ganz einfach Kondome Recyceln, im Sinne der Nachhaltigkeit… es wäre doch besser, als würden tausende von ihnen im Meer treiben. Dinge, die nur einmal benutzt werden, sollten überhaupt verboten werden, stimmst du mir zu?« Jetzt sprang Chao Wang auf und legte seine Hände an Romanos Gurgel.
»Es heißt nicht die Mao-Bibel, es heißt, Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung«, Chao Wang wiederholte laut, sehr laut:
»Es heißt, Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung und jetzt hör auf mit dem Gerede, ich habe Hunger, die geben mir nichts zu essen, halt jetzt einfach die Klappe, oder ich erwürge dich.« Chao Wang lies von Romano ab.
»Warum so dünnhäutig mein Freund? Aber ja, du hast ja recht, so heißt es, Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung, entschuldige meinen Affront, es war nicht meine Absicht, den Vorsitzenden auch nur im Geringsten zu beleidigen.« Sie schwiegen lange, sehr lange.
»Wenn du Hunger hast, vielleicht haben sie Reis, oder Sushi, ihr esst doch Sushi, oder sie haben Hühnerfüße und faule Eier, soll ich mal fragen?« Chao Wang heulte auf wie ein Wolf bei Vollmond.
»Nein, nein«, jammerte er.
»Kann ich das wieder gut machen, ich meine das mit Mao, mit einer Louis-Vuitton-Tasche vielleicht, oder einer Ray-Ban-Brille, oder einer Schweizer Uhr? Ich bin behände, kann alles besorgen.«
Wieder fuhr sich Chao Wang durch sein Haar, dabei schüttelte er seinen Kopf. 
»Dir muss nicht bange sein, ich nehme das hin, dass du mich gewürgt hast, auf jeden Fall, es ist wichtig, stets ruhig zu bleiben und seinen Freund nicht in eine ausweglose Situation hineinzumanövrieren, du sollst keinen Gesichtsverlust erleiden.«
Wir hörten alles mit. Ich hoffte Chao Wang würde keine Klinge bei sich tragen. 
»Erzähle von China, deiner Heimat, vermisst du sie sehr? Wir sind ja jung, du und ich, wir haben Hoffnungen, kennst du die Liebe? Kennst du die verbotene Liebe, die hoffnungslose und die glückliche? Entschuldige, wenn ich vertraulich werde, manchmal bin ich so sentimental, das ist so meine Art, willst du mein Freund sein mein Vertrauter? Welches Tier möchtest du sein? Eine Katze, ein Drache, ein Gespenst?«
In diesem Sinne quatschte Romano über die nächsten Stunden hinweg. Dann legte er sich auf die Seite und schlief ein. 
Am nächsten Morgen wurde Romano aus seiner Zelle gerufen. Er war ganz bei sich, konzentriert, gar nicht spinnert, nicht einmal die Gewerkschaft der Taschendiebe erwähnte er. 
»Mach weiter so, Romano«, sagte Arturo Ambrosio, der sich überwand und seine ehrliche Achtung vor Romano zum Ausdruck brachte.
»Ja, mach er weiter so, er ist ein Könner«, pflichtete Schwester Agatha bei. Simona und ich waren an dem Morgen nicht zugegen. Nachdem Romano mit Kaffee, Saft, warmen Croissant mit Butter, Konfitüre und Rührei gepäppelt wurde, Romano aß fünf Stück Croissant, gab ihm Schwester Agatha einen Blechnapf, so einen, wie er beim Militär üblich ist und schöpfte mit einer Kelle Hühnersuppe hinein.
»Gebe er das seinem Freund«, trug sie Romano auf.
Das Erste, was Romano sagte, als er in die Zelle trat und über Chao Wangs Schuhe stieg war:
»Das ist eine Darreichung von einem gesandten des Papstes, eines Priesters, erquicken sie sich daran.« Chao Wang blickte Romano stumpfsinnig an. Hastig nahm er den Blechnapf und verschlang schmatzend die Suppe, er rülpste.
»Würde und Kultur sind unzertrennliche Pole«, begann Romano von neuem.
»Kultur hat ihre Eigenheiten, eigentlich ist das die Definition von Kultur, ihre Eigenheiten. Gutturale Geräusche sind innige Äußerungen, sie loben die Bekömmlichkeit des Mahles. Ich werde deinen Dank weitergeben.
Was genau macht die chinesische Philosophie aus?  Wir reden über ein Thematisches Ungetüm, aber was meinst du?« Chao Wangs Augen blitzten vor Wut.
»Das geht auf Schopenhauer zurück: Kultur bezeichnet die Erscheinungsformen menschlichen Daseins, die auf bestimmten Wertvorstellungen und erlernten Verhaltensweisen beruhen. Der Gegenbegriff des menschlich geschaffenen, ist die Natur. Ist das nicht schön? Zum Beispiel ist die chinesische, eine klassenlose Gesellschaft.
Was für eine Errungenschaft das ist.  In China hungert niemand, die Gesellschaft lebt einen sanften Pazifismus. Privates Eigentum, der Kern allen Unfriedens, existiert nicht in China, der Kommunismus befriedet und ernährt seine Kinder.« 
Mir war nicht klar, dass jemand endlos quatschten konnte und es war nicht ohne einen gewissen Sinn, was Romano sagte. Wir alle, die gebannt zuhörten, bewunderten Romano. In unseren Augen war er, der seine Monologe klug in eine bestimmte Richtung lenkte, ein Meister der Manipulation.
»Gibt es eine Verbindung zwischen Emilia und Romano?«, fragte ich Simona. 
»Die Ähnlichkeit ihrer Fantasie kann doch kein Zufall sein.« Zaghaft schüttelte sie ihren Kopf. Am dritten Tag ging es weiter wie am ersten und zweiten, am vierten ebenso. Romano produzierte eine Spitzfindigkeit und subtile Beleidigung nach der anderen. Er musste sich durch die komplette Bibliothek von Triest gelesen haben.
Seine eingerissene Hose war am nächsten Morgen geflickt worden. Am dritten Tag wurde Romano neu eingekleidet, am fünften ebenso. Seine Kreativität musste auf sein Äußeres, eigentlich seiner Selbstbestimmung, die wie eine Erleuchtung auf ihn gewirkt haben muss zurückgegangen sein. Während seines ganzen Lebens hatte er eine Rolle, die des verwahrlosten Versagers. Aus so einer Bestimmung findet niemand heraus. Ihm selbst war jetzt klar, was er konnte. Es fehlte ihm bisher die Kraft und eine Vision aus seinem Elend zu finden. Von nun an würde sein Leben ein anderes sein.
Als Romano am fünften Tag das Schillerzitat aus Don Carlos bemühte, nämlich:
»Sir, geben sie Gedankenfreiheit«, sprang Chao Wang Romano erneuet an die Gurgel. Wäre nicht eine Wache eingeschritten, hätte der dem Wahnsinn verfallenen Chao Wang den armen Romano erwürgt.
»Ich respektiere ihre Grobheiten mein Herr, aber wir beide sind Entwürdigte in diesem Verließ, nicht nur sie.«
Romano schwieg. Die immer gleiche Hühnersuppe verdarb Chao Wang den Appetit. Er wurde immer verdrießlicher.
»Wir müssen üben, den Hut abzunehmen den Strohhut. Das erfordert die Sitte in Triest. In der Mode und in der Musik gibt es eine natürliche Zerrissenheit. Beides unterliegt einem Wandel in der Geschwindigkeit eines Sturms auf See. Was für ein Geschäft betreiben sie, mein Herr, wenn ich fragen darf? Eine Praxis für chinesische Medizin, so eine mit weißem Marmor und lächelnden Damen, die am Empfang liebreizend ihre Köpfe neigen? Oder eine Kampfsportschule, sie lehren das Mannhafte in uns, oder gar ein Restaurant, mit den vorzüglichsten Köstlichkeiten? Ich weiß, ich weiß, Schuhe sollten immer ordentlich geputzt sein und beim Betreten einer Wohnung bleiben sie geordnet vor der Tür, auch wenn sie laut wehklagen.« Plötzlich weinte Chao Wang verzweifelt auf.
»Was habe ich getan, was?« Er reckte seine Arme gen Himmel und weinte bitter.
»Ich habe nur telefoniert, ein paarmal, ganz wenig, telefoniert habe ich, ist das ein Verbrechen? Ich bin kein skrupelloser Dieb, nichts habe ich gestohlen, nichts! Ich habe nur ein einziges Mal telefoniert. Warum quält ihr mich so? Warum foltert ihr mich? Ich habe nichts getan, ich bin ein kleiner Unscheinbarer, ein Leibeigener des Syndikats, ich bin kein Verbrecher, was soll ich denn dagegen tun, wenn sie mir etwas auftragen?«
»Mein Freund, nicht die Verderbnis wartet auf dich, das Licht der Freiheit, tue Buse. Was bedrückt dich, warum bist du hier, erleichtere dich.« Chao Wang verlor sich in einem Flehen und flattieren, er wimmerte, zog seinen Gürtel ab und begann sich unter Tränen zu Geiseln. 
»Nun ja, sie sind beherzt und dienstfertig, die Behörden in Triest, aber ich sage dir, wenn du dein Herz erleichterst, wird dich die Wonne der Erlösung erreichen, aber weine mein Freund, befreie dich.« Nach Minuten in denen Chao Wang vergeblich um Fassung rang, fragte Romano pointiert:
»Also was ist es, warum bist du hier, vielleicht kann ich dir helfen? Ich bin ein Kenner der Materie, wie kein Zweiter.« Romano redete ernsthaft, mit gemäßigter und unaufdringlicher Stimme.
Eine weitere Nacht verging. Am nächsten Tag löste sich der Nebel über Chao Wangs Qualen auf.
Chao Wang war zermürbt. Der Irrsinn mit dem Romano ihn bombardierte, war es nicht allein. Chao Wang wollte seine Freiheit zurück.
»Ich weiß nicht, wie ich jemals hier herauskomme. Vor ein paar Monaten stand jemand in meinem Geschäft, ein Mongole, Bao Shen.  Er hat erst höflich gefragt, ob ich ihm bei einer Sache helfen könnte, es wäre ganz einfach. Mir war klar, dass nichts Gutes dahinterstecken konnte.« Chao Wang spukte auf den Fußboden.
»Ich sollte einen Lieferwagen mieten und ihm die Schlüssel geben. Dann sollte ich dieses Museum beobachten, solange sie es leerräumen würden. Ich sagte nein. Am nächsten Tag kamen drei Mongolen, ich sagte ja. Sie versprachen mir fünftausend Euro, wenn ich draußen aufpassen würde, ob die Polizei käme.« Chao Wang machte eine Pause.
»Und dann?«
»Dann haben sie gesagt, ich solle die Bilder, die sie in einer Kiste in den Lieferwagen stellen würden an einen Matrosen übergeben und der würde sie in einem Schiffscontainer verstauen. Das Ganze sollte ich mit einem Azmat, einem Usbeken regeln.« Chao Wang lachte sarkastisch.
»Ich etwas regeln? Ich habe noch nie was geregelt. Es war aber doch alles ziemlich einfach, ich habe den Lieferwagen gemietet, das heißt, ein Mädchen hat das gemacht, habe ihn abgestellt, wo die Mongolen es gesagt haben.« Chao Wang schnäuzte in seine Bettdecke.
»Nur dieser Bao Shen hat Italienisch gesprochen, er war wohl der Anführer. Er arbeitet mit diesem Usbeken, diesem Azmat zusammen, mit dem ich dann ein paarmal telefoniert habe, keine Ahnung wie der wirklich heißt, oder wo der lebt.  Sie nennen sich das Syndikat. Der Usbeke soll Bilder aus allen möglichen Museen stehlen lassen, die Versicherungen würden alles erstatten, ich müsste mir keine Sorgen machen. Museen sollen sowieso nur Kopien ausstellen, hat Bao Shen gesagt, keine Ahnung, ob das stimmt, macht ja auch keinen Sinn, oder? So läuft das Geschäft von denen, sie heuern Landsleute an, die sich an einem Ort auskennen.«
»Und warum bist du hier?«
»Ganz einfach, die Polizei kam, ich habe das Telefon, mit dem ich den Usbeken auf dem Laufenden gehalten habe in eine Golftasche geworfen, irgendwie sind die dann auf mich gekommen, aber was hätte ich denn tun sollen?«
»Woher hast du die Schrammen in deinem Gesicht? Dein Auge ist blau.« Chao Wang bliess Luft aus, er sah zur Seite, dann zur anderen Seite, das war ihm peinlich.
»So eine Verrückte ist in meinem Geschäft aufgetaucht, hat mich plötzlich hinterrücks mit einem Knüppel geschlagen, sie hat mein Telefon geklaut, das zweite, mit dem ich dann mit dem Usbeken telefoniert hatte.« Sie holten Romano aus der Zelle.
»Romano, gute Arbeit, sehr gut, du hast drei Wünsche frei, wie im Märchen.« Commissario Arturo Ambrosio, wandte sich um und ging den Gang entlang.
»Ich gehe zur Oberstaatsanwältin und berichte ihr.«
»Warten sie, ich habe nur eine Bitte.« Romano ging auf den Commissario zu.
»Sagen sie der Oberstaatsanwältin ich möchte wissen, wer meine Eltern sind, mehr möchte ich nicht.«
***
Es ereignete sich folgendes: Emilia postete das Audio ihres Gespräches mit Pierre Ardéche auf Spotify, YouTube und TikTok. Bearbeiten musste sie nichts, es wurden keine Namen genannt, nur der von Amadeo Bellini. Keine Ahnung, was in sie gefahren war, vielleicht zog es sie magisch an in die Schlagzeilen zu kommen, oder es war einfach üblich geworden oder ihr war alles zu Kopf gestiegen. Emilia postete dazu Clips von sich in ihrer transparenten Bluse, logischerweise ohne BH.
Emilia war eine Größe der letzten Generation in Norditalien. Zu dem Zeitpunkt hatte sie 10.000 Follower.  Zwölf Stunden später waren es 25.000. Ein Shitstorm ergoss sich über sie, dagegen bekam sie Zweihunderttausend Likes. Die ansonsten drögen alten Medien stiegen auf die Story ein. In den nächsten vier Wochen war Emilia ein Star in Italien. So wie ich sie kannte, würde sie komplett abheben. Dass sie sich aus Furcht vor der Mafia panisch versteckt hatte, spielte plötzlich keine Rolle mehr.
Um das abzukürzen, Chao Wang wurde entlassen. Zwei Wochen später, bevor es zu weiteren Verwicklungen kommen sollte, trafen wir uns.
»In dem Moment, als ich das Gefängnis verließ, plagte mich eine Angst. Mir war klar, ich sollte den Mongolen Bao Shen anrufen und ihm gestehen, was sich getan hatte. TikTok kenne ich, ist ja Chinesisch. An dem Shitstorm auf diese Emilia konnte ich überhaupt nicht vorbeikommen. Ihr Gespräch mit diesem Franzosen, oder Araber habe ich dreimal angehört. Ich habe gesehen, Emilia ist aus Triest. So wie das Gespräch gelaufen ist, war es ähnlich, wie Romano mich in den Irrsinn getrieben hat. Dieselbe Methode, perfekt vorbereitet, zielgerichtet, sie sind geschult beide, es war alles geplant.«
»Nein, war es nicht, das war spontan, ich kenne Emilia Firenzzi.« Chao Wang sah mich ausdruckslos an.
»Das ist unmöglich, dann sind sie Schauspieler, oder verheiratet, oder Geschwister.« Ich erstarrte und griff an die Armlehnen meines Stuhles.
»Jedenfalls musste ich den Mongolen anrufen, ihm sagen, was ich getan habe. Dann habe ich ein Samuraischwert gekauft und einen Berg aufgesucht, dessen Gipfel in die Richtung des Sonnenaufganges gezeigt hat. Ich wollte mir das Schwert in die Eingeweide rammen und meinen Frieden haben. Die Apfelblüte war aber vorbei, außerdem habe ich an den Vorwurf der kulturellen Aneignung gedacht, dem ich mich nicht aussetzen will. Ich habe es gelassen, auch wenn sie mich liquidieren werden.«
Später stellte sich heraus: Bao Shen rief Azmat an und berichtete zu dessen Entsetzen, Chao Wang habe alles gestanden, außerdem gäbe es einen Shitstorm, verursacht von einer Emilia, die Hisham El Khoury, der sich den Namen Pierre Ardéche gegeben habe, wie eine Schlange verführt habe und es gehe um Amadeo Bellini.  Azmat rief daraufhin Hisham El Khoury an, dass der sich Pierre Ardéche nannte, war Azmat angeblich nicht bekannt und erzählte ihm, was sich im Gefängnis in Triest ereignet hatte.
Amadeo Bellini fühlte sich wie ein König und sonnte sich in seinem Ruhm. Während er von einer Liveschaltung in die nächste gereicht wurde, räkelte er sich in einer römischen Toga mit goldenen Mäandern auf einem Diwan, ließ sich Trauben in den Mund perlen und nippte Champagner.
Die ihm in jedem Interview gestellte Frage, ob er etwas mit dem Raub seiner Bilder zu tun habe, was aus dem Gespräch zwischen Emilia und Pierre zu vermuten war, verneinte er empört und beklagte sich darüber, dass das Verbrechen vor der Kunst nicht Halt mache.
Der Qualle waren namentlich bekannt: Chao Wang, der Mongole Bao Shen, von dem sie aber nicht mehr wusste, Pierre Ardéche, von dem sie ferner nicht wusste, dass er Hisham El Khoury hieß und Amadeo Bellini. Sie kannte den Namen Azmat, der vermutlich ein Deckname war und mehr wusste sie nicht über ihn. Uns allen war nicht bekannt, dass es den Sammler und Multi-Businessman Fatih al-Duri aus Nob Hill gab und natürlich wussten wir alle nichts über die Zerstörung der Bilder, die an der letzten Generation haftete.
***
Es ergoss sich einer dieser Sommerregen, die sich wie ein Chopin Impromptu anhören. Es war gut, dass es regnete in Norditalien. Wasser war knapp. Die Behörden nahmen Einschränkungen bei der Wasserentnahme vor. Dagegen hatte es im Februar in Palermo geschneit. Mir war klar, nichts bedrohte die soziale Ordnung mehr als der längst präsente Klimawandel.
Meine Gedanken wandten sich dem Gegenstand zu, der uns beschäftigte. Noch waren Simona und ich der Qualle voraus. Es war jedoch eine Frage der Zeit, bis ihr die Verkettung der Ereignisse bekannt sein würde, oder das war schon geschehen, schließlich hörte die Polizia alles ab, mit oder ohne richterliche Genehmigung. Möglicherweise fehlten ihnen nur noch gerichtsfähige Beweise.
»Ich bin unruhig, Carlo, schon seit wir aus Zypern zurück sind. Die Qualle lässt uns die Arbeit machen, am Ende schlägt sie selbst zu.« Ich nickte, mir war klar, dass Simona ernsthaft auf die Belohnung setzte, während für mich das Ganze lange ein Zeitvertreib geblieben war. 
Unsere Beziehung hatte sich gefestigt. Wir sprachen es nicht aus. Diese Art der Geständnisse waren weder Simonas noch meine Art. Unser Alltag hatte eine eigene Ordnung bekommen. Wir würden zusammenleben.
Ich besorgte den Einkauf, brachte Simona Blumen, ich kümmerte mich um die Buchhaltung des Weingutes, lernte Italienisch, sprach mit Simona in dieser Sprache, was ich liebte, und nahm mir vor mich für die italienische Zulassung als Anwalt vorzubereiten. Wir schliefen jede Nacht zusammen, von Verhütung war nie die Rede. Wie sollte es weiter gehen, wenn wir die Belohnung nicht bekämen? Simona würde in einer Abhängigkeit zu mir stehen. Eine Aussicht, die auf eine Frau wie sie es war, alles andere als verlockend wirken musste.
»Deine Idee mit dem Airbnb ist einfach die Lösung, das Haus ist wie gemacht dafür«, sagte Simona plötzlich munter.  Wir könnten zur Bank gehen.« Ja, der Gang zur Bank sei immer eine Möglichkeit, antwortete ich, aber man verlange Sicherheiten und Simona hätte nichts als das Haus. Es würde enden, wie es immer endete, mit dem Eintrag der Bank in das Grundbuch. Wir würden im Büro von Doktor Karl Matratzen auf dem Boden auslegen, sagte ich gereizt meinen Zweifel an Simonas Optimismus ausdrückend. 
Ich googelte Ausstellungen, irgendwo musste die Bande zu finden sein.
»In Abu Dhabi ist eine Ausstellung, die libanesische Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts zeigt, sie öffnet morgen. Amadeo Bellini wird ausgestellt, bei Pierre Ardéche, und der ist auf dem Stand von Azmat Galleries.  In Abu Dhabi wird sich alles auflösen.«
»In Abu Dhabi, nicht in Zypern?« Simona grinste schelmisch. Sie öffnete ihren Computer, las sorgfältig den Eintrag über die Ausstellung, sah zu mir und sagte:
»Nehmen wir an, wir treffen Azmat und sogar Bao Shen, wie präsentieren wir die der Qualle?«
»Wir machen Fotos, werden ihre Pässe scannen, ein Klick mit dem Telefon und wir müssen herausfinden, wo sie tatsächlich wohnen, das reicht schon.«
***
Es gab eine Zeit, in der man sich in der Fremde unwohl, das heißt, wegen seiner nicht Zugehörigkeit beobachtet fühlte und sich an das klammerte, was am nächsten lag. Das Taxi oder der Portier, der beflissen an der Rezeption waltete. Man klammerte sich an Landsleute, mit denen man sich über die erdachte Geborgenheit versicherte und welche die Vertrautheit der Heimat teilten.
Hätte man seine Befangenheit mitgeteilt, wäre es zu einem allseitigen Missvergnügen gekommen. Dieses Unwohlsein, das sich in warnenden inneren Stimmen äußerte, lag lange zurück. Solche Überlegungen trafen auf alle Reisenden zu, egal ob biederer Anwalt oder Künstler. Überhaupt sind die Zeiten des Unwohlseins in der Fremde vorbei. Wer nach Palma de Mallorca reist, reist auch nach Abu Dhabi und das sind nicht wenige.
Wären die Metropolen der Welt und in eine solche reisten wir, zu einer einzigen zusammengerückt, empfände man in vielerlei Hinsicht keinen Unterschied zwischen ihnen. Die Welt hatte sich in ihrem Erscheinen genormt. Es war so, als würden ASTM und chinesische Guobiao Normen über uns herrschen.
Wie viele Handelsmarken und Logos sich im Vorbewusstsein aufhalten, wird man nie ermitteln können. Abläufe werden in eine Datenverarbeitung gepresst. Wie gesteuert folgen Angestellte, den ihnen auferlegten Pflichten. Einen Text zu verfassen ist eine vergangene, eine lästige Kunst geworden.
Darin mag eine Ursache für die Zunahme von Melancholie und Ernsterem liegen. Dass sich die Menschen in Abu Dhabi anders kleiden, als jene in Mailand ist so natürlich, dass man sich anstrengen muss, um es zur Kenntnis zu nehmen. An einer gewissen Oberfläche sind die Eigenheiten dahin geschmolzen. Hier ist nicht von abseitig gelegenen Gassen, auch nicht von Religionen und politischen Verhältnissen die Rede, sondern von all dem, was sich monetär bewegen lässt, der Ökonomisierung jedes Lebensbereiches.
Abu Dhabi, Schanghai, Singapur, Taipeh und ein Dutzend anderer Metropolen kennen in ihrer grundsätzlichen Erscheinung keinen Unterschied.  Diese Städte werden stringent geführt, es dominiert eine artifizielle, bildhafte Kultur. Im Widerspruch zu der Strenge des Lebens, gibt es jedoch Stätten der Zerstreuung.
Die Pracht des Louvre Abu Dhabi, äußert sich in der Verschmelzung arabischer Kunst mit den Erscheinungen unserer Zeit. Unter einer flachen Kuppel von 180 Metern Durchmesser erstreckt sich eine netzartige Konstruktion, aufgelöst in 8.000 Metallsterne, durch die Lichtstrahlen auf die darunter liegenden Gebäude und Wasserflächen fallen.  Der gesamte Komplex besteht aus 55 neben- und übereinander angeordneten Quaderbauten. Die Bauten mit ihren Flachdächern und dazwischenliegenden Wegen symbolisieren eine arabische Altstadt.
Die Ausstellung hatte den Namen: Beirut, Perspektiven der Zerrissenheit.
Als Simona und ich aus dem Flughafen traten, drückte uns die Feuchtigkeit nieder. Ein Taxi fuhr vor.
»Zum Louvre.« Simona schloss ihre Augen, ich nahm ihre Hand. Wir fuhren eine Stunde. Die Wagentür öffnete sich, der Weg zum Eingang war weit. Wir stießen gegen flimmernde, schwere Hitze.
Emilias Urteil über die moderne Kunst war falsch und zeigte ihre Neigung zu polarisieren. Diese Kunst, die wir antrafen, hatte nicht den Selbstzweck der Wertsteigerung oder der bonbonfarbenen Unterhaltung. Diese Kunst aus dem Libanon zeigte Leiden, Gewalt und Verzweiflung.
Sie verzerrte, klagte an und stieß in die menschliche Seele.  Die Namen der Künstler, die an den Exponaten hafteten, klangen wie die geschwungenen Linien des Berges al-Qurnat as-Sauda.
Etel Abboud, Shafic Adnan, Alfred Aouad, Farid Basbous, Joseph al-Azzawi, Dia Basbous, Michel Basbous, Assadour Bezdikian, Rafic Caland, Huguette Charaf, Georges Raouda Choucair, Saloua Doche, Jumana Fattal, Laure Ghorayeb, Farid Guiragossian, Paul Haddad, Joana Hadidian, John Hadjithomas, Estelle Bayazid El-Husseini.
Wir wanderten in der wohltuenden Kühle der Hallen an den weißen Wänden entlang, blieben stehen, gingen weiter, Simona sagte:
»Es sind wenig Besucher.« Sie hatte recht.  Die Art von Touristen, die nach Abu Dhabi reisten, besuchten wohl keine Stätte, die sich Louvre nannte. Wir blieben stehen. Ein Fantasievogel beobachtete ein rotes Krokodil, das nach einer Gruppe erstarrter Menschen schnappte. Es war im Stile des frühen Kubismus.
»Sind sie zufrieden mit dem Publikum?«, fragte ich.
»Das Publikum? Hier wird über Online-Auktionen verkauft.« Ich nickte, wir gingen weiter.
»Da drüben, das kann nur Amadeo sein.«
»Und der daneben?«
»Azmat, ganz sicher.«
Simona ging dynamisch auf den Stand zu. Sie war so schnell, dass ich nichts mehr sagen konnte.
Azmat war schlank, um die vierzig. Er trug einen dunkelblauen Anzug, sein weißes Hemd war geöffnet. Eine goldene Uhr fiel mir an seiner linken Hand auf, eine Smart-Watch trug er an seiner rechten.
Er hatte hohe Wangenknochen, seine Augen lagen tief. Sein Mund war breit, seine Lippen schmal. Sein Haar war voll und kurz, eine Sonnenbrille war auf den Kopf geschoben. Sein grauer Bart war exakt getrimmt, der Kragen seines Hemdes gestärkt. Er wirkte eloquent und selbstsicher, in sich ruhend. Azmat war strahlte eine Souveränität aus, er wusste, was er tat.
Er beobachtete, was um ihn geschah, während er sich mit Amadeo unterhielt. Von Amadeo hatten wir Fotos gesehen, wir waren vertraut mit seiner Erscheinung geworden, wie man sich in einen Fremden hineinversetzt, dem man seine ganze Aufmerksamkeit entgegenbringt.
Er war vergnügt, gestikulierte und lachte zu Azmat hin, als wir an sie herantraten. Viele Interessenten schienen sie bis zu diesem Moment nicht gehabt zu haben. Amadeo glättete seine Locken und nahm eine gewichtige Haltung ein.
Er knöpfte sein hellblaues Sakko über seinen Hosenträgern zu. Den Knoten seiner gelben Krawatte schob er unter sein quellendes Kinn. Seine Hände steckte er, eine Lockerheit andeutend, in seine Beige Hose, welche Falten zwischen seinen Beinen warf. Uns war nicht klar, wie untersetzt Amadeo war. Er trug weiße Sneaker, mit hohen Sohlen.
Ihr Stand war einer der großen. Exponate verschiedenen Stils waren ausgestellt. Wir sprachen die Beiden nicht an, sondern gingen mit dem Interesse von beiläufig über die Ausstellung wandernden Besuchern ziellos an den Wänden entlang.
»Darf ich ihnen unseren Katalog zeigen?«, fragte Azmat mit einer melodischen Stimme, in einer für uns fremden Betonung. Simona ließ sich Zeit mit einer Antwort:
»Vielleicht später, oder doch.« Die Augen von Azmat leuchteten. Er nahm sich die Zeit erst das eine, dann das andere Ende seines Hemdes unter den Ärmeln seines Sakkos hervorzuziehen. Mit roten Steinen besetzte Manschettenknöpfe erschienen. Der Katalog lag auf einem illuminierten Acrylpult, Azmat schlug ihn auf.  Wir blätterten durch und fanden sofort die Bellini Bilder. Wir wollten gehen, Azmat fragte:
»Sie kommen aus Italien?«
»Ja, aus Italien«, antwortete Simona, während sie noch einmal durch den Katalog blätterte. Ich wartete auf dem Gang und sah mich nach dem Notausgang um.
»Woher, wenn ich fragen darf?«
»Aus Bologna, wir sind eben dorthin gezogen. Wir machen Urlaub in Abu Dhabi«
»Sie sammeln Bilder?« Simona sah auf zu Azmat. Das war eine Frage zu viel. Azmat spürte, dass seine Neugier nicht willkommen war. Um nicht noch mehr misstrauen zu wecken, ging Simona noch einmal an den Exponaten entlang. Dann trat sie noch einmal auf Azmat zu.
»Sie leben in Abu Dhabi?«, fragte Simona und blickte ihm ins Gesicht.
»Nein, Amadeo Bellini wohnt auf Zypern, ich in Paris.«
»Wir sind zum ersten Mal hier. Haben sie einen Mietwagen, oder nehmen sie ein Taxi?«
»Wir wohnen nicht weit, im Royal Establishment, es ist heiß, jeder Weg ist weit.« Wir verabschiedeten uns.
Dann suchten wir ein Café auf, das im Zentrum der Ausstellung lag.
»Was machen wir? Das Royal Establishment ist direkt nebenan«, fragte ich Simona und nippte an einer Cola mit Eiswürfeln.
»Mich macht das hier alles müde Carlo, mir ist nicht klar, wie wir weiterkommen wollen.« Simona rührte missmutig in ihrem Kaffee.
Amadeo setzte sich an den Nebentisch. Auf seinem Tablett lagen ein Sandwich, ein Schokoladenkuchen und eine Flasche gekühlter Tee. Wir beide sahen zu ihm hinüber, Amadeo nahm uns nicht war.  Das Sandwich in beiden Händen haltend, wippte er, während er kaute mit seinem Kopf von rechts nach links, als würde er Musik hören. Simona sah mich mit einem Blick an, von dem ich wusste, was er bedeutete.
»Wir brauchen nicht Amadeo, wir brauchen den, der Bilder gekauft hat und sie verkaufen wird und wir brauchen Bao Shen. Es geht nur darum, dass wir sie identifizieren, Fotos von ihnen machen, die Pässe abfotografieren und wir brauchen ihre Adressen, die Namen genügen der Qualle nicht, Challas.« Simona sah mich fragend an.
»Challas, ist arabisch für vorbei, Ende, Feierabend.«
»Hmm.«, machte Simona.
»Du kannst natürlich rübergehen und seine Hände zerquetschen und ihm dabei seinen Pass aus dem Sakko ziehen, daran denkst du doch?«
»Stimmt, wie gut du mich kennst.« Simona lächelte, tatsächlich sah sie müde aus.
»Das dürfte seiner Laufbahn als Maler einem Ende zuführen. Ein Scherz, sagte ich, »muss ja auch mal sein.« Ich trank aus meiner Cola.
»Das wollen wir natürlich nicht, Amadeos Geschick ist eine Bereicherung für die italienische Kunst, eigentlich für den Kunsthandel.« Simonas Blick verfinsterte sich.
»Ich mach das jetzt mit, auch wenn ich einfach genug habe.«  Simona stand auf.
»Warte, da kommt Pierre und noch einer.« Gestikulierend und sich seinem Begleiter zuwendend, betrat Pierre Ardéche die Halle. Der andere war so korpulent wie Amadeo. Er hatte den Teint eines Arabers, einen dünn ausrasierten Bart, der seinen Mund zart umkränzte und eine mächtige Sonnenbrille steckte auf seinem Kopf. Er trug eine Jeans mit jeweils drei Rissen an den Knien und goldene Puma Joggingschuhe. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, faltete die Speisekarte auf und verschwand darin.
»Das ist Amadeo Bellini, der Schöpfer deiner Werke und das ist Fatih al-Duri aus San Franzisco«, stellte Pierre die beiden gegenseitig vor. Ich erstarrte, ich konnte unser Glück kaum fassen, der Amerikaner stand neben uns und er bewies mit seinem breiten Englisch auch sogleich, dass er einer war. Über das übliche nice-to-meet-you und derlei Wendungen, mochte er jedoch nicht hinausgehen. Immer wieder sah dieser Fatih al-Duri hinüber zu Azmat, dem er sein eigentliches Interesse entgegenbrachte. Ich folgte der Unterhaltung, die aus überschwänglichem Lob von Seiten Pierre Ardéches für irgendwas bestand.
Ich fragte mich, wie lange ich mich noch hinter der Karte verbergen könne, dass es nicht auffiel.
»Los komm!« Simona ergriff meine Hand und zog mich hinter sich her. Wir eilten davon und verschwanden zwischen den Besuchern. Ich war mir sicher, den Dreien war das aufgefallen.
***
Es fehlte Bao Shen. Er konnte jeden Moment auftauchen, wobei wir ihn natürlich nicht erkennen würden, es sei denn, er war in Begleitung. Unser Plan sah nun wie folgt aus: Die Ausstellung öffnete spät, um elf Uhr. Alle fünf wohnten sicherlich im Royal Establishment. Sie würden eine lose Gemeinschaft bilden, mal zusammen, mal jeder für sich sein. Das Hotel nahmen wir sogleich in Augenschein, dort lagen sie, die gescannten Pässe und die Adressen, auch jene von dem Unbekannten Bao Shen, so er denn in Abu Dhabi war. Den Gedanken, den ich mit dieser Erkenntnis verband, musste ich allerdings verwerfen. Ich muss gestehen, ich war ratlos, was ich auf keinen Fall zugeben konnte, ohne dass mich Simonas Blicke töten würden.
Wir dösten in unserem Hotelzimmer. Die Nacht brach ein, leicht blies der Wind die Vorhänge in das Zimmer. Ich setzte mich auf und rückte an das Polster, das die Wand hinter uns bedeckte. Ich begann ein Selbstgespräch. Diese Methode führte immer zu einem logischen Ergebnis.
»Wer von denen weiß, wer wir sind?«
»Pierre.«
»Wer sind die wichtigsten für uns? Bao Shen, der die Bilder gestohlen hat, Pierre Ardéche und Fatih al-Duri, die Hehler. Wie kaufen also Bilder von Fatih al-Duri der will sie ja mit Gewinn loswerden. Die Adresse von Pierres Galerie haben wir. Was würden wir bei einem offiziellen Kauf der Bilder erhalten? Ein Gutachten, ihre Steuernummern, ihre Adressen und ihre Passnummern.«
»Ach Carlo halt die Klappe, ich will schlafen, morgen fliegen wir zurück.«  Unten im pool plantschten Kinder.
***
Eine Tischlampe brannte, ich wachte auf.
»Du hattest recht Carlo, ich muss zugeben du hast erschreckend oft recht.« Simona saß vor einer kleinen Lampe, die ihren Lichtkegel auf einen schmalen Schreibtisch warf. Sie notierte etwas mit einem Bleistift.
»Wie spät ist es? Habe ich geschlafen?« Simona ignorierte meine Frage.
»Ein internationaler Kaufvertrag für Kunstgegenstände kann aus drei einzelnen Verträgen bestehen. Den eigentlichen Kaufvertrag, das Gutachten eines Sachverständigen und eine Vereinbarung über die Verschwiegenheit.« Simona saß mit einem T-Shirt und ihrem Slip am Schreibtisch, sie sah zu mir hin.
»Gut, dass wir hier sind.« In dem diffusen Licht meinte ich eine Genugtuung in ihren Augen zu erkennen.
Simona stand auf, ging zu mir und setzte sich auf die Bettkannte. Sie beugte sich hinunter und rieb ihren Kopf an meinem.
»Mein kleiner Staatsanwalt«, flüsterte sie süßlich in mein Ohr und küsste mich.  Natürlich ärgerte mich das.
»Also was hast du herausgefunden?«, fragte ich trotz meiner Müdigkeit streng und richtete mich auf.
»Sei nicht böse, du hattest ja recht. Von Verträgen verstehe ich nichts. Es wird alles aufgenommen, vor allem bei internationalen Kaufverträgen, man kann solche Verträge sogar von einer Botschaft beglaubigen lassen. Es erscheinen die Kontonummer, die Steuernummer, die Adresse sowieso, die Daten im Pass, gerade wenn man etwas auf einer Ausstellung kauft.« Simona legte ihren Kopf in meinen Schoß.
»Entschuldige, manchmal bin ich ungeduldig, ich weiß.« Ich graulte ihren Nacken. Versöhnlich fragte ich:
»Also, was ist dein Plan?«
»Wir reden mit Fatih al-Duri, der hat die drei Bilder. Wir wollen sie kaufen, legen ihm Vertragsentwürfe vor, sagen, die Bilder würden in Italien weiterverkauft werden, deshalb die Steuer und so, alles wäre streng geworden in Italien. Ich werde allein mit ihm reden, die Atmosphäre muss diskret sein.«
»Und Bao Shen?«
»Der ist ganz sicher hier, irgendwo, wir müssen sie beobachten.« Simona ging auf den Balkon. Der Morgen dämmerte, es war still über der Marina. Ich nahm meinen Laptop, Simona blieb lange draußen, etwas ging in ihr vor. Sie kam zurück.
»Ich frage mich, wieso fünf Leute annehmen, an so einem Deal etwas zu verdienen, mehr als 5.000 Euro sind Bellinis Bilder nicht wert.«
»Sie entwickeln ein Konzept. Sie arbeiten nach den Lehren einer Managementschule.« Simona lachte herzlich, woraufhin eine Herzenswärme in mir aufstieg. 
»Vielleicht zeigt der Katalog von Azmat Bilder, die noch gar nicht geklaut sind, was natürlich dreist wäre. Möglicherweise gibt es nur das eine Exemplar seines Kataloges. Azmat wird vorsichtig sein.« Wir rätselten noch eine Stunde über die Motive und die Methoden der Gang. Dann luden wir Formulare für Verträge aus dem Internet und gingen schließlich zum Frühstück.
***
Die Fotos und Clips, die wir auf Netzwerken über Fatih al-Duri fanden, ließen darauf schließen, dass er sich einer gewissen Lebensfreude hinzugeben pflegte.
»Wir bräuchten Emilia«, sagte ich, während wir auf dem Bett sitzend, gleichzeitig im Netz surften.
»Stimmt, so freizügig wie sie, werde ich jedenfalls nicht rumlaufen.« Ich sah den Argwohn, den Simona gegen Emilia pflegte, obwohl deren Bekleidung nur dem Zweck nach frivol war, naja, stimmte nicht ganz, wenn ich an ihre Videos im Netz dachte.
»Du bist Sammlerin von Kunst. Warum trägst du nicht eine Brille, kaufst ein konservatives Kostüm eine Ledermappe und gehst, wie eine Dame eben geht?« Simona rollte mit ihren Augen.
»Ich bin Simona Cinquetti, die Vorsitzende der Partito Comunista von Triest. Meine schwarze Lederhose ist zuhause im Schrank. Ich trage Jeans, T-Shirts, immer einen Sport-BH und Sneaker und ich gehe mit großen Schritten. Überhaupt, was genau soll denn in die Aktentasche, ein Schlagstock? Den brauch ich nicht.« Simona robbte vom Bett und schnürte ihre weißen Schuhe.
»Wo willst du hin?«
»Ins Business Center, sowas haben die hier noch. Ich drucke die Verträge und dann klopf ich bei Fatih al-Duri.«
»Simona, wenn du zu Fatih al-Duri aufs Zimmer gehst, macht der den Harvey Weinstein, ganz sicher…«
»Dann vermöble ich ihn.«
»Na prima, mit blutiger Nase lässt du ihn die Verträge ausfüllen, hoffentlich kann man seine Handschrift unter den Tropfen lesen.« Simona zögerte, dann schnürte sie weiter ihre Schuhe.
»Wie wäre es mit etwas Empathie, Frau Simona Cinquetti, Vorsitzende der Partito Comunista von Triest.« Simona machte ein schmollendes Mädchengesicht, ich lachte. Wir machen es so, sagte ich:
»Ich setze mich in die Lobby vom Royal Establishment und halte mir eine Zeitung vor das Gesicht, du wartest hier. Fathi wird nicht still in seinem Zimmer sitzen. Irgendwohin wird er ja gehen, jedenfalls sitzt der nicht herum und guckt NFL.  Wenn er mit dem Fahrstuhl runterkommt, rufe ich dich an und du suchst ihn auf, wo immer er ist, jedenfalls an einem öffentlichen Ort.«
»Und wenn er nicht allein ist, wenn Pierre wieder bei ihm ist?«
»Dann vermöbelst du Pierre und sagst zu Fathi, du müsstest ihn sprechen. Quatsch, keine Ahnung, ich sehe ja, sollten die zusammen aus dem Hotel gehen.« In dem Moment als ich das sagte, bereute ich es. Ich dachte an Chao Wang und den armen Romano. Natürlich konnten sich Fathi und Pierre treffen und meine Simona kannte ich, ich wusste zu was sie imstande war, wenn sie einmal wütend wurde. Sollte ich schonmal die Frauengefängnisse in den Emiraten Googlen?
***
Dem Fahrer meines Taxis rief ich wie in einem Hitchcock Film zu:
»Folgen sie dem Taxi.« Glücklicherweise hatte der Fahrer, der aus Islamabad stammte, Humor.
»Yes Sir, let‘s go.« Er brauste los. Zu meiner Erleichterung, fuhr das Taxi in dem Fathi saß nicht direkt ins Bordell, sondern zum Abu Dhabi Al Wathba Camel Race Rack. Als wir dort ankamen, sagte mein Fahrer:
»Hier ist die Kamelrennbahn, da sind keine Rennen, es ist Sommer, die Rennen sind im Winter.«
»Egal halten sie hinter dem Wachturm.« Der Fahrer tat so. Ich wollte ihm Geld geben und aussteigen.
»Hier draußen wird sie niemand abholen, ich werde warten.« Weit und breit war niemand zu sehen. In dem Moment, in dem ich mit dem Fahrer gesprochen und mich umgesehen hatte, muss Fathi ausgestiegen sein. Sein Taxi fuhr unter ein Schattendach.  Ich stieg ebenfalls aus und ging vorsichtig auf eine Tribüne zu.  Wen würde Fathi an diesem einsamen Ort treffen?
Lange wartete ich unter einem anderen Carport, vielleicht eine halbe Stunde. Der Wind blies Sand vor sich her. Die Sonne stand im Zenit und brannte fürchterlich herunter. Die Luft war schwer. Schweiß perlte mir von der Stirn. Der Himmel erstreckte sich ohne ein Wölkchen in die Tiefe des Horizontes, an dessen Ende das Licht verschwamm. Geknickte Kakteen reihten sich über den endlosen flachen Sandboden. Zu Kugeln verknotete Zweige wehten dahin. Der nackte Schädel eines Büffels streckte seine Hörner empor. Ich sah zu einem Windrad, das leise kreischend eine Pumpe antrieb.
Unsinn meine Fantasie spielte verrückt. Durst quälte mich, lange würde ich es hier nicht aushalten.
Ich sah Fathi, wie er mit seinem geringelten T-Shirt und einer Jogginghose aus einer Tür trat, welche in die Tribüne eingelassen war. Seine Sonnenbrille gab ihm das Antlitz einer Hornisse.  Es trat ein Asiate aus der Tür, Bao Shen, es konnte nur Bao Shen sein. Hier hielt er sich versteckt, unter einer Tribüne? Fathi legte Bao Shen seine Hand auf dessen Schulter und redete endlos weiter. Schließlich watschelte er zu seinem Taxi, sie fuhren los, zurück in die Stadt.
Das Taxi hielt an einem Suq, es wartete, Fathi kam wieder. Die Nacht brach herein. Fathis Taxi fuhr ein Hotel an.  Mein Fahrer bog in das Rondell, das davor lag. Ich bezahlte und stieg aus. Ich drängte mich an Menschen vorbei, Fathi konnte mich nicht gesehen haben. Er drückte den Knopf eines Fahrstuhles, es war die oberste Ebene. Ich ging an die Rezeption.
»Was ist denn im obersten Stockwerk?« Der Portier hatte zu tun. Über seine Schulter hinweg sagte er knapp:
»Eine Bar, wie in jedem Hotel.« Ich setzte mich in die Lobby und rief Simona an.
»Lass uns bis Mitternacht warten. Die Verträge sind gedruckt, die bringe ich mit.«
Ich dachte Fatih al-Duri müsste einfach misstrauisch werden, sich nicht einmal auf ein Gespräch einlassen, sobald er hörte eine Italienerin wolle seine geklauten Bilder kaufen, was quasi vom Himmel fiel. Ich kannte meine Simona, ich hoffte sie blieb gelassen.
Zeit zu verbrennen ist nicht einfach. So oft hatte ich noch nie auf meine Uhr gesehen. Simona traf ein. Wir unterhielten uns kurz, sie fuhr nach oben. Nach zwei Stunden kam Simona zurück.  Ich atmete auf, längst hatte ich mir Sorgen gemacht und es war mir auch fad geworden in der Lobby. Ihr Gesicht war versteinert wie Marmor.
»Komm mit«. Simona blieb nicht stehen. Im Vorbeigehen sagte sie:
»Ich habe es.« Sie winkte mit einem Umschlag.
»Was, du hast es? Warte doch.«
»Nein, wir müssen gehen, sofort.« Ich beeilte mich das Bier und das Club Sandwich zu bezahlen, Simona stand schon beim Taxi. Sie schwieg eisern, bis wir auf unserem Hotelzimmer waren.
»Als ich oben aus dem Fahrstuhl gegangen bin, war ich direkt in einer Bar. Ich wurde geblendet, ich glaube hundert Scheinwerfer haben mich angeleuchtet, die Bar war riesig, bis zum Ende war nichts zu sehen.  Es war die Hölle los. Von der Decke kam ein Remix, fünf Töne, mehr nicht. Ein Bass hat unerträglich gewummert. Leute haben überall getanzt. Es war unglaublich verqualmt. Wasserpfeifen und ziemlich süßlich.
Polster haben sich bis unter die Fenster wie in einer Arena von innen nach außen getürmt, das ging ringsum. Ich bin umhergegangen, bin niemandem aufgefallen. Ich ging durch Bananenbäume, Kakteen und unter Dattelblättern. Keine Ahnung wie viele Leute da oben waren, bestimmt Zweihundert, oder Dreihundert. Irgendwann haben sich meine Augen an das verschwommene Licht gewöhnt. 
Die Fenster umliefen das ganze Hotel. Ich konnte die Lichter der Hochhäuser sehen und die Autos, die sich wie Würmer über die Straßen bewegt haben. Ich dachte, ich bin in einem Raumschiff, schwebe irgendwo. Ich wollte vor zur Mitte, soweit bin ich aber nicht gekommen. Ich habe nur einen Pool gesehen, Schaum in Regenbogenfarben, das war Licht aus einem Laser. Der Pool ist die ganze Zeit mit Nebel besprüht worden. Also ich sag die eins Carlo, ich dachte immer in den Emiraten gelten strenge Sitten... auf einer Bühne war ein Wet-T-Shirt-Contest, kreischende Mädchen und ein muskulöser Moderator im String Tanga.«
Simona schüttelte ihren Kopf und lachte in sich hinein. Sie schob sich vom Bett, ging zur Minibar und nahm sich ein Fläschchen Martini heraus.
»Du auch?«
»Ja«
»Alles war voller Nebel, auch die Tanzfläche. Ich habe nur Köpfe, Arme und Brüste gesehen. Plötzlich war da Fatih al-Duri. Zwei nackte Mädchen, sahen aus als würden sie aus den Philippinen kommen, haben ihn in den Pool geschubst. Fatih ist aufgetaucht, hat gelacht wie ein betrunkener Seehund, sich den Schaum aus den Augen gerieben und hat die Mädchen in den Pool gezogen. Zwei Dutzend Mädchen waren im Pool, die einen im Bikini, die anderen nackt, haben gelacht und sich mit Schaum beworfen.
Die Typen waren fast alles Weiße, so mittelmäßige Business Typen, die meisten mit Bauch und Kettchen. Ich dachte, wie soll ich hier jemals über sowas wie einen Kaufvertrag reden, das war ein Exzess.
Simona setzte den Martini an und leerte ihn in einem Zug. Sie nahm Fläschchen und leerte es ebenfalls.
»Ich habe mein T-Shirt ausgezogen, mich auf die unterste Reihe der Polster gesetzt und Fathi beobachtet. Der hatte den Spaß seines Lebens. Natürlich sind gleich so schleimige Typen gekommen, einer hat mich begrapscht, ich hasse das. Ich glaube, ich habe ihn direkt in der Leber erwischt, mein Ellenbogen hat geschmerzt wie die Hölle.« Simona setzte sich aufrecht.
»Du weißt ja, wie ich bin. Ich wurde wütend auf die Typen, wie sie mit Frauen umgehen, den ganzen hedonistischen Scheiß, wie diese Arschlöcher ihre Zeit verschwenden und ich kämpfe jeden Tag ums Überleben.«
»Es gibt wahrscheinlich nicht viel Abwechslung in Abu Dhabi, deshalb veranstalten sie die Partys und auch Rugby. Wahrscheinlich waren das alles Briten, Australier und Amerikaner, die brauchen das, sonst gehen sie woanders hin.«
»Wie auch immer«, sagte Simona.
»Ich dachte mir, Fatih al-Duri kann kein idiot sein. Auf seiner Webseite sieht man ja, er ist Start-Up Investor, deshalb wahrscheinlich San-Franzisco und er handelt Online mit Kunst. Natürlich hat es nicht lange gedauert und er ist aufs Klo gegangen. Als er rauskam, habe ich ihn vor der Tür abgefangen. Er hat sich sofort erinnert.
»Wir müssen reden, jetzt«, habe ich zu ihm gesagt.
Solche Kerle sind ja unglaublich neugierig, die wittern ihre Möglichkeiten einen Kilometer gegen den Wind. In dem Krach konnten wir natürlich nicht sprechen. Wo passt es, habe ich ihn gefragt. Er hat sich umgesehen, ein Mädchen hat ihn mit ihrem Zeigefinger zu sich gewunken und mit ihrer Zunge ihre Lippen geleckt. Fathi hat sich an den Schwanz gefasst und ihr mit seiner ausgestreckten Hand ein Zeichen gegeben, sie solle warten. Ich habe mein T-Shirt übergestreift. Mir gab er ein Zeichen, wir sollten in den Fahrstuhl gehen.
»Unten, unter uns.« Dort gäbe es ein Businesscenter. Wir fuhren runter, Fathi sind im Stehen die Augen zugefallen.
Auf der Business Ebene war ein unglaublicher Betrieb, ein Kommen und Gehen, obwohl es ja halb eins war.  Wir haben einen Raum bekommen, ein geschlossenes Büro ohne Fenster mit eigenem kleinem Bad. Ich habe ihm gesagt, ich will die drei Bellini Bilder kaufen, ich würde ein Großes Potential in Bellini sehen und so weiter, habe ein paar Minuten auf Fathi eingequatscht. So ganz war Fathi doch nicht bei sich, hat nur auf meine Titten gestarrt, seine Augenlider vielen immer wieder zu.
Die Dokumente habe ich säuberlich auf dem Tisch ausgebreitet, die hat er sich dann wieder in Ruhe angesehen, alle Seiten umgedreht, gelesen, hat nichts gesagt. Alles richtig, meinte er, hat alles ausgefüllt, einfach alles. Ein paarmal ist sein Kopf auf die Tischplatte gesunken. Mein Herz hat gerast. Am Ende hat er den Stift weggelegt und gegrinst.  Müde, aber auch feierlich hat er gesagt:
»Der erste Verkauf von Bellini.«
»Du bist unglaublich«, sagte ich und küsste Simona auf ihre Wange.
»Und dann?«
»Wir haben 9.900 Dollar vereinbart. Wo die Bilder wären, habe ich ihn gefragt. Auf meinem Zimmer. Fathi saß wie ein Schluck Wasser in einem Drehstuhl, den er dauernd bewegt hat, ich glaube er wollte zurück zu der Party. Er hat sich aus dem Sessel gestemmt, dann fiel ihm etwas ein. Er fragte, woher ich von den Bildern wüsste. Sie wären im Katalog von Azmat und sein Name als amerikanischer Galerist würde dabeistehen. Ich ballte meine Hände.«
»Gott sei Dank haben wir den Katalog gesehen«, sagte ich mit echter Erleichterung.
»Das Geld hast du in zwei Tagen, hab ich ihm gesagt und ich dachte, so lange müssen wir eben noch bleiben.« Simona machte eine Pause. Mein Blick fiel auf die drei Bilder, die bei uns gegen den Schrank gelehnt auf dem Boden standen.
»Und dann kam Pierre? Ich habe ihn in den Fahrstuhl gehen sehen.«
»Ja dann kam Pierre. Es war ein Zufall, Pierre kam mit Leuten in das Business-Center. Er hat seinen Kopf durch die Tür gestreckt, hat wohl gehört, dass Fathi in dem Büro sitzt. Pierre ist sofort reingekommen, hat sich gleich aufgeregt und gesagt, die kommt aus Triest. Wie er mich mit dem ganzen Aufschrei in Triest in Verbindung gebracht hat, weiß ich nicht, vielleicht über Emilia, oder er hat was im Fernsehen gesehen. Jedenfalls war er ziemlich wütend und ist auf mich losgegangen.
Er flog gegen die Wand, seine Nase hat geblutet, zwei Finger sind gebrochen, jedenfalls haben sie geknackt.  Fathi musste ich auch eine verpassen. Ich hab Pierre sein Telefon abgenommen, Fathi die Chipkarte für sein Zimmer, habe die beiden ins Bad gezerrt und einen Stuhl gegen den Türgriff gelehnt. Klebeband hatte ich ja nicht dabei. Den Rest kennst du.« Wir schwiegen lange.
»Wann geht unser Flug?«
»Erst um vier Uhr am Nachmittag.«
»Vorher können wir noch Bao Shen besuchen«
»Bao Shen, das Phantom unter der Tribüne«, sagte ich. Wir klatschten uns ab.
***
Am nächsten Morgen gaben wir die Bilder an der Rezeption ab. Sie sollten über einen Kurier nach Triest gesandt werden. Dann checkten wir aus.
»Sollen wir nicht einen Mietwagen nehmen? Ein Taxi ist auffällig.« Wir bestellten einen Mietwagen. Sechs Stunden blieben uns, um pünktlich am Flughafen zu sein. Wir fuhren erst dorthin und checkten das Gepäck ein.
Eine Stunde später parkten wir unter demselben Carport, unter dem ich am Tag zuvor stand. Wir warteten, die Zeit verging.
»Und jetzt?«, fragte ich. Immerhin war es Simonas Idee herzukommen.
»Jetzt warten wir, bis er diese Behausung verlässt, gehen rein, nehmen was wir brauchen, fahren zum Flughafen und sehen, was die Launche bietet, ist doch ganz einfach.« Sie meinte das im Ernst.
»Mach den Motor wieder an, sonst grillt uns die Sonne.«
Ich sah es noch im Rückspiegel. Jemand schwang einen Vorschlaghammer über seinen Kopf und die hintere Scheibe zerbarst. Wir erschraken uns zu Tode.
»Bao Shen!«, rief ich. Der zweite Schlag traf das Seitenfenster hinter dem Simona saß.  Splitter prasselten in ihr Gesicht.  Der nächste Schlag traf den Türgriff. Einem Reflex folgend rüttelte Simona daran, die Tür ging nicht auf. Bao Shen trat vor das Auto, er zertrümmerte die Scheinwerfer, dann war ich dran. Gerade als er ausholte und den Hammer weit über seinen Kopf schwang, stieß ich die Tür auf und sprang raus. Der Hammer sauste neben mir in den Boden.
Ich grub meine Hand in den Sand und warf Bao Shen die ganze Ladung in seine Augen. Ich war mir sicher, er konnte nicht sehen, trotzdem holte er noch einmal aus und schlug in meine Richtung. Der nächste Schlag traf die Windschutzscheibe, sie splitterte. Noch einmal warf ich mit Sand. Bao Shen wich zurück, ließ den Hammer fallen, rieb wie verrückt seine Augen, was es natürlich nur schlimmer machte.
Ich sah zu Simona. Ihr Gesicht war voller Blut, erstarrt saß sie am Steuer. Ich hob den Hammer auf, Bao Shen schlug ihn mir mit einem Tritt aus der Hand. Ich rannte zur Beifahrertür, riss sie auf und sprang auf den Sitz.
»Fahr los!«, rief ich Simona zu.
»Ich sehe nichts.« Simona schrie nicht, sie flüsterte. Sie war unter Schock. Der Wahnsinnige kam wieder, dieses Mal schwang er eine Brechstange. Ich sah den Hammer, der im Sand lag. Ich rollte mich aus dem Wagen, keine Ahnung wie ich darauf kam, so was hatte ich noch nie gemacht, es war Todesangst, ganz klar.  Ich hechtete auf den Hammer, Bao Shen stand vor dem Auto. Er sah fast nichts, er machte eine drehende Bewegung, konnte sich wohl nicht entscheiden, ob er sich mir, oder Simona zuwenden sollte, er rutschte aus. Ich hätte ihm seinen Schädel einschlagen können. Ich traf seine Hand, panisch schrie er auf, die Brechstange entglitt ihm, ich zertrümmerte sein Knie.
»Nein, nein, bitte!«. Ich ließ von ihm ab und sank erschöpft nieder.
Wir kauerten unter der Sonne, beide keuchend, Bao Shen jammerte. Simona stieg langsam aus.
»Wo ist Wasser?«, fragte sie in demselben flüsternden Ton.  Ich reagierte nicht auf sie. Ich stand auf, ging zu Bao Shen, blieb vor ihm stehen. Seine Hose war zerrissen, sein rechtes Knie war nicht mehr da, die Splitter mussten in seinem Bein stecken. Ich führte Simona durch die geöffnete Tür in das Zimmer von Bao Shen.  Es war eine Art von Büroraum. Ein Feldbett war darin, eine eingebaute Dusche, ein Kühlschrank, eine Klimaanlage, Essensreste und so weiter. Ein Fenster gab es nicht.
»Da ist die Dusche«, ich stellte sie an, sah aber erst in Simonas Augen.
»Du hast Splitter in den Augen, wir müssen zu einem Arzt.«
»Es brennt wie die Hölle.«
»Okay, gehen wir.«
»Warte, nimm alles mit, Pass und was er sonst noch hat und mach ein Foto von ihm.«
»Ich stopfte alle Dokumente, die herumlagen, seinen Rechner und den Pass in eine Tüte.«
»Wo ist er?«
»Draußen, liegt im Sand.«
»Sag ihm er soll gestehen, dass er die Bilder gestohlen hat, sonst lassen wir ihn liegen.« Vermutlich konnte so ein Geständnis nicht vor einem Gericht eingebracht werden, aber egal, helfen würde es trotzdem. Ich nahm Simonas Hand, wir gingen zu Bao Shen. Er krümmte sich vor Schmerzen, ich dachte er würde gleich ohnmächtig werden.
»Ich nehme das jetzt auf meinem Telefon auf.« Bao Shens Gesicht war so verzerrt, dass ich keine Reaktion wahrnehmen konnte.   
»Ich bin Staatsanwalt Carlo Caprizzi, hast du die Bellini Bilder aus dem Museum der Renaissance gestohlen?«
»Fick dich, ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Ist es das Wert, in der Wüste zu sterben, oder einfach zu sagen, dass du das warst, drei Bilder gestohlen, die keinen Wert haben?«
»Ja, ja, ich wars, verdammt, ich klaue Bilder…« In dem Moment fuhr ein Pick-Up langsam auf die Tribüne zu. Ich erkannte Fathi al-Duri und Pierre Ardéche, noch waren sie weit entfernt. Ich führte Simona in den Schatten der Tribüne.
»Setz dich, sagte ich zu ihr«, was sie sofort tat. Dann griff ich nach dem Brecheisen und dem Vorschlaghammer und wartete neben Simona. Der Pick-Up rollte heran und blieb vor Bao Shen und dem zerstörten Mietwagen stehen. Beide stiegen aus. Ich sah wie Pierre schluckte, er kniete neben Bao Shen nieder.
»Was ist das, was habt ihr getan?«, fragte Fathi al-Duri und fasste sich erschrocken mit beiden Händen an seine Stirn. Sein Gesicht war weiß wie Kreide.
»Er wollte uns umbringen, kümmert euch um euren Freund.« Ich hob beides an, den Hammer und das Brecheisen. Fathi blieb wie angewurzelt stehen. Pierre kniete noch immer neben Bao Shen, der ohnmächtig geworden war.
»Er lebt«, rief Pierre über den ganzen Platz. Simona nahmen sie wohl nicht wahr.
»Simona, steh auf und halte dich an meinem Gürtel fest.« Wir gingen zu dem Pick-Up, stiegen ein, Pierre und Fathi waren unfähig etwas zu unternehmen.  Der Schlüssel steckte, ich fuhr los.
Wir sagten dem Augenarzt nicht, dass wir an diesem Tag fliegen würden. Er betäubte Simonas Augen. Dann entfernte er mit einem Tupfer und einer Nadel die Splitter. Er entfernte auch die Splitter aus den Wangen und versorgte die wunden Stellen. Wir fuhren zum Flughafen und parkten den Pick-Up.
In letzter Minute erreichten wir das Gate. Simona sagte, sie könnte fast nichts sehen. Ansonsten redete sie die ganze Zeit nicht, ihr Gesicht schmerzte. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und döste während des ganzen Rückfluges.
***
Als wir in der Nacht vor ihrem Haus eintrafen waren wir unglaublich müde. Wir hörten, wie eine Katze miaute.  Simona näherte sich der Katze.
»Sie mal, der Kater, der saß da, als wir gegangen sind.« Der Kater hatte ein honig-gelbes Fell und weiße Pfoten, er war bestimmt nicht ausgewachsen. Er saß einfach vor dem Haus, neigte seinen Kopf und sah uns mit seinen großen Augen an. Simona ging hin und nahm ihn auf.
»Du armer Kater, bist ganz allein«, sagte sie mit einer Zärtlichkeit, die ich nicht an ihr kannte. Sie streichelte seinen Kopf, graulte ihn, der Kater schnurrte.
»Suchst du ein Zuhause, suchst du eine Familie, zu der du gehörst, die sich um dich kümmern?« Simona küsste den Kater auf den Kopf und streichelte seine weichen Pfoten. Sie schloss die Tür auf, ohne den Kater abzusetzen.
»Carlo, hat du noch von deinem Gulasch? Milch ist noch da.«
Wir waren dem Tode entronnen. Simona fürchtete sie würde ihr Augenlicht verlieren. Der schöne Kater berührte ihr Herz. Sie setzte sich mit ihm in ihren Sessel. La Bohème erklang. Ihre Augen und die Augen des Katers schlossen sich. Ich füllte Milch in eine Schale und stellte das Gulasch daneben. Der Kater näherte sich vorsichtig, er schnupperte, dann verputzte er alles.
»Wir nennen ihn Giuseppe, was meinst du?«
»Natürlich, Giuseppe, ein schöner Name für einen gelben Kater.« Ich nahm Simonas Hand. Wir setzten uns aufs Bett, wie wir es immer taten. Wir hörten Puccini, Guiseppe lag zwischen uns. Simonas Hand ruhte auf seinem Rücken.
Kapitel 8
Wir überwanden die inzwischen bekannten Hindernisse und befanden uns plötzlich vor einer Dame, die das Vorzimmer der Qualle hütete. Bisher war dort niemand.
»Wir möchten die Leitende Oberstaatsanwältin Loretta Cucinotta sprechen.« 
»Loretta ist in einer Klinik, ihr Knie.«
»Ihr Knie, sie ist nicht hier?«
»Nein, sage ich doch, ihr Knie, sie ist in einer Klinik, was wollen sie denn?«
»Eine Aussage, wir wollen eine Aussage machen.«
»Sagen sie es mir.« Die Dame im Vorzimmer der Oberstaatsanwältin zog ein Blatt Papier zu sich und griff nach einem stumpfen Bleistift.
»Also, ich höre?« Wieso war ich so blöd, eine Aussage?
»Wer ist der Vertreter der Oberstaatsanwältin?«
»Dottore Remo Chiellini. Dottore Chiellini ist aber für niemanden zu sprechen.«
»Für niemanden? Ich bin Staatsanwalt Dottore Carlo Caprizzi.«
»Sie sprechen nicht gerade gut italienisch, sind sie Deutscher?«
»Ich? Äh, ja, ich bin…es geht um die Bellini Bilder.«
»Bellini? Wer ist Bellini, noch ein deutscher Staatsanwalt?«
»Es geht um das Museo del Rinascimento, die Bilder, die gestohlenen, Amadeo Bellini, der Maler, ganz Italien hat sich erregt…«
»Dottore Chiellini ist in Rom, im Justizministerium.« An dem Vorzimmerdrachen war nicht vorbeizukommen.
»Wie lange dauert es ein neues Kniegelenk einzusetzen?«, fragte ich Simona.
»Drei Stunden? Plus eine Woche Krankenhaus, einen Monate Rehabilitation, sie wird an Krücken zurückkommen.«
»Wann war die Operation der Qualle...ich meine von Oberstaatsanwältin Loretta Cucinotta?«
»Was wollen sie, ihre Krankenakte einsehen?«
»Lass uns gehen wir können warten.« Moment, noch eine Frage:
»Ist hier ein Paket aus den Vereinigten Arabischen Emiraten angekommen?«
»Woher?«
»Aus Abu Dhabi.«
»Wo ist das in Kalabrien?«
»Ist doch egal, sind Bilder angekommen?
»Ich sehe nach«. Mürrisch griff die Dame tatsächlich in eine Box mit Karteikarten.
»Wir haben Bilder erhalten: Von einem Paolo Rossi, von Christoph Columbus aus Genua und von Leonardo Da Vinci. Hören sie, bin ich die Poststelle?«
»Danke, für die Auskunft.« Als wir den Flur zurückgingen schüttelte Simona ihren Kopf. Ich nahm ihre Hand.
»Mit solchen Leuten muss man sich gut stellen. Außerdem hat sie uns gesagt, wo wir hinmüssen.«
»Du meinst die Poststelle?«
»Natürlich.« Es war ganz einfach. Ich übergab den Aufgabebeleg, der Beamte schob seine Brille auf die Nasenspitze, hielt den Beleg mit ausgestreckten Armen, las, brummelte die Aufschrift, zwirbelte an seinem Spitzbart, ging zu einem Regal, nahm das Paket und murmelte irgendwas, was ich nicht verstand.
»Ich glaube du musst unterschreiben.«
»Natürlich.«
Wir setzten uns auf Simonas Roller, sie hielt das Paket und wir brausten nach Hause. Giuseppe rieb sich an Simonas Bein, er schnurrte wie ein Rasenmäher. 
»Und jetzt, geben wir eine Pressekonferenz?«, fragte Simona, während sie eine Dose Katzenfutter öffnete.
»Wir müssen beweisen, dass wir die Bilder tatsächlich haben.« Ich überlegte.
»Da werden Fragen gestellt. Ich weiß was anderes.«
***
Chen-Lis Nagelstudio gab es nicht mehr. Das verblichene Schild Import-Export war ebenfalls abgehangen worden. Die Fassade war frisch, mit hellem Weiß gestrichen. Galerie Goldener Drache stand in der Mitte neben der Eingangstür auf einem exakt quadratisch bedruckten Glasschild.
Ihre Glitzerklamotten hatte Chen-Li abgelegt, auch der Wasserfleck war verschwunden. Chen-Li trug ein Businesskostüm, dazu eine weiße gestärkte Bluse, die ihren Hals mit einer Perle schloss. Als wir eintraten blitzte ein gefrorenes Lächeln auf. Sie schloss ihre Hände, neigte sich zur Begrüßung nach vorne und sagte was auf Chinesisch.
Ihre Bewegungen waren verkrampft und ihr Gesicht wächsern, anders als vor ein paar Wochen, als sie drauflos zeterte.
In der Mitte, wo bisher die Behandlungen stattfanden, befand sich ein massiver Tisch, der von Schienen eingerahmt war. An einem Ende war eine bewegliche Brücke aufgesetzt, die einen Druckkopf hin und her zu schieben vermochte.
Chen-Li führte uns in ihren früheren Lagerraum und schaltete von der Decke hängende Strahler ein. Wir befanden uns inmitten der Meisterwerke der Renaissance, bis hin zu Andy Warhol.
»Das sind Reproduktionen, Vervielfältigungen«, erklärte Chen-Li und zählte die Kunstrichtungen auf.
»Ich verkaufe die in meinem Online-Shop. Es gilt eine Mindestabnahme von zehn Stück.« Wir waren ganz benommen. Die Bilder wirkten mit ihren Farben und in ihrer Ausführung perfekt.
»Ganz erstaunlich, ich sehe keinen Unterschied«, sagte ich, mich einem Warhol zuneigend.
»Das war deine Geschäftsidee von Anfang an, große Mengen, du hast es geschafft«, sagte Simona, während sie aufrecht stehend ihren Zeigefinger an ihre Lippen legte. Unsere Bewunderung war nicht gespielt. Chen-Li krampfte ihre Hände zusammen. Mit gedämpfter Stimme erklärte sie:
»Das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci kostet tausend Euro, zehntausend Euro für zehn Stück. Roy Lichtenstein, Crying Girl von 1963, Siebenhundert Euro, siebentausend Euro für zehn Stück.« Das war Chen-Lis Logik.
»Wie viele Bilder hast du verkauft?«, fragte Simona. Chen-Li ignorierte die Frage. Sie ging nach vorne, zu dem Tisch mit dem Drucker.
»Meinst du nicht, der Drucker sollte ins Hinterzimmer und die Bilder nach vorne?«, fragte Simona.
»Ja, vielleicht«, antwortete Chen-Li zaghaft.
»Wie machst du Werbung für deinen Online-Shop, auf TikTok? Chen-Li antwortete wieder nicht. Simona zog ihr Telefon heraus.
»Sie mal, meine Freundin Emilia hat über 100.000 Follower, verstehst du?«
»Ja, ich verstehe.«
»Wir sollten erklären, warum wir hier sind.« Simona zeigte Fotos von den drei Bellini Bildern.
»Wir brauchen von jedem dieser Bilder eine Kopie. Nicht für tausend Euro, für ein Bild, für hundert Euro.« Chen-Li wurde munter.
»Okay, Okay, hundert Euro für ein Bild.«
»Sie hats verstanden«, sagte ich, als wir draußen vor der Galerie Goldener Drache standen.
Was wir vorhatten, war, die drei Originale der Qualle zu übergeben, sobald sie aus ihrer Rekonvaleszenz zurückkehrte. Die Kopien würden im Museum ausgestellt werden.  Das müsste für einigen Wirbel in den Medien sorgen dachten wir.
Wir könnten unsere Geschichte erzählen, um unseren Anspruch auf die Belohnung sozusagen öffentlich zu festigen. Weil irgendein Gutachter die Echtheit anzweifeln würde, hatten wir vor, von Anfang an zu erklären, dass es sich um Kopien handelte, und sich die echten Bilder in den Händen der Staatsanwaltschaft befänden. Was wir nicht ahnten, war wie Geschäftstüchtig Chen-Li war.
***
Der eigentliche Ursprung von Gerüchten bleibt im Verborgenen.  Er mag auch in Vergessenheit geraten, weil das Vergnügen an Sensationen den Ausgangspunkt überdeckt. Das heißt, es kommt darauf an, ob es sich um Klatsch, oder um Ernsthaftes handelt. Beides kann der Beginn einer Erzählung sein.
Gaetano Firenzzi wurde Besitzer eines kleinen Theaters. Dieses Theater, das sich in einem vom Piazza dell’Unità d’Italia abgehenden Keller befand, bot in seiner langen Geschichte mal frivole Darbietungen, später Akrobatik und schließlich platte Clownereien für Touristen. Das Theater stand Jahre leer.
Erstaunlicherweise wurde die Neueröffnung, der eine Renovierung vorausging, ohne großes Tam-Tam vollzogen. Fußgänger sahen plötzlich einen illuminierten Baldachin über der Treppe, die in den Keller führte.  Es wurden Poetry-Slams veranstaltet, Wettbewerbe im Unsinn-Reden und es wurden Mussolini-Tiraden verlesen. Simona hörte von einem Stand-Up-Comedian, der das Publikum begeisterte und bei dessen Aufführungen die Plätze in Minuten ausverkauft gewesen sein sollen.
Sein Name war Machiavelli und Machiavelli war kein Geringerer als Romano Gicalone, Vorstand der Gewerkschaft der Taschendiebe von Triest, was er aber für sich behielt.
Das Theater hatte seit vier Wochen geöffnet. Wir warteten auf die Rückkehr der Qualle. Es waren Plätze an der Wand frei, wir fielen Machiavelli vermutlich nicht auf. Wer den verwahrlosten Romano Gicalone kannte, mochte nicht glauben, was in einem Menschen stecken konnte. Im Stillen war ich stolz darauf, etwas zu Romanos Metamorphose beigetragen zu haben, auch wenn es die Weitsicht der Oberstaatsanwältin war, die Romanos Selbsterkenntnis ausgelöst hatte. Machiavelli trug die Kleidung, die man ihm im Gefängnis gegeben hatte. Dieser Aufzug schien ein Schlüssel zu seiner Befreiung zu sein.
Zu Beginn gab Machiavelli einen Stand-Up-Comedian und erzählte Gags von Woody Allen und Richard Pryor, der sieben Mal, mit fünf verschiedenen Frauen verheiratet war und fünf Kinder hatte, was Romano genial in seine witzigen Geschichten einbaute.
Dann wechselte er die Perspektive und brachte das Publikum mit Überspitzungen über die italienische Politik, die Mafia und die Verwaltung von Triest zu Gelächter und endlosem Beifall. Mit leierndem Pathos zitierte Machiavelli Vorschriften der Triester Hafenbehörde aus dem neunzehnten Jahrhundert, erzählte von seinen Abenteuern, als er im Golf von Oman zur See gefahren wäre, sprach über die Vorzüge des nihilistischen Denkens und so weiter.
Es folgte Putin versus Trump, eine Episode, der er den Titel Tausch eines Amtes gab und schließlich eine Interpretation von Niccolò Machiavellis Schriften, die Romano die Sittlichkeit und das Wirkliche nannte.
Mir als Staatsanwalt sprach letzteres aus der Seele. Wer aber den alten Romano kannte, dem musste klar sein, dass er, bei allem Respekt, nicht in der Lage war solche Texte aufzusetzen. Mir fiel eine Frau auf, die in der ersten Reihe saß und auf einem iPad las, das heißt, die Texte mitlas, wir mir bei längerer Beobachtung klar wurde. 
»Wer ist das?«, flüsterte ich Simona zu.
»Das ist Orlana Firenzzi.«
Orlana Firenzzi? Orlana Firenzzi? Schrieb sie Machiavellis Texte, oder was verband die beiden? Mein geschultes Misstrauen meldete sich. Keine Ahnung warum, aber in meinem Gedächtnis hatte ich Orlana als snobistisch und abweisend eingeordnet. Ich beobachtete Orlana. Suchten ihre Augen die von Romano? Ja, das war so.
Sie war konzentriert, vielleicht agierte sie als Souffleuse, vielleicht prüfte sie auch die Wirkung der Texte auf das Publikum? Ging man von ihrem Äußeren aus, war sie nicht extrovertiert wie ihre Schwester, sie wirkte verschlossen, soweit ich das beurteilen konnte.
Vielleicht lag das auch an ihrer einfachen Kleidung. Ein blasser Fleece-Pullover, eine Jeans, Sandalen. Ihr Haar war lang, ohne eine Form. In Italien war man anderes gewohnt. Was war mit Emilia? Seit ihrem Post der Szene mit Pierre, der unendlich oft geteilt wurde, war sie verschwunden.
»Was macht Orlana nochmal?«. Ich kannte die Antwort. Ich fragte Simona auf dem Weg nach Hause, eigentlich nur deshalb, weil ich seit ein paar Tagen eine Zurückhaltung in ihr wahrnahm. Lag das an mir? Oder litt sie noch immer unter dem Entsetzen, das sie in Abu Dhabi ergriffen hatte. Beides konnte eigentlich nicht zutreffen. Vielleicht war es ihre Launenhaftigkeit, wenn es so war, würde es sich schon geben.
***
In unser Abenteuer war eine Pause eingetreten. Simona sagte, sie wolle für die nächsten Aufnahmen nach Dalmatien reisen. 
»Kannst du dich um das Weingut kümmern? Jemand muss nachsehen, was Roberta und Doktor Karl machen. Vom Verkauf verstehen beide nichts und könntest du nach Abnehmern in Deutschland suchen und bitte kümmere dich um Giuseppe.« Mir gefiel Simonas direkte Art. Auch war das ein Moment, indem es sich zeigte, ob man zu seiner Frau hielt, oder nicht. Ich mochte das, ich mochte für sie da sein. Es war früher Morgen, wir waren eben aufgewacht.
»Natürlich mache ich das.« Ich beugte mich zu ihr hin und küsste sie.
»Danke Carlo.« Simona stand auf, ging zu ihrer Espressomaschine, es ratterte entsetzlich, mit den zwei winzigen Tässchen kam sie zurück.
»Meine Tage sind überfällig, ich gehe zu einer Ärztin, du kannst mitkommen«, sagte Simona in einer Art, als würde es darum gehen, dass wir frisches Ciabatta bräuchten.
Wir hatten es nie ausgesprochen, wir würden uns lieben, obwohl ich das gerne getan hätte, weil es so war. Ich dachte, es war einfach nicht Simonas Art so was zu sagen, oder besser, ich fürchtete sie wiederum, könnte mit so einem Geständnis nichts anfangen, wäre unsicher, würde sich abwenden, oder sich über mich lustig machen.
Simona war gewiss nicht einfach, sie war willensstark, hatte Schicksalsschläge überwunden und ich war mir sicher, dass sie mich lieben würde. Was ich selbst suchte, waren Loyalität und Offenheit und eine Perspektive für mein Leben. 
»Ich liebe dich Simona.« Simona erstarrte, verharrte lange so, dann zuckte es um ihren Mund, fragte sie sich wie sie sich aus dieser Umklammerung befreien könne? Ich wurde unsicher, sollte ich mich erkundigen, ob sie das Kind behalten wolle, würde ich damit eine Last von ihr nehmen? Simona stand auf, ging auf und ab, sie blieb stehen.
»Ich liebe dich auch Carlo.« Wir sahen uns in die Augen.
»Ich möchte, dass du mir treu bist, für immer und bei mir bleibst, zu mir hältst, mein Mann bist, gleich ob ich krank werde, oder unser Kind krank sein wird.« Simona sprach mit bitterer Ernsthaftigkeit.  Das war sie, Simona, dem Leben zugewandt, ohne romantischen Schnickschnack.
»Natürlich werde ich das«, antwortete ich und versuchte nicht sanft zu sprechen, obwohl mir danach war. 
»Ich hoffe, du suchst nicht das Perfekte, ich bin nicht perfekt.« Es musste Simona eine unendliche Überwindung kosten, das wenige zu gestehen, wie sie es jetzt tat. Dieser Umstand zeigte mir, wie bitterernst es ihr war.
Ich wollte Simona fragen, ob sie jemals eine weiche Seite hatte, ließ es aber sein.  Ich lehnte mich zurück und verschränkte meine Arme hinter dem Kopf. Ich dachte an die Behörde, wegen der ich nach Triest gekommen war. Ich spürte meinen Unwillen jemals zurückzukehren. Ich machte eine Entscheidung fürs Leben.
»Der Termin bei der Frauenärztin ist heute Nachmittag.« Das wars.
***
Fünf Wochen waren seit unserer Rückkehr aus den Emiraten vergangen. Die Frauenärztin stellte fest, Simona war im zweiten Monat. Sie trat ihre Reise nach Dalmatien an. Ich glaube, sie brauchte es allein zu sein. Sie war zärtlicher geworden, anschmiegsam. Ich sah, sie zögerte, es kostete sie Kraft, als sie ihr Fahrrad mit dem Bikepacking aus dem Schuppen schob. Mit meinen Händen in den Taschen stand ich neben ihr. Sie stieg auf, schloss den Riemen ihres Helmes, wandte sich zu mir, lächelte, küsste mich, dann umarmte sie mich und sagte:
»Das letzte Mal. Presto in uscita, mio bellissimo.«
Giuseppe hatte zugenommen. Er legte zwar noch Mäuse vor unserer Zimmertür ab, verschmähte sie aber. Giuseppe war ein Dosenfutter Gourmet geworden und war verwöhnt wie ein gescheitelter Abiturient aus gutem Hause.  Ich wollte es mit Trockenfutter versuchen.
Als ich etwas aus der Packung in seine Schale schüttete, rief die mir vertraute Stimme aus dem Vorzimmer der Oberstaatsanwältin an. Die Oberstaatsanwältin wäre zurück und wolle uns sofort sprechen.
Die drei Bilder, die Chen-Li produziert hatte, lagen noch bei uns, die Originale ebenso. Die Dame im Vorzimmer wies mich mit einer Kopfbewegung an hinein zu gehen.
Die Qualle sah tatsächlich frischer aus. Ihr Gesicht war weniger gelb und ihr Stock war nicht zu sehen. Natürlich konnte ich sie niemals fragen, ob sie abgenommen hätte, es erschien mir aber so zu sein. Sie neigte ihren Kopf zur Seite, wenn sie an einer E-Zigarette zog und – es stand ein Korb mit Äpfeln auf dem Besuchertisch. Die Oberstaatsanwältin folgte meinen Blick, der durch ihr Büro kreiste.
»Veränderungen«, rasselte sie tief aus ihrer Lunge, die wohl noch einer längeren Erholung bedurfte. Sie legte ihre fleischigen Arme auf dem Tisch ab und beugte sich mir zu, als wolle sie sagen, ich bin zurück mein Freund, also raus mit der Sprache. Ich war stolz auf das, was ich jetzt sagen würde. Wir hatten großes geleistet, nicht aufgegeben, niemals daran gedacht, wir hatten uns die Belohnung wahrlich verdient. Ich sagte leichthin:
»Wir haben die Bellini Bilder, wir haben sie gekauft, ganz offiziell, mit Rechnung und Gutachten.«
»Ach, das ist ja erstaunlich«, erwiderte Loretta Cucinotta. Der Zweifel in ihrer Stimme war nicht zu überhören, was mich zugegebenermaßen irritierte.
»Erzählen sie, was passiert ist.« Ihre Stimme war laut. Was war los? Die Oberstaatsanwältin verschränkte ihre Arme vor ihrem mächtigen Körper. Dann stand sie auf, ging an das geöffnete Fenster, beugte sich hinaus und blies Qualm in den Himmel.
»Ich höre!« Ihre Stimme fegte meine dringenden Überlegungen hinweg. Was sollte ich erzählen?
Wenn ich ehrlich war, es gab keinen Grund der Qualle etwas zu verheimlichen. Im Gegenteil, wir wollten die Belohnung, deshalb hatten wir uns auf den ganzen Irrwitz eingelassen. Ich begann die zahlreichen Ereignisse zusammenzufassen.
»Das Letzte, was sie gehört haben, war die Befragung von Chao Wang, soweit ich weiß. Unser Gespräch mit Pierre Ardéche, ich meine das mit Emilia Firenzzi werden sie kennen.«
»Selbstverständlich, sogar ich musste lachen.«
Ich berichtete von der Übersetzung der Nachrichten auf der Voice-Box durch Yashar und was wir über Azmat erfahren hatten. Von der Kunstmesse in Abu Dhabi, Fatih al-Duri und Ben Shao, dass die ganze Bande anwesend war und am Ende von unserem Zusammentreffen mit Bao Shen, das nicht ohne eine Dramatik endete.
»Wir haben die Pässe von Bao Shen und Fatih al-Duri fotografiert.« Zuletzt spielte ich das Video mit dem Geständnis von Shao Ben vor.
»Die drei Bilder sind bei Simona Cinquetti, ich bringe sie ihnen.«
»Gute Arbeit«, lobte die Qualle. Sie stellte noch ein paar Fragen, dann schwieg sie und ich nahm an, sie wollte mir die Erwähnung des weiteren überlassen.
»Danke, was ich noch ansprechen möchte die Belohnung, wie beantragt man die?« Die Qualle räusperte sich, etwas war ihr unangenehm.
»Welche drei Bilder meinen sie genau. Dieser Fatih al-Duri und sein Freund Azmat und auch Pierre Ardéche haben über zweihundert identische Bilder in Umlauf gebracht, hergestellt von dieser Chen-Li, hier in Triest.«
»Bitte, was?«
»Es gibt ein Video im Internet, das zeigt Simona Cinquetti, wir sie diesen Fatih al-Duri und den kleinen Pierre Ardéche verprügelt und sie in einem Hotel in Abu Dhabi im Klo einschließt. Das hätte niemand bemerkt, wenn es nicht Emilia Firenzzi geteilt hätte. Sie hat über hunderttausend Follower. Die hat sie in den letzten Wochen mit nur zwei Videos bekommen. Das mit Pierre Ardéche in Zypern und das mit Simona Cinquetti. Ihre politischen Einlassungen werden dagegen nie angeklickt.«
Ich war sprachlos, wirklich sprachlos. Langsam sank mein Kopf auf die Tischplatte.
»Emilia, wieso Emilia, woher wusste sie…«
»Chen -Li hat sie gebeten, das Video, über das sie von Chao Wang informiert worden sein muss, zu teilen, das nennt man Publicity. Vermutlich hat auch Chao Wang den Kontakt zu der Bande hergestellt, als Wiedergutmachung, sozusagen.«
»Chen-Li, aber wieso…?«, stieß ich hervor.
»Das ist doch egal, sie brauchte eben Aufträge für ihr neues Business. Es ist auch nichts Anrüchiges daran die Bilder zu kopieren. Chen-Li hat einen Auftrag von Azmat, den hat sie Commissario Ambrosio gezeigt, der hat das geprüft, es ist alles in Ordnung, sogar eine Steuernummer ist drauf.« Mir wurde übel, dann fiel mir ein:
»Wir haben doch die gestohlenen Bilder zurückgebracht, ist doch egal ob es Kopien gibt und wie viel die heute wert sind, die waren nie etwas wert.« Ich sprang auf und fasste mich mit beiden Händen an den Kopf.
»Wir waren es, die alles aufgeklärt haben!«
»Das ist richtig, sie wissen aber, die zweite Bedingung für das Auszahlen der Belohnung ist, dass ein Hinweis zu den Tätern der Zerstörung der anderen Bilder und dem Jupiter führt.«
»Was, davon habe ich nichts gehört.«
»Sie sollten mal ihr Italienisch verbessern, das stand dauernd in der Zeitung.«
»In der Zeitung, wer liest denn noch Zeitung?«, was ein ziemlich blöder Kommentar war. Die Qualle sah es mir nach.
»Sie müssen sich beeilen, die Frist für die Belohnung endet heute in einer Woche.«
»Was, wieso denn das?«
»Das ist so entschieden worden, nachdem die ganzen Kopien aufgetaucht sind. Sie können die drei Bilder schon mal hier abliefern, dann ist das erledigt.«
»Natürlich, eine Woche.« Ich war durcheinander. Zügig ging ich zur Tür.
»Vergessen sie nicht den Einlieferungsschein«, rief mir die Qualle hinterher. Ich spürte, sie meinte es gut mit uns, was mich ein klein wenig beruhigte.
***
Es war zwölf Uhr mittags. Simona war im Zug in Richtung Kroatien. Ich nahm Giuseppe auf meinen Schoß und rief sie über Facetime an.
»Emilia und Chen-Li?« Es war logisch, dass sich Simona ab jetzt wieder erregen würde.
»Bei Emilia ist es ihr Ego, sie will Follower, Chen-Li will Geld.  Die Frage ist jetzt, wie wollen wir das jemals aufklären?« Simona dachte lange nach.
»Bei Emilia ist es nicht ihr Ego, oder nicht nur, sie will von etwas ablenken, sie war früher anders.«
»Anders, wie anders?«
»Sie ist eine linke Feministin, hätte nie ihre Brüste gezeigt und warum sie damals nach Turin ist, habe ich auch nicht verstanden und auch nicht, warum sie meinte, ich könnte ihr helfen. Sie ist einfach abgehauen, nicht vor der Mafia, vor jemand anderem, sie steckt dahinter.«
Ich holte Simona vom Bahnhof ab. Sie küsste mich flüchtig, dann sagte sie:
»Wir müssen die Farbe finden, in dem besetzten Haus in dem Emilia wohnt, gleich jetzt.«
»Moment Simona, ich glaube auch, dass die Firenzzis dahinterstecken, Gaetano, Orlana, Emilia oder…?«
»Oder wer?«
»Romano, auch er ist ein Firenzzi und jeder von denen hat seine eigenen Motive.«
»Romano, ein Firenzzi?«
»Seine Physiognomie und seine Bewegungen sind identisch mit denen von Gaetano. Wichtiger ist aber, warum kauft Gaetano ein Theater für Romano? Familien sind wie schwarze Wände, lüftet sich eine Wand, erscheint eine andere Welt.  Was ich dich fragen wollte, was ist mit Firenzzis Frauen, seinen ex-Frauen?«
»Seinen Frauen? Die erste hat ihn sofort verlassen, die zweite kam ein paarmal in die Schule, kann mich nicht mehr genau erinnern.«
»Ist es möglich, dass die erste die Mutter von Romano ist?« Simona überlegte.
»Ja, kann sie, aber wie will sie Firenzzi schaden, indem sie die Bilder zerstört?«
»Nein, indem sie Emilia in das Gefängnis bringt.« Wir kamen vor dem besetzten Haus an, das abgestützt und in einem erbärmlichen Zustand war. 
»Welche Motive meinst du?«, fragte Simona.
»Das erkläre ich später, was machen wir jetzt? Willst du reingehen und in Emilias Zimmer nach Farbe suchen?«
»Genau das.«
»Und wenn sie da ist?«
»Dann soll sie sich in eine Ecke setzen und die Klappe halten.«
Simona ging auf die Tür zu.
»Gibt’s hier keine Klingel?« Ein loses Kabel hing aus der Wand. Simona stemmte sich gegen die alte Holztür, die von einem Bogen überspannt war, dessen Fenster fehlten. Sie fiel in den Hausflur, ich folgte ihr. Es wummerte aus dem Keller, eine Band spielte. Ich hörte für einen Moment hin.
»Früher Punk würde ich sagen.« Simona interessierte das nicht. Sie klopfte an die nächstgelegene Tür. Ein Kerl in Unterhose und Socken öffnete.
»Wo wohnt Emilia Firenzzi?«
»Dritter Stock.« Oben knallten Türen. Ich folgte Simona. Putz war von den Wänden gefallen und lag auf der Treppe. Krakelige, verwischte Parolen überdeckten sich vom ersten Stock, bis nach oben. Das Geländer war beschmiert, Teile fehlten. Müll lag herum.
Wir kamen im dritten Stock an. Auf der Treppe saßen zwei Gestalten.
»Was glotzt du so? Denkst du hier wohnen die Medici?« Der das sagte, rückte in die Mitte der Treppe. Hinter einer Tür weinte eine Frau.
»Mach Platz, ich muss durch.« Der Typ entblößte gelbe Zähne. Er trug ein Nietenhalsband um seinen Hals und grinste dümmlich.
»Das ist ein ordentliches Haus, eine Genossenschaft, hier gehört allen alles.«
»Wen interessiert das?«, fragte Simona mit erstaunlicher Ruhe. 
»Ein Gramm, oder hundert Euro, dann kannst du durch.«
»Mach Platz, oder ich reiß dir den Kopf ab.« Der Typ schluckte, dann schrie er durch das ganze Treppenhaus:
»Die Gestapo, die Gestapo ist hier.« Nichts, keine Reaktion. Nach einer Weile öffnete sich eine Tür, jemand schrie hoch:
»Halt die Fresse du Penner.« Das stärkte die Position des Schreiers nicht gerade. Er griff in sein verfilztes Haar, rubbelte wie wild, schrie sowas wie Grrrrr, stand auf und war schon deshalb einen Kopf größer als Simona. Sie griff zwischen seine Beine und quetschte was sich dort befand. Der Typ schrie erbärmlich auf, sein Kumpel stürzte an uns vorbei, die Treppe hinunter.  Simona ließ nicht los.
»Wo wohnt Emilia Firenzzi?«, zischte sie.
»Da, da, da!« Rief er unter Schmerzen und zeigte auf eine Tür auf dem Absatz. Simona ging vorbei und pochte an die Tür. Durch ein Fenster im Treppenhaus sah ich wie sich ein Ferrari näherte.  Simona pochte noch einmal.
»Emilia, mach auf, verdammte Scheiße.« Emilia öffnete die Tür einen Spalt. Simona trat dagegen. Die Tür traf Emilias Stirn.
»Nichts passiert, oder?« Simona griff nach Emilias Auge, die wich zurück. 
»Was willst du?«, fragte Emilia gereizt. Romano tauchte auf, er schwankte. Von der Türschwelle aus, sah ich seine roten Augen. Es eilte jemand die Treppe hoch, blieb stehen, um Atem zu holen, ich sah hinunter, es war Gaetano Firenzzi.
»Wo ist die Farbe?« Simona drang in Emilias Wohnung, ging durch alle Zimmer.
»Du wohnst doch nicht in diesem Drecksloch?«
»Und du wohnst auch hier?«, herrschte Simona Romano an. Der zog sich hastig in das Zimmer zurück, aus dem er gekommen war. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss.
Gaetano Firenzzi trat ein. Er stützte sich auf die Türklinke der Wohnungstür und war so außer Atem, dass er keinen Ton herausbrachte. Eine Hand ruhte auf seinem Herz. Zu seinem Tweet-Sakko mit dem Scharlachroten Kragenaufschlag trug er eine Fliege.
»Romano, komm raus, sofort«, rief Simona. Der Schlüssel drehte sich abermals und Romano schob sich langsam in den Flur. Ich war mir sicher, ihm war übel.
»Das ist dein Sohn, Firenzzi.« Simonas Stimme war Scharf wie ein Schwert. Firenzzi schwieg. Das zu leugnen war sinnlos.
»Also wie war es, wie seid ihr auf die Idee gekommen die Bilder zu zerstören, was wolltet ihr überhaupt erreichen?« Simona wurde ruhiger. Firenzzis Telefon klingelte.
»Ja, was ist denn?« Er hielt seine Hand vor das Mikrofon.
»Nein, ich kann jetzt nicht, ihr müsst eben warten.« Gaetano Firenzzi war kurz davor zu explodieren. Ich hörte eine ungeduldige Frauenstimme.
»Ist das ihr Ferrari?«, fragte ich, obwohl die Frage in diesem Augenblick nicht wirklich einen Sinn hatte. Simona konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
»Natürlich ist das sein Ferrari, der Kapitalist«, blaffte Emilia.
»Verdammt nochmal, dann kommt eben hoch und seht was hier los ist.«
»Was ist denn los?« Mischte sich Romano treuherzig ein. Romano hatte Simonas Feststellung er wäre Gaetanos Sohn ignoriert. Verstohlen sah er Gaetano an, sah weg und wieder hin.
»Hast du dem Jungen wieder Drogen gegeben Emilia?« Gaetano Firenzzi trat in die Mitte des Flures und ignorierte ebenfalls Simonas Bemerkung bezüglich Romano, als hätte sie diese nie getan. Simona ging in das Bad und polterte herum.
»Was machst du da?«, fragte Firenzzi gereizt, ohne dass er in das Bad sah.
»Ich suche die Farbe, die kann ja nur hier sein«, hörte man Simona rufen. Eine Schranktür knallte zu.
»Farbe, was willst du denn dauernd mit Farbe, hier ist keine.« Emilia fasste mit ihrem Armen in den Türrahmen und sah zu Simona.
»Woher kennst du Chen-Li?«, rief Simona in den Flur, während sie den Deckel der Klospülung anhob.
Gaetano Firenzzi wirkte besonders nervös auf mich. Während Simona weiter herumpolterte, sprach niemand etwas, wir warteten. Die Luft war zum Schneiden. Simona drückte den Deckel der Klospülung zurück, was ein Knacken auslöste.
Es betrat eine Frau in Begleitung von Orlana Firenzzi die Wohnung. Die Frau war besonders stark geschminkt und trug riesige runde goldene Ohrringe. Sie hatte einen Kerzengeraden Gang. Simona kam aus dem Bad.
»Also was ist jetzt mit Chen-Li, woher kennst du sie?«
Alle Augen ruhten auf der Frau und alle außer mir wussten, um wen es sich handelte. Ich sah zu Romano, der schluckte, wollte in das Zimmer verschwinden, tat das aber doch nicht. Die Frau mochte Mitte fünfzig sein, sie trug hohe Absätze, war schlank, hatte einen großen Busen, der mir von Anfang an unnatürlich vorkam, sie war gebräunt, ihre rosafarbenen Lippen quollen hervor, ihr Haar war gelockt. Sie trug ein mit Blumen gemustertes Kleid, darüber eine orangefarbene Lederjacke, die mich an jene erinnerte, die Emilia getragen hatte.
»Ich bin Donna Francesca Ferrara, sie kennen mich aus dem Fernsehen.« Donna Francesca tupfte mit einem Taschentuch ihre Nase. Die andere Hand ruhte auf ihrer Handtasche, die an ihrer Schulter baumelte. 
»Sie müssen Staatsanwalt Caprizzi sein«, sagte sie einschmeichelnd und mit einem Augenaufschlag in meine Richtung. Ohne eine Antwort abzuwarten und in der Selbstverständlichkeit, dass nun sie im Mittelpunkt des Geschehens stand, sah sie in die schweigende Runde.
»Merkst du nicht, dass du störst?« Fuhr Emilia sie an.  
»Meine Liebe, alleine dass ich dieses Haus betrete, kostet mich einige Überwindung.«
»Lass sie Quatschen«, sagte Simona und warf Francesca Ferrara einen abschätzigen Blick zu.
»Rede nicht so mit Francesca, sie ist meine Braut.« Alle starrten Gaetano an. Orlana, die bisher noch keinen Ton sagte, brach in Tränen aus. Emilia lachte schallend, klatschte in ihre Hände und drehte sich um ihre Achse.
»Deine Braut? Francesca, die war doch schonmal deine Braut.  Dann hat sie durch die Gegend gevögelt und du hast sie rausgeschmissen.  Was ist Francesca, hast du zu viel Falten und das mit dem Vögeln klappt nicht mehr?«
»Emilia, halt den Mund.« Jetzt kochte Gaetano erst recht. Offensichtlich wusste niemand von der Verlobung. Was für eine Dummheit hatte er mit dem Geständnis gemacht, dachte ich.
»Haltet alle den Mund«, rief Gaetano und fasste sich wieder an sein Herz. Dann ruhiger:
»Romano wir sind wegen dir gekommen.« Dabei sah er zu Francesca.
»Ach, die ist deine Mutter?« Simona stemmte ihre Hände in die Hüften.
»Simona, lass doch, bitte, du machst alles schlimmer.« Orlana ging zu Romano und nahm ihn bei der Hand. Sie wollte zur Wohnungstür gehen. Simona rief:
»Niemand geht, erst wird geklärt was sich hier abspielt.« Hilflosigkeit bei allen, außer bei mir natürlich.
»Also du bist die Mutter von Romano…«
»Ich lasse mir das doch nicht bieten«, empörte sich Francesca Ferrara mit schriller Stimme.
»Ach, halt endlich deine Klappe, du gehörst doch überhaupt nicht dazu, hast dich keine Minute um ihn gekümmert«, keifte Emilia mit wirklicher Verachtung und ging auf Romano zu, der noch immer an der Hand von Orlana war. Francesca Ferraras Mund öffnete sich, sie wollte etwas erwidern, sie schloss den Mund wieder. Lange sah Emilia zu Orlana hin.
»Sag das du es warst, Orlana, sonst gibt diese Verrückte nie eine Ruhe.« Emilia wies mit ihrem Kopf zu Simona.
»Sag es, die Wahrheit muss ans Licht kommen.« Jetzt ruhten alle Blicke auf Orlana, die ihre Fassung zurückgewann. Mit einer leisen Stimme beginnend, dann wütend werdend, sagte Orlana:
»Ja, ich war es, ich habe die Bilder zerstört, mit deinen Nazis!«, schrie sie Gaetano an.
»Ich hasse euch, ich hasse euch alle, ihr seid so falsch, lebt mit euren Lügen, was habt ihr Romano angetan, warum? Warum habt ihr das getan? Weil du nicht wolltest, dass deine wichtigen geliebten Kunden erfahren, dass du einen Sohn mit einer Nutte hast? Wegen deines Ferraris und deiner albernen Fliege? Du ekelst mich so an. Und du Emilia wie lange weißt du es? Du mit deiner Selbstsucht, du hast es genossen das Geheimnis zu kennen, hast Romano Geld für Drogen gegeben, du hattes Gaetano in der Hand, er hat dein Leben bezahlt, deine Launen, deine Partys und deine Abtreibungen.
Ich wollte, dass die euch das Anhängen, euch beiden. Deinen Glatzköpfen habe ich Geld gegeben, die haben sofort mitgemacht, ich wollte, dass die Welt erfährt, wie falsch du bist, Emilia du Heuchlerin, mit deiner letzten Generation, die sind dir doch Scheißegal, dir geht es um dein Ego, sonst um nichts.« Eine so zornige Frau hatte ich noch nicht gesehen.
»Orlana, seit wann weist du von Romano?«, fragte Simona.
»Seit Emilia den Clip mit der Verarschung von diesem Pierre hochgeladen und dazu ihre Titten präsentiert hat. Du hast genauso fabuliert, wie Romano es immer tut. Ich hatte schon lange einen Verdacht, man muss Romano ja nur ansehen.  Ich war so wütend, bin zur Qualle und habe sie bekniet mir zu sagen, wer seine Eltern sind. Ein paar Tage vorher hatte sie Romano das gesagt, als Belohnung dafür, dass er diesen Chao Wang ausgefragt hat. Sie hat mir gesagt, Romano wüsste es, ich bin sofort zu ihm.«
Emilia war blass geworden. Francesca Ferrara sagte belehrend:
»Wir haben für Romano ein ganzes Theater gekauft.« In demselben hysterischen Ton riefen Emilia und Orlana:
»Halt die Klappe Francesca.«
»Woher hast du denn gewusst, dass am selben Tag die Bilder gestohlen werden?«
»Woher soll ich das denn gewusst haben?« fauchte Orlana Simona an.
»Das war Zufall, das hat alles zerstört. Die ganze Welt hat sich nur für den Diebstahl interessiert, alles war umsonst.« Orlana begann zu weinen.  
»Beruhige dich, wir bringen alles in Ordnung.« Ich fragte mich, ob Gaetano Firenzzi noch alle beisammen hatte und fragte mit lauter Stimme:
»Was wollen sie denn in Ordnung bringen?« Orlana fauchte:
»Ja was? Du Betrüger, die Qualle weiß alles, ich habe ihr alles erzählt, du mit deinen gefälschten Bildern und dass du deinen Kunden erklärst, wie sie Steuern hinterziehen können, deinen gekauften Gutachtern und du hast auch alles gewusst Emilia, du bist so eine Schande. 
»Ich gehe jetzt«, sagte Francesca Ferrara und tupfte noch einmal ihre Nase mit dem Taschentuch. Dann drehte sich ruckartig um und ging zur Tür. Ich bewunderte sie für ihren Dünkel. 
»Hau ab du Nutte und lass deinen Sohn zurück, ist dir doch egal ob er krepiert!«, schrie Orlana. Wir hörten Francescas Schritte, die sich auf der Treppe entfernten.
»Das Gemeinste ist aber Emilia, dass du Romano wieder Drogen gegeben hast, nach allem, was er plötzlich erreicht hat, du Hexe. Warum hast du das gemacht warum?«
»Warum wohl?«, rief Emilia aus einem Weinkrampf.
»Weil er gesagt hat, bei seinem nächsten Auftritt würde er alles erzählen, weil er alles zerstört hätte, er hatte doch was er wollte, warum wollte er Papa und mich zerstören, das machte doch überhaupt keinen Sinn?«
Orlana spuckte auf den Boden.
»Ich verachte euch, ich hasse euch.« Wieder nahm sie Romanos Hand.
»Komm Romano in einem Monat kannst du wieder auftreten.« Sie gingen. Ich sah Simona an. Sie zuckte mit ihren Schultern.
Gaetano Firenzzis Gesicht färbte sich rot. Er sagte noch:
»Ich habe Schmerzen.« Dann griff er mit beiden Händen an sein Herz, und sank zu Boden.
***
Ein Jahr war vergangen. Um es gleich zu sagen und das nicht wegen eines Happy-Ends, Simona und ich bekamen nach der Aussage von Orlana Firenzzi vor der Staatsanwaltschaft die 500.000 Euro und die 10.000 der Versicherung.
Das Bild von Gaetano Firenzzi verdunkelte sich noch mehr, nachdem diverse Erkenntnisse über sein Geschäftsgebaren Zutage traten. Zu seiner Entlastung musste man allerdings anführen, seine Freiheit eigene Entscheidungen zu treffen war nicht mehr vorhanden. Die Feier seiner Beerdigung fand keinen großen Zuspruch. Francesca Ferrara, die er immer liebte, wie in seinem Testament stand, erbte einen Teil seines Vermögens. 
Orlana bekam ein Jahr auf Bewährung, sie übernahm Gaetanos Galerie. Romano erholte sich von seinem Rückfall und spielt bis heute in seinem eigenen Theater.  Chen-Li gründete eine Franchise Holding für die Anfertigung von Reproduktionen und dürfte eine der reichsten Chinesinnen in Norditalien sein. Chao Wang wurde Aufseher im Museum der Renaissance und stahl den einzigen Rafael.  Seine Spur führte nach China.
Loretta Cucinotta, die leitende Oberstaatsanwältin arbeitet noch immer. Auch sie hatte Herzbeschwerden, woraufhin sie das Rauchen gänzlich unterließ. In dem einen Jahr nahm sie ziemlich ab. Ab und zu kommt sie zu uns zu Besuch. Sie liebt Giuseppe und er liebt sie. Sie besuchte Simonas Weingut und sagte, das wäre das erste Mal in ihrem Leben, dass sie ein Interesse jenseits ihrer Arbeit entwickelte. 
Emilia Firenzzi ging nach Frankreich und heiratete den blassen Neffen eines Ministers, einen Absolventen der Ena. Man munkelte von diversen Verhältnissen von Emilia, was aber nicht so sei, wie sie beteuerte, als sie nach zehn Monaten zurück nach Triest kam. Wir haben sie ein paarmal auf der Straße getroffen. Sie würde nicht wieder nach Paris fahren, sagte Emilia mit unverhohlener Bitterkeit. Einmal war sie in Begleitung von Chen-Li.
Es stellte sich heraus, Emilia war die Besitzerin des verwahrlosten Hauses. Sie beabsichtigte es zu renovieren und die Wohnungen zu vermieten.
Roberta leitet das Weingut, dessen Fläche wir verdreifacht haben. Doktor Karl ist ebenfalls noch dort. Er sitzt auf einer Bank.
Und wir? Simona und ich? Erstmal, wir hatten getrennte Wohnungen in Simonas großer Villa, waren aber gerade deshalb dauern zusammen, es sei denn Simona bearbeitete ihren Boxsack, oder ich brauchte Stille in meiner Kanzlei. Wir haben ein Bambino, Michele, den wir Tornado nennen. Er beginnt zu krabbeln. Ich arbeite als Anwalt für Umweltstrafrecht, was in Italien ziemlich einträglich ist. Simona ist am Victoria Hotel Letterario beteiligt. Den Vorsitz der Partito Comunista Triest hat sie noch immer. Heiraten werden wir nicht.
Ach ja, der behaarte Arm gehörte Bao Shen. Der soll heute auf der Pferdrennbahn in Abu Dhabi arbeiten. Azmat und sein Schüler Pierre leben in Abu Dhabi, sie betreiben noch immer dasselbe Geschäft.
Amadeo Bellini heißt Nicos Papopulos, er stammt aus Nicosia. Dass es ihm an Talent mangle, wurde nie behauptet. Allein, sein Ruf hatte gelitten.
Ohne die Dummheit von Fathi sich echte Verträge unterschieben zu lassen und die in seinem wirren Zustand auch noch wahrheitsgemäß auszufüllen, hätten Azmat und Amadeo ihr Ziel erreicht. Fathi al-Duri hatte in OpenAi investiert. Er soll nun wirklich eine große Kunstsammlung besitzen.
Festgenommen wurde nie jemand. Die Bilder waren zurück und der Fall aufgeklärt.
Dass sie Mongolen und keine Italiener beauftragten, diente der Verwischung der Spuren und war eine Idee von Azmat. Azmat soll ein neues, ambitioniertes Projekt planen.
Über John Webster Lloyd
John Webster Lloyd ist das Pseudonym von Tobias Haarburger.
John Webster Lloyd wurde 1992 in Aberdeen geboren. Sein Vater ist der Anthropologe Charles Henry Webster Lloyd, seine Mutter die Tropenärztin und Organistin Albertine Webster Lloyd. Die Familie wohnte ab 1995 in Hamburg. Mit 12 Jahren zog John Webster Lloyd mit seinen Eltern und zwei Geschwistern nach Dodoma, der Hauptstadt Tansanias.
Johns Vater folgte einem Ruf an die University of Dodoma. Mit 22 Jahren kehrte John Webster Lloyd nach Hamburg zurück. Er hält einen Bachelor in Psychologie der University of Dodoma und wurde an der Universität Hamburg im Jahr 2019 in deutscher Sprache und Literatur mit einer Arbeit über Kurt Tucholsky promoviert.
John Webster Lloyd fuhr ein Jahr im Golf von Aden zur See und verbrachte anschließend ein Jahr in einem indischen Ashram. In der Zeit übersetze er Josephs Conrads Hauptwerk Lord Jim in Swahili, der Amtssprache Tansanias.
John Webster Lloyd arbeitet in Hannover als Literaturagent und freier Autor und lebt mit der Bildhauerin und Friedensaktivistin Benedikta Circe Włodarczyk, alias Dr. Johanna Curtius, alias Paul Laup zusammen.
John Webster Lloyd wird 1992 in Aberdeen geboren. Sein Vater ist der Anthropologe Charles Henry Webster Lloyd, seine Mutter die Tropenärztin und Organistin Albertine Webster Lloyd.
Die Familie wohnt ab 1995 in Hamburg. Mit 12 Jahren zieht John Webster Lloyd mit seinen Eltern und zwei Geschwistern nach Dodoma, der Hauptstadt Tansanias. Johns Vater folgt einem Ruf an die University of Dodoma.
Mit 22 Jahren kehrt John Webster Lloyd nach Hamburg zurück. Er hält einen Bachelor in Psychologie der University of Dodoma und wird an der Universität Hamburg im Jahr 2019 in deutscher Sprache und Literatur mit einer Arbeit über Kurt Tucholsky promoviert.
John Webster Lloyd fährt ein Jahr im Golf von Aden zur See und verbringt anschließend ein weiteres Jahr in einem indischen Ashram. In der Zeit übersetzt er Josephs Conrads Hauptwerk Lord Jim in Swahili, der Amtssprache Tansanias.
John Webster Lloyd arbeitet in Hannover als Literaturagent und freier Autor und lebt mit der Bildhauerin und Friedensaktivistin Benedikta Circe Włodarczyk, alias Dr. Johanna Curtius, alias Paul Laup zusammen. John Webster Lloyd ist das Pseudonym von Tobias Haarburger.
Über den Autor
John Webster Lloyd
John Webster Lloyd wurde 1992 in Aberdeen geboren. Sein Vater ist der Anthropologe Charles Henry Webster Lloyd, seine Mutter die Tropenärztin und Organistin Albertine Webster Lloyd. Die Familie lebt seit 1995 in Hamburg. Im Alter von 12 Jahren zieht John Webster Lloyd mit seinen Eltern und zwei Geschwistern nach Dodoma, der Hauptstadt von Tansania. Johns Vater folgt einem Ruf an die Universität von Dodoma. Im Alter von 22 Jahren kehrt John Webster Lloyd nach Hamburg zurück. Er macht seinen Bachelor in Psychologie an der Universität Dodoma und wird 2019 an der Universität Hamburg in Germanistik mit einer Arbeit über Kurt Tucholsky promoviert. John Webster Lloyd fährt ein Jahr lang zur See im Golf von Aden und verbringt anschließend ein weiteres Jahr in einem indischen Ashram. In dieser Zeit übersetzt er Josephs Conrads Hauptwerk Lord Jim ins Suaheli, die Amtssprache Tansanias. John Webster Lloyd arbeitet in Dar es Salaam als freier Schriftsteller und lebt mit der Bildhauerin und Friedensaktivistin Benedikta Circe Włodarczyk, alias Dr. Johanna Curtius, alias Paul Laup. John Webster Lloyd ist das Pseudonym von Tobias Haarburger.
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