Kapitel 14
Disaster Zondi fand sich in einem Gemeindezentrum in einem dieser Vororte im Norden von Johannesburg wieder, das genauso aussah wie hundert andere. Verzweifelte Menschen, die sich an einem Sonntagabend mit Jammermiene um eine Kaffeemaschine herumdrückten. Er hatte die Adresse online ausfindig gemacht. Hatte nach Sexsucht gegoogelt.
Der Moderator rief die Versammlung zur Ordnung, und die Gruppe zog Plastikstühle in einen Kreis. Zondi war das einzige dunkle Gesicht im Raum. Leute fingen an zu erzählen. Geschichten gescheiterter Ehen und verlorener Vermögen. Vertraute Geschichten.
Es war Zondi schon immer leicht gefallen, Gelegenheitssex zu bekommen. Um die Wahrheit zu sagen, der Sex hatte ihn gefunden. Er ging beispielsweise in eine dieser schicken Bars in Jo’burg – ein Lokal, das auf New York oder Berlin machte –, dachte nicht einmal daran, mit jemandem Sex zu haben. Bestellte einen Drink, ignorierte die verzweifelten Männer um sich herum, die Frauen mit Blicken die Kleider vom Leib rissen. Irgendwann schaute er auf, und da war sie dann. Die Blondine. Sein weibliches Gegenstück. Das Yin zu seinem Yang. Ein Lächeln. Ein paar Worte, und dann ab in ihre Wohnung zur Abwicklung. Zondi hatte zwei Regeln: Niemand kam in seine Wohnung, und er blieb niemals über Nacht bei den Frauen, die er abschleppte.
In letzter Zeit würde er die schlafende Frau zurücklassen, in seinen BMW steigen. Immer noch rastlos. Merkte, dass er durch die Nacht Richtung Innenstadt fuhr. Eine Gegend, die durch Armut und Verbrechen und Verfall implodiert war. Er würde zu den animalischen schwarzen Huren gehen, die vor Gebäuden lauerten, die aussahen, als seien sie von Granaten zerschossen worden, Frauen, die sich auf sein elegantes Auto einklinkten wie Raketen mit einem auf Hitze reagierenden Suchkopf.
Er würde eine zu sich rufen, sitzen bleiben und auf die Apokalypse hinausblicken, während die Frau ihm einen blies. Hörte das Schmatzen ihres Mundes auf dem Kondom, witterte den Gestank von Meth oder Crack in ihren Haaren. Wenn er nicht kam, würde sie meckern, wollte mehr Geld, und dann gab er ihr einen Schein und ließ sie gehen.
Vergangene Woche hatte ihn eine von denen mit einem Messer bedroht. Es war eine lange Klinge mit einem verzierten Elfenbeinknauf. So ein Ding, mit dem weiße Frauen früher den Sonntagsbraten aufgeschnitten hatten. Die Hure war so weggedröhnt vom Crack, dass sie kaum richtig sehen konnte, und er hätte ihr das Messer leicht abnehmen können, gab ihr aber Geld und schob sie aus dem Wagen. Fuhr fort und wusste genau, dass er der Sache ein Ende setzen musste, bevor sie ihm ein Ende machte.
Zondi kam in den Raum zurück, stellte unbewusst Blickkontakt her mit einer gesund wirkenden Blondine, die ihm gegenüber saß. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen, war ihr aber schon hunderte Male begegnet. Noch eine, die neugierig war, ihr Weiß mit seinem Schwarz zu vereinen. Ein TopDeck machen, so nannte man es in Südafrika, nach der aus einer dunklen und einer weißen Schicht bestehenden Schokoladensorte, die es überall zu kaufen gab. Er sah fort. Sie nicht. Zondi rutschte nervös auf seinem Platz hin und her, spürte aber immer noch ihren Blick.
Der Moderator kam zu einem ausgemergelten Mann, nannte ihn Horst und fragte, ob er bereit sei, den anderen von sich zu erzählen. Der Mann schüttelte den Kopf, und der Moderator machte mit dem nächsten weiter. Zondi hatte das Gefühl, dass dies nicht zum ersten Mal passiert war.
Eine vertrocknete Frau in den Vierzigern sprach darüber, dass ihr fortgesetzter Ehebruch ihren Mann in den Selbstmord getrieben hatte. Sie weinte. Die Blondine ließ nicht locker und versuchte weiter, Blickkontakt herzustellen. Zondi stand auf und ging hinaus. Er stand im Dunkeln, atmete im Garten den Duft von Bougainvillea und Eukalyptus ein, wünschte sich, dass er rauchte. Der Mann namens Horst tauchte neben ihm auf.
»Sie haben vielleicht Lust auf einen Drink?«, fragte er mit deutschem Akzent.
»Ja«, antwortete Zondi, der plötzlich begriff, dass er nichts lieber wollte.
Er rechnete damit, dass der Deutsche eine Bar in der nahe gelegenen Einkaufsmeile vorschlug, doch der Mann führte ihn zu einem älteren Mercedes, der nicht weit von seinem eigenen Auto parkte. Horst glitt hinter das Steuer, und Zondi stieg auf der Beifahrerseite ein. Der Deutsche holte eine Flasche Scotch und zwei Styroporbecher aus dem Handschuhfach.
Er schenkte ein, reichte Zondi einen Becher. »Prost.«
»Cheers.«
Horst leerte seinen Becher in einem Zug und schenkte nach. Hielt Zondi die Flasche hin, der jedoch den Kopf schüttelte. »Darf ich Ihnen etwas sagen, was ich noch nie jemandem gesagt habe?«, fragte Horst in seinem peniblen, übertrieben korrekten Englisch.
»Schießen Sie los.« Zondi konnte zuhören. Es war das Reden, womit er seine Schwierigkeiten hatte.
Horst erzählte ihm, dass er vor einigen Jahren im Urlaub nach Thailand gereist war, nach Phuket, zusammen mit seiner Frau Lotte und den beiden Kindern – mit dem achtjährigen Dieter und der fünfzehnjährigen Dorothea. Eines Morgens ließ er sie am Strand zurück, sagte, er müsse noch mal ins Hotel, weil er einen geschäftlichen Anruf zu erledigen habe. Stattdessen ging er in ein Bordell, ein zehnstöckiges Gebäude einige Blocks vom Strand entfernt.
Im Erdgeschoss des Bordells wurden etwa zwanzig Thai-Mädchen hinter Glas ausgestellt wie Ware, mit Preisschildchen um den Hals. Die billigeren trugen Jeans und T-Shirt, die teureren Cocktailkleider und Stöckelschuhe.
»Na ja, und so landete ich dann im zehnten Stock mit einem Mädchen, das wahrscheinlich jünger war als meine Tochter. Sie konnte ihre Beine hinter dem Kopf verschränken, sehr gelenkig. Während ich sie ficke, gibt sie lustige kleine Geräusche von sich. Erinnert mich an die Geräusche, die mein erster Volkswagen an einem kalten Morgen machte, wenn er nicht anspringen wollte.« Horst lachte und stürzte seinen zweiten Drink hinunter.
Zondi balancierte den Becher auf dem Armaturenbrett, öffnete die Tür und wollte fort von diesem Mann und seinem pornographischen Gefasel. Die Innenbeleuchtung ging an, und er sah den gequälten Ausdruck auf dem blutleeren Gesicht des Deutschen.
Horst legte ihm eine Hand auf den Arm. »Warten Sie, bitte. Jetzt kommt der wirklich gute Teil.«
Zondi verharrte, die Beifahrertür immer noch geöffnet.
»Wir vögeln also, und ich höre ein anderes Geräusch. Ein lautes unfassbares Klatschen von Wasser.« Er lachte. »Ja. Der Tsunami.«
Zondi blieb im Wagen. Schloss die Tür. Gab dem Mann seinen Schatten zurück.
Der Deutsche sagte, er sei zum Fenster gestürzt, immer noch ein rotes Kondom auf seinem schrumpelnden Schwanz, und habe die schweren Vorhänge zurückgezogen, die das Zimmer verdunkelten. Konnte zwischen den Häusern einen schmalen Streifen des Strandes sehen, wo seine Familie war. Sah das Wasser und die Autos und die Bäume und die Körper. Sah, wie das Meer sich zurückzog und die zweite Welle zuschlug.
Zondi hob seinen Becher und leerte ihn. Der Deutsche erzählte, wie er durch die Verwüstung geirrt war. In Hotelfoyers gespülte Autos. Nackte Tote in den Bäumen. Tage später identifizierte er die Leichen seiner Frau und seines Sohnes, die in einer behelfsmäßigen Leichenhalle verwesten. Seine Tochter wurde nie gefunden.
»So«, sagte Horst. »Damit sind Sie mein Beichtvater.«
»Warum ich?«
»Weil Sie ein Wildfremder sind.«
Horst lachte, und Zondi stimmte ein. Wieder öffnete er die Tür und stieg aus dem Wagen. »Danke für den Drink.«
»Sie werden nicht wiederkommen, stimmt’s?«, fragte Horst.
Zondi schüttelte den Kopf und schloss die Tür. Während er sich von dem Mercedes entfernte, fanden seine Finger das gefaltete Fax in seiner Tasche. Er dachte an das Mädchen auf dem Foto. Dachte an den Ort, an dem er seit Jahren nicht mehr gewesen war. Zu Hause. Er schloss seinen BMW auf. Die Blinker leuchteten kurz auf. Das Zwitschern der Alarmanlage wie ein städtischer Vogelruf.