Kapitel 27

Als Zondi versuchte, sich zu erheben, drückte der Mann ihn zurück. Filzte ihn. Zondi war unbewaffnet. Er hatte seine Kanone zusammen mit der Dienstmarke abgegeben.

»Willst du mir sagen, was zum Teufel hier los ist?«, fragte er auf Zulu.

Ein Feuerzeug flammte in der linken Hand des Mannes auf, und er hielt es an sein Gesicht. Zündete einen fetten Spliff an. »Erinnerst du dich nicht mehr an mich, Zondi?«

Im flackernden Licht sah Zondi einen glatzköpfigen Mann um die vierzig, dessen Schädel dermaßen verschrammt und vernarbt war, dass er sein Gehirn auf der Außenseite zu tragen schien. Zondi brachte Gesicht und Stimme in Einklang. »Lucky«, sagte er.

Der Mann lächelte, stieß eine bittere Rauchwolke aus. Knipste das Feuerzeug aus. »Du denkst, du kannst einfach so hierher zurückkommen, ja? Als würdest du niemandem etwas schulden?«

»Wohin fahren wir?«, fragte Zondi.

»Ich bringe dich in die Berge. Ich werde dir deine verschissenen Knie zerschießen. Damit du nicht mehr gehen kannst. Und deine Ellbogen, damit du nicht mehr kriechen kannst. Dann werde ich dich dort liegen lassen, damit die Hyänen was zu fressen haben.« Lucky lachte, den Spliff im Mund.

Er war der Bruder von Jola, der Junge, den Zondi und Inja und die anderen als Teenager umgebracht hatten. Ein Mann, der Blutrache geschworen hatte. Als Zondi zur Beerdigung seiner Mutter in diese Stadt zurückgekehrt war, hatte Lucky in Durban im Gefängnis gesessen, saß ein Lebenslänglich wegen eines Taximordes ab. Und jetzt war er draußen. Bereit, sein Versprechen einzulösen.

Dies war ein Land shakespearescher Fehden. In engen Tälern einander gegenüber lebende Klans bekämpften sich bis zum Tod, aus Gründen, die im Nebel der Zeit versunken waren. Achtzig Jahre zuvor hatte ein Mann einem anderen die Kuh gestohlen. Vor fünfzig Jahren hatte ein Mann einen anderen beleidigt. Und Generationen von Männern wurden in die Sippenkämpfe hineingezogen. Zondi und seine Freunde hatten Jola vor zwanzig Jahren getötet. Praktisch gestern.

Damals in den Achtzigern hatten sich er und Inja und eine Handvoll weiterer Jungs Genossen genannt, waren jugendliche Anhänger des über Jahrzehnte unsichtbar auf dem fernen Robben Island in Haft lebenden Nelson Mandela. Sie hatten marxistische Parolen verbreitet. Gewillt, ihr Blut für das Ende der Apartheid zu vergießen.

Sie waren damals nur wenige gewesen. Dieser Teil des Landes, von der weißen Regierung bewusst in Armut gehalten, war das Land der Zulu-Häuptlinge und Stammesüberlieferungen. Die meisten Häuptlinge hatten sich mit den Weißen arrangiert im Tausch für ein armseliges Gehalt, eine stinkende Hütte, ein oder zwei magere Kühe und die Herrschaft über Menschen, denen es noch schlechter ging als ihnen selbst. Junge Männer, die sich trotzig widersetzten, wurden ausgepeitscht. Wenn das nicht ausreichte, wurden sie getötet. Ihre Leichen warf man vor die Hütten ihrer weinenden Mütter.

So hatten Zondi, Inja und die anderen in ständiger Angst gelebt. Und als Inja eines Tages ankam und sagte, ein Maulwurf der Regierung hätte sich bei ihnen eingeschlichen, da fragten sie nicht groß nach einem Beweis. Jola, der sich mit ihnen herumtrieb, war gesehen worden, wie er mit einem Bullen in einem Auto gesessen und eine Zigarette geraucht hatte. Sie erwischten Jola auf einem Fußweg unten im Tal. Er bestritt alles, und seine Augen waren weiß vor Panik.

Inja schlug als Erster mit einer Machete zu, wie sie zum Schneiden von Zuckerrohr benutzt wird. Der Hieb löste einen Fleischlappen vom Arm des Jungen. Es stank auf einmal nach Blut und Angst. Nach kurzem Zögern machten die anderen mit. Mit Messern, Stöcken und Äxten. Zondi hatte mit einem Mal einen großen Stein in der Hand, den er auf Jolas Kopf niederkrachen ließ. Er sah, wie der Schädel unter den dichten schwarzen Locken aufplatzte, wie weißer Knochen zu sehen war. Hob erneut den Stein, von dessen rauher Unterseite Blut und Hirnmasse wie ein Schleier herabhing. Ließ ihn wieder herunterkrachen. Und wieder.

Als sie fertig waren, trat Zondi einen Schritt zurück und blickte auf seine roten Hände, die immer noch den Stein umklammert hielten. Ließ den Stein fallen. Atmete keuchend. Dichter Staub hing in der Luft. Das Ding, das da auf dem Sand lag, besaß keine Ähnlichkeit mehr mit einem Jungen.

Es war das erste und letzte Mal, dass Zondi getötet hatte.

Jetzt spürte er das Gewicht der Zwangsläufigkeit. Er war der Außenseiter, und er würde den Preis für das zahlen, was vor zwanzig Jahren geschehen war. Nur drei der sechs Jugendlichen, die Jola getötet hatten, hatten überlebt: Zondi, Giraffe und Inja.

Inja war Luckys Feind. Ein mächtiger Feind. Das definierte ihn, wies ihm eine Rolle zu. Feinde waren nützlich in diesem Tal, das keinen Bedarf an Frieden hatte. Und Giraffe war, für dortige Verhältnisse, ein reicher Mann, also dürften Zugeständnisse gemacht worden sein. Aber Zondi hatte keinen Platz. Den hatte er vor vielen Jahren aufgegeben.

Zondi sah in der Heckscheibe nahende Scheinwerfer auflodern. Hörte das tiefe Knurren eines starken Motors. Der Taxifahrer sagte etwas über seine Schulter, und Lucky schaute auf, als die Scheinwerfer vorbeizogen.

Das harte, laute Bellen eines Sturmgewehrs, und die Seitenscheiben des Taxis zersplitterten. Lucky zielte mit seiner Pistole durch das zerbrochene Glas. Mündungsblitze tauchten sein Gesicht in stroboskopisches Licht. Dann gab er einen Laut von sich wie ein gurgelnder alter Mann und klappte nach vorn, landete auf Zondi. Etwas Feuchtes schmierte auf Zondis Gesicht. Der Fahrer schrie. Weitere Schüsse. Mehr zersplitterndes Glas.

Zondi griff nach Luckys Pistole. Als seine Finger sich um den Knauf legten, drehte sich das Taxi und überschlug sich dann. Zondi wurde durch das Heck des Minibusses geschleudert, eng umschlungen von dem toten Mann. Stieß sich den Kopf an etwas Hartem. Biss sich auf die Zunge. Über ihm explodierte Glas, Metall riss auf, die Sitze lösten sich aus ihren Verankerungen und krachten auf ihn. Die warme Nachtluft drang herein.

Das schlitternde Taxi schlug Funken auf dem Schotter, bis es zum Stillstand kam. Zondi schmeckte Staub, unsichtbar in der Schwärze. Hörte ein Rad, das sich weiter auf einem defekten Kugellager drehte, und etwas tropfte auf das Metall neben seinem Kopf. Dann nichts mehr.

***

Zondi schlug die Augen auf und blickte in Tausende greller Lichtpunkte wie Nadelstiche in einem Samtvorhang. Sterne. Viel heller als die, an die er sich in der Stadt gewöhnt hatte. Und der Mond, eine flackernde Scheibe. Nein, nicht der Mond. Eine Taschenlampe, die ihm ins Gesicht schien.

Er lag auf dem Rücken unter irgendeinem Gewicht, das, wie er erkannte, die herausgerissenen Sitze des Taxis waren. Der Minibus lag auf der Seite, und Zondi starrte durch das Rechteck nach oben, in dem sich einmal die Schiebetür befunden hatte. Zwei Gestalten hingen durch die Tür herein. Er hörte Stimmen. Männer. Teenager. Zu jung, um die Gangster sein zu können.

»Yo-yo-yo. Die sind totes Fleisch, Mann.«

»Spring rein und hol ihren Kram. Ich sehe eine Kanone.«

Das Licht wurde einen Moment verdeckt, und das Taxi wackelte, als sich eine Gestalt hereinfallen ließ und neben Zondi landete. Schwere Stiefel krachten auf das Metall dicht an seinem Kopf, knirschten auf dem zersplitterten Glas.

Als der Strahl weiterwanderte, sah Zondi Lucky, der tot neben ihm lag. Der Junge nahm ihm die Armbanduhr ab, dann filzte er ihn und reckte einen mageren schwarzen Arm, die Faust geballt um ein Bündel Geld. »Sieh nur, mein Bruder!«

Hörte den anderen Jungen lachen, sagte: »Mach schnell, bevor noch jemand kommt.«

Dann wanderte der Strahl zu Zondi weiter. Er schloss seine Augen nicht schnell genug.

»Hey«, sagte der Junge mit der Taschenlampe. »Der hier lebt noch.«

Der Junge, der über Zondi stand, zog den Stiefel zurück und trat ihn zurück in die Schwärze.