Kapitel 56
Inja stand nackt unter einem Kameldornbaum, nichts als magere Schenkel und ein baumelnder auberginefarbener Penis. Rauch stieg um ihn auf, als eine korpulente Frau in BH und Fellen Kräuter in ein Holzfeuer warf. Ihr Gesicht, das durch eine weiße Paste gespenstisch wirkte, war im Rauch kaum zu erkennen.
Die Frau verbeugte sich und reichte Inja eine tönerne Kalebasse, gefüllt mit einer Flüssigkeit in der Farbe von Scheiße. Der Geruch brannte ihm in der Nase, als er schluckte, die Medizin war so bitter wie der Tod. Augenblicklich wurde ihm schwindlig, und er sank auf die Knie. Ein heftiger Magenkrampf, Kotze spritzte auf den Sand. Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus wie Morgentau, er spuckte Speichelfäden aus. Rang nach Luft. Ein weiterer Krampf packte ihn, und wieder musste er sich übergeben. Und wieder. Bis er leer war. Gereinigt.
Der Rauch hob sich für einen Moment, und Inja konnte einen alten Mann vor einer Lehmhütte kauern sehen, das Gesicht so gefurcht wie die Erde. Ein Affenfell und eine Schlangenhaut hingen über der Tür. Eine fransige rote Fahne, das Symbol eines Medizinmanns, hing wie eine Zunge an einer Holzstange, die über die Hütte ragte. Der sangoma, gekleidet in Fellen und Perlenschnüren, nuschelte etwas auf Zulu und segnete ein Fleischermesser mit einer langen, flachen Klinge. Er stand auf und kam mit dem Messer in den Händen auf Inja zu, der neben dem Feuer kniete.
Der sangoma schnitt Inja zweimal horizontal über die knochige Brust. Keine tiefen Wunden, dennoch lief Blut über Injas Oberkörper, sammelte sich in seinem Schoß, tropfte von dort auf seine Oberschenkel und Knie. Der Medizinmann sang, während er eine Dose Schuhcreme aufschraubte. Tauchte seine Finger in die schwarze Paste aus verkohlten Kräutern und tierischem Fett. Schlacht-Medizin, die Kugeln in Wasser verwandeln konnte, wie man sagte. Schmierte die Mixtur in die Schnitte auf Injas Brust. Inja spürte ein Stechen, als machten sich Wespen über sein Fleisch her.
Der sangoma brüllte einen Befehl, woraufhin zwei Jugendliche aus dem dichten Rauch auftauchten und eine sich heftig widersetzende Ziege heranschleiften, deren Pfoten mit Bindedraht gefesselt waren. Sie brachten das zappelnde Tier zum Baum und wuchteten es auf einen niedrigen Ast direkt über Injas Kopf. Er spürte, wie die wild austretenden Hufe über seine Schultern schrammten. Das Tier entleerte seine Gedärme in säuerlich riechendem Kot. Die Frau hatte zu singen begonnen, ein schrilles, auf- und abschwellendes Geheul, im Duett mit der Ziege, die ihre Angst herausschrie.
Der alte Medizinmann zog die Klinge des Messers durch die Asche, dann malte er mit der stumpfen Seite des Stahls ein schwarzes Kreuz auf Injas Rücken. Der Gesang der Frau wurde lauter, ihr Gesicht verschwamm hinter den Flammen, die Augen in Ekstase verdreht, gelb wie Fettklumpen. Der sangoma packte die Ziege an der Schnauze und reckte ihr den Hals. Schnitt ihr mit einer schnellen Bewegung die Kehle durch.
Heißes Blut schoss auf Inja herunter, lief über seinen Kopf, tropfte auf seinen Körper. Er drehte sein Gesicht nach oben, dem sterbenden Tier entgegen, und öffnete den Mund, um das Blut aufzufangen. Er trank und wurde erfüllt. Inja sah seinen Vater und den Vater seines Vaters. Seine Ahnen führten ihn an den Fluss der Kraft und Stärke zurück. Drangen durch die Flüssigkeit in ihn ein, verliehen ihm Stärke für die bevorstehende Schlacht.
Schließlich hing die Ziege schlaff und leblos über dem Ast. Ausgeblutet. Inja stand auf, sein Körper purpurrot vom Blut, starrte in die Flammen, während der Sprechgesang der Frau lauter und rasender wurde. Dann wehte ihr Geheul mit dem Rauch davon, und sie sank stumm zu Boden.
Inja hob den Blick vom Feuer, als einer seiner bewaffneten Männer den Hof betrat und sich niederwarf.
»Ja?« Injas Zunge war mit Blut verkrustet.
»Induna, sie wurde gefunden«, sagte der Mann, die Stirn im Staub.
***
Sunday beobachtete den alten Mann mit den weißen Haaren beim Husten, wie sich seine Rippen unter dem Hemd hoben und senkten, während er am Eingang der Höhle hockte. Krächzte wie ein kranker Hund. Seine Lippen wie in einer Grimasse zurückgezogen, und sie sah auch das Blut auf seinen Zähnen. Schweiß tropfte ihm von der Stirn, lief durch die tiefen Furchen seines Gesichts.
Sunday fand die Plastikflasche Wasser und reichte sie ihm. Er setzte das Fernglas ab und rang nach Luft, die schlabberige Haut seines Halses war fast malvenfarben. Er trank aus der Flasche, hustete Wasser und Blut auf den Sand zwischen seinen Schuhen, trank weiter. Wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Gib mir das Fernglas, Großvater«, sagte sie. Er gab ihr den Feldstecher. »Du ruhst dich jetzt aus. Ich werde Wache halten.«
»Mädchen, du rufst mich sofort, wenn du etwas siehst. Egal, was es ist. Hast du mich verstanden?« Er sprach ihre Sprache gut genug, dass sie ihn verstand, aber mit einer spröden Stimme, die ihrem Ohr sehr fremd war.
Sie nickte, und er setzte sich mit dem Rücken gegen den Fels zurück, das Gewehr in den Armen. Der andere Mann lag tiefer in der Höhle. Seine Augen waren geschlossen, doch sie wusste, dass er nicht schlief.
Sunday hob das Fernglas, drehte zum Scharfstellen an dem geriffelten Ring. Die Landschaft sprang ihr förmlich entgegen. Diesmal reagierte sie nicht erschrocken auf die jähe Vergrößerung. Sie suchte die karge Landschaft ab, sah ihr ganzes Leben dort unter ihr ausgebreitet. Der Berg, wo ihre Eltern gestorben waren. Die Hütte, wo sie bei ihrer Tante lebte. Die Stadt, die wie ein Haufen Ziegel in der Sonne buk.
Sunday fuhr mit dem Fernglas die Sandpiste entlang, die von dem Museumsdorf wegführte. Folgte einem Taxi, das Staub aufwirbelte, meinte, das Heulen des Motors hören zu können. Sie schwenkte das Fernglas mit der Bewegung eines Geiers, der in der Luft stillzustehen schien, fast auf einer Höhe mit der Mündung der Höhle.
Ein Omen, das wusste sie. Während sie zuschaute, wie der Vogel dort schwebte, hörte sie den Mann wieder husten, und sie verspürte einen Lufthauch im Nacken, obwohl es in dieser geschützten Höhle keinen Wind gab. Sie drehte sich nicht um, wollte die Geister nicht sehen, die sich um den alten Mann drängten, im Begriff, ihn mit ins Schattenreich zu nehmen.