Kapitel 10

 

Ich hätte wissen müssen, dass Cletas die Hohepriesterin im Nebenzimmer unterbringt, fuhr es Zar durch den Sinn. Unsere Heirat dient zwar nur dazu, die Danreg als Bündnispartner zu gewinnen, aber Wynn ist meine Frau, die Gemahlin des Regenten, und sie hat ein Recht auf alle Privilegien ihres Ranges. Dazu gehört auch der Aufenthalt im Schlafzimmer des Ehemannes. Seit Araens Tod war er nicht mehr in jenem Raum gewesen. Er hatte die Tür verriegelt und einen Wandteppich davor aufgehängt, um die Kammer einfach zu vergessen.

Wynn zögerte, schob dann das Kinn vor – eine typische Geste, die Zar bereits vertraut erschien. »Danke, Lord«, sagte sie. »Mir ist tatsächlich kalt.«

Ihre Finger fühlten sich an wie Eiszapfen – sie trug nur ein Hemdkleid aus dünnem Leinen, darüber einen Mantel. Das Haar fiel ihr auf Schultern und Rücken. Zar führte sie zum Sessel, schürte dann das Feuer und legte Holz nach. Die Flammen züngelten höher.

Wynn sah ihn an, als er sich umdrehte, und Trotz glühte in ihren Augen. »Vielleicht hältst du mich für eine Lügnerin, Lord, aber es war nicht meine Absicht, dich zu belauschen. Ich schlief und erwachte plötzlich, als …« Sie biss sich besorgt auf die Lippe. »Als jemand meinen Namen rief. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls. Nun, ich ging zu Tür – Cletas hat sie heute Nachmittag entriegelt und mir gezeigt. Sie stand einen Spaltbreit offen, und ich vernahm deine Stimme …«

Müde zuckte sie mit den Achseln. »Ich trat über die Schwelle und wollte mich dir zu erkennen geben, als ich deinen Vater hörte und begriff, dass du nicht allein warst.

Schon nach kurzer Zeit wurde mir die Natur eures Gesprächs klar, und ich schämte mich sehr, einer so persönlichen Unterhaltung zu lauschen. Ich drehte mich um und wollte in mein Zimmer zurückkehren, doch die Tür hatte sich hinter mir geschlossen, und ich konnte sie nicht öffnen, ohne ein Geräusch zu verursachen. Deshalb beschloss ich zu warten, bis sich mir eine Möglichkeit bot, diesen Raum unbemerkt zu verlassen. Als Spock ging, hast du eine Zeitlang völlig reglos am Kamin gesessen, und ich dachte, du seiest eingeschlafen …«

Ihre Bestürzung war echt – Zar spürte sie, ohne eine empathische Sondierung vorzunehmen. Er nickte und stützte den einen Arm auf die hohe Rückenlehne des Sessels. »Ich verstehe. Solche Dinge passieren manchmal. Mach dir deshalb keine Sorgen. Wir haben von dir gesprochen; vielleicht hast du tatsächlich deinen Namen gehört.«

»Das ist noch nicht alles.« Wynn hielt den Kopf gesenkt. »Während ich dort hinter dem Wandteppich stand und versuchte, nicht zuzuhören – obwohl das natürlich unmöglich war –, hatte ich das Empfinden, eine Botschaft von der Göttin zu empfangen. Weder Worte noch eine Vision – aber die feste Überzeugung, dass du den Wünschen deines Vaters genügen solltest, Gemahl. Begleite ihn, ganz gleich, wohin er dich bringen möchte. Du musst ihm helfen. Vielleicht ist das deine einzige Chance, dich selbst zu retten. Ich fühle es. Und ich bin sicher, es entspricht ganz dem Willen Ashmaras.«

»Du weißt nicht, was die Besucher von mir erwarten«, erwiderte Zar.

»Das stimmt – ich weiß es nicht. Sie kommen aus einer anderen Welt …« Wynn zögerte und faltete die Hände im Schoß. »Ich meine, es sind keine Geister oder Dämonen. Bei der Göttin, ich bin nicht sicher, was ich meine. Als ich Kirk zum ersten Mal gegenübertrat, sagte er mir, er könne nicht erklären, auf welche Weise er und seine Freunde unser Lager erreicht hatten. Sie kommen … von woanders. Aber das ist noch nicht alles, oder?«

»Nein. Sie stammen von Welten, die nicht nur räumlich von unserer Heimat getrennt sind, sondern auch zeitlich. Sie kommen aus einer Zeit, die erst noch beginnen muss.«

Wynn seufzte. »Vielleicht solltest du jetzt dein Versprechen einlösen und mir alles erklären, Lord. Es ist sehr wichtig, dass ich soviel wie möglich über dich und die Besucher verstehe. Bitte vertrau mir.«

Der Sovren hob eine Schulter. Spielt es eine Rolle? Wahrscheinlich glaubt sie mir ohnehin nicht. »Na schön.«

Er wählte seine Worte mit großer Sorgfalt und beschrieb die Wahrheit mit möglichst einfachen Begriffen. Die Hohepriesterin hörte zu, unterbrach ihn nicht und runzelte die Stirn, als sie sich konzentrierte.

Als Zar schließlich schwieg, sah sie zu ihm auf. »Mein Leben lang habe ich vermutet, dass es in dieser Welt – in diesem Universum – Dinge gibt, die ich nicht verstehen kann. Jetzt weiß ich es. Du behauptest, dass zahllose Welten und Sterne existieren – und dass Zeit und Raum irgendwie miteinander verbunden sind. Wie dem auch sei: Niemand unternimmt ohne Grund eine so lange und weite Reise wie die drei Besucher. Sie brauchen deine Hilfe.«

Zar runzelte die Stirn. »Nur weil es mir einmal gelang, mit dem Wächter zu kommunizieren …«

»Ich spüre, dass sie recht haben. Nur du kannst dafür sorgen, dass jener … Gott der Zeit wieder seine Pflichten wahrnimmt.«

»Sie hoffen, dass ich dazu in der Lage bin. Aber es steht keineswegs fest.«

Wynn beugte sich vor, und in ihren Augen leuchtete sowohl Aufregung als auch Hoffnung. »Du musst«, betonte sie. »Du musst es versuchen.«

»Soll ich diese Welt verlassen und nie zurückkehren?« Zar hob eine Braue. »Offenbar bist du bestrebt, ziemlich schnell meine Nachfolge anzutreten.«

»Darum geht es mir nicht«, erwiderte die Hohepriesterin und ignorierte den Zynismus des Sovren. »Der Wächter … Für ihn ist die Zeit etwas, das er ganz nach Belieben verändern kann?«

Zar nickte.

»Dann hat er bestimmt die Möglichkeit, dich vor der Schlacht zurückkehren zu lassen. Du wirst hier sein, um deine Truppen in den Kampf zu führen. Du wirst gegen den Feind antreten – und vielleicht stirbst du nicht. Die Vision hat einen starken Eindruck auf mich hinterlassen, aber ihr fehlte ein klares Bild, das mir Aufschluss gibt. Vielleicht ist dein Tod nicht unabwendbar. Wenn das stimmt …«

»Ja?«, fragte Zar, als Wynn den Satz nicht beendete. »Was dann?«

Sie biss sich auf die Lippe, und das Lebhafte verschwand plötzlich aus ihren Zügen, wich distanzierter Kühle. »Nichts, Lord. Ich meine nur … Ein guter, anständiger Mann sollte vor dem Tod bewahrt werden.«

»Hältst du es tatsächlich für möglich, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen?«, dachte Zar laut. »Würde daraus nicht ein Paradoxon entstehen? Ich frage mich …« Der Sovren überlegte einige Sekunden lang, zuckte dann mit den Schultern. Er war viel zu müde, um sich auf Probleme der theoretischen Physik zu konzentrieren.

Noch etwas anderes beschäftigte ihn, etwas, das in einem direkten Zusammenhang mit Wynn stand, und dieses Rätsel wollte er unbedingt lösen. Eine Zeitlang musterte er sie aufmerksam. »Ich frage mich auch, warum es für dich eine so große Rolle spielt.«

»Es spielt eine Rolle für mich«, bestätigte sie schroff und mit offensichtlicher Nervosität. »Verschwende keine Gedanken ans Warum.«

Zars rechte Hand schloss sich krampfhaft fest um die Rückenlehne des Sessels. Was ist hier los? Weshalb weicht sie mir aus? »Wenn es mich betrifft, habe ich ein Recht darauf, Bescheid zu wissen, Lady«, sagte er sanft und gleichzeitig spöttisch. »Warum möchtest du meine Nachfolge erst später antreten? Was bedeutet dir dies alles? Warum nimmst du Anteil daran?« Er beugte sich vor und hob ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. »Warum ist es so wichtig für dich, dass ich nicht sterbe?«

Wynn stand abrupt auf, und Ärger blitzte nun in ihren Pupillen. »Muss alles einen Grund haben? Kann man nicht allein dem Gefühl nachgeben und sich auf eine bestimmte Weise verhalten? Du denkst zuviel, Gemahl!« Sie wandte sich ab und schritt zur Tür des Nebenzimmers.

Zar hielt sie am Arm fest und zwang sie dazu, sich wieder umzudrehen. »Wenn du meine Erlebnisse geteilt hättest …«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, und Zorn ließ ihn erbeben. Erst McCoy, dann Spock, und jetzt auch du! Warum lasst ihr mich nicht endlich in Ruhe? »Dann wärst du nicht mehr so sicher, dass Gefühle eine gute Idee sind, Lady. Ich habe vor langer Zeit gelernt, nicht zu fühlen, sondern nur noch zu denken. Emotionen bringen Schmerz.«

Wynn starrte ihn an. »Glaubst du etwa, den Schmerz für dich allein gepachtet zu haben? Dein Vater war zu nachsichtig mit dir. Du hast recht: Du bist ein Feigling!«

Zar packte nun beide Arme, und die Hohepriesterin trachtete vergeblich danach, sich aus seinem Griff zu befreien. »Glaubst du? Ich werde es dir zeigen, und anschließend kannst du darüber urteilen!«

»Na schön«, zischte Wynn. »Zeig's mir.«

Zar senkte die mentalen Schilde, und daraufhin fluteten ihr seine Erinnerungen entgegen. Die Frau widersetzte sich ihm nicht mehr und erstarrte, als eine Gedankenverschmelzung begann. Nach einigen Sekunden berührte Zar die Nervenpunkte an ihren Schläfen.

Jahre verstrichen mit der Schnelligkeit von Herzschlägen:

Er wuchs auf, und nur Zarabeth war bei ihm. Einsamkeit, Sehnsucht nach einem Spielkameraden, einem Freund, seinem Vater … Eine Einsamkeit, die ihm schrecklich erschien – bis er die wahre Bedeutung dieses Wortes kennenlernte, an jenem Tag, als seine Mutter starb. Erneut fühlte Zar das Gewicht ihres Leichnams, als er ihn in die Eishöhle trug. Die einzige Person, die ihm Gesellschaft geleistet hatte, existierte nicht mehr.

Und dann … Araen schrie im Delirium, als sie versuchte, den Tod aus sich herauszupressen, den Tod in Form des Kindes. Zar wartete. Er wartete auch dann noch, als er wusste, dass es keine Hoffnung mehr gab. Er klammerte sich an dem Glauben fest, dass ein Wunder geschehen könnte. Und schließlich war es vorbei. Blut klebte an seinen Händen und der Klinge des Messers. Araen lebte nicht mehr, und seine Tochter wimmerte leise und schwach.

Das kleine Mädchen hielt nur sechs Stunden lang durch. Lange genug für Zar, um ihm den Tod der Mutter zu verzeihen, um eine emotionale Verbindung zu schaffen, die ihn zutiefst erschütterte, als er das Kind in den Armen hielt und sich bemühte, ihm einen Teil seiner inneren Kraft zu verleihen. Er hoffte erneut, aber auch diesmal erwartete ihn eine bittere Enttäuschung. Zweimal gelang es ihm, der Tochter mit seinem Atem Leben zu geben, als ihre winzigen Lungen versagten, doch beim dritten Mal hatte er keinen Erfolg.

Tod und Schmerz begleiteten ihn während der Jahre, und immer wieder erlitt er bittere Verluste. Ohne den Trost von TränenAus welchem Grund auch immer: Er konnte nicht weinen. Die Wunden in ihm weigerten sich hartnäckig zu verheilen, vereiterten statt dessen mit Kummer und Zorn …

Als diese letzten Reminiszenzen in Wynns Bewusstsein sickerten, merkte Zar, dass sich die Mentalverschmelzung veränderte und zweiseitige Aspekte zu entwickeln begann. Er »sah« Dinge aus der Vergangenheit seiner Gemahlin: den Tod ihrer Mutter nach einer langen, qualvollen Krankheit. Wynn pflegte sie hingebungsvoll, schloss ihr die Augen, als sie schließlich Frieden fand.

Eine kurze Zeit der Freude mit Nahral, die Geburt ihres Sohnes Lelinos … Ein Glück, das Verzweiflung und seelischer Agonie wich, als sie die verstümmelten Leichen fand …

Zar schluckte, und etwas schnürte ihm die Kehle zu. Wynn hat recht – ich habe den Schmerz nicht für mich allein gepachtet. Im Gegensatz zu ihm war sie imstande, das Risiko einzugehen, auch weiterhin Anteil zu nehmen. Sie stellte sich ihrem Gram und lernte, damit zu leben, anstatt ihn zu verdrängen, ohne dass er heilen konnte.

Er stellte fest, dass Wynns Kopf an seiner Schulter ruhte, und er spürte ihr heftiges Zittern. Als die geistige Einheit an Intensität verlor, hörte er das Schluchzen der Hohepriesterin – ein Geräusch, das direkt aus ihrem Herzen zu kommen schien.

»Pscht«, flüsterte er und umarmte sie. »Pscht …«

Es tut mir leid, sagte Wynn wortlos. Und: Ich leide mit dir.

Und ich mit dir, erwiderte er. Ich wünschte, ich hätte deine Kraft.

Später wusste er nicht, wie viel Zeit verstrich, bis das Schluchzen verklang. Dumpfe Pein pochte im Oberschenkel, der einst von einem Speer durchbohrt worden war, doch der Schmerz in seiner Seele ließ allmählich nach. Während der Gedankenverschmelzung hatte er Wynns Kummer erlebt und dadurch Erleichterung gefunden. Er seufzte, fühlte sich erschöpfter als jemals zuvor. Aber er empfand auch eine angenehme innere Ruhe – als tropfe kein Blut mehr aus einer unsichtbaren, tödlichen Wunde, die nun endlich zu heilen begann.

Wynn bewegte sich und schniefte leise. »Hast du ein Taschentuch?«

Zar holte eins hervor. »Hier.«

»Danke.« Sie trat zurück, drehte sich halb um, und der Sovren ließ die Arme sinken. Er versuchte, nicht auf die Leere in seinem Innern zu achten.

Verlegen beobachtete er, wie sich Wynn Tränen aus den Augen wischte. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Ja«, antwortete sie. »Ich bedauere, dich einen Feigling genannt zu haben. Eine solche Bezeichnung verdienst du gewiss nicht.«

»Und ich entschuldige mich für mein Verhalten«, sagte Zar steif. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Du hast sicher gute Gründe, mir helfen zu wollen, aber sie gehen mich nichts an. Tut mir leid.«

Wynn seufzte und wandte sich erneut der Tür des Nebenzimmers zu, doch schon nach einem Schritt verharrte sie und schob das Kinn vor. Sie sah den Sovren an, hielt seinen Blick fest. Ihre Züge brachten eine seltsam emotionale Mischung zum Ausdruck: Zärtlichkeit, Erheiterung und auch Ärger.

Sie holte tief Luft. »Lord und Gemahl, meine Gründe gehen dich etwas an. Uns beide. Solche Dinge geschehen, obwohl eine derartige Erfahrung neu für mich ist. Seit Stunden versuche ich, meine eigenen Gefühle zu leugnen, doch dadurch verschwinden sie nicht. Ich hätte weder mich noch dich belügen sollen.«

Zar starrte verblüfft auf sie hinab. Sei kein Narr. Sie kann unmöglich das meinen, was du glaubst … Er schluckte und suchte nach angemessenen Worten. »Das klingt fast so, als … als …« Er brach ab und schwieg.

Wynn errötete und trat noch einen Schritt zurück, hielt jedoch den Blick auf ihn gerichtet. »Ich weiß, wie es klingt. Möchtest du, dass ich mich noch deutlicher ausdrücke? Nun gut. Ein ereignisreicher Tag liegt hinter uns, und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich dich liebe. Dass ich dich begehre. Zunächst wollte ich es nicht einmal mir selbst gegenüber eingestehen, aber es stimmt. Und ich bedauere es keineswegs.« Sie zögerte und senkte den Kopf. Bei den nächsten Worten war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern: »Ich erwarte nicht von dir, meine Gefühle zu teilen.«

Zars Herz hämmerte nun. Er setzte sich in Bewegung, ohne dass bewusste Absicht dahintersteckte, stand plötzlich nahe genug vor Wynn, um ihr die Hände auf die Schultern zu legen. Als sie sich berührten, erwachte die geistige Verbindung zu neuer Aktivität, und er spürte ihre Gefühle – ihre Reaktion auf seine unmittelbare Präsenz. Er selbst reagierte so heftig, dass ihm der Atem stockte.

»Wynn …«, begann er. »Ich … Manchmal fehlen mir die Worte. Seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind … Irgend etwas rührte sich in mir …« Mit den Fingerkuppen strich er ihr über die Wangen, folgte den Konturen von Wangen, Brauen und Lippen. »Ich weiß nicht, was ich denken, sagen oder … tun soll …«

»Wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Hör endlich auf, dauernd zu denken.«

Die mentale Brücke verhalf dem Sovren zu einer Erkenntnis: Wynn wollte ihn küssen.

Er empfand den gleichen Wunsch.

Ihr Mund war kühl und weich, und nach einigen Sekunden zog er sie an sich, schlang beide Arme um sie. Wynns Hände strichen ihm über Rücken und Nacken. Das psychisch-emotionale Band zwischen ihnen glühte mit neuer Intensität: Er nahm wahr, wie sehr es ihr gefiel, seinen Körper zu spüren, und er empfand ebenso.

Nein! Die Gefahr!, ertönte eine warnende Stimme, aus Erinnerungen geboren, doch sie verklang im lauten Sturm der Emotionen. Zar küsste Wynns Wange, ihr Haar, die kleinen, runden Ohren. Leise murmelte er ihren Namen. Seine Lippen erkundeten die Wölbungen am Kinn, den Hals, fühlten einen rasenden Puls.

Die Verbindung verwandelte sich in eine neuerliche Mentalverschmelzung und erstickte jene Stimme, die Gefahr! schrie. Die eigene Identität – das Selbst – zerfaserte, bis nur noch Platz blieb für das Gefühl, die Frau in den Armen zu halten.

»Wynn …«, hauchte er.

Ich liebe dich. Die Worte klangen durch den psychischen Äther, und Zar wusste nicht, wer sie zuerst »formuliert« hatte. Als er den Kopf hob und die Hohepriesterin mit einer stummen Frage in den Augen musterte, antwortete sie, indem sie ihm die Lippen darbot. Der zweite und noch längere Kuss erfüllte sie beide mit brennendem Verlangen, mit dem Bedürfnis, sich vollständig zu vereinen, geistig ebenso wie körperlich.

Die Laken des großen Himmelbetts waren kalt wie Eis, aber Zar achtete nicht darauf – es gab nur Wynn. Sie liebten sich mit einer Leidenschaft, die den Todesschatten durch das Licht des Glücks verjagte. Anschließend kamen physische Erschöpfung und der Schlaf …

 

Als Wynn erwachte, wusste sie sofort, wo sie sich befand. Selbst während des Schlafs war die mentale Verbindung mit Zar nicht verschwunden, verblasste nur, bis sie zu einem angenehmen Glühen in einer Ecke ihres Bewusstseins wurde. Sie gähnte und streckte beide Arme hoch über den Kopf – um sie sofort wieder unter die Decke zu schieben. Niemand von ihnen hatte daran gedacht, die Vorhänge des Bettes zuzuziehen; das Feuer im Kamin war erloschen, und Kälte kroch durchs Zimmer.

Doch neben dem Sovren fand die Hohepriesterin Wärme. Sie lächelte und rollte sich herum.

Zar lag mit verschränkten Armen auf der Seite, atmete ruhig und gleichmäßig. Wynn musterte ihn und dachte dabei an Nahral. Sie erinnerte sich daran, dass er im Schlaf jünger gewirkt hatte, doch bei Zar gab es keine derartigen Unterschiede: Auch jetzt runzelte er andeutungsweise die Stirn, als konzentriere er sich auf ein Problem.

Sie überlegte, wie spät es sein mochte – helles Sonnenlicht filterte durchs Fenster. Vage entsann sie sich daran, kurz vor dem Einschlafen das erste Grau des Morgens gesehen zu haben. Es muss fast Mittag sein, fuhr es ihr durch den Sinn, und ein leichter Schock ging mit der Erkenntnis einher, dass sie den Mann neben ihr noch nicht einmal seit einem vollen Tag kannte.

Erinnerungsbilder zogen an ihrem inneren Auge vorbei: die Entführung, der eine erste Begegnung mit dem Sovren folgte, das Handbinden-Ritual … Benommenheit erfasste Wynn. Es ist so, als sei ich durch das Zeit-Tor gesprungen, von dem er mir erzählt hat – ein Schritt, der viele Jahre verstreichen lässt.

Wynn dachte an eine Welt – an ein Universum –, deren Bewohner im Innern von großen Raum-Wagen zwischen den Sternen reisten. Das seltsame Bild im Arbeitszimmer des Sovren zeigte einen solchen Raum-Wagen, der Enterprise hieß. Zar hatte ihr folgendes erzählt: Die Enterprise konnte so schnell sein, dass sie den ganzen Planeten (ein sonderbarer Ausdruck für die Welt; und außerdem soll sie rund sein!) in weniger als einem Augenblick umkreiste. Nun, Zar war ihr Gemahl, und die Sprache der Gedanken kannte keine Lügen; er sagte also die Wahrheit. Doch es fiel Wynn schwer, ihm zu glauben.

Er erzitterte kurz und entspannte sich mit einem Geräusch, das nicht ganz einem Schnarchen gleichkam. Durch das zerzauste schwarze Haar sah Wynn die Spitze eines Ohrs. Manchmal erscheint er so fremdartig und anders. Doch in der vergangenen Nacht waren wir wirklich eins, in Körper und Seele. Die Erinnerung daran weckte neuerliches Verlangen.

Vorsichtig hob sie eine Hand, bis nur noch ein Zentimeter ihre Fingerspitzen von Zars Schulter trennte. Sie fühlte die Wärme seines Leibs, ohne ihn zu berühren, eine fiebrige Hitze, normal für ihn.

Was wird heute geschehen?, überlegte sie. Bricht er auf, um zu versuchen, den Gott der Zeit zu heilen, den Wächter? Und wenn er mich verlässt – kehrt er jemals zurück? Sollte ich mir überhaupt wünschen, ihn wiederzusehen, obgleich die Rückkehr den Tod für ihn bedeuten könnte?

Die schreckliche Vision, von Ashmara geschickt … Wynn erschauerte und kämpfte gegen Tränen an. Bitte beschütz ihn, Göttin. Bestimmt hast Du uns aus einem bestimmten Grund zusammengebracht. Wenn ich doch nur sicher sein könnte, dass die Eindrücke von gestern Abend eine echte Vision waren! Dass Zar überlebt, wenn er Spock und die anderen begleitet!

Ließ sich daraus der Schluss ziehen, dass dem Sovren nur dann keine Gefahr drohte, wenn er in der Zeit seines Vaters blieb? Vielleicht sollte ich ihn dazu überreden, auf Spocks Wünsche einzugehen und nicht zurückzukehren. Doch ihn für immer aufzugeben …

In Wynn verkrampfte sich etwas. Ich muss stark sein. Ashmara teilte mir mit, dass Zar sicher ist, wenn er bei seinem Vater bleibt. Meine Pflicht besteht also darin, ihm einen entsprechenden Rat zu geben.

Zar erwachte – als sei Wynns Entscheidung ein Signal für ihn. Einige Sekunden lang starrte er sie verwirrt an, noch mit dem Schatten des Schlafs in den Augen; dann lächelte er und strich ihr sanft übers Haar. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die förmliche Begrüßung eines Gesandten scheint nicht angebracht zu sein.«

Wynn lachte. »Verzichten wir also auf Förmlichkeiten. Guten Morgen, Gemahl. Vorausgesetzt, es ist noch Morgen, was ich bezweifle.«

Zar erwiderte den Gruß und fügte hinzu: »Gut geschlafen?«

»Mir blieb gar nichts anderes übrig«, antwortete Wynn, ohne die Miene zu verziehen. »Du hast mich völlig erschöpft.«

Der Sovren stützte den Kopf auf die eine Hand, und seine Brauen verschwanden unterm Haar. »Ich habe dich erschöpft? Und ich dachte, Ashmara hält nichts von Lügnern.«

»So hat es James Kirk von mir gehört.« Wynn lächelte und streckte sich, glaubte dabei zu spüren, wie Zars Blick über ihren Leib glitt – ein angenehmes Gefühl. »Begleitest du sie heute in die Zeit, aus der sie kommen?«

»Wenn überhaupt. Ich habe mich noch nicht entschieden.«

»Du solltest mit ihnen aufbrechen. Du musst

»Ein Telepath – so nennt man Leute wie dich und mich in der Epoche meines Vaters – ist bereits verletzt worden und ringt mit dem Tod. Wenn ich dich verlasse, kann ich vielleicht nie zurückkehren.«

Wynn atmete tief durch, und Schmerz stach in ihr. Doch sie schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen. »Dann regiere ich allein über Neu-Araen, wozu ich durchaus in der Lage bin.« Sie sah auf ihren Bauch. »Mit etwas Glück wird unsere Tochter – oder unser Sohn – meine Nachfolge antreten.«

Zar erstarrte förmlich, und Wynn spürte sein Erschrecken durch die mentale Verbindung, obwohl sie sich nicht berührten. »Unser Kind? Ist das möglich?«

Sie warf ihm einen gespielt ungläubigen Blick zu. »Hast du es schon vergessen? Das betrübt mich.«

Der Sovren richtete sich ruckartig auf. Sein Gesicht wirkte nun steinern, und die Lippen formten einen dünnen Strich. »Ich meine … Ist es die richtige Zeit für dich?«

Wynn musterte ihn besorgt. Stimmt etwas nicht? »Ja«, bestätigte sie. »Und ich habe keine Kräuter genommen, um die Empfängnis zu verhüten. Vielleicht beschließt Ashmara, mich mit einem Kind zu segnen.« Sie setzte sich ebenfalls auf und zog die Decke über eine Schulter. Das Haar umwogte sie wie ein dichter Schleier. »Warum bist du so entsetzt, Zar?«

Sie fühlte die in ihm brodelnde Furcht, noch bevor sie eine Hand ausstreckte und ihm auf den Arm legte. Durch den physischen Kontakt nahm sie sein Empfinden so deutlich und intensiv wahr, dass sie unwillkürlich nach Luft schnappte. »Wovor hast du Angst? Bitte sag es mir!«

Er schluckte und versuchte mühsam, sich wieder zu fassen. »Araen …«, brachte er dumpf hervor. »Ich dachte daran, wie sie starb …«

Wynn schüttelte den Kopf. »Gestern Abend habe ich sie in deinen Erinnerungen gesehen: Sie war feingliedrig und zart, klein und nicht sehr kräftig, oder?«

Zar nickte. »Sie reichte mir kaum bis zur Brust.«

»Und es handelte sich um ihre erste Schwangerschaft?«

Ein neuerliches Nicken, während der Sovren ins Leere starrte.

»Sieh mich an, Liebster.« Wynns Fingerkuppen wanderten über sein Kinn. »Die Frauen meines Volkes sind größer und stabiler gebaut. Ich bin selbst für eine Danreg ziemlich groß und nicht kleiner als Cletas oder McCoy. Und niemand kann mich als zart bezeichnen. Ich habe bereits ein gesundes Kind zur Welt gebracht – die Wehen dauerten nicht länger als einen halben Tag. Vertrau mir als Heilerin und Hebamme: Mit solchen Dingen kenne ich mich aus. Ich verstehe den Grund für deine Furcht, doch ich teile sie nicht. Die Risiken sind völlig unbedeutend im Vergleich mit der Freude, die mir unser Kind schenken wird.«

»Aber …«, begann Zar, unterbrach sich dann und zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hast du recht.«

Trotzdem: Wynn war sicher, dass sie ihn nicht überzeugt hatte. Sie fragte sich, ob sie noch einen Versuch unternehmen sollte, den Sovren zu beruhigen, entschied sich aber dagegen. Er wird selbst sehen, dass keine Probleme entstehen.

Sie musterte ihn im matten Licht und dachte daran, wie sich sein hagerer Körper angefühlt hatte, die Narben … Nur wenige Krieger überlebten lange genug, um so viele Narben zu sammeln.

Wynn zögerte kurz, bevor sie seine rechte Schulter berührte, mit dem Zeigefinger über die Haut strich und harte Sehnen darunter ertastete. Sie betrachtete eine ganz bestimmte Narbe. »Wie hast du diese hier bekommen?«

Zar blickte an sich herab und wölbte eine Braue. »Offenbar hat mich dort jemand gebissen«, erwiderte er mit trockenem Humor. »Vielleicht in der vergangenen Nacht?«

Wynn unterdrückte ein Schmunzeln, und in ihren Augen funkelte scheinbare Empörung. »Nein, ich meine diese Narbe

»Der Speer eines Geächteten. Er überzeugte mich davon, dass ich unbedingt Kettenhemden erfinden musste.« Als er die Verwirrung seiner Gemahlin bemerkte, fügte er eine Erklärung hinzu: »Schutzkleidung aus kleinen Stahlteilen – das Metall, aus dem auch mein Schwert besteht. Kettenhemden sind wesentlich widerstandsfähiger als dickes Leder und werden nicht so leicht von Bronzeklingen durchdrungen.«

Wynns Gedanken rasten plötzlich. »Hast du noch mehr von jenem Metall? Es könnte unseren Truppen einen erheblichen Vorteil geben.«

»Ich bin in der Lage, etwa zweihundert Danreg-Krieger mit stählernen Schwertern auszurüsten«, sagte Zar. »Außerdem dreihundert weitere mit Speerspitzen aus Stahl. Mehr leider nicht. Schon seit Monaten arbeiten die Schmiede von Neu-Araen Tag und Nacht, um genug Rüstungen und Waffen für meine eigenen Soldaten herzustellen.«

»Auch wir haben Schmiede«, warf Wynn ein. »Vielleicht können sie den Umgang mit dem neuen Metall lernen.«

»Wenn wir die Schlacht überstehen, zeige ich es ihnen gern«, entgegnete Zar. »Wann findet der Angriff statt?«

»Sobald das Hochwasser des Rotufer weit genug zurückgegangen ist, um dem Gegner zu gestatten, mit seinen Streitwagen den Fluss zu überqueren. Morgen oder übermorgen, nicht später.«

»Das stimmt mit den Berichten meiner Spione und Späher überein«, erwiderte Zar. »Ich möchte dem Feind auf der Moortor-Ebene gegenübertreten. Um meinen Schlachtplan zu verwirklichen, brauche ich genug Platz.«

Wynn schüttelte mit gutmütigem Spott den Kopf, bevor sie sich an den Sovren schmiegte. »Taktik, Schlachtpläne … Sind das die richtigen Themen für ein Ehepaar, das am Morgen nach dem Handbinden-Ritual im Bett liegt?«

Zar lächelte das für ihn typische schiefe Lächeln, strich seiner Frau einige Strähnen aus der Stirn und hauchte ihr einen Kuss auf den Nacken. »Gestern um diese Zeit habe ich dir den Vorschlag unterbreitet, mich zu heiraten. Warum bist du damit einverstanden gewesen?«

Wynns Wange ruhte an der Brust des Mannes. »Keine Ahnung … Eins steht fest: An deinem Aussehen lag es bestimmt nicht.«

Sie spürte, wie er etwas schneller atmete – ein lautloses Lachen. »Um ganz ehrlich zu sein: Es lässt sich kaum in Worte fassen«, fuhr sie fort. »Als wir uns in deinem Arbeitszimmer begegneten, wusste ich sofort, dass uns etwas verbindet. Wie zwei Stücke, die aus dem gleichen Fell geschnitten sind: unterschiedlich zwar in der Form, aber aus dem gleichen Material. Zuerst sträubte ich mich gegen diese Erkenntnis, aber schließlich hatte ich keine andere Wahl, als sie zu akzeptieren.«

Zar schlang einen Arm um sie. »Ich weiß. Mir wurde es klar, als dein Vater dir den Stoß gab und uns zum ersten Kuss herausforderte.«

»Ich war wütend auf ihn.« Wynn lächelte, als sie sich erinnerte.

»Das habe ich gespürt.«

»Wirst du deinem Vater helfen, Zar?«

Er seufzte tief und drückte sie etwas fester an sich. »Ja. Ich schätze, mir bleibt nichts anderes übrig.«

»Es freut mich, dass du diese Entscheidung getroffen hast.«

Wynn schloss die Augen und dachte daran, dass sie bald – viel zu bald – aufstehen mussten, dass es nicht mehr lange dauerte, bis ihr Gemahl mit einer Reise durch die Zeit begann. Vielleicht sehe ich ihn nie wieder. Sie versuchte, derartige Gedanken zu verdrängen, konzentrierte sich darauf, Zars warme Haut zu fühlen, sein schwarzes Haar an ihrer Wange. Sie gab sich ganz dem Augenblick hin, und es wäre ihr fast – fast – gelungen, sich davon zu überzeugen, dass diese Sekunden ewig währten.

 

Zar saß am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und blätterte in Unterlagen, als Cletas hereinkam und salutierte. »Hier sind die letzten Berichte unserer Späher, Euer Gnaden.«

»Gut. Ich habe ein Treffen aller Kommandeure angeordnet. Die Besprechung findet in zwei Stunden statt; Truppenführer Madon, Heldeon, Lady Wynn und die übrigen Danreg-Offiziere nehmen ebenfalls daran teil.« Er griff nach den Pergamentrollen und las. »Hm. Heute lässt sich der Rotufer also nicht überqueren … Wie haben Rorgan und Laol auf die Nachricht reagiert, dass sich Heldeon mit uns verbündet hat?«

Der Zweite Kriegskommandeur lächelte. »Wie erwartet. Sie stritten sich bis spät in die Nacht.«

»Ausgezeichnet. Wenn sie mit sich selbst beschäftigt sind, können sie nicht für die Schlacht planen. Was ist mit den Katapulten?«

»Zwei sind in Stellung gebracht. Jeweils zwei weitere folgen heute Nachmittag und am Abend.«

»Und das Gelände?«

»Der Boden trocknet rasch. In einigen Stunden beginnt die Reiterei mit Übungsmanövern.«

Zar atmete zischend. »Dann sind wir so gut vorbereitet, wie es möglich ist. Bitte sorge dafür, dass die restlichen Stahlwaffen an Lady Wynns Truppen verteilt werden. Sie wählt die betreffenden Soldaten selbst aus.«

»Ja, Herr.« Cletas zögerte. »Übrigens: Ich habe die Lady heute noch nicht gesehen. Heldeon hat heute morgen ihre Zofen geschickt, aber sie fanden die Hohepriesterin nicht in ihrem Quartier. Äh, weißt du, wo sie sich aufhält?«

Der Sovren hob den Kopf und erinnerte sich daran, wer die Tür des Nebenzimmers entriegelt hatte. »Sie nimmt ein Bad«, erwiderte er ruhig. »In meiner Kammer.«

»Ich … verstehe«, sagte Cletas in einem neutralen Tonfall.

Zar wölbte eine Braue. »Du verstehst was?«

»Nichts, Euer Gnaden«, erwiderte der Zweite Kriegskommandeur hastig. »Es war nur eine … Redewendung.«

Ein Klopfen an der Tür bewahrte Cletas vor noch mehr Verlegenheit. Zar warf ihm einen Du-hast-noch-einmal-Glück-gehabt-Blick zu. »Ich nehme an, das sind Zaylenz, Yarlev, Ingev, Reydel und Trebor Damas«, sagte er. »Ich habe sie gebeten, vor der Besprechung zu mir zu kommen – um euch allen etwas Wichtiges mitzuteilen.«

 

Doktor McCoy lächelte begeistert. »Du kommst mit! Das ist großartig! Ich wusste, dass du Vernunft annehmen würdest … Warte nur, bis ich Jim und Spock davon erzähle.«

Zar hob die Hand. »Nicht so hastig, Leonard. Nach der Besprechung mit den Danreg-Offizieren begleite ich Sie und versuche, einen Kontakt zum Wächter herzustellen. Doch anschließend kehre ich zurück, um meine Truppen in die Schlacht zu führen.«

McCoy hatte das Gefühl, als bohre sich ihm eine Faust in die Magengrube. Er blinzelte mehrmals, und einige Sekunden lang fehlten ihm die Worte. »Warum?«, brachte er schließlich hervor. »Du weißt, was geschehen wird …«

»Ja«, erwiderte der Sovren ernst. »Aber gerade weil ich es weiß, kann ich es vielleicht verhindern. Wynn hält das für möglich.«

»Soll das heißen, du verlässt dich auf den abergläubischen Hokuspokus einer Barbaren-Priesterin?«, fragte McCoy scharf. »Himmel, es geht hier um dein Leben

Im Sonnenschein waren Zars graue Augen fast farblos. »Ich muss hierher zurückkehren. Und vergessen Sie nicht, dass Sie von meiner Frau sprechen, Leonard.«

»Verdammt, du bist genauso stur wie dein Vater!«, ereiferte sich der Arzt und schlug auf den Tisch. »Was hält dich hier? Oder leidest du an einem Märtyrer-Komplex?«

Zar presste die Lippen zusammen. »Was mich hier hält … Deshalb wollte ich zuerst mit Ihnen reden, Doktor. Ich brauche Ihre Hilfe. Bitte

McCoy holte tief Luft und ließ den Atem langsam entweichen. »Na schön«, schnaufte er. »Um was geht's?«

»Ich möchte, dass Sie mich sterilisieren, während ich an Bord der Enterprise bin.«

»Ich soll dich sterilisieren?«, wiederholte McCoy verblüfft. Einige Sekunden lang dachte er an Nomad, jenen sonderbaren kleinen Roboter, der das Leben eines ganzen Sonnensystems ausgelöscht hatte – weil seine Programmierung von ihm verlangte zu ›sterilisieren‹. Fast hätte er uns alle umgebracht. »Wie meinst du das?«

»Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?« Ganz offensichtlich stand Zar dicht davor, die Beherrschung zu verlieren. »Ich bekam nie Gelegenheit, die vulkanische Bio-Kontrolle zu erlernen. Deshalb wende ich mich an Sie: Nehmen Sie mir bitte die Möglichkeit, Kinder zu zeugen. Verstehen Sie jetzt?«

»Schon gut, schon gut, ich verstehe, was du von mir willst. Aber warum?«

Der Sovren mied den Blick des Arztes. »Ich mache mir Sorgen um Wynn.«

McCoy lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und hob beide Brauen. »Oho. Jetzt wird mir die Sache langsam klar. Soviel zu einer Ehe, die nur politischen Zwecken dient.«

»Außerdem möchte ich Sie noch bitten, Wynn mit Ihrem Tricorder zu untersuchen.« Zars Gesicht war nun völlig ausdruckslos. »Und ihr falls nötig etwas zu geben.«

»Zum Beispiel?«

»Ein empfängnisverhütendes Mittel, verdammt!« Die Stimme des Sovren vibrierte. »Das ist unbedingt notwendig!«

Der Arzt versteifte sich. »Von wegen. Du hast das Recht, über deinen Körper zu entscheiden, und das gilt auch für Wynn. Nun, vermutlich bist du aus gutem Grund besorgt, oder?«

Zar nickte wortlos.

»Wie denkt deine Frau darüber? Möchte sie ein Kind?«

»Ja. Und sie kann eins bekommen, auch mehrere – aber nicht von mir. Sie muss sich jemand anders suchen, der … Ich meine, mit mir stimmt etwas nicht. In genetischer Hinsicht.«

»Als ich dich vor zwanzig Jahren untersucht habe, war mit dir alles in bester Ordnung.«

»Vielleicht unterlief Ihnen ein Fehler. Araen …« Zar schluckte und rang mit sich selbst. »Araen starb bei der Geburt unserer Tochter.«

»Das dachte ich mir.«

»Und das Kind ebenfalls. Es lebte nur für einige Stunden. Wahrscheinlich ist meine gemischte Herkunft die Ursache. Es gibt einen genetischen Defekt …«

»Nein, das bezweifle ich aus mehreren Gründen«, widersprach McCoy sanft. »Zunächst einmal: Hatte Araen eine normale Schwangerschaft?«

»Ich glaube schon. Soweit ich das feststellen konnte – ich hörte den Hebammen zu und las die mitgebrachten Medo-Texte … Aber Araen war nie sehr kräftig. Ihr Vater meinte, sie sei immer zart und eher schwach gewesen. Doch sie strahlte eine solche Lebensfreude aus, dass man es ihr nicht anmerkte.«

»Und die Niederkunft?«

»Die Wehen dauerten zwei Tage«, antwortete Zar leise und rau. »Als sie begannen, fühlte ich mich elend und wusste plötzlich …« Er holte tief Luft und räusperte sich. »Die Hebammen versuchten alles, aber Araen weitete sich nur um einige Zentimeter. Als sie ins Koma fiel, wurde mir klar, dass sie in jedem Fall sterben würde. Daraufhin beschloss ich etwas, das Araen schon Stunden vorher von mir verlangt hatte: Ich nahm mein Messer und führte einen Kaiserschnitt durch. Es … es war schwer, tief genug zu schneiden, wenigstens zuerst. Zwar hatte ich im Kampf viel Blut gesehen, aber …«

»Ich verstehe«, sagte McCoy voller Mitgefühl. Er glaubte zu spüren, wie etwas sein Herz zerquetschte. »Wieso fühlst du dich schuldig? Wies das Kind Missbildungen auf?«

Zar stützte den Kopf mit beiden Händen ab und sah ins Nichts. »Nein. Rein äußerlich war mit dem Mädchen alles in Ordnung. Aber es atmete nicht richtig.«

»Eine Frühgeburt?«

»Nein. Die Hebammen meinten, das Kind sei groß genug gewesen.«

»Nun … Unter diesen Umständen bin ich natürlich kaum zu einer genauen Diagnose imstande, aber vielleicht war das Kind zu groß für den Geburtskanal. Mit solchen Problemen bekommen es häufig kleine und zart gebaute Frauen zu tun. Und nach den langen Wehen hatte das Neugeborene einfach nicht genug Kraft, um zu überleben.«

Zar musterte den Arzt sprachlos.

»Hörst du mir zu?« McCoy fing den Blick des Sovren ein. »Ich habe etwas herausgefunden, von dem ich bisher nichts wusste: Mit ziemlicher Sicherheit stammen die Sarpeiden von den gleichen Ahnen ab wie die Vulkanier und Rigelianer.« Mit einigen knappen Worten beschrieb er Spocks Theorie.

Zar wirkte nachdenklich. »Das erklärt viele Dinge, die mir seit unserer ersten Begegnung seltsam erschienen. Damals war es eine große Überraschung für mich, als ich feststellte, dass Menschen rotes Blut haben. Ich kannte nur grünes …«

»Viel wichtiger ist folgendes«, sagte McCoy. »Nichts hindert dich und Wynn daran, gesunde Söhne oder Töchter zu bekommen. Was mit Araen geschehen ist, geht nicht auf irgendeinen Defekt in deinen Chromosomen zurück. Es war eine Tragödie, ja, aber es gibt keinen Schuldigen. Wenn du möchtest, nehme ich an Bord der Enterprise eine vollständige genetische Analyse vor, doch ich weiß schon jetzt, wie ihr Ergebnis aussehen wird.« Grimmig fügte er hinzu: »Ich bin auch bereit, dich zu sterilisieren, falls du dann immer noch darauf bestehst. Eine Injektion genügt.«

»Und Wynn? Vielleicht habe ich sie schon …«

»Geschwängert? Nun, wenn das der Fall ist und sie das Kind möchte, so solltest du dich damit abfinden. Wie ich bereits sagte: Sie hat ein Recht darauf, selbst zu entscheiden. Aber meiner Ansicht nach brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie ist kräftig und gesund – das habe ich vor der Immunisierungsbehandlung festgestellt.« McCoy lächelte beruhigend.

Zar nickte, obgleich noch immer Zweifel in ihm verharrten. »Danke, Leonard.«

»Nichts zu danken.« Der Arzt stand auf. »Ich teile Kirk und Spock mit, dass ein krankes Zeit-Tor auf uns wartet.«

 

James T. Kirk betrat den Salon, und dort sah er Spock: Der Vulkanier hatte die Hände auf den Rücken gelegt und blickte aus dem Fenster. »Ich habe gerade mit Pille gesprochen. Zar ist bereit, uns zu begleiten und zu versuchen, einen Kontakt mit dem Wächter herzustellen.«

Spock drehte sich um, und das rötliche Licht der untergehenden Sonne verlieh seinen Zügen etwas Dämonisches. »Hat Dr. McCoy auch erwähnt, ob mein Sohn bei uns bleiben wird?«

Kirk zögerte kurz. »Zar will vor der Schlacht nach Neu-Araen zurückkehren. Er hält mit unerschütterlicher Entschlossenheit an dieser Entscheidung fest.«

Spock wandte den Blick vom Admiral ab und presste die Lippen zusammen. »Sein gutes Recht.«

Kirk nickte. »Aber vielleicht gelingt es uns trotzdem, ihn umzustimmen. Wenn wir ihn dazu überreden können, einige Tage an Bord der Enterprise zu verbringen … Sie erinnern sich bestimmt daran, wie sehr ihm das Schiff gefiel.«

»Ja. Aber ich kenne auch Zars ausgeprägte Sturheit.«

Kirk räusperte sich. »Nun, wie heißt es so schön? ›Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.‹« Als der Vulkanier eine Braue hob, fügte er hinzu: »Vielleicht hat er diese Eigenschaft geerbt.«

»Wollen Sie damit andeuten, dass ich stur bin, Jim?«

»Nun, äh, ja«, räumte der Admiral ein und fuhr hastig fort: »Manchmal ist Sturheit durchaus nützlich. Mir hat sie mehr als nur einmal das Leben gerettet.«

In den Mundwinkeln des Vulkaniers zuckte es kurz. »Sie haben recht. Ich bin stur. Und Sie auch.«

»Wer, ich?« Kirk trug eine Unschuldsmiene zur Schau. Doch dann gab er nach und lachte leise. »Nun, mag sein.«

Sie standen nebeneinander und beobachteten, wie die große scharlachrote Scheibe von Beta Niobe dem Gipfel des Großen Weißen entgegensank. »Pille befürchtet, Zar könnte sich zuviel zumuten … Er versucht, seine Heimat vor einer Katastrophe zu bewahren, und dadurch ist er erheblichem Stress ausgesetzt. Und jetzt bitten wir ihn auch noch, das Problem des Wächters für uns zu lösen. Wenn er unter diesen Belastungen ganz zusammenbricht …«

»Ich teile Ihre Besorgnis«, erwiderte Spock. »Und ich denke dabei auch daran, was mit D'berahan geschah. Er wird sich einer nicht unerheblichen Gefahr aussetzen.«

»Ja.«

»Andererseits: Es ist unsere Pflicht, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die korrekte Funktion des Zeit-Tors wiederherzustellen«, sagte Spock ernst. »Zar hat sich dazu bereit erklärt, einen entsprechenden Versuch zu unternehmen, und deshalb müssen wir ihm Gelegenheit dazu geben.«

»Das stimmt vermutlich«, antwortete Kirk widerstrebend. Ihm fiel etwas ein. »Spock … Haben Sie jemals darüber nachgedacht, ob es richtig war, dass Sie Zar damals besuchten?«

Der Vulkanier wölbte überrascht eine Braue, und Jim schüttelte sofort den Kopf. »Nein, so meine ich das nicht. Natürlich war es richtig. Zar musste allein in einer Eiswüste zurechtkommen, ohne die Chance, ein normales Leben zu führen. Aber nehmen wir einmal an, er hätte ein normales Leben geführt. Sie wissen schon: Schule, Arbeit, Freunde, Verwandte …«

Kirk starrte aus dem Fenster und sah, wie Finger der Dunkelheit über die Berghänge tasteten. »Halten Sie es in einem solchen Fall für … fair, dass sich ein Vater mit seinem erwachsenen Sohn in Verbindung setzt? Mit jemandem, dem er einige Male begegnet ist, ohne dabei die eigene Identität preiszugeben.«

Der Admiral spürte Spocks nachdenklichen Blick auf sich ruhen, aber er wandte sich nicht vom Fenster ab – dazu fehlte ihm plötzlich die Kraft.

»Ich weiß es nicht, Jim«, sagte der Vulkanier nach einer Weile.

»Ich ebenso wenig«, flüsterte Kirk.

Kurz darauf fühlte er, wie ihn Spock an der Schulter berührte. »Jim … Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Der Admiral atmete tief durch, drehte sich um und straffte die Gestalt. »Nein, ich glaube nicht. Ich schlage vor, wir gehen jetzt zu Zar und machen uns mit ihm auf den Weg.«

Offenbar endete die Besprechung gerade, als Kirk und Spock das Arbeitszimmer des Sovren erreichten. Heldeon und Wynn schritten durch die Tür, begleitet von Truppenführer Madon. Die übrigen Danreg- und Lakreo-Offiziere folgten. Der Admiral und sein vulkanischer Gefährte nickten dem alten Stammesoberhaupt zu, bevor sie eintraten.

McCoy saß bei Zar an dem mit Einlegearbeiten geschmückten Tisch, auf dem taktische Diagramme, Karten und Listen lagen. Spock blieb neben ihm stehen und blickte auf die Schlachtpläne hinab.

»Können wir aufbrechen?«, wandte sich Kirk an den Sovren.

»Sobald ich mich von Wynn verabschiedet habe.« Zar stand auf und verließ den Raum, kehrte schon nach kurzer Zeit mit der Hohepriesterin zurück. Der Admiral beobachtete sie neugierig. Zar und Wynn sahen sich nicht einmal an, als sie hereinkamen, aber zwischen ihnen herrschte nun eine andere Atmosphäre.

Interessant, dachte Kirk. Ich glaube, es handelt sich jetzt nicht mehr um eine Ehe, die nur auf dem Papier – beziehungsweise Pergament – existiert. Dadurch wird alles komplizierter. Über Spocks Kopf hinweg warf Kirk dem Arzt einen fragenden Blick zu, und McCoy erriet seine Gedanken, nickte stumm.

»Beginnst du jetzt mit deiner Reise durch die Zeit?«, erkundigte sich Wynn leise.

»In einigen Minuten«, sagte Zar.

»Kann ich dabei zusehen?«

Der Sovren schüttelte den Kopf. »Das halte ich für keine gute Idee. Auf den Wächter ist kein Verlass mehr. Du könntest mit uns in die Zukunft gerissen werden.«

Die Hohepriesterin schob das Kinn vor. »Na schön.« Sie zögerte und fuhr mit sorgfältig kontrollierter Stimme fort: »Ich habe gehofft, dass mir Ashmara Aufschluss darüber gibt, ob du zurückkehren oder bei deinem Vater bleiben solltest, Gemahl. Aber Sie schweigt, und daher weiß ich leider nicht, was besser für dich ist. Du musst selbst entscheiden.«

»Sei unbesorgt«, erwiderte Zar sanft. »Wir sehen uns wieder.« Er streckte die Hand aus, um ihre Wange zu berühren. Wynn drehte den Kopf und hauchte ihm einen Kuss auf die Finger.

»Ja«, murmelte sie. Dann ging sie mit hoch erhobenem Haupt fort.

Zar sah ihr nach, bis der Wächter die Tür schloss. »Also gut«, sagte er zu Kirk. »Worauf warten wir noch?«

Der Admiral blickte zu seinem früheren Ersten Offizier, dessen Aufmerksamkeit noch immer den Schlachtplänen galt. Er räusperte sich demonstrativ, und als keine Reaktion erfolgte, stieß er die Stiefelspitze ans Stuhlbein. »Spock?«

Der Vulkanier hob den Kopf. »Ja, Jim?«

»Es wird Zeit. Wir müssen ein Universum retten.«