Nachwort

In diesem zweiten Band der Tankred-Saga dreht sich alles um die Belagerung der in Asselt verschanzten Dänen, die in den Monaten zuvor plündernd durch das Land an Maas, Rhein und Mosel gezogen waren. Zum Abschluss will ich auch diesmal wieder auf die Frage eingehen, wo die Fakten enden und wo die Fiktion beginnt.

Über die besagte Festung ist kaum etwas bekannt. Lange war umstritten, auf welchen Ort sich der überlieferte Name überhaupt bezog (Ascloha in den Fortsetzungen der Fuldaer Annalen, Haslon in der Chronik Reginos von Prüm, in anderen Abschriften dieser Chronik auch Ahslon , Haslou , Aslon oder Haslion , in weiteren Quellen Haslao , Haslâc oder Escelun , in einer Urkunde Karls des Dicken Asloha ). Noch heute liest man bisweilen, es handele sich um das vierzig Kilometer maasaufwärts von Asselt gelegene Elsloo. Inzwischen spricht aber alles für das heutige Dorf Asselt nördlich von Roermond. Wahrscheinlich befand sich dort eine befestigte karolingische Hofanlage. Ausgrabungen deuten darauf hin, dass an dieser Stelle nachträglich ein Schiffsanleger gebaut wurde. Diese Befunde passen zu den Aussagen der schriftlichen Quellen: Die Dänen fanden hier im November 881 eine Festung vor und verstärkten sie, um im Land zu überwintern, wie sie das in den Jahren zuvor in Gent und Nijmegen getan hatten. Hier wurden sie im Sommer 882 vom Heer Karls des Dicken belagert. Weiteren archäologischen Erkenntnissen steht der Umstand im Weg, dass die Maas im 9. Jahrhundert wahrscheinlich einen anderen Verlauf hatte als heute und ein Teil der Anlage schon vor langer Zeit weggespült wurde. Die Karte hier im Buch zeigt einen vereinfachten Flussverlauf, der zur Handlung des Romans passt; außerdem wurde die Maas dort etwas breiter dargestellt, als der Maßstab der Karte das eigentlich verlangen würde, um die Details wie die Inselfestung und die Dämme besser erkennbar zu machen.

Im Roman habe ich die besagte Befestigung auf eine Insel verlegt, was den Dänen sicher sehr gut gefallen hätte. Die Dauer der Belagerung – nach den Quellen zwölf Tage – musste ich um ein paar Wochen verlängern, um Tankred genügend Zeit für sein gewagtes Bauprojekt zu verschaffen.

Mit einer ausreichenden Anzahl an Arbeitskräften hätte man einen solchen Damm auch damals durchaus bauen können, allerdings ist der Aufwand schwer zu berechnen, weil er von vielen Faktoren abhängt: von der Durchflussmenge, dem Wasserdruck, dem Rückstau, der Größe und der Menge der erforderlichen Steine, den Verfahren zur Abdichtung und der Menge des abzuleitenden Sickerwassers. Aus dem frühen Mittelalter ist zwar kein Beispiel für ein solches Vorhaben überliefert, allerdings werden in späteren Quellen bisweilen Wasserbauarbeiten im Rahmen von Belagerungen erwähnt. In der Regel wurden dabei Gräben trockengelegt, manchmal auch Fließgewässer aufgestaut, um Städte unter Wasser zu setzen. Warum sollte nicht auch Tankred ein solches Projekt realisiert haben?

Das Hagelunwetter, in das die Angreifer beim Sturm auf die Festung geraten, hat tatsächlich stattgefunden. Welche Gründe es allerdings waren, die den Kaiser dazu bewogen, die Belagerung abzubrechen und den Normannen Geld für ihren Abzug anzubieten, ist umstritten. Die Entscheidung löste im Heer Enttäuschung und Wut aus. Eine in Mainz entstandene Version der Fuldaer Annalen behauptet, Liutward von Vercelli sei bestochen worden und habe den Kaiser zu diesem Schritt gedrängt, allerdings bestand die Intention des Schreibers eher darin, Liutward zu verleumden. Eine zweite, wahrscheinlich in Regensburg geschriebene Version spricht von einer Seuche im Heer. Andere Quellen schweigen ganz über die Gründe. Die Annalen von St. Bertin behaupten, dem Kaiser sei «das Herz gesunken». Die Summe, die tatsächlich an die Dänen gezahlt wurde, wird nicht in allen Quellen gleich angegeben, aber alle Angaben liegen in der Größenordnung der im Roman ausgezahlten 2000 Pfund Silber und 400 Pfund Gold, die vor allem aus dem Kirchenschatz des vakanten Bistums Metz genommen wurden. Allein das Silber hätte in ausgemünzter Form dem Gegenwert von etwa 15000 Schweinen oder 2500 Landarbeiter-Jahreslöhnen entsprochen.

Die politischen Verhältnisse werden von Liutward im Gespräch mit Tankred auf dem Kirchturm von Roermond zutreffend dargestellt: Karl der Dicke, an dessen Regierungsfähigkeit wegen seiner Epilepsie immer wieder Zweifel laut wurden, hatte keinen legitimen Erben. Nachdem er 885 auch in Westfranken den Thron bestiegen hatte, war damit das alte Karolingerreich ein letztes Mal unter einem Kaiser vereint. Zwei Jahre später zwang Arnulf von Kärnten ihn zum Thronverzicht und trat selbst die Herrschaft in Ostfranken an, während die anderen Teilreiche andere Wege gingen. Liutward von Vercelli, der ein halbes Jahr zuvor durch eine Intrige entmachtet worden war (angeblich verstand er sich ein bisschen zu gut mit der Kaiserin), hatte sich rechtzeitig auf Arnulfs Seite geschlagen, erreichte aber keine einflussreiche Position mehr am Hof. Der im Roman von Tankred prognostizierte Ausgang des Kampfes um die Nachfolge Karls des Dicken sollte sich also bewahrheiten.

Den von den Lütticher Bischöfen durchgefütterten irischen Gelehrtenzirkel um Sedulius Scotus hat es tatsächlich gegeben. Angeblich stellten die Iren recht dreiste Forderungen, die sie auch erfüllt bekamen. Aus dieser Zeit sind ein paar satirische Gedichte überliefert, die zeigen, dass man sich nicht nur mit spitzfindigen theologischen Fragen befasste. Ansonsten sind die in der Diskussion mit Tankred über die Jungfrauengeburt Mariens wiedergegebenen Argumente nicht so abwegig, wie man meinen könnte. Das waren Fragen, mit denen sich Gelehrte dieser Zeit – von denen es nicht allzu viele gab – ausgiebig und ernsthaft befassten.

Auch mitten im Land aufgestellte Brücken, an denen findige Herren Zölle kassierten, hat es gegeben, jedenfalls wurde diese Praktik mehrfach verboten.

Verdun war zu jener Zeit tatsächlich ein berüchtigter Sklavenmarkt. Sklavenhandel war nicht unumstritten, aber weitverbreitet und wurde geduldet, solange keine Christen an Nichtchristen verkauft wurden. Adlige Herren in den östlichen Grenzregionen fielen immer wieder in die Slawengebiete ein, überfielen Dörfer und verschleppten Frauen und Kinder, die auf Märkten wie eben Verdun von Händlern aus Spanien übernommen wurden und dann in den Palästen und Harems und auf den Plantagen des Emirats (später Kalifats) von Córdoba endeten. Andere wurden über das Mittelmeer verschifft und bis nach Zentralasien verkauft. Selbst der Kastrationsbetrieb ist keine Erfindung von mir. Hätten Tankred und seine Freunde den jungen Osmund nicht im letzten Augenblick aus den Händen der Sklavenhändler befreit, wäre er wohl niemals wieder aufgetaucht. Womit er übrigens das Schicksal der Aufzeichnung von Cassiodors Gotengeschichte geteilt hätte, die die beiden Priester dem als Bären verkleideten Tankred in Asselt vor der Nase wegkauften. Sie ist bis heute verloren. Und doch wird sie sicherlich nicht die letzte Entdeckung sein, über die Tankred auf seinem Weg noch stolpern wird ...