Four Seasons Hotel
Suite 500
M Street NW
Washington, D. C.
13 Uhr
»Ich würde gern noch einmal auf das Thema der Ironie zurückkommen, wenn Sie gestatten«, sagte David Banjax von der New York Times. Er war vor Kurzem aus dem Büro der Zeitung in Newark verstoßen und nach Washington versetzt worden, wo man ihn an der kurzen Leine hielt und ihm lediglich Interviews unter vier Augen mit Presseleuten vom Außenministerium zutraute. »Finden Sie es nicht ironisch, dass Sie jetzt im Zuge eines Staatsbesuchs in diese Stadt kommen, mit ihren Denkmälern, ihren Sehenswürdigkeiten aus Marmor, ihren Statuen, nachdem Sie einmal geschworen hatten, sie zu zerstören?«
»O Mr. Banjax«, erwiderte Ibrahim Zarzi. Sein hübsches Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an und seine dunklen Augen waren voll melancholischer Reue. »Ich fürchte, Sie haben sich von den alten Presseberichten in die Irre führen lassen, die mir Aktivitäten zuschreiben, an denen ich mich niemals beteiligt habe. Jeder hat Feinde. Feinde kämpfen nicht nur mit Bomben, sie verbreiten auch unschöne, unzutreffende Informationen über einen. Genau darum handelt es sich hier.«
Sie befanden sich in einem Zimmer auf Zarzis Etage im Four Seasons, das sie direkt nach der Pressekonferenz aufgesucht hatten. Überall um Banjax bewegten sich Zifferblätter gleichmäßig im Kreis. Sie waren eckig, rund, schwarz, golden, weiß, farbenfroh, subtil, mit Juwelen versehen. Sie waren so schwarz, dass sie den Betrachter sofort an Kommandosoldaten denken ließen oder an eine Verführung im Speisesaal des Ritz. Es war wie ein Museum der Zeit. Es war hypnotisch. Er musste an eine typische Szene in bestimmten Filmen denken, die sich offenbar immer im Schilf oder in einem Weizenfeld abspielte, zwischen Weizendingern (Weizenwedel? Weizenblätter? Weizenbäusche? ), die sich rhythmisch im Wind wiegten. War es nicht die Szene, in der das Mädchen ihrem Liebhaber erst ihr Herz und dann ihren Körper schenkte? Und war es nicht dasselbe, was sich hier abspielte, weil es sein Job war, sich vom Charme dieses Mannes verführen zu lassen, den die Times ohnehin redaktionell unterstützte, und ihm das letzte Wort über seine bunte Vergangenheit zu lassen? Es machte ihn ein wenig krank. In seiner Magengrube machte sich eine gewisse Verunsicherung breit.
Banjax fuhr fort: »Sir, ist es wahr, dass Sie früher als ›der Enthaupter‹ bekannt waren, ein Spitzname, den man Ihnen nach dem beklagenswerten Tod von Richard Millstein gab, der auf Video aufgezeichnet und überall auf der Welt herumgezeigt wurde?«
»Ich bin so froh, dass ich endlich eine Chance bekomme, über diese Tragödie zu sprechen. Nein, tatsächlich trage ich keine Schuld am Tod von Mr. Millstein und war in keiner Weise dafür verantwortlich. Das versichere ich. Das schwöre ich, mit einer Hand auf dem heiligen Koran. Sir, ich freue mich, dass meine Geduld belohnt wird und ich nun endlich meine Tugend und Unschuld in dieser Angelegenheit ein für alle Mal klarstellen kann; Friede sei mit Ihnen.«
Er lächelte und ließ seine Zähne funkeln. Für das Interview hatte er sich umgezogen und trug jetzt eine graue Flanellhose, Gucci-Slipper (ohne Socken), ein weißes Hemd, das bis zur Mitte der Brust geöffnet war und bronzene, wohlgeformte Muskeln unter einem Haarflaum erkennen ließ, sowie eine riesige schwarze, militärische Armbanduhr, die die vielen Goldringe an seinen Fingern zur Geltung brachte. Er war schlank, muskulös für sein Alter und strahlte eine machohafte Vitalität aus. Später vielleicht Polo? Eine Moorhuhnjagd? Vielleicht ein Ritt auf dem Elefanten durch den Dschungel, um einen Tiger zu erlegen? Und wenn das Jeffrey .500 die Großkatze nicht ausschaltete und sie es schaffte, den Dickhäuter zu erklimmen, gab es immer noch die doppelläufige Howdah-Pistole, um dem Tier zwei Kaliber-600-Kugeln ins offene Maul zu jagen und es niederzumähen.
»Mr. Millstein hat sich leider mit Räubern und Dieben eingelassen. In ihrer Abtrünnigkeit haben sie meinen Namen benutzt, um ihren Aktivitäten, die sich um Kidnapping und Lösegeld drehten, einen politischen Nimbus zu verleihen. Sie repräsentierten weder den Moslem von der Straße noch die Gruppen, die man ›Terroristen‹ nennt, sondern schlicht und einfach die allgegenwärtige Gier und Korruption der Menschen, die in unserer Kultur verbreitet ist, leider auch in der Ihren. Das ist tragisch, aber man kann dem nicht entrinnen. Kriege bringen Gauner und Halunken zum Vorschein, Opportunisten. Mr. Millstein hatte das Pech, ihnen zu begegnen. Sie glauben mir doch, nicht wahr?«
Es war schwer, Zarzi irgendetwas nicht zu glauben, weil er mit so viel Überzeugung sprach. Aber Banjax gab sich alle Mühe, Widerstand zu leisten, obwohl die Unruhe in seiner Magengegend wuchs.
»Nun, Sir, das ist natürlich leicht gesagt, und Sie sind sehr überzeugend. Aber irgendeine Art von objektivem Beweis würde …«
»Beweis? Beweis? Was für einen Beweis sollte ich haben? Eine Bescheinigung von einem Lehrer? Vielleicht die Aussage einer Ehefrau? Oder die eines Freundes? Sir, Sie verlangen etwas, das es nicht gibt. Wenn ich es hätte, würde ich es Ihnen geben. Ich habe nur die bescheidene Kraft meiner – oh, und noch etwas.«
Banjax beugte sich vor.
Ticktack, ticktack machten die tausend Uhren, jede in einem Gyroskop, die auf ihrer Umlaufbahn mal dies, mal jenes spiegelten, während sie sich geschmeidig durch die Lichtmuster drehten. Banjax spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete. Eine Welle der Benommenheit überkam ihn, verschwand wieder, kam und verschwand, kam und verschwand ein drittes Mal.
»Natürlich möchte ich Sie bitten, mich nicht damit in Verbindung zu bringen.«
»Natürlich«, brachte Banjax mit Mühe heraus.
Der elegante Mann griff in seine Aktentasche und zog ein Bündel Dokumente hervor.
»Das hier ist der ursprüngliche Bericht über den Vorfall, nicht von den afghanischen Behörden, sondern vom pakistanischen ISI. Er ist natürlich auf Urdu verfasst. Ich bin sicher, Sie werden ihn übersetzen lassen.«
»Ja.«
»Gewisse Elemente innerhalb des ISI hegen Sympathien für revolutionäre Bewegungen in Afghanistan, wie Sie wissen. Daher legen sie großen Wert darauf, genau zu wissen, wer wem was wann angetan hat. Vielleicht leisten sie sogar gewisse Zahlungen. Meine Hoffnung ist es, sie zu bekämpfen und von solchen Aktivitäten abbringen zu können, sobald ich das Amt des Präsidenten innehabe. Aber für den Moment ist der wichtigere Punkt der, dass deren Agenten keinerlei Beweise dafür gefunden haben, dass ich oder revolutionäre Gruppen – terroristische Gruppen, würden Sie wohl sagen – an dieser Tragödie beteiligt waren. Es hat eine Menge Geld gekostet, dies aus ihren Händen durch meine in Ihre wandern zu lassen. Das ist mein Geschenk an den Westen. Es ist etwas, das noch nicht einmal Ihre Central Intelligence Agency zu Augen bekommen hat.«
Er reichte Banjax die Papiere, der sie gierig entgegennahm.
Ah, dachte er, ein Exklusivbericht, ein Knüller.
Er erinnerte sich daran, dass er während seines letzten Versuchs, in Washington bei den großen Namen zu landen, einige davon gehabt hatte. Der Genuss, den es ihm bereitete, war intensiv. Er hob den Blick, um seine nächste brillante Bemerkung zu machen.
Und dann überkam es ihn mit einem Schlag: all diese auf und ab wogenden Armbanduhren, die dichten Duftschwaden des Kölnischwassers, das der Mann aufgetragen hatte, seine Aufrichtigkeit, seine Freundlichkeit, so süßlich und anwidernd. Banjax fühlte sich erst benommen, dann benebelt, dann hilflos.
Er fiel in Ohnmacht.