Achtunddreißigste Woche

Über Nacht waren sie angerollt, Transporter und Wohnwagen voller Männer mit dunklen Gesichtern und Frauen mit gelbblondem Haar. Sie füllten die Lücke am Eingang, die Fläche, die Marys Familie geräumt hatte. Marys Vater hatte aus seinem Versteck im Norden dafür gesorgt, dass Schrott und Pferdeboxen an der rückwärtigen Mauer entfernt wurden.

Martin Toppys hochwohlgeborener Vater heißt die Familienoberhäupter mit überlangem Händeschütteln, umfassten Unterarmen und aneinandergelegten Köpfen willkommen. Frauen flitzen von Wagen zu Wagen; hinter ihnen werden die Türen schnell wieder zugeworfen. Kinder drücken die Gesichter in blendend weißen Tüllstoff, extra für die Reise gewaschen, damit man sich vor den Iren nicht zum Gespött macht. Die Gardinen bleiben zugezogen. Tage und Nächte vergehen. Und noch immer keine Spur von ihrem Kämpfer.

Sie stehen mit ihren Fahrzeugen eng beieinander und lassen nur so viel Platz, dass gerade noch ein Mensch hindurchpasst. Immer mehr kommen an, sammeln und verflechten sich; Mensch und Metall gerinnen zu einem dunklen Pfropf am Tor zur angrenzenden Weide, auf der Pferde grasen. Vor Jahren schon war ihnen ein Stall versprochen worden, von einem Kandidaten für den Gemeinderat, der die Traveller ermunterte, sich hier zu registrieren, dann sollten sie für ihn stimmen; das brachte ihm zwar den Wahlsieg, aber der Stall wurde nie gebaut.

Jetzt sind sie über den Platz hinausgewachsen und haben sich auch auf der Weide ausgebreitet, und die Gemeindeverwaltung hat eine Frau im Hosenanzug mit Klemmbrett vor der Brust und zwei Männer in Warnwesten geschickt, die das beanstandeten, und dann kam die Polizei, und ein paar Familien zogen zum Schein ab und kamen im Dunkeln zurück und alles begann von neuem. Die Folans wollen erst am Tag des Kampfes kommen, aber bisher hat man sich noch auf keinen Tag und keinen Ort geeinigt. Mein Baby bewegt sich fleißig in meinem Bauch, und einmal haben wir sogar gesehen, wie sich sein perfektes kleines Händchen unter meiner Haut abzeichnete.

 

Mary Crothery soll sich vom Platz fernhalten, das ist ein Befehl von Mommy, der per Handy von Margaret oder Bridget oder beiden übermittelt wurde. Wir halten jeden Tag vor dem Eingang und beobachten, was vor sich geht, und Daddy summt und zuckt nervös und kann vor Nervosität nicht stillsitzen und fragt andauernd, ob wir nicht langsam genug gesehen hätten, und Mary sitzt mit Kapuze und zusammengebundenem Haar auf der Rückbank, schaut verstohlen nach draußen und sagt, Nur noch ganz kurz, Sir, nur eine Minute, bitte, bitte. Und aus all den Minuten werden Stunden, und es scheint, als wüssten sie, dass wir sie beobachten, als würden sie unsere Anwesenheit dulden, vielleicht als eine Art Vorposten, und Martin Toppys Vater ist ein- oder zweimal stehen geblieben und hat zu uns rübergeschaut und mir in die Augen gesehen und kaum merklich genickt. O Himmel, Miss, er hat Sie erkannt!, sagte Mary beim ersten Mal, und jetzt ist die Sache nicht mehr ganz so furchteinflößend wie zuvor; auf dem Platz gibt es niemanden, der nicht mit Mary verwandt wäre, und in gewisser Weise geht es bei diesem Kampf ja auch um ihre Ehre, so viel steht fest, nur wie genau, ist nicht klar; alles köchelt leise vor sich hin, das geordnete Chaos dieser Zusammenkunft, das Warten, diese Un-Zeit vor der Begegnung. Und jeden Tag beschleunigt sich mein Puls, wenn Mary Crothery mir in die Augen sieht. Sie weiß Bescheid. Was sie die Gabe nennt, ist in Wirklichkeit ein feines Gespür, ein unbewusstes Wahrnehmen, ein intuitives Erkennen, abgeleitet von noch so kleinen Anzeichen und Hinweisen. Dass sie den Ursprung dieses Wissens einer Zaubermacht zuschreibt, verstärkt nur ihren Glauben daran; Erkenntnisse aus anderen Sphären sind nicht widerlegbar und können unmöglich falsch sein. Sie zu leugnen wäre gleichbedeutend mit der Leugnung Gottes und der Seelen aller Verstorbener.

Mein Vater will zu Jim Gildea gehen und ihm von dem bevorstehenden Kampf erzählen. Dabei muss ihm klar sein, dass Jim längst Bescheid weiß, ebenso wie jeder andere Polizist in der Stadt, und uns allen bleibt nichts übrig, als zu hoffen, dass der Schauplatz des Kampfes weit genug vom Rest der Welt entfernt und die Schiedsfamilie gut gewählt und hinreichend geachtet ist, dass die Auseinandersetzung wirklich nur zwischen zwei Männern stattfindet und die gegnerischen Parteien nicht zusammenstoßen und dass niemand ums Leben kommt und der Kampf seinen Zweck erfüllt, nämlich Frieden herzustellen, so brüchig und vergänglich er auch sein mag.

 

Mein Vater ist heute vor der Kirche gestürzt. Er ist auf den Stufen gestolpert, als er gerade aus der Messe kam und im Begriff war, sich mit Weihwasser zu bekreuzigen, erzählte mir Minnie Wiley, eben hatte sie noch über seinen geraden Rücken und den leichtfüßigen Gang gestaunt, als hätte man ihm ein Lebenselixier eingeflößt. Und in dem Augenblick, in dem sie all das dachte, fiel er, und was war das für ein Schock für sie, als er plötzlich dort auf dem Gehweg lag, und sie hätte wirklich schwören können, dass er tot war, bis er die Beine bewegte, die noch auf den Stufen lagen, und er lag auf dem Bauch, aber sein Kopf war zur Seite gedreht und die Arme ausgestreckt, als hätte er versucht zu fliegen.

 

Mein Vater hatte einen Schlaganfall gehabt. Das war es, was ihn auf den Stufen von St. Mary niedergestreckt hatte. Und einen zweiten Schlag bekam er, als er schon dalag, den Kopf auf eine Jacke gebettet, und Pfarrer Cotter für ihn betete, nachdem er ihn für alle Fälle schon gesalbt und ihm die Wegzehrung verabreicht hatte. Unter der Woche waren höchstens fünf oder sechs Gläubige in der Messe, der Kreis, der sich um meinen Vater bildete, war dementsprechend klein, aber alle knieten nieder, und er wurde nochmals gesalbt, und während sie auf den Krankenwagen aus Gortlandroe warteten, beteten sie darum, dass ihr Bruder verschont bleiben und dies nicht das Ende sein möge, weil sie meinen Vater lieben, all diese gläubigen Menschen, all diese Heiligen, für die man sonst nur Hohn und Spott übrig hat.

Ich stelle mir vor, wie mein Vater versunken auf einer harten Gebetsbank kniet, den Kopf gesenkt, die Hände auf der Rückenlehne vor sich gefaltet, an seinem Rosenkranz Ave-Marias abzählt, ein schnelles Gesätz nach der Messe, wahrscheinlich eine Darbringung für mich oder für Mary oder für das Baby oder für uns alle. Ich frage mich, ob er Schmerzen hatte, bevor er gefallen ist, ob er den Dammbruch kommen spürte, ob er sich gefürchtet hat. Ich ertrage die Vorstellung nicht, dass er auf dem Weg nach draußen Angst hatte, seine Freunde grüßte, kniende Bekannte anlächelte, endlich an die frische Luft wollte, und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, keine Schwäche zu zeigen. Doch abgesehen von meinem Kummer und meiner Angst um ihn, bin ich erleichtert, dass er jetzt schläft und in guten Händen ist und vielleicht erst wieder aufwacht, wenn ich getan habe, was ich tun muss.

 

Mary Crothery hält ihre Wache jetzt an anderer Stelle, auf dem Stuhl am Bett meines Vaters. Er bekommt einen Tropf mit Kochsalzlösung und einen mit Warfarin, und in seiner Nase stecken Schläuche, die über die Wange hinters Ohr laufen, und Nadeln bohren sich in sein Fleisch, und seine Hände sind knochig und blau und von den Nadelstichen lila, weiß und schwarz gesprenkelt, und seine Arme sind dünn und blass, wie die Hände und Arme eines alten Mannes, der kurz vor dem Tod steht. Ein- oder zweimal ist er aufgewacht und hat uns den Kopf zugedreht, um den er einen Verband trägt, weil er sich bei seinem Sturz eine Wunde zugezogen hat, und er wollte sprechen, aber es ging nicht; die zuständige Stelle in seinem Hirn ist vom Blut verschüttet, ebenso wie die, die seine Arme und Beine bewegt, und die Ärzte sagen, sie müssten warten, bis der Blutpfropf aufgelöst ist, um zu sehen, was noch da ist, was möglich ist, welche Hoffnung es gibt.