8. KAPITEL

Dunstaffnage Castle, Argyll, Schottland,
Mai 1287

Juliana schob ihre bloßen Zehen in das dichte Gras, ließ sie übermütig wackeln. Ihre Schwester und sie saßen auf einer Wolldecke auf den Wiesen außerhalb der Burgwälle. Es war ein warmer, sonniger Frühlingstag, der Himmel war blau, und die Sonne stand hoch über den mit purpurfarbenen Disteln und gelben Wildblumen übersäten Hügeln. Juliana genoss die Sonne und die kurze, sorglose Auszeit und fühlte sich fast wieder wie ein Kind.

Mary wirkte genauso glücklich wie sie selbst. Sie lag auf einen Berg Kissen gebettet und sah aus, als könnte die Geburt jeden Moment einsetzen, dabei sollte sie erst in fünf, sechs Wochen niederkommen.

Lächelnd schloss Juliana die Augen, genoss die Wärme auf ihrem Gesicht. Doch dann stieg Alasdairs Bild vor ihrem inneren Auge auf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie machte sich klar, dass sie, auch wenn sie die Tage noch so untätig verbrachte, kein unbeschwertes Kind mehr war und dass sich der Mann, den sie liebte, im Krieg befand. Sie machte sich schreckliche Sorgen um ihn und vermisste ihn unendlich.

Mary und sie waren vor fast einem Monat nach einer kurzen, ereignislosen Schiffsreise auf Dunstaffnage eingetroffen. Juliana hatte mit den Tränen gekämpft, als das Schiff auf die Küste von Argyll zugesteuert war. Es hatte sich angefühlt, als ließe sie Alasdair immer weiter hinter sich.

Und es war mehr als die körperliche Distanz, die sie trennte. Sie fürchtete, dass sie, wenn sie Alasdair das nächste Mal wiedersah – falls sie ihn überhaupt je wiedersah –, die Frau eines anderen Mannes sein würde.

Bei ihrer Ankunft hatte Alexanders Ehefrau Jeanne, die ebenfalls der Familie Comyn entstammte, sie mit Freudentränen in den Augen begrüßt. Juliana mochte ihre Schwägerin und hatte sie lange umarmt. Jeanne war in Sorge um sie und Mary gewesen. Sie konnte nicht verstehen, dass man die beiden Schwestern ohne vorherige Zahlung des Lösegeldes freigelassen hatte. Da Coeffin Castle in Alasdairs Hand blieb, konnte Juliana nicht dorthin zurückkehren. Genau wie ihre Schwester blieb sie bei Jeanne, um die Geburt von Marys Kind, das Ende des Krieges und die Rückkehr der Männer abzuwarten.

Die Zukunft erschien ihr ebenso verheißungsvoll wie furchteinflößend.

Sie schaute hinauf in den blauen Himmel, sah den dahinziehenden weißen Wolken nach. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie hatte noch nie einen Mann geliebt, und nun liebte sie Alasdair so sehr. Es war ihr unvorstellbar, mit jemand anderem verheiratet zu sein.

„Denkst du an Alasdair?“ Mary hatte ihre schlanken Hände über ihrem riesigen Babybauch verschränkt.

Juliana hatte keine Geheimnisse vor ihrer Schwester. Mary wusste, wie sehr sie Alasdair vermisste und wie sehr sie sich um ihn sorgte – ihr ging es mit William genauso. Vor zwei Wochen war Wigtown gefallen, die Kämpfe hatten sich nach Dumfries verlagert. „Alle behaupten, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Robert Bruce besiegt ist.“ Juliana schlang die Arme um ihre angezogenen Knie. Bruce und seine Verbündeten hatten eine schreckliche Niederlage erlitten. Die Zahl der Gefallenen war hoch.

Aber wenigstens wussten sie, dass Alasdair am Leben war. Ein Bote ihres Bruders hatte ihn gesehen. Julianas war grenzenlos erleichtert gewesen über die Nachricht.

„Wenn Bruce besiegt ist, kann Alasdair nach Hause“, sagte Mary leise.

„William auch.“ Juliana nickte. „Dann wird er dich und die Kinder nach Castle Bain bringen. Aber Alasdair wird nach Islay zurückkehren – es sei denn, er kommt erst hierher, um mit unserem Bruder zu sprechen.“

Wenn er nach Dunstaffnage kam, würde sie ihn sehen, doch sie fürchtete sich auch davor, denn an diesem Tag konnten all ihre Zukunftshoffnungen jäh enden.

Außer sie widersetzte sich den Wünschen ihres Bruders.

Der unerhörte Gedanke war ihr gekommen, als sie Dunyveg verlassen hatte, und er kam immer wieder, häufiger und dringlicher von Mal zu Mal.

Mary setzte sich schwerfällig auf, und Juliana beeilte sich, ihr zu helfen. „Wir müssen uns auf Alexanders Zorn gefasst machen und uns darauf vorbereiten, ihn davon zu überzeugen, in die Heirat einzuwilligen.“

Juliana starrte sie an. „Was würdest du denken“, begann sie schließlich, „wenn ich mich gegen Alexander stelle, um mit Alasdair zusammen zu sein?“

Mary wurde blass. Es dauerte einen Moment, ehe sie sprach. „Ich würde denken, dass du Alasdair sehr liebst. Dass du ihn so liebst wie ich William.“

Juliana holte Luft, um zu antworten, als laute, aufgeregte Schreie von den Befestigungswällen an ihre Ohren drangen. Sie sprang auf, wirbelte herum. Männer, Frauen und Kinder sammelten sich auf den Wehrgängen, jubelten vor Glück. Ein paar der Frauen schwangen ihre Umhänge durch die Luft, andere warfen Blumen. Und unterhalb der Festung waren das Wiehern und der sich nähernde Hufschlag von Pferden zu hören.

Juliana stockte der Atem. Alexander kehrte zurück.

Einen Moment später kam er auf seinem mächtigen schwarzen Schlachtross in Sicht. Eine Hundertschaft seiner Ritter, über deren Köpfen das rot und grün karierte Banner des MacDougall-Clans wehte, begleitete ihn. Auf einem feurigen braunen Hengst ritt William an Alexanders Seite. Sein goldblondes Haar glänzte in der Sonne.

Mary unterdrückte einen Aufschrei. Juliana half ihr, sich zu erheben, dann traten sie in sichere Entfernung zurück. Die Ritterschar galoppierte mit donnerndem Hufschlag an ihnen vorbei. Alexander winkte ihnen zu, und William lenkte sein Pferd zur Seite und kam auf sie zugetrabt. Er glitt aus dem Sattel, und Mary eilte zu ihm. Sie umarmten sich, wiegten einander hin und her. „Gott, wie ich dich vermisst habe!“, stöhnte William schließlich.

Mit Tränen in den Augen wandte Juliana sich ab. Alexander war über die Zugbrücke geritten und im Torhaus verschwunden. Sie überließ Mary und William einander und eilte in die Burg. Als sie kurz darauf in die Große Halle trat, stand Alexander, von seinen drei ältesten Sprösslingen umgeben, in der Mitte des Raums. Wie jeder im Saal strahlte Jeanne über das ganze Gesicht.

Als er Julianas ansichtig wurde, verblasste Alexanders Lächeln.

Ihres ebenfalls. „Bruder.“

Sie trat vor ihn hin und drückte ihn an sich. „Dem Himmel sei Dank, dass du wohlauf bist.“

„Der erlauchte Robert ist nicht mehr ganz so erlaucht.“ Alexanders Blick wurde hart. „Er war ein Narr, sich auf diesen Kampf einzulassen, und nun sind er und seine Verbündeten besiegt. Bruce hat den Schwanz eingeklemmt und ist auf seine englischen Ländereien geflohen.“

Jeanne reichte ihrem Ehemann einen Becher Wein. Er lächelte ihr zu, nickte dankend.

„Was ist mit den anderen Aufständischen?“, konnte Juliana sich nicht zurückhalten zu fragen.

Ihr Bruder setzte den Becher an und trank ihn leer. Dann reichte er ihn Jeanne. „Du meinst MacDonald?“ Seine Züge wurden hart.

Juliana nickte. Das Herz klopfte ihr bis in die Kehle. „Ist Alasdair entkommen? Ist er am Leben?“

Alexander wandte sich zu ihr um, stemmte die Hände in die Hüften. „Er ist Hals über Kopf mit seinem Vater und seinem Bruder geflohen, Juliana, und er wird sich lange versteckt halten, seine Wunden lecken und darauf warten müssen, dass König Edward ihm vergibt.“ Er lächelte. „Wenn er es überhaupt je tut.“

Juliana senkte den Blick. Alasdair lebte und war in Sicherheit. Dafür war sie dankbar.

„Besteigt Balliol nun den Thron?“, hörte sie Jeanne fragen.

„Es sieht so aus, als würde Margaret von Norwegen das Königreich erben“, erwiderte ihr Bruder grimmig. „Jedenfalls wenn es nach König Edward und einigen Rivalen Balliols geht. Angeblich wurde Margaret umgehend geholt und eine Heirat für sie arrangiert, wahrscheinlich mit König Edwards Sohn.“

Demnach würde König Alexanders kleine Enkeltochter doch Regentin werden. Was bedeutete, dass Schottland von ihren Vormunden regiert würde, bis sie selbst volljährig war. Juliana seufzte leise. Grund genug für Männer wie Bruce und Balliol, weiter um den Thron zu kämpfen.

„Ein Kind soll das Königreich erben?“ Jeanne schüttelte ungläubig den Kopf.

Alexanders Ausdruck war düster. „Wir werden sehen.“ Juliana spürte, wie er den Blick auf sie heftete, und spannte sich an.

Er wusste von ihrer Affäre.

„MacDonald hat also dich und deine Schwester freigelassen, ohne dass das Lösegeld gezahlt wurde?“ Alexander ballte die Hände zu Fäusten.

Juliana nickte beklommen. Doch dann reckte sie das Kinn. „Ja, so war es.“

„Und weshalb, Juliana, sollte er etwas Derartiges tun?“

Sie begann zu zittern. Was sollte sie sagen? Mary und William betraten die Große Halle. Ihre Schwester schoss ihr einen warnenden Blick zu, eilte zu Alexander und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Weil er ein besonnener Mann ist“, beantwortete sie seine Frage. „Er hat recht getan.“

Alexander lief dunkelrot an. „Kein MacDonald tut je das Rechte!“, schäumte er und drehte sich zu Juliana um. „Ich wollte dir nichts davon sagen, ehe die Verhandlungen abgeschlossen sind, doch ich bin dabei, eine Ehe für dich zu arrangieren.“

Juliana schnappte nach Luft. „Mit wem?“

„Was denkst du? Mit Sir James natürlich, Sir Ingram Umfravilles jüngerem Sohn. Der ältere ist verheiratet, hat allerdings keine Kinder und leidet an einer unheilbaren Krankheit. Es ist sehr gut möglich, dass Sir James seine Ländereien erbt.“

Juliana fühlte sich elend. „Ich bin Sir Ingrams Sohn noch nie begegnet, wenn ich mich nicht irre.“ Sollte sie Alexander gleich sagen, dass sie Sir James nicht heiraten konnte? Allmächtiger, würde sie ihren Bruder etwa selbst fragen müssen, ob sie Alasdair heiraten durfte?

„Wann wirst du mir die Wahrheit sagen? Was wolltest du erreichen, Juliana?“

„Ich … ich weiß nicht, was du meinst.“

„Bist du sicher? Alasdair Og hat bei mir um deine Hand angehalten.“

Dem Wutausbruch ihres Bruders zum Trotz war Juliana erleichtert. Sie sah zu Mary.

„Er suchte mich auf, ehe ich nach Hause aufbrach.“ Alexander war dunkelrot angelaufen. „Verfluchter MacDonald! Glaubt er wirklich, ich gestatte es ihm, meine Schwester zu heiraten? Dem Sohn meines Erzfeindes?“

„Er ist ein guter Mann.“ Juliana reckte das Kinn. „Und außerdem mutig, stark und gerecht.“

„Er ist ein Mörder – das Blut unseres Clans klebt an seinen Händen!“

Genau diese Reaktion hatte Juliana erwartet. Sie wagte nicht darauf hinzuweisen, dass ihr Bruder genauso viel Blut vergossen hatte – Blut der MacDonalds. „Im Krieg sterben nun einmal Männer, das weißt du so gut wie ich. Und ja, unsere Clans liegen seit Generationen im Krieg miteinander. Doch das heißt nicht, dass Alasdair Og nicht von edler Gesinnung ist.“

Mary trat zwischen sie. „Er ließ uns ohne Lösegeldzahlung frei, weil er Juliana liebt.“

„Er ließ euch frei, weil er das Bett mit deiner Schwester geteilt hat.“

Juliana wurde flammend rot. „Du glaubst dem Geschwätz?“

„Willst du es etwa abstreiten?“, brüllte Alexander sie an. Eilig stellte auch Jeanne sich zwischen sie. „Es ist nicht wahr, Alexander. Es kann nicht wahr sein. Juliana ist eine junge Dame von Stand.“

Alexander würdigte seine Ehefrau keines Blickes. Stattdessen starrte er Juliana wütend an.

Er wusste Bescheid, und Juliana konnte nichts dagegenhalten. „Ich leugne es nicht.“

„Ich sollte dich vor die Türe setzen, Juliana, oder zu den Nonnen nach Frankreich schicken.“

„Ich liebe ihn“, sagte Juliana knapp. „Ich hatte nicht vor, mich in ihn zu verlieben, aber es ist geschehen.“

Alexanders Augen weiteten sich ungläubig. „Du kannst diesen Mann unmöglich lieben. Du kannst den Feind nicht lieben. Bist du in anderen Umständen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Alexander.“ Mary legte ihm die Hand auf den Arm. „Hast du nicht gehört? Sie liebt ihn. Und ich habe die beiden zusammen gesehen. Er liebt sie auch.“

„Ihm geht es um Lismore – um Achanduin Castle und um St. Moluags Cathedral.“ Alexanders Blick war kalt und hart. Er schüttelte Marys Hand ab und wandte sich von ihr fort.

Mary ging um ihn herum und trat abermals vor ihn hin. „Was, wenn er unseren Familien den Frieden bringt?“

Alexander sah sie an. „Dann weißt du also, dass er mir Versprechungen gemacht hat, die nur ein Narr glauben würde? Versprechungen, die er niemals einhalten kann?“

„Was für Versprechungen?“ Julianas Stimme war nur ein Flüstern.

Alexander wirbelte zu ihr herum. „Er schwor, keine Waffen gegen mich zu erheben – nachdem er angeboten hatte, Coeffin Castle gegen dich einzutauschen. Er muss mich wirklich für einen Narren halten. Wenn er zu seinem Vater und seinem Bruder steht, wird er gar nicht anders können, als die Waffen gegen mich zu erheben. Und Coeffin Castle ist deine Aussteuer. Er kann dich nicht nehmen ohne die Burg.“

Hatte Alasdair tatsächlich einen solchen Waffenstillstand angeboten? War er wirklich bereit, Coeffin Castle zurückzugeben, wenn Alexander ihrer Verbindung zustimmte? Juliana wurde bewusst, dass ihre Zukunft am seidenen Faden hing. Langsam näherte sie sich ihrem Bruder. „Alexander, ich habe ihn gründlich kennengelernt. Er täuscht nichts vor und er gibt nicht leichtfertig Versprechen. Wenn er Zusagen macht, wird er auch Wort halten.“

„Wenn du glaubst, er wird Frieden mit mir halten, bist du eine Närrin, Juliana.“

„Und was, wenn er seine Versprechen doch einhält?“, fragte Mary eindringlich. „Angus Mor ist ein alter Mann. Alasdair wird eines nicht allzu fernen Tages Clanführer der MacDonalds sein. Dann entscheidet er über das Schicksal des Clans.“

Juliana warf ihrer Schwester einen dankbaren Blick zu.

Für einen Moment, der ihr wie eine Ewigkeit erschien, sah Alexander sie und Mary schweigend an. „Ich soll seinen Versprechungen Glauben schenken? Und unterdessen bringst du ihm Lismore und deine Ländereien in Argyll in die Ehe mit ihm ein? Selbst wenn ich Coeffin Castle zurücknähme, hält er immer noch Achanduin. Und er ist bei König Edward in Ungnade gefallen!“

Juliana benetzte sich die Lippen. „Ich will ihn heiraten, und ich bitte dich um deinen Segen.“

Alexander wurde dunkelrot. „Er ist ein verfluchter MacDonald! Mein Erzfeind! Und ein Anhänger von Robert Bruce! Ich weigere mich! Wie kommst du darauf, dass ich seinen Antrag auch nur in Erwägung ziehe? Wie kannst du auch nur einen Augenblick annehmen, einen Feind heiraten zu dürfen – und fortan zu meinen Feinden zu zählen?“

„Wir wären niemals Feinde“, flüsterte Juliana den Tränen nahe.

„Vielleicht würde eine solche Heirat unseren beiden Familien Frieden bringen“, ließ Mary sich erneut vernehmen. „Aber wie sollen wir das je herausfinden, wenn wir es nicht versuchen?“

Alexander sah sie kopfschüttelnd an. „Eine solche Heirat bringt nichts, gar nichts. Höchstens Enttäuschungen für Juliana, weil sie irgendwelchen Versprechungen geglaubt hat!“

„Ich glaube ebenfalls daran.“ Mary sah ihrem Bruder fest in die Augen.

Jeanne trat vor. „Ich denke, du solltest noch einmal mit ihm reden.“

Alexander warf seiner Frau einen entgeisterten Blick zu. Er murmelte eine derbe Verwünschung und stürmte aus dem Saal.

„Ich habe Angst um dich.“ Mary umarmte ihre Schwester fest. Es war eine mondhelle Sommernacht, die Grillen zirpten in den nahen Wäldern, und sie und Juliana standen auf dem schmalen Sandstrand in der Bucht unterhalb von Dunstaffnage Castle.

William war bei ihnen, außerdem zwei Hochlandkrieger, die ein kleines Ruderboot mit Julianas Habseligkeiten beluden. Gelegentlich hörte man den Ruf eines Käuzchens.

William legte Juliana die Hand auf die Schulter. „Du musst ihn sehr lieben, wenn du dich gegen Alexander stellst.“

Juliana nickte. Ein Zittern durchlief sie. Würde sie es schaffen? Sie wagte es, ihrem Bruder zu trotzen, dem Laird des Dougall-Clans, der für sie wie ein Vater war und noch so viel mehr. Der Mann, der sich um sie gesorgt, sie ernährt und sich ihr Leben lang um sie gekümmert hatte. „Ich bete zu Gott, dass er mir vergibt.“

Mary drückte sie noch einmal an sich. Tränen liefen ihr über die Wangen. „Juliana! Ich weiß, du liebst Alasdair, aber er weiß nicht einmal, was du vorhast! Und was ist, wenn Alexander dir nie verzeiht?“

Juliana schluckte ihre Tränen hinunter. Alexander hatte ihre Affäre mit Alasdair nie mehr erwähnt, doch sie wusste, dass er böse war mit ihr. Und trotz ihrer Einwände wollte er sie mit Sir James verheiraten. Sie konnte einfach nicht tatenlos zusehen und diese Heirat akzeptieren. „Dann habe ich immer noch meinen Mann, den ich lieben kann – und dich.“ Irgendwie schaffte sie es zu lächeln.

Mary umarmte sie wieder. „Du bist auf Castle Fyne und Castle Bain immer willkommen.“

„Sie muss aufbrechen, ehe man uns noch entdeckt.“ William trat zwischen sie.

Mary nickte. „Sobald Alexander sich beruhigt hat, schicke ich dir den Rest deiner Sachen.“

„Danke. Danke, dass du mir die beste Schwester bist, die eine Frau haben kann.“ Juliana schloss sie ein letztes Mal in die Arme. Dann drehte sie sich jäh um und stieg in das Ruderboot, das die Männer gleich darauf vom Strand schoben. Sobald es Wasser unter dem Kiel hatte, sprangen sie hinein und ergriffen die Riemen. Es war eine windstille Nacht, sodass sie das Boot nach Lismore rudern konnten.

Den Blick auf Will und Mary gerichtet, versuchte Juliana zu lächeln, während sich das Boot immer weiter vom Ufer entfernte. Ihre Schwester und ihr Schwager winkten, wurden immer kleiner, bis sie sie nicht mehr erkennen konnte.

Coeffin Castle,

Juli 1287

Mit klopfendem Herzen stand Juliana am Turmfenster. Unterhalb der Burg kam ein großer Trupp Hochlandkrieger in Sicht. Über den Köpfen der Reiter flatterte das blau-rote Banner des MacDonald-Clans.

Sie konnte es kaum glauben. Alasdair war gekommen!

Auf einem grauen Schlachtross galoppierte er ein ganzes Stück vor seinen Männern her. Sein dunkles Haar flatterte ihm um den Kopf. Tränen der Freude stiegen Juliana in die Augen, dann sah sie plötzlich alles verschwommen.

Heftig blinzelnd eilte sie aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und nach draußen in den Burghof. Alasdair überquerte die Zugbrücke. Mit donnernden Hufen ritt er auf sie zu und glitt aus dem Sattel, noch ehe das Pferd zum Stehen gekommen war. Dann riss er Juliana in seine Arme.

Eine Zeitlang stand sie vollkommen still, nahm seine Gegenwart in sich auf, seinen Geruch, das Klopfen seines Herzens. Erst in diesem Moment dämmerte ihr, dass er heimgekehrt war.

Schließlich schob er sie ein kleines Stück von sich, und ihre Blicke verfingen sich. In seinen blauen Augen loderte Leidenschaft. Ein unterdrückter Aufschrei entwich ihren Lippen, als er sie küsste. Hemmungslos küsste sie ihn zurück.

Das Verlangen überfiel sie beide mit ungeahnter Macht, begleitet von tiefer Liebe. Sie küssten sich hingebungsvoll, bis Alasdair sie irgendwann freigab. Sein Atem ging schnell. „Du bietest deinem Bruder meinetwegen die Stirn.“

Sie nickte. „Ja. Ich … du hast mir unendlich gefehlt.“

Er umfasste ihr Gesicht. „Du mir auch!“ Er küsste sie wieder. „Du hast ihn erzürnt.“

Sie nickte abermals, biss sich auf die Unterlippe. „Er wollte mich in eine Ehe zwingen, Alasdair. Ich hatte keine Wahl.“

„Die meisten Frauen hätten sich gefügt. Ich bin stolz auf dich, Juliana. Du schaffst es immer noch, mich zu überraschen.“ Er drückte sie an sich.

Sie machte sich von ihm los. „Habe ich alles nur schlimmer gemacht? Wird er uns beide mit seinem Hass verfolgen?“

Alasdair lächelte. „Und ob du alles schlimmer gemacht hast … ich komme gerade von deinem Bruder. Er ist genauso stur wie du.“

Sie hielt es kaum aus, Alasdair so verschmitzt lächeln zu sehen. „Du hast mit Alexander gesprochen?“, fragte sie verblüfft.

Er grinste. „Gesprochen trifft es nicht ganz. Wir haben gestritten.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Aber warum wirkte er so fröhlich?

„Glaubst du?“ Er grinste immer noch. „Wir haben uns sogar geprügelt.“

„Alasdair!“

Sein Lächeln verblasste. „Dann haben wir debattiert, Juliana. Stundenlang. Und am Ende habe ich gewonnen.“

Die Zeit schien stillzustehen. Bedeutete das, was sie glaubte, das es bedeutete?

„Du hast ihn doch nicht etwa dazu gebracht, uns seinen Segen zu geben?“

„Doch, habe ich.“ Alasdair lachte, hob sie auf seine Arme und drehte sich mit ihr im Kreis wie beim Tanz.

Sie begann ebenfalls zu lachen. „Wie ist das möglich? Er hasst dich, und er ist wütend auf mich.“

Alasdair setzte sie ab. „Aber er ist auch klug, Juliana, und es hat Vorteile, wenn die Clans Dougall und Donald sich versöhnen. Ich konnte ihn von diesen Vorteilen überzeugen.“

Alasdair hatte recht. Dennoch war Juliana erstaunt. Sie dachte an Alexander und seine Frau und die Kinder, an Mary, William und ihre Familie. Sie liebte sie alle so sehr! „Hast du gelobt, keine Waffen mehr gegen ihn zu erheben? Gegen meine Familie?“

„Ich kann mich nicht von meinem Vater oder meinem Bruder abwenden, aber ich werde die Waffen gegen Alexander und William nicht erheben.“

Hoffnung keimte in ihr auf. „Wird es möglich sein? Wenn es doch sicher wieder Krieg gibt, der die Clans gegeneinander in Stellung bringt?“

Alasdair wurde ernst. „Es ist eine schwierige Aufgabe“, sagte er ruhig, „aber wenn es der Preis dafür ist, dich zur Frau zu gewinnen, zahle ich ihn gern.“

Er zog sie an sich, und Juliana legte die Wange an seinen kräftigen Brustkorb. Sie liebte ihre Schwester und ihren Bruder, aber Alasdair liebte sie mehr, als sie sich je hatte vorstellen können, dass man einen Menschen zu lieben vermochte. Früher oder später würden weitere Kriege das Land überziehen, und sie wusste, wie schwer es für ihn sein würde, das Versprechen zu halten. Aber Alasdair war ein Ehrenmann, ein Mann, der zu seinem Wort stand. Und er war der stärkste, stolzeste, furchtloseste Mann, den sie in ihrem ganzen Leben kennengelernt hatte. Wenn überhaupt jemand einen solch steinigen Weg gehen konnte, dann er. Sie wusste, es würde nicht einfach werden, doch sie glaubte an ihn – mehr als je zuvor.

Sie sah zu ihm hoch. „Dann musst du so bald wie möglich eine ehrbare Frau aus mir machen.“

„Kein Problem. Ich glaube, es gibt eine Kirche in der Nähe – eine ziemlich große sogar.“ Er grinste sie an, hob sie abermals auf seine Arme und trug sie zur Tür des Wohnturms. „Und noch etwas, Juliana“, flüsterte er verschwörerisch. „Ich habe Coeffin Castle nicht hergegeben.“

Sie schnappte nach Luft, beglückt, dass sie ihre Mitgift in die Ehe würde einbringen können. Dann fiel ihr auf, dass sie kaum überrascht war. Selbstverständlich hatte Alasdair gewonnen. „Ich liebe dich“, flüsterte sie zurück.

Seine Augen verdunkelten sich. „Dann sind wir wirklich verbunden.“ Und mit weit ausgreifenden Schritten trug er sie über die Schwelle ihres zukünftigen Heims.

– ENDE –