Unruhig lief Juliana in der Großen Halle auf und ab. Ihre Gedanken überschlugen sich. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie Bischof Frasier am Galgen baumelte, sah die Gefallenen im Mittelschiff liegen, im Eingang und auf dem Vorplatz draußen. Und Alasdair Ogs düsterer, furchterregender Anblick wollte ihr nicht aus dem Sinn gehen.
Ihr verzweifeltes Flehen war auf taube Ohren gestoßen. Juliana biss sich auf die Lippe. Hatten sie es wenigstens geschafft, die Kirche zu retten? Gemeinsam mit den Mönchen und den Leuten aus dem Dorf hatten sie und Mary fieberhaft versucht, das Feuer zu löschen, als ihr Bruder und seine Streitmacht eingetroffen waren.
Alexander MacDougall hatte seine Schwestern umgehend nach Coeffin Castle bringen lassen und sich persönlich an den Löscharbeiten beteiligt. Juliana wäre lieber geblieben, doch da es Mary nicht gut gegangen war, hatte sie sie nach Hause begleitet.
Im Augenblick lag Mary in der Kemenate und ruhte sich aus. Juliana dankte Gott, dass sie sich wieder besser fühlte.
Plötzlich hörte sie Alexanders und Williams Stimmen und wirbelte herum, als die beiden Männer zur Tür hereinkamen und sich den Schnee von den Umhängen schüttelten. Ein Dutzend ihrer besten Recken folgten ihnen. Alexander lächelte ihr zu.
Er war ein hochgewachsener Mann in den späten Dreißigern, mit ausgeprägten Zügen und dunklem Haar. Wie die meisten Highlander war er in eine schlichte kurzärmelige Leinentunika mit Ledergürtel gewandet, die ihm bis zur Mitte der Oberschenkel reichte und die Beine bis auf die hohen Stiefel freiließ. Darüber trug er ein Kettenhemd. Sein wollener Umhang war rot und weiß kariert – in den Farben des MacDougall-Clans. „Es ist vollbracht“, sagte er mit seiner volltönenden Stimme. „Die Kirche sieht mitgenommen aus, aber sie steht noch.“
Erleichterung durchflutete Juliana.
Besorgt trat ihr Schwager auf sie zu. „Wie geht es Mary?“
William war drei Jahre jünger als seine Ehefrau, ein blonder Hüne mit attraktiven Gesichtszügen. Er trug eine langärmlige rote Tunika unter einem braunen Surcot, dazu braune Hosen und Lederstiefel.
„Sie hat sich hingelegt.“ Juliana hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da war William schon auf dem Weg aus dem Raum.
Juliana begann zu zittern, als abermals Bilder von Bischof Frasier vor ihrem inneren Auge aufstiegen … und Bilder von Alasdair Og.
Das Lächeln ihres Bruders verblasste. „Erzähl mir, was passiert ist, Juliana.“
Sie atmete tief ein. „Nein – erzähl du zuerst.“
„Wie bitte?“ Er war sichtlich bestürzt.
„Hast du den Bischof dazu gedrängt zu spionieren? Hast du ihn in diese Schlangengrube geschickt?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte Alexander zornig.
Sie hätte ihn am liebsten geohrfeigt, doch er war das Oberhaupt ihres Clans, und sie würde sich hüten, die Hand gegen ihn zu erheben. „Du hast ihn zu den MacDonalds geschickt, in dem Wissen, wie gefährlich sie sind, und obwohl der arme Alan ein Mann des Friedens war und kein Krieger!“
„Du machst mir Vorwürfe?“ Alexander musterte sie ungläubig.
Juliana biss sich auf die Unterlippe. Ihr Bruder konnte grausam sein. Sie liebte und achtete ihn – wie denn auch nicht –, doch sie hatte auch Angst vor ihm. „Er kam deswegen ums Leben.“
„Du gehst zu weit, Juliana.“ Ein warnender Unterton lag in Alexanders Stimme. Seine blauen Augen verfinsterten sich. Er ging an ihr vorbei und warf seine Handschuhe auf den Tisch.
Er hat recht, dachte Juliana beklommen. Es würde ihr nichts einbringen, wenn sie ihn beschuldigte, den Tod des Bischofs verursacht zu haben. „Ich brauche eine Streitmacht“, sagte sie stattdessen.
Ihr Bruder wirbelte herum. „Was?“
„Ich will Vergeltung.“
Alexander lächelte … dann lachte er. „Du bist närrisch.“
Der Gedanke an Rache war da, seit sie die brennende Kirche verlassen hatte. Sie schien ihn nicht abschütteln zu können. Nie zuvor in ihrem Leben war sie so zornig gewesen. „Mein ist die Rache, sprach der Herr.“
„Du bist eine Frau.“
„Ich bin deine Schwester.“
Alexander betrachtete sie lange und eingehend. „Glaubst du wirklich, ich gestatte dir, eine Streitmacht anzuführen und ihn anzugreifen? So unerprobt in Kampf und Krieg, wie du bist?“
Eindrücke von Alasdair Og zuckten in ihr auf, sie konnte seine Unbarmherzigkeit spüren, seine Kälte, seinen Stolz. Ein Schauder überlief sie. Ihr Bruder hatte recht. Sie wusste wenig über den Krieg, nur, dass er viel zu oft Junge und Unschuldige dahinraffte. „Er hat Lismore angegriffen“, beharrte sie dennoch und setzte sich auf die Bank. „Er hat meine Ritter getötet, meinen Bischof. Er wollte die Kirche niederbrennen.“ Sie fühlte sich elend, wie misshandelt. „Mary hätte eine Fehlgeburt erleiden können.“
„Aber ich hatte keine“, ließ Mary sich sanft von der Tür her vernehmen.
Juliana wandte sich um. Hand in Hand standen ihre Schwester und William auf der Schwelle. Mary hatte wieder Farbe, sie lächelte und ihre blauen Augen funkelten. Sie sah aus wie eine liebende Frau.
„Du brauchst keine Streitmacht, Juliana.“ Alexander klang endgültig. „Ich trage persönlich Sorge dafür, dass er für die Ermordung des Bischofs büßt. Ich reite einen Angriff auf Ardtornish Castle.“ Nachdenklich begann er auf und ab zu laufen. „Es ist eine neu erbaute Festung. Wehrhaft, solide, mit dicken Mauern. Es wird behauptet, sie sei der ganze Stolz der MacDonalds. Og wird schäumen, wenn er sie verliert.“
„Willst du sie niederbrennen?“
„Aye.“Mary und William setzten sich zu ihr. Juliana sah ihren Bruder nachdenklich an. Eins wusste sie genau: Alexander pflegte seine Ziele zu erreichen. Schon mit siebzehn hatte er die Führung über den Clan und dessen ausgedehnte Ländereien an sich gerissen – vor einundzwanzig Jahren, zu einer Zeit, da Juliana noch nicht einmal auf der Welt gewesen war. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatte er jeden größeren Angriff auf seine Vormachtstellung abgewehrt, sowohl von rivalisierenden Clans wie dem der Donalds und sogar von den Königen von Schottland und England. Alexander MacDougall war ein rücksichtsloser, ausgezeichneter Krieger, und er hatte es unzählige Male bewiesen. Seine Herrschaft über Argyll und Lorn war nie gefestigter gewesen.
„Wann willst du ihn angreifen?“, fragte Juliana flüsternd.
„Bald – so bald ich kann.“ Ein grausames Lächeln erschien auf Alexanders Zügen. „Der Bastard wird dafür zahlen, Juliana. Du wirst deine Rache bekommen.“ Mary nahm ihre Hand, doch Juliana sah sie nicht an. Furcht breitete sich in ihr aus, und sie fragte sich, ob sie womöglich gerade eine schreckliche Blutfehde in Gang gesetzt hatte.
„Du benimmst dich merkwürdig seit dem Angriff auf die Kirche.“
Aus dem Augenwinkel konnte Juliana sehen, dass Mary sie forschend musterte. Sie tat als bemerke sie es nicht, und half der Schwester weiter beim Ankleiden. Es war noch früh am Morgen, und im Kamin der Kemenate, die ihre Schwester bewohnte, prasselte ein Feuer, dem es indes nicht ganz gelang, die winterliche Kälte zu vertreiben. Geschweige denn, etwas gegen Julianas innere Unruhe auszurichten.
Fast eine Woche war vergangen, seit Alasdair MacDonald die Kirche überfallen und Bischof Frasier ermordert hatte. Fast eine Woche auch, seit ihr Bruder in See gestochen war, um Ardtornish Castle zu vernichten. Vor zwei Tagen hatte der Angriff stattgefunden; ein Bote hatte sie davon in Kenntnis gesetzt.
Juliana flocht Marys Zopf zu Ende. Ihr Magen fühlte sich an wie verknotet. „Ich halte die Ungewissheit nicht mehr aus.“ Mary wandte sich um. „Dass wir keine Nachricht erhalten haben, kann bedeuten, dass alles gutgegangen ist. Und eine Burg wie Ardtornish zu erobern dauert Tage, wenn nicht Wochen.“
Juliana unterließ es, darauf hinzuweisen, dass ihr Bruder gesagt hatte, er wolle Ardtornish vernichten, nicht belagern. Und weil Mary sie neugierig musterte, wandte sie sich von ihr ab.
„Was hast du?“, fragte die Schwester sie ruhig. „Du wirkst angespannt. Machst du dir Sorgen um Alexander?“
Juliana zögerte. Jedes Mal, wenn sie sich die Konfrontation zwischen ihrem mächtigen Bruder und Alasdair Og vorstellte, breitete sich eine merkwürdige Furcht in ihr aus. Im Nachhinein bedauerte sie, die beiden Männer aufeinandergehetzt zu haben. Nichts Gutes konnte dabei herauskommen.
„Ja, ich mache mir Sorgen“, räumte sie schließlich ein. „Aber nicht um unseren Bruder – er ist unbesiegbar.“ Sie lächelte, in der Hoffnung nichts Falsches gesagt zu haben. „Ich weiß nicht, was mich bekümmert … vielleicht der Tod von Bischof Frasier.“ Das stimmte, denn jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, stiegen Schuldgefühle in ihr auf. Der verwünschte Überfall verfolgte sie bis in ihre Träume. Sie sah die toten Soldaten. Sah Alan Frasier, wie er um sein Leben bettelte. Und sie sah Alasdair Og mit seinen eisblauen kalten Augen.
Sie konnte ihn nicht vergessen.
„Ich weiß, wir befinden uns längst im Krieg mit den MacDonalds“, sagte sie seufzend, „aber mir kommt es so vor, als hätte ich noch eine zusätzliche Fehde in Gang gesetzt.“
„Du hast gar nichts in Gang gesetzt.“ Marys Augen blitzten. „Er hat uns überfallen.“
Juliana beschloss, nichts darüber zu sagen, dass ihr Bruder den Bischof zu den MacDonalds geschickt hatte, damit er spionierte, und somit den Überfall in gewisser Weise zu verantworten hatte. Sie konnte nicht entscheiden, auf welchen der beiden Männer sie wütender war – ihren Bruder oder den MacDonald.
„Jedenfalls bin ich froh, dass du noch da bist, Mary“, sagte sie aus tiefstem Herzen. Da William weiterhin an der Seite ihres Bruders kämpfte, hatte ihre Schwester sich entschieden, bei ihr auf Coeffin Castle zu bleiben. Wenn die Schlacht geschlagen war, würden Mary und ihr Ehemann sich auf ihre Ländereien bei Loch Fyne begeben und von dort aus nach Castle Bain, Williams Festung, die er von seinem Vater geerbt hatte. Mary plante, zu ihrer Niederkunft dort zu sein.
„Wir werden bald Nachricht erhalten.“ Mary lächelte aufmunternd. „Ardtornish liegt nur ein paar Stunden entfernt.“
Der Bote kam am gleichen Abend. Juliana und Mary saßen beim Essen, als er eintraf. Beide Frauen sprangen auf, als der sommersprossige junge Highlander atemlos in die Halle geeilt kam. Draußen schneite es, und er hinterließ rasch schmelzende Schneeklumpen auf dem Fußboden, als er seine Stiefel abtrat und seinen Umhang ausschüttelte.
Juliana reichte ihm einen Becher Würzwein. „Wie lautet Eure Botschaft?“
Gierig trank der Junge einen Schluck. „Alasdair Og hielt sich in der Festung auf, als wir angriffen. Es gelang ihm, uns abzuwehren, Mylady. Zwei ganze Tage lang.“
Der Junge zitterte. Mary nahm ihm seinen Umhang von den Schultern, reichte ihn einer Magd, die ihn vor dem Feuer ausbreitete.
Juliana schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber mein Bruder wird doch sicherlich siegen?“
Der Junge zog eine Grimasse. „Mylady, Alexander hat seine Männer abgezogen und befindet sich in diesem Augenblick bereits auf dem Weg zurück nach Dunstaffnage. Er lässt ausrichten, dass Ihr Euch dort so schnell wie möglich einfinden sollt.“
Julianas Verwunderung wuchs.
Alexanders Angriff war abgewehrt worden – Alasdair Og hatte abermals triumphiert! Würde ihr keine Gerechtigkeit widerfahren?
Und warum befahl ihr Bruder sie zu sich auf seinen Wohnsitz? Hatte er Angst, dass sie auf Lismore nicht sicher waren?
Der junge Highlander wandte sich zu Mary und händigte ihr eine Pergamentrolle aus. „Von Eurem Gatten, Mylady.“
Juliana trat an ihre Seite. „Was schreibt William?“
Mary erbrach das Siegel, entrollte das Pergament und überflog die Zeilen. Dann sah sie auf, ohne zu lächeln. „Der Earl of Buchan hat ihn umgehend zum Kriegsrat nach Lochaber einbestellt. Alexander ebenfalls. William will, dass ich mich auf der Stelle nach Dunstaffnage begebe. Es wird weitere Kämpfe geben, um Bruces Aufstand niederzuschlagen.“
Juliana rieb sich die Stirn, hinter der es mit einem Mal schmerzhaft pochte. „Weitere Kämpfe? Wo? Ist Lismore davon betroffen?“
„Darüber schreibt William nichts.“ Verzweiflung spiegelte sich in Marys Zügen. Schützend legte sie die Hand auf ihren Bauch.
Ihre Schwester hatte Angst vor dem Ausgang des Krieges, das konnte Juliana sehen. Und sie fürchtete um das Leben ihres Ehemanns. „William ist Soldat, Mary. Er kann sich nicht aus den Kämpfen heraushalten.“
„Ich weiß.“ Mary sah den jungen Boten an, der höchstens fünfzehn oder sechzehn war. „Nehmt Platz und esst mit uns zu Abend“, sagte sie sanft.
Als der Junge am Tisch saß und mit sichtlichem Genuss sein Wildbret verzehrte, traten Juliana und Mary an den Kamin und starrten in die Flammen. Mary sprach als Erste. „Wir sollten Vorbereitungen für den Aufbruch treffen.“
„Du hast recht.“ Juliana seufzte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, Lismore zu verlassen, aber sie schuldete ihrem Bruder Gehorsam. Und es war keine Zumutung, auf Dunstaffnage zu leben. Die Burg ihres Bruders war eine wehrhafte Festung und eine prächtige Residenz. „Alexander scheint sich Sorgen zu machen, sonst würde er mir nicht befehlen, mein Heim zu verlassen.“
Mary sah sie forschend an. „Ja, das sehe ich auch so, aber ist er beunruhigt wegen des Krieges mit Bruce oder weil er mit Vergeltungsmaßnahmen Alasdair Ogs rechnet?“
Sie verfielen in Schweigen. Jede hing ihren eigenen Gedanken nach.
„Ich brauche einen vollen Tag, um alles vorzubereiten“, sagte Mary nach einer Weile. Wegen der Kinder reiste sie mit großem Gefolge.
„Wir können das Gepäck nachkommen lassen und bei Sonnenaufgang losreiten“, schlug Juliana vor. Sie nahm an, dass Alexander tatsächlich mit Repressalien vonseiten Alasdair Ogs rechnete, und ihre Angst wuchs. Sie war dem MacDonald nur einmal begegnet, aber sie war sich sicher, dass er nach dem Angriff auf seine neue Festung nach Rache dürstete.
Mary schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es schadet, wenn wir uns einen Tag Zeit lassen. Weder Alexander noch William haben etwas davon verlauten lassen, dass wir uns hetzen sollen. Und du weißt nicht einmal, wann du zurückkehren wirst. Du musst Vorkehrung für deine Abwesenheit treffen.“
„Du hast recht.“ Juliana beschied, dass es töricht war, in Unrast zu verfallen. „Ich werde dem Jungen ein Nachtlager richten lassen und mich zurückziehen. Morgen haben wir einen langen Tag vor uns.“
Am folgenden Morgen standen sie in der Dämmerung auf und machten sich an die unzähligen Vorbereitungen für die Abreise. Juliana nahm ihren Verwalter beiseite und besprach jeden einzelnen Punkt auf ihrer langen Erledigungsliste mit ihm. Der Winter war die Zeit der Ruhe, und sie hoffte, im Frühjahr zurückzusein, wenn die alljährlichen Reparaturen an der Burg und den Schiffen anstanden, die leeren Vorratskeller gefüllt werden mussten, das Rindvieh kalbte und die jungen Schafe geboren wurden. Sie würde bei Dutzenden Taufen anwesend sein müssen – im Frühjahr kamen immer so viele Kinder zur Welt.
„Lady Juliana!“ Einer ihrer Soldaten stürmte in die Große Halle. „Zwei Dutzend Schiffe nähern sich unserer Küste.“
Juliana sprang auf die Füße, ihr Verwalter ebenfalls. „Ist es mein Bruder, Fergus?“
„Sie sind noch zu weit entfernt, um es erkennen zu können, aber sie kommen von Westen.“
Juliana erstarrte. Dort her, wo Ardtornish Castle lag.
Mit wild klopfendem Herzen stand sie da, als Mary in die Halle geeilt kam. „Was ist los? Stimmt es, dass eine Flotte sich der Küste nähert?“
Juliana antwortete nicht. Sie hastete an Mary vorbei aus dem Raum und die Turmtreppe hinauf. Mary, Fergus und der Verwalter folgten ihr.
Beide Wachen standen draußen auf dem Wehrgang und spähten angestrengt hinaus auf die See. Eine Traube von Bogenschützen hatten sich um sie versammelt, außerdem ein paar Frauen und Kinder. Juliana trat zu ihnen an die Brüstung.
Es war ein grauer Wintertag mit schlechter Sicht. Der Himmel hatte die gleiche trostlose bleierne Farbe wie der Sund. Bei den Schatten jedoch, die sich langsam und unerbittlich näherten, handelte es sich unzweifelhaft um eine Flotte Galeeren.
Und plötzlich hob sich die Nebelbank über dem Wasser, und ein fahler Sonnenstrahl fiel durch die Wolken. Die Flotte lag im Licht.
Es waren mehr als zwölf Schiffe, und als Juliana die blau-rote Flagge sah, erstarrte sie. Die Farben des Clans MacDonald. Alasdair Og kam, um Rache zu nehmen – und er wollte sie angreifen.
„Schlagt Alarm“, befahl Mary hinter ihr rau. Einer der Männer eilte los, und kurz darauf läuteten die Glocken.
„Werden wir die Stellung halten können?“, hörte Juliana sich fragen. Sie ließ die näherkommende Flotte nicht aus den Augen, und das Herz trommelte ihr vor Angst gegen die Rippen.
„Wir werden für Euch kämpfen, Lady Juliana“, versprach Fergus glühend. „Ich schwöre es.“
Mary drehte sich zu dem Soldaten um. „Danach hat sie nicht gefragt. Können wir Alasdair Ogs Streitmacht aufhalten? Verfügen wir über genügend Männer, ausreichend Waffen und Munition?“
Fergus wurde rot. „Die Wahrheit, Mylady?“
„Ja, selbstverständlich wollen wir die Wahrheit hören!“, rief Mary aus.
„Wir können Coeffin Castle halten, denke ich. Aber nicht auch noch Achanduin.“
Achanduin Castle war der Sitz des Bischofs gewesen. Mary biss sich auf die Unterlippe. Juliana würde entscheiden müssen – ihr Heim oder das des verstorbenen Kirchenmannes. Aber im Grunde war es eine Wahl, die keiner Überlegung bedurfte. „Vielleicht will er Achanduin gar nicht“, wandte sie sich an ihre leichenblasse Schwester.
„Wenn er gekommen ist, um uns zu überfallen, werden wir es bald wissen. Doch wir müssen in jedem Fall Vorbereitungen treffen.“ Juliana überlegte. „Sollte er Achanduin Castle angreifen, Fergus, geben wir die Burg drein. Aber Coeffin darf unter keinen Umständen fallen.“ Allein bei dem Gedanken stockte ihr der Atem.
„Sämtliche Bogenschützen auf die Wehrgänge“, befahl Mary unverzüglich. „Bereitet die Katapulte vor. Entzündet die Feuer. Wir müssen Alexander benachrichtigen.“
„Ich werde die Burg verteidigen, Lady Comyn.“ Fergus bedeutete einer Gruppe Soldaten, ihm zu folgen, und eilte davon.
Juliana holte tief Luft. Ihre Schwester hatte in ihrem Leben schon mehr als eine Belagerung überstanden. Und Fergus war ein erfahrener Soldat, einer ihrer besten Männer. Von denen sie bereits fünf verloren hatte, wie ihr nun wieder einfiel. Was, wenn sie es nicht schafften, die Burg zu verteidigen? Alexander würde kommen, selbst wenn er bereits auf dem Weg nach Lochaber war, aber es gab keine Garantie, dass er beizeiten eintraf.
Was führte Alasdair Og im Schilde? Wollte er ihre Burg in seinen Besitz bringen? Sie zerstören? Juliana spürte Angst in sich aufsteigen. Er hatte Bischof Frasier ohne jedes Bedauern umgebracht, vollkommen gewissenlos. Aber bestimmt drohte ihr und ihrer Schwester keine Gefahr – schließlich waren sie Frauen von Adel.
„Es hat keinen Sinn, frierend hier draußen zu stehen“, sagte Mary energisch. Sie nahm Juliana beim Arm und zog sie ins Innere des Turms. Hintereinander eilten sie die Wendeltreppe hinunter in die Große Halle. „Verkleide die Knaben als Bauernbuben“, Juliana nahm Marys Hand, „und schärf ihnen ein, niemandem zu sagen, wer sie sind.“
Ihre Schwester wurde weiß wie die Wand. „Glaubst du, er würde meine Söhne als Geiseln nehmen?“
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll.“ Juliana hob die Schultern. „Besser, wir sind auf das Schlimmste vorbereitet.“
Mary nickte und hastete davon. Juliana blinzelte die Tränen fort. Wenn es etwas gab, das sie unter allen Umständen tun musste, dann war es, ihre Schwester und die Kinder zu schützen.