Die sechs Kinos im Parish-Plex draußen an der St. Charles Avenue verfügten insgesamt über neunhundertfünfzig Plätze, vom größten mit zweihundertfünfundsechzig, in dem die neuesten Hollywood-Blockbuster gezeigt wurden, bis zum kleinsten mit fünfundsiebzig, in dem anspruchsvolle Filme aus Europa mit Kung-Fu-Streifen aus Hongkong abwechselten. Als Parker seine acht Dollar für die letzte Vorstellung von Drums and Trumpets am Sonntag abend hinlegte, war es das viertemal in einer Woche, dass er sich mit Geld Zugang zu diesem Gebäude verschafft hatte; es würde auch das letztemal sein.
Drei Vorstellungen pro Film am Freitag abend, fünf am Samstag und fünf am Sonntag. Am Montag würden gleich am Morgen die Wochenendeinnahmen zur Bank gebracht werden, aber jetzt war das Geld noch im Safe im Büro der Geschäftsführerin. Das Multiplex-Kino war an diesem Wochenende insgesamt zu knapp achtzig Prozent ausgelastet gewesen, und das bedeutete, dass — Parkers acht Dollar und die letzten Tageseinnahmen mitgerechnet — knapp achtundsiebzigtausend Dollar in dem Safe waren, der nur geöffnet wurde, wenn die Kassiererin ihr Geldtablett hinaufbrachte.
Beim erstenmal hatte Parker beobachtet, wie das Geldtransportsystem funktionierte. Wenn die Kasse schloss, trug die Kassiererin das niedrige, flache Tablett mit dem Geld ins Büro der Geschäftsführerin. Die Geschäftsführerin schloss dann die Tür ab, und nach fünf Minuten schloss sie sie wieder auf. In diesen fünf Minuten würde der Safe geöffnet sein. Morgen würde die Kassiererin auf demselben Tablett wieder Wechselgeld zur Kasse hinunterbringen.
Bei seinem zweiten Besuch war er in eine Nachmittagsvorstellung gegangen und hatte gewartet, bis die Geschäftsführerin zu einem ihrer Rundgänge aufbrach, dann hatte er die vier Schlüssel, die er mitgebracht hatte, an dem Schloss in der Bürotür ausprobiert und festgestellt, dass einer passte. Beim drittenmal hatte er den Kartenabreißer an der Tür beobachtet, den einzigen Angestellten außer dem Mädchen am Kiosk. Es war ein Collegestudent in einer kastanienrot-grauen Uniform; was tat er, wenn das Geld gerade transportiert wurde?
Nichts, jedenfalls nichts Wichtiges. Sobald die Kasse geschlossen war, durchquerte der junge Mann das Foyer, ging durch eine Tür mit der Aufschrift »Nur für Angestellte« und eine Treppe hinunter, um sich umzuziehen. Parker musste sich also nur um die Kassiererin und die Geschäftsführerin kümmern.
An diesem Abend stand er vor einem Plakat für einen demnächst anlaufenden Film, das an der Wand im Flur nicht weit vom Büro der Geschäftsführerin hing. Er las die Namen und schaute sich die farbige Abbildung eines explodierenden Zuges an, der eine Felswand herabstürzte, als die Kassiererin mit ihrem Tablett hinter ihm vorbeiging. Die Geschäftsführerin stand in der offenen Tür. Sie und die Kassiererin machten das seit Jahren. Keine von beiden war auf der Hut, keine von beiden warf einen Blick auf den Kunden, der den Text auf dem Plakat las. Die Kassiererin ging in das Büro, die Geschäftsführerin schloss die Tür, und Parker hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.
Er wartete gut eine Minute, dann zog er die Chirurgenhandschuhe an und ging rasch den Flur entlang. Den Schlüssel hatte er in der rechten Hand, den Sentinel in der linken. Er schloss mit einer einzigen raschen Bewegung die Tür auf, ging hinein und schloss sie wieder.
Die Geschäftsführerin hatte sich vor der offenen schwarzen Metalltür des Safes in der Ecke hinter ihrem Schreibtisch auf ein Knie niedergelassen. Die Kassiererin hatte das Geldtablett auf dem Schreibtisch abgestellt und fing gerade an, ihrer Chefin das Geld zu reichen. Beide hatten Geldscheinbündel in den Händen. Sie schauten zu Parker hinüber, erschraken aber noch nicht, sondern wunderten sich nur, dass jemand durch diese Tür hereingekommen war.
Der Name der Geschäftsführerin war auf einem Messingschild zu lesen, das auf ihrem Schreibtisch stand. Parker trat vor, ließ den Sentinel sehen und sagte: »Gladys, behalten Sie das Geld in den Händen. Drehen Sie sich zu mir um. Drehen Sie sich zu mir um!« Die Frau durfte nicht auf die Idee kommen, die Safetür zuzuschlagen.
Gladys begriff noch gar nichts und sah ihn nur mit großen Augen an, doch die Kassiererin, eine stämmige Frau mit rundem Gesicht, starrte mit offenem Mund voller Entsetzen auf den Revolver und sackte gegen den Schreibtisch. Die Geldscheinbündel glitten ihr aus den Händen. Sie wurde bleich, Schweißperlen traten auf ihre Stirn, und ihr Blick wurde glasig. »Gladys«, sagte Parker, »passen Sie auf, dass sie nicht hinfällt!«
Jetzt endlich riss Gladys sich zusammen. Sie rappelte sich hoch, warf die Geldscheine auf den Schreibtisch, beugte sich zu der Kassiererin hinüber und streckte den Arm aus, während sie Parker harsch anfuhr: »Stecken Sie das Ding da weg! Sehen Sie nicht, was Sie damit anrichten?«
An der Wand stand ein kleines grünes Kunstledersofa. »Kommen Sie, Gladys«, sagte Parker, »helfen Sie ihr auf das Sofa.«
Gladys musste um den Schreibtisch herumgehen, um die Kassiererin zu erreichen, aber sie sah Parker weiter mit finsterer Miene an. »Sie ist aus Guatemala«, sagte sie, als sei damit alles erklärt. »Sie hat gesehen …«
Die Kassiererin stöhnte jetzt und rutschte am Schreibtisch hinab; ihre Beine versagten ihr den Dienst. »Bringen Sie sie zu dem Sofa, Gladys«, sagte Parker, »dann muss sie den Revolver nicht sehen.«
»Maria«, sagte Gladys leise, stützte die Frau und führte sie unter Aufbietung aller Kräfte vom Schreibtisch zum Sofa. »Kommen Sie, Maria, er wird Ihnen nichts tun, es ist alles gut.«
Das stimmte, Parker würde nichts tun, jedenfalls nicht mit dem Sentinel, diesmal nicht. Er wollte die Waffe nicht benutzen, wenn er nicht unbedingt musste, weil auch das ein Muster werden konnte, eine Serie von Raubüberfällen, die alle damit begannen, dass eines der Opfer angeschossen wurde.
Die zwei Frauen setzten sich auf das Sofa. Maria sackte in sich zusammen wie ein Crashtest-Dummy, Gladys bemühte sich um sie, murmelte etwas, drehte sich dann um und sah Parker vorwurfsvoll an. »Wollen Sie uns ausrauben? Haben Sie das tatsächlich vor? Rauben Sie uns tatsächlich aus?«
»Ja«, sagte Parker und ging um den Schreibtisch herum zum Safe.
»Wegen Geld?« fragte Gladys. »Sie fügen dieser armen Frau wegen Geld ein solches Trauma zu?«
»Sorgen Sie dafür, dass sie ruhig bleibt«, sagte Parker, »dann geschieht Ihnen beiden nichts.«
Er hatte einen zusammengefalteten schwarzen Plastiksack mit Reißverschluss mitgebracht, den er sich hinten unter sein Hemd geschoben hatte. Jetzt zog er ihn heraus, legte den Sentinel in Griffweite auf den Schreibtisch und stopfte Geld in den Sack. Als er voll war, zog er den Reißverschluss zu und steckte sich das restliche Geld in die Taschen.
Es war nur ein einziger Anschluss für Telefon und Fax vorhanden. Parker zog das Kabel aus der Steckdose und aus dem Telefonapparat, rollte es zusammen und steckte es ein, dann ging er mit dem Plastiksack und dem Sentinel zu den beiden Frauen auf dem Sofa hinüber. »Gladys«, sagte er.
Sie blickte zu ihm auf. Sie war jetzt ruhiger, und Maria erholte sich von ihrem Schwächeanfall. Gladys hörte auf, sich zu entrüsten, und fing an, sich Sorgen zu machen. »Sie würden es nicht wagen zu schießen«, sagte sie. »Bei den vielen Leuten hier drin.«
»Gladys«, sagte Parker, »in den Filmen um uns herum wird am laufenden Band geschossen. Ich könnte das ganze Magazin leeren, und niemand würde auch nur den Blick von der Leinwand nehmen.«
Gladys blinzelte und starrte dann den Revolver an. Man sah ihr an, dass sie sich dazu überwinden musste. Maria stöhnte wieder und schloss die Augen, war aber nicht bewusstlos.
»Ich warte ein paar Minuten draußen auf dem Flur«, sagte Parker. »Wenn Sie zu früh rauskommen, erschieße ich Sie. Sie wissen, dass ich es tun werde, oder?«
Sie hob den Blick von der Waffe und sah ihm ins Gesicht. »Ja«, flüsterte sie.
»Es liegt bei Ihnen, wann Sie rauskommen, Gladys«, sagte er. »Aber lassen Sie sich Zeit. Denken Sie, was für ein Trauma es für Maria wäre, Sie in einer großen Blutlache liegen zu sehen.«
Gladys schluckte. »Ich werde mir Zeit lassen«, sagte sie.