Claire war nicht auf ihrem Zimmer. Er fand sie draußen am Pool in einem roten Bikini auf einer der weißen Liegen. Sie nahm keine Notiz von dem Interesse, das sie weckte, und las eine Biographie von Aphra Behn.
Es war schon eine Weile her, dass er sie aus so einem ungewohnten Winkel gesehen hatte. Fast ging er auf sie zu wie auf eine Fremde, und er musste daran denken, wie sie sich kennengelernt hatten: Er hatte eine Hotelzimmertür geöffnet und irgendeinen servilen Fahrer erwartet, und statt dessen hatte diese coole, schöne Frau vor ihm gestanden. Als er ihr sagte, er habe keine Frau in diesem Job erwartet, weil das unprofessionell sei, hatte sie gesagt: »Na ja, so ein lukrativer Job ist das ja auch wieder nicht«, und schon hatte sie ihn an der Angel gehabt. Bis dahin verschlossen, an der Welt nur insoweit interessiert, als sie gezähmt und manipuliert werden musste, hatte er gar nicht gewusst, dass ihm so etwas passieren konnte. Aber da war sie gewesen. Und da war sie wieder. Immer noch da.
Mit dunkelblauer Seglermütze, Sonnenbrille, Schnurrbart, dunkelgrünem Blazer, rot-weiß gestreiftem Hemd, weißer Hose und hellbraunen Schuhen mit Quasten ging er an den Leuten vorbei durch die Sonne und den Kokosnussgeruch von Sonnenmilch und setzte sich, ihr zugewandt, auf die Liege neben ihr. Ohne von ihrem Buch aufzuschauen, sagte sie: »Die ist besetzt.«
»Ja, von mir«, sagte er.
Auch sie hatte eine Sonnenbrille auf, dunkelgrüne Gläser und weißes Plastikgestell. Sie drehte den Kopf, warf ihm durch diese Gläser einen kühlen Blick zu, musterte ihn entsetzt und angewidert von Kopf bis Fuß und sagte: »Großer Gott.«
Er grinste. Außer ihr gab es nichts, was ihn zum Grinsen bringen konnte. Er sagte: »Funktioniert offensichtlich.«
Sie betrachtete ihn Stück für Stück, dann zuckte ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie sagte: »Dieser Mensch. Kann der denn überhaupt gut im Bett sein?«
»Probieren geht über Studieren«, sagte er.
»Jetzt erinnere ich mich wieder an dich«, sagte sie lächelnd und fuhr mit dem Finger die lange blassviolette Furche an seiner linken Seite entlang, knapp über der Taille, wo ihn einmal eine Kugel gestreift hatte, abgeschossen von einem Mann namens Auguste Menlo, der jetzt tot war. »Meine menschliche Zielscheibe.«
»Ich bin schon lange nicht mehr angeschossen worden«, sagte er und streckte sich neben ihr auf dem Bett aus.
»Nicht mehr, seit du mich kennst. Ich bringe dir Glück.«
»Das muss der Grund sein, warum ich hier bin«, sagte er und zog sie wieder an sich.
Er war im Lauf der Jahre achtmal angeschossen worden, und die Andenken waren an seinem Körper immer noch sichtbar, doch wenn er angezogen war, sah man nur eines — die kleine Kerbe in seinem rechten Ohrläppchen, wie bei einem Rind, das gebrandmarkt werden soll. Ein Mann namens Little Bob Negli, der noch nicht gemerkt hatte, dass seine Beretta .25 Automatic zu hoch und leicht nach rechts schoss, hatte ihm mit einem Schuss von hinten diese Kerbe beigebracht. Auch Negli war tot, aber Parker lebte, und im kühlen Dämmer von Claires Hotelzimmer spürte er, wie dieses Leben Tempo aufnahm.
Am Morgen sagte sie: »Der Schnurrbart stimmt nicht.«
»Sprich.«
»Das ist ein Polizistenschnurrbart, zu buschig. Was du brauchst, ist ein Salonlöwenbärtchen, schmaler, feiner. Wie das von David Niven oder Errol Flynn.«
»Stutz ihn.«
»Okay.«
Sie standen zusammen unter der Dusche, sie ganz konzentriert mit der Nagelschere, und er betrachtete ihre Augen, in denen sich das Licht fing.
Später zog er seine sonderbaren Sachen an, und sie musterte ihn amüsiert. »Wirst du diese Klamotten auch anhaben, wenn du wiederkommst?«
»Nein.«
»Lass dich nicht mehr anschießen«, sagte sie und küsste ihn, so dass es nicht auffiel, dass er ihr die Antwort schuldig blieb. Aber sie hatte ihm noch nie Fragen gestellt, und sie tat es auch jetzt nicht.
An dem Nachmittag um halb drei fuhr er bei strahlender Sonne, fünfundzwanzig Grad und erträglicher Luftfeuchtigkeit in dem gelben Jaguar über die Flagler Memorial Bridge auf den Royal Poinciana Way in Palm Beach.