Lesley erschrak über sein Aussehen. Sie hatte nicht gewusst, was ihr bevorstand, aber das hatte sie jedenfalls nicht erwartet. Er kam ihr vor wie ein starker Motor, der abgeschaltet worden war. Unbeweglich. Gar nichts mehr. Seine Augen blickten stumpf, die in seinem Schoß zusammengekrümmten Hände wirkten wie tot.
Ob er sich an sie erinnerte? Sie hatte es für das Beste gehalten, dem Sheriff Sergeant den Eindruck zu vermitteln, Daniel und sie hätten etwas Sexuelles laufen, denn welchen Grund hätte sie sonst gehabt, hier aufzutauchen? Außerdem war er offenbar einer der Männer, die verunsichert sind, wenn eine Frau über Sex redet, also war es wahrscheinlich eine gute Idee, ihn immer wieder ein bisschen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Aber wenn es Daniel wirklich so schlechtging, wie er aussah, würde er sich vielleicht gar nicht an sie erinnern; vielleicht hatte sie ja keinen allzu tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen.
Ein weißgekleideter junger Arzt saß auf einem Chrom- und Kunstlederstuhl in der Ecke und schrieb etwas in ein Formular auf einem Klemmbrett. Er nickte Lesley zu und sagte: »Sie können mit ihm sprechen, aber nicht lange. Sie müssen aber nahe rangehen, er kann nur flüstern.«
»Danke.«
Am Bett stand ein zweiter Stuhl. Sie wünschte jetzt, sie wäre nicht hergefahren, sondern hätte nur angerufen, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen — allerdings hätte sie dann nicht herausbekommen, was sie über die drei Männer wissen musste. Zögernd ging sie zu dem Stuhl, nahm darauf Platz und sagte: »Daniel.«
Seine Augen waren ihr gefolgt, als sie den Raum durchquerte, und jetzt fragte er leise: »Welcher Tag ist heute?« Seine Stimme war heiser, eingerostet, kaum hörbar.
Sie beugte sich näher zu ihm. »Montag.«
»Vier Tage«, flüsterte er.
»Vier Tage? Wie meinen Sie das?«
»Auktion.«
»Was? Denken Sie da immer noch dran?«
Er ging nicht darauf ein, sondern hing seinen eigenen Gedanken nach. »Woher wissen Sie, dass ich hier bin?«
»Es hat im Herald gestanden. Sie wurden angeschossen, und die Männer, die auf Sie geschossen haben, wurden getötet, von —«
»Herald? Die Zeitung?«
»Ja. Am Samstag. Ich konnte nicht früher kommen.«
»Lesley«, flüsterte er, »Sie müssen mich hier rausholen.«
Jetzt flüsterte sie ebenfalls, fast genauso leise wie er, wegen des Arztes, der sie aber nicht beachtete. Sie beugte sich noch näher zu ihm. »Sie können hier nicht raus! Sie können sich ja nicht mal bewegen!«
»Mir geht’s besser, als die meinen. Wenn ich in der Zeitung stehe, könnte jemand anders kommen und mir den Rest geben.«
Das war das Thema, über das sie eigentlich sprechen wollte, und der Hauptgrund dafür, dass sie hergefahren war. Die drei Räuber. »Die Leute, denen Sie den Schmuck abjagen wollen, stimmt’s? Wissen die von mir?«
»Nein, andere.«
Das war eine Überraschung. Sie hatte selbstverständlich angenommen, dass die drei Männer, die den Raub planten, Daniel aufgestöbert und auf ihn geschossen hatten, und sich natürlich gefragt, ob sie auch über sie Bescheid wussten. »Es gibt noch andere? Wen?«
»Weiß nicht. Ist mir egal. Ich muss nur hier raus. Lesley?«
»Ja?«
»Je länger ich hier bin, desto mehr Fragen werden sich die Cops stellen. Wo ich herkomme, wie ich heiße. Die dürfen auf keinen Fall meine Fingerabdrücke nehmen.«
»Aha.«
Sie setzte sich auf und betrachtete ihn nachdenklich. Er steckte wirklich in der Klemme. Halbtot, schwach, verfolgt von Killern, die er anscheinend nicht einmal kannte, festgenagelt in dieser Klinik, von Polizisten umgeben, und jetzt stellte sich auch noch heraus, dass seine Fingerabdrücke die Polizei auf etwas Gefährliches aus seiner Vergangenheit bringen würden. Und der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der ihm helfen konnte, war sie.
Diesmal wunderte sie sich nicht über ihn, sondern über sich selbst. Sie fühlte sich plötzlich sehr stark. Was sie für Daniel Parmitt fühlte, hatte nichts mit Liebe oder Sex zu tun, aber doch mit Zuneigung. Es war seltsamerweise fast ein mütterliches Gefühl. Jetzt war sie die Starke. Sie war diejenige, die helfen konnte. Und sie wollte helfen; er sollte wissen, dass sie, sobald er die Frage stellte, die Antwort parat hatte.
Sie beugte sich wieder ganz nahe zu ihm, einen Unterarm auf dem Bett, und schaute ihm in die Augen, die gar nicht so stumpf waren, wie er tat. »Wie schlecht geht’s Ihnen wirklich?« flüsterte sie. »Können Sie laufen?«
»Weiß ich nicht. Ich kann’s versuchen.«
»In der Zeitung stand, Sie würden es wahrscheinlich nicht überleben. Werden diese anderen Leute da nicht einfach abwarten?«
»Eine Zeitlang.«
»Also gut«, sagte sie. »Ich weiß noch nicht, wie ich es machen werde, aber ich mach’s. Ich denk mir was aus, und dann komme ich morgen wieder.«
Er schaute ihr nach. Der Arzt saß in der Ecke und schrieb.