Am Montag kamen Leute, um das Haus auszuräumen, in dem er seit Samstag abend versucht hatte, sich einigermaßen zu erholen. Sie rechneten nicht damit, dass jemand im Haus war, deshalb hatte Parker keine Mühe, ihnen aus dem Weg zu gehen. Es waren zwei Kriminalbeamte in Zivil, ein gelangweilter Polizist in Uniform und ein paar Möbelpacker. Die Kriminaler kontrollierten alle Zimmer und gaben sie frei, dann etikettierten die Möbelpacker alles und trugen es hinaus.
Parker hatte etwas Ähnliches schon erwartet und sich einen Vorrat angelegt, im unausgebauten Teil des Dachbodens. Dort hatte er einen Rasierer, Rasiercreme und Kamm und ein paar Kleidungsstücke versteckt, alles Sachen, die den toten Verbrechern gehört hatten, außerdem eine ungeöffnete Packung Frühstücksflocken, eine Plastiktüte mit Brötchen, zwei Dosen Thunfisch und sechs Flaschen Bier. Wenn das Haus aber komplett geschlossen werden sollte, konnte er nicht mehr viel länger bleiben.
Als sie weg waren, stieg er hinunter, um nachzusehen, was vielleicht noch da war; sie hatten alle Möbel, alle Privatsachen und die ganzen übrigen Fressalien mitgenommen. Der Kühlschrank war noch da, aber sie hatten ihn ausgeschaltet und die Tür aufgemacht. Wasser und Strom gab es noch, also schaltete er den Kühlschrank wieder ein und tat das Bier und die Brötchen hinein.
Er wartete auf Lesley. Er wusste, dass sie wiederkommen würde. Sie würde irgendeinen Weg finden, um noch einmal in dieses Haus zu kommen, und sei es nur aus Neugier. Wahrscheinlicher aber, um sich auf seine Spur zu setzen. So oder so, sie würde jedenfalls hier auftauchen, und darauf musste er zählen, denn er brauchte noch ein einziges Mal ihre Hilfe. Schließlich konnte er in seinem Zustand nicht einfach aus dem Haus spazieren und die Straße hinuntergehen. Er würde keinen Kilometer weit kommen, dann würde ihn irgendein Polizist anhalten und ihm Fragen stellen. Irgendwelche Fragen.
Mittwoch nachmittag. Wenn er wach war, saß er die meiste Zeit auf dem Balkon auf dem Boden, vom Strand aus nicht zu sehen, aber doch an der frischen Luft, so dass sein Körper eine Chance bekam, sich zu erholen und gesund zu werden. Alle Türen im Haus standen offen, ebenso die Balkontür, so dass er es hören würde, wenn jemand kam.
Die Zeit verging, der Balkon lag jetzt im Gebäudeschatten. Er hatte Hunger, doch sonst fühlte er sich nicht schlecht. Das Atmen fiel ihm leichter, die Rippen taten nicht mehr so weh. Die Bandagen waren jetzt fast eine Woche alt, aber er wollte sie nicht abnehmen, weil er keinen Ersatz für sie hatte.
Er hörte, wie die Haustür zugemacht wurde, und stand leise stöhnend auf. Von der Tür aus konnte er direkt in die Diele hinabschauen, und er sah gerade noch Lesley nach rechts verschwinden. Sie wollte die nutzlose Alarmanlage abschalten.
Er trat durch die Tür, lehnte sich ans Treppengeländer und wartete. Sie kam wieder zum Vorschein und schaute sich um, als müsste sie überlegen, was sie als erstes tun wollte. Leise rief er hinunter: »Bist du allein?«
Sie schaute erschrocken hoch. »Mein Gott! Ich dachte, du bist tausend Kilometer weg von hier!«
»Noch nicht. Warte, ich komm runter.«
Er stieg hinunter, und sie setzten sich nebeneinander auf die Treppe. Sie hatte einen Schlüsselbund in der Hand. »Bist du offiziell hier?«
Sie grinste selbstzufrieden. »Ich hab das Objekt exklusiv«, sagte sie.
»Ich versteh nicht.«
»Das Haus ist an seinen früheren Besitzer zurückgefallen«, erklärte sie, »deshalb ist es wieder auf dem Markt. Da ich jetzt eine Heldin bin, darf ich es exklusiv anbieten.« Sie strahlte ihn an, als brächte sie ihm ein Geschenk. »Niemand betritt dieses Haus, außer in meiner Begleitung.«
»Das ist gut. Aber ich kann hier nicht bleiben. Machen die immer noch Verkehrskontrollen?«
»Nein«, sagte sie. »Sie denken, der vierte Mann ist mit dem Schmuck entkommen.«
»Der vierte Mann?«
»Sie haben am Samstag den ganzen Tag das Haus durchsucht und den Schmuck nicht gefunden, also muss es einen vierten Mann geben.«
»Aha.«
»Die denken, die drei haben auf dem Weg hierher den Schmuck diesem vierten Mann übergeben, und ich bin ziemlich sicher, dass sie glauben, es handelt sich bei ihm um eine Lokalgröße von hier, aber laut sagt das keiner.«
Parkers Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Dann suchen sie also nur noch vor Ort?«
»Ja.« Sie grinste zurück, doch dann wurde sie ernst. »Bis auf den Sheriff, diesen Farley.«
»Ist der immer noch dabei?«
»Er hat die Theorie, dass der vierte Mann Daniel Parmitt war und die anderen drei ihn aus dem Krankenhaus geholt haben, weil sie ihn für ihren Plan gebraucht haben. Sonst denkt keiner, dass Daniel Parmitt irgendwas mit dem Raub zu tun hat, nur Farley. Er meint, Parmitt hatte ein Boot oder so was. Er versucht ständig jemanden zu finden, dem er diese Geschichte erzählen kann, aber die Polizei hier hält ihn bloß für einen Provinzbullen aus den Everglades.«
»Er ist ein Provinzbulle«, sagte Parker. »Aber er hat was auf dem Kasten. Welche Geschichte hast du ihnen aufgetischt?«
»Ich hab gesagt, ich hätte gedacht, das Haus steht leer, weil man nie jemand gesehen hat. Ich wär drauf aus gewesen, es zu verkaufen, falls es auf dem Markt war, und hätte sogar gedacht, du kämst als Interessent in Frage.«
»Parmitt.«
»Ja. Ich wär hierhergekommen, die Tür hätte offengestanden, und niemand wär zu Hause gewesen. Als ich mich noch umsah, wären diese drei furchterregenden Männer in Taucheranzügen hereingekommen und hätten mich gekidnappt. Schmuck hätte ich keinen gesehen, weder in dem Moment noch irgendwann später.«
»Gut.«
»Die Männer hätten mich über Nacht dabehalten und mich am Morgen frühstücken lassen, und zufällig hätte ich den Revolver unter der Tischplatte entdeckt, keine Ahnung, wer ihn da befestigt hatte. Es hat noch ein Stück Klebeband drangehangen, als ich ihn der Polizei übergeben habe, und den Rest haben sie unter der Tischplatte gefunden.«
»Gut.«
»Ich hab ihnen gesagt, ich hätte zuerst Angst gehabt, ihn anzufassen, aber als dann die Polizei kam, hätte ich gedacht, sie würden wieder gehen, ohne mich zu retten, und deswegen hätte ich den Revolver abgerissen und damit geschossen, um auf mich aufmerksam zu machen.«
»Das ist gut«, sagte Parker. »Du bist von hier, hast einen guten Leumund, und die Geschichte ist so gut, dass sie wahr sein könnte.«
»Die glauben mir«, versicherte sie.
Er zuckte die Achseln. »Warum nicht? Und was sagen sie dazu, dass die Waffen manipuliert waren?«
Sie sah ihn verwirrt an. »Manipuliert?«
»Denen ihre Waffen haben nicht funktioniert«, erklärte Parker.
»Stimmt. Jetzt, wo du’s sagst«, sagte sie verwundert. »Das hatte ich ganz vergessen. Ich dachte, ich bin tot, als dieser Mensch die Flinte auf mich gerichtet hat, aber sie ist ja gar nicht losgegangen.«
»Und die anderen auch nicht«, sagte Parker. »Was sagt die Polizei dazu?«
»Nichts. Kein Wort.«
Parker überlegte. »Ist das denn keinem aufgefallen? Weil alles so schnell ging? Oder ist es ihnen doch aufgefallen, aber sie haben sich gesagt, warum sollen wir an die große Glocke hängen, dass wir drei Typen umgelegt haben, die nicht zurückschießen konnten? Aber um so besser, wenn sie kein Trara drum machen.«
»Machen sie nicht.«
»Du kennst mein Bankkonto in San Antonio?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab’s versucht«, sagte sie. »Am Montag.«
»Ja, und?«
»Ich hab mich ganz schön ins Zeug gelegt«, sagte sie. »Ich wollte mir ein bisschen Geld beschaffen.«
»Klar.«
»Der Mann war sehr nett, aber er hat gemeint, das Konto wär vorübergehend eingefroren und er könnte mir kein Geld überweisen.«
Parmitt war also endgültig gestorben. »Na gut. Aber du hast doch noch was von den zehntausend übrig.«
»Ja, etwas«, gab sie zu.
»Du hast noch meine Kleidergrößen. Ich brauche ein paar Daniel-Parmitt-Sachen, Klamotten, in denen ich nicht wie ein Exsträfling aussehe.«
»Ich wette, du bist ein Exsträfling.«
»Polohemd. Khakihosen. Schuhe mit Troddeln. Sonnenbrille. Weiße Seglermütze.«
»Ich liebe deine Verkleidungen.«
»Warte hier.« Er stand auf und ging in die Küche, wo in der Wand am Fenster über der Spüle der Sicherungskasten war. Er öffnete den Blechdeckel und zog die gestrichene Holzplatte im unteren Teil heraus, die er neulich gelockert hatte. Darunter hingen im Innern der Wand die drei Schmuckbeutel an den dicken Stromkabeln, die in den Kasten führten. Er nahm sie heraus, schloss den Kasten wieder und trug die Beutel in die Diele, wo Lesley, als sie sie sah, aufsprang, als hätte sie die Queen vorbeigehen sehen.
»Ist das die Beute?«
»Ja, alles. Kriegst du das in deiner Handtasche unter?«
Wie die meisten Karrierefrauen hatte auch Lesley eine übergroße Handtasche, aus braunem Leder, eher nützlich als modisch. »Ich nehm nur schnell ein paar Karten und andere Sachen raus. Krieg ich das alles?«
»Ja, zur Aufbewahrung. Du nimmst das Zeug mit nach Hause, versteckst es so, dass deine Mutter und deine Schwester es nicht finden, und irgendwann, bald, in ein paar Wochen oder einem Monat, kommt ein Typ zu dir und sagt, Daniel Parmitt schickt ihn. Vorher ruf ich dich allerdings an und sag dir, welchen Namen er benutzt und wie er aussieht.«
Sie war sehr ernst geworden und nickte zu allem, was er sagte. »Ja, gut.«
»Er nimmt die Klunker mit«, sagte Parker. »Er und ich handeln einen Preis aus. Dann kommt er noch mal zu dir und gibt dir ein Drittel davon. Okay?«
»Ein Drittel.« Sie konnte es noch immer nicht fassen. »Wieviel wär das ungefähr?«
»Nach unserer Schätzung vierhunderttausend für dich, vielleicht auch weniger.«
»Aber nicht viel weniger.«
»Nein.«
Sie nahm mit der einen Hand die Tasche und mit der anderen ihre Karten und den Aktenordner. »Du vertraust mir das an?«
»Mit Vertrauen hat das nichts zu tun, Lesley«, sagte er. »Was könntest du schon damit anfangen? Es ins Leihhaus bringen?«
»Ich glaube, die haben eine Belohnung ausgesetzt.«
»Aber keine vierhundert Riesen. Und du müsstest erklären, wo du das Zeug herhast. Nein, du bewahrst es auf, und du kriegst deine vierhunderttausend.«
»Worauf du dich verlassen kannst«, sagte sie. Ihr ehrfürchtiges Staunen wich einem breiten Grinsen. »Das hat sich ja wirklich rentiert, was?«
»Für einige von uns. Könntest du gegen acht wiederkommen? Mit meinen neuen Klamotten.«
»Klar.«
»Und mich nach Miami fahren?«
»Okay. Ist da Claire?«
»Du willst doch gar nichts über Claire wissen, Lesley.«
»Und ob ich das will.«
Er sah sie an und beschloss, dieses Kapitel ein für allemal abzuschließen. »Claire ist das einzige Haus, in dem ich jemals wohnen will«, sagte er. »Alle ihre Türen und Fenster stehen offen, aber nur für mich.«
Lesleys Wangen röteten sich leicht, und sie trat einen Schritt zurück, perplex, als wäre ihr eine Tür vor der Nase zugeschlagen worden. »Wahrscheinlich brennst du schon darauf, sie wiederzusehen«, murmelte sie der Form halber. »Dann bis acht.«