Es wurde nichts draus. Keine zehn Minuten nachdem Lesley gegangen war und Parker sich wieder im ersten Stock mit dem Rücken zur Wand auf den Balkonboden gesetzt hatte, hörte er die Haustür gehen. Er stand auf, um nachzusehen. Es war Farley. Der Sheriff von Snake River, in Uniform, die rechte Hand auf dem Holster der Seitenwaffe. Er schlich sich vorsichtig ins Haus und schaute in alle Richtungen gleichzeitig.
Er war Lesley nachgefahren. Hatte gedacht, sie würde ihn zu Parmitt führen oder zu jemand anders, der mit dem Schmuckraub zu tun hatte. Tatsächlich aber gab er Parker die Möglichkeit, sich um einige der noch anstehenden Probleme zu kümmern.
Durchs Haus konnte er nicht gehen, dafür war Farley zu wachsam. Parker kletterte am Hauseck vom Balkon hinab, so wie er beim erstenmal von der Terrasse in den ersten Stock gelangt war, und ging so schnell wie möglich um das Haus herum auf die Vorderseite, wo Farleys Dienstwagen vor der Haustür stand.
Er war nicht abgeschlossen, und das Fenster auf der Beifahrerseite war offen, damit es nicht zu stickig würde, bis Farley zurückkam. Parker setzte sich auf den Beifahrersitz und las eine Zeitlang in der Betriebsanleitung, und nach zwanzig Minuten kam Farley sichtlich frustriert aus dem Haus. Als er Parker in seinem Wagen sitzen sah, war er im ersten Moment wütend, doch dann schaute er triumphierend, so als hätte er mit irgend etwas recht behalten.
Er ging um das Auto herum, stieg ein und sagte: »Sie waren dadrin.«
»Dadrin? In dem Haus? Nein, ich war die ganze Zeit hier draußen. Ich bin Ihnen gefolgt. Ich wollte mit Ihnen reden.«
Farleys Miene besagte, er solle ihn nicht für dumm verkaufen. »Sie waren dadrin, und diese Mackenzie hat Sie da aufgesucht.«
»Wer? Ach, Lesley. Nein, ich hab Lesley nicht mehr gesehen, seit sie mich im Krankenhaus besucht hat.« Mit einem schiefen Grinsen fuhr er fort: »Ich glaube, da hab ich ihr Angst eingejagt.«
»Sie hat Ihnen geholfen, aus dem Krankenhaus zu fliehen.«
»Was, diese Frau? Seien Sie nicht blöd.«
Farley ließ sich nicht gern blöd nennen, aber er wusste, dass er keinen festen Boden unter den Füßen hatte, und sagte deshalb nur: »Wie Sie meinen« und ließ den Motor an.
Mit freundlicher Stimme erkundigte sich Parker: »Wohin soll’s gehen?«
»Nach Snake River natürlich«, sagte Farley und ließ sein Fenster hoch. »Ich nehme Sie fest.«
»Weswegen?«
»Weil Sie aus dem Krankenhaus weggelaufen sind.«
»Das ist nicht strafbar«, belehrte ihn Parker. »Erkundigen Sie sich beim Krankenhaus, ob die irgendwelche Ansprüche gegen mich haben.«
Der Motor lief, und die Klimaanlage blies kalte Luft ins Wageninnere, aber Farley hatte noch keinen Gang eingelegt. Er sah Parker mit finsterer Miene an, dachte nach und sagte dann: »Sie sind in den großen Schmuckraub verwickelt.«
»Schon wieder falsch.«
»Erzählen Sie mir nichts. Ich weiß es.«
»Also erstens ist das nicht Ihr Fall, und zweitens glaubt niemand, der an dem Fall arbeitet, dass ich irgend etwas damit zu tun hatte, und das wissen Sie genau.«
»Die irren sich«, sagte Farley.
»Alle irren sich, nur Sie nicht.«
»Das kommt vor«, sagte Farley.
Parker nickte und sah ihn an. »Oft?«
»Ach, Sie können mich mal, Parmitt«, schnauzte Farley und zeigte dann wütend mit dem Finger auf ihn. »Noch was: Sie sind überhaupt nicht Daniel Parmitt.«
»Das weiß jeder«, sagte Parker. Während Farley ihn verdutzt ansah, zeigte er auf das Haus. »Warum gehen wir nicht rein und machen es uns gemütlich? Es ist doch niemand zu Hause, oder?«
»Es ist leer, keine Möbel mehr drin, das wissen Sie verdammt gut.«
»Ach ja?« Parker sah das Haus an und zuckte die Achseln. »Dann können wir genausogut hierbleiben. Für einen Polizisten sind Sie gar nicht neugierig.«
»Neugierig? Worauf denn?« Farley war inzwischen soweit, dass er sich über alles ärgerte.
»Warum ich in Ihrem Auto sitze«, sagte Parker.
Mit der Antwort hatte Farley nicht gerechnet. Er überlegte und sagte dann: »Sie wollten nicht, dass ich Ihnen folge.«
»Sie sind nicht mir gefolgt, ich bin Ihnen gefolgt.«
»Ach, Scheiße, Parmitt oder wie Sie sonst heißen. Aber meinetwegen: Warum sitzen Sie in meinem Auto, wenn nicht, um sich für ein Dutzend verschiedener Dinge verhaften zu lassen, die mir auf die Schnelle einfallen?«
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Farley. Wenn Sie irgendwas gegen mich in der Hand hätten, hätten Sie mir längst Handschellen angelegt.«
Farley lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und musterte Parker von oben bis unten. »Sie haben es von Anfang an drauf angelegt, mich in Rage zu bringen«, befand er.
»Sie regen sich ganz von allein auf.«
»Stimmt. Und Sie wollen, dass ich mich beruhige. Also gut, ich bin ruhig. Warum sitzen Sie in meinem Auto?«
»Weil ich wissen möchte, wie weit Sie mit dem Typ sind, der Auftragskiller auf mich hetzt.«
Farley nickte. »Okay«, sagte er. »Das ist ein guter Grund.«
»Allerdings. Und, wie weit sind Sie?«
»Tja, die Chicagoer Polizei —« Auf Parkers Blick hin verzog er das Gesicht und sagte: »Ja, ja, Chicago hat den Fall an sich gezogen. Bernson, der Kerl, den wir im Krankenhaus geschnappt haben —«
»So heißt er? Ich hab nur gehört, dass Sie jemand verhaftet haben.«
»Edward Bernson. Ein Profikiller, sagen die in Chicago. Eine der Waffen, die er bei sich hatte, bringt ihn mit zwei anderen Morden im Lauf der letzten Jahre in Verbindung. Als er gemerkt hat, dass wir ihn haben, ist er umgefallen.«
»Und hat Ihnen den Namen von dem Typ verraten, der ihn angeheuert hat.«
»Nein, den Mittelsmann. Das heißt, es ist eine Frau, eine Anwältin in Chicago namens Gilma Yard, und die nehmen die Kollegen in Chicago gerade unter die Lupe. Sie glauben, dass sie eine Art Agentur für Killer betreibt, für Auftragsmörder. Sie sind nicht einmal sicher, ob sie wirklich so heißt, aber in ihren Akten findet sich jede Menge Material, das zur Aufklärung von vielen Morden überall im Land beitragen wird.«
»Diese Gilma Yard steckt also nicht selbst dahinter? Bei ihr kann man nur die Killer buchen?«
»So sieht’s aus.«
»Und die haben sie nicht zum Reden gebracht?«
»Noch nicht. Sie mauert, und sie ist Anwältin und glaubt anscheinend, sie kann sich da noch irgendwie rauswinden. Ich weiß nicht, ob ihr das gelingt, aber zur Zeit ist sie in Schutzhaft, für den Fall, dass es irgendwo da draußen Klienten gibt, die lieber anonym bleiben möchten.«
»Bis jetzt weiß also immer noch niemand, wer diese Leute anheuert, die mich umnieten wollen?«
»Na ja, Sie müssten das doch wissen«, meinte Farley.
»Ich weiß es aber nicht.«
Farley schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Sie müssen doch irgendeine Ahnung haben, warum Sie —«
»Dazu kommen wir noch«, versprach Parker. »Aber was passiert eigentlich mit dieser Anwältin und ihren Akten? Wissen die nicht wenigstens von jemand, der es sein könnte?«
Widerstrebend sagte Farley: »Doch.«
»In Chicago?«
»Nein, in Tulsa, Oklahoma.«
»Wir kommen ganz schön rum«, sagte Parker. »Und wer ist es?«
Farley sah ihn irritiert an. »Angenommen, so unwahrscheinlich es ist, Sie wissen wirklich nicht, wer es auf Sie abgesehen hat: Warum sollte ich Ihnen einen Namen nennen? Damit Sie nach Oklahoma fahren und die Sache selbst in die Hand nehmen können? Nein, seien Sie ehrlich mit mir und überlassen Sie den Mann der Polizei.«
»Ich will ja, dass die Polizei sich um ihn kümmert.«
»Tja, das kann sie nicht«, sagte Farley, »jedenfalls jetzt noch nicht, weil es keine Verbindung zwischen dem Mann in Tulsa und Daniel Parmitt gibt. Aber wieso sollte es auch eine geben, wo Sie doch gar nicht Daniel Parmitt sind und wir nicht wissen, wer Sie wirklich sind? Wenn wir wüssten, wer Sie sind, würden wir auch die Verbindung kennen.«
»Sheriff Farley«, sagte Parker. »Ich mache Ihnen ein Angebot.«
Farley überlegte. Er schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die weiße Motorhaube hinaus, die in der Sonne glühte. Er drehte die Klimaanlage ein Stück zurück. »Ich kann’s mir ja wenigstens mal anhören.«
»Ich sage Ihnen, welche Verbindung es zwischen mir und diesem Mann gibt«, sagte Parker. »Es ist eine idiotische Verbindung, aber eine andere gibt es nicht. Sie sagen mir den Namen von dem Typ in Tulsa, und ich gebe sämtlichen Gesetzeshütern im ganzen Land ein Jahr Zeit, um ihn festzunageln. Wahrscheinlich brauchen Sie nicht mal einen Monat, so wie der Typ gestrickt ist. Aber wenn Sie es alle zusammen versauen, dann bringe ich ihn in einem Jahr und einem Tag um.«
»Warum wollen Sie es so machen?«, erkundigte sich Farley.
»Weil er mir jetzt schon furchtbar auf den Geist geht. Weil ich nicht mehr an ihn denken müssen will.«
»Der Mann hat auf Sie schießen lassen. Verspüren Sie keinerlei Wunsch, es ihm selbst heimzuzahlen?«
»Warum denn? Ihr seid besser dafür ausgerüstet, zuverlässig zu ermitteln, ob er wirklich der richtige ist. Und ich will ihn aus meinem Leben raus haben, nicht in meinem Leben drin. Und noch was, Sheriff, unter vier Augen: Ich möchte auch nicht, dass Sie mir weiter nachschnüffeln. Sie leben wieder Ihr Leben in Snake River, und ich lebe meins irgendwo anders.«
»Wenn ich Sie noch mal sehe —«
»Werden Sie nicht.«
Farley überlegte. »Wenn ich Sie einbuchte, Ihre Fingerabdrücke nehme, Ihnen ein paar Tage lang Fragen stelle, Sie meinen Freunden vom FBI zeige, dann wette ich drauf, dass wir ein paar Antworten kriegen, über die wir uns freuen.«
»Sheriff«, sagte Parker, »wenn Sie auch nur einen einzigen Schritt in dieser Richtung machen, jetzt, wo wir beide hier zusammen in Ihrem Auto sitzen, dann sind Sie ein viel dümmerer Mensch, als ich dachte.«
Farley überlegte. »Ich bin bewaffnet«, sagte er.
Parker hob, ihm zugewandt, die Hände und krümmte die Finger zu Krallen. »Ich auch.«
»Mann, sind Sie ein harter Brocken!«
Parker ließ die Hände sinken. »Also, haben wir einen Deal?«
»Sie sagen mir, welche Verbindung zwischen Ihnen und dem Mann in Tulsa besteht, und Sie halten sich ein Jahr lang von ihm fern. Wir sollten genug Material von Ihnen kriegen, um ihm auf die Schliche zu kommen.«
»Und Sie sagen mir, wie er heißt.«
»Zulf Masters«, sagte Farley.
»Zulf Masters.«
»Man weiß von ihm nur, dass er reich ist — Erdöl, wird allgemein angenommen. Er macht in Immobilien — Bürogebäude und Einkaufszentren — überall in Oklahoma, Kansas und Missouri.«
»Das ist gewaschenes Geld«, sagte Parker. »Das hat er nicht aus dem Ölgeschäft. Zulf Masters«, wiederholte er, um sich den Namen einzuprägen.
»Natürlich weiß niemand, ob das sein richtiger Name ist«, sagte Farley.
»Ist es nicht«, sagte Parker.
»Das sind äußerst zwielichtige Gestalten, Parmitt«, sagte Farley. »Genauso schlimm wie Sie.«
»Machen Sie sich Notizen, Sheriff.«
Farley hatte auf der Konsole zwischen den Vordersitzen Stift und Notizbuch liegen. Er nahm sie folgsam in die Hand und sagte: »Schießen Sie los.«
»In Galveston, Texas«, sagte Parker, »gab es einen Mann namens Julius Norte.«
»Gab.«
Parker buchstabierte den Namen. »Irgendwann im Lauf des letzten Monats ist er ermordet worden. Wahrscheinlich von denselben beiden Strolchen, die auf mich geschossen haben.«
»Oho«, sagte Farley.
»Norte hat falsche Papiere beschafft.«
»Zum Beispiel für Daniel Parmitt.«
»Stimmt. Er hat saubere Arbeit geliefert, die den meisten Überprüfungen standhielt. Nur Bonitätsgeschichte war natürlich keine dabei.«
»Sie hatten Ihre Geburtsurkunde bei sich«, sagte Farley. »Das kam mir gleich komisch vor, aber ich hab’s nicht zu Ende gedacht.«
»Wenn die Chicagoer Polizei recht hat mit dem Typ in Tulsa, dann hat er seinen Namen von Norte. Und wer er auch ist, irgend so ein südamerikanischer Kriegsherr, ein Drogenhändler oder was auch immer, er will nicht, dass irgend jemand den alten Menschen mit dem neuen in Verbindung bringen kann. Er hat sich also mit Sicherheit das Gesicht operieren lassen und den Chirurgen wahrscheinlich umgebracht. Er hat Norte getötet. Und weil ich zufällig vorbeikam, als seine Killer bei Norte waren, will er mich auch umbringen lassen. Jeder, der an dem Tag als Kunde zu Norte kam, musste damit rechnen, dass ihm von da an dieser Typ auf den Fersen sein würde.«
Farley schaute von seinem Block auf. »War’s das? Das ist alles? Sie waren zur falschen Zeit bei Norte, und deswegen will der Typ Sie abservieren?«
»Ich nehme an, er ist ein Relikt aus einer früheren Zeit, als die meisten Probleme noch dadurch gelöst wurden, dass man Leute umbrachte.«
»Wenn wir beweisen können, dass Zulf Masters Identität gefälscht ist, kommen wir dem echten Mann auf die Spur.«
»Eins konnte Norte allerdings nicht liefern: die Sozialversicherungsnummer. Er hatte keinen Zugriff auf die amtlichen Unterlagen, hat er mir gesagt.«
»Das bricht ihm den Hals«, sagte Farley. »Sie haben recht, wir werden kein Jahr brauchen.«
»Er wird ein ekelhafter Kunde sein, wenn Sie erst mal wissen, wer er wirklich ist.«
Farley musste lachen. »Schlimmer als Sie und ich?«
»Schlimmer als Sie«, sagte Parker. »Fahren Sie jetzt wieder nach Snake River zurück?«
»Ja, sicher. Um Chicago anzurufen.«
»Dann können Sie mich in Miami Beach absetzen.«
»Das wäre ein Umweg.«
»Aber kein großer. Außerdem könnten Sie mir einen Vierteldollar fürs Telefon geben.«
Farley schüttelte den Kopf. »Sie haben vielleicht Nerven, Parmitt, das muss man Ihnen lassen.«
Vierzig Minuten südlich von Palm Beach auf der Interstate 95 sagte Farley: »Es ist aber nicht Mackenzie.«
Parker sah ihn an. »Was ist Mackenzie nicht?«
»Die, mit der Sie sich in Miami Beach treffen.«
»Farley«, sagte Parker. »Sie denken ständig an diese Frau. Mit der würden Sie gern was anfangen, stimmt’s?«
»Was soll der Quatsch.« Farley schaute grimmig geradeaus. »Ich bin glücklich verheiratet.«
»Das sagen sie alle«, erwiderte Parker, und Farley redete nicht mehr von Lesley.
Auf der Collins Avenue in Miami Beach fragte Farley: »Wo soll ich Sie absetzen?«
»Egal. Irgendwo.«
»Nein, Sie haben doch noch Schmerzen. Sie können nicht weit laufen, also lasse ich Sie raus, wo Sie wollen.«
»Irgendwo an der Collins ist schon okay.«
Farley lachte. »Sie wollen mir nicht den geringsten Hinweis geben.«
Parker schaute den Mädchen mit den gestählten Körpern zu, die sich auf ihren Rollschuhen halsbrecherisch zwischen den Rentnern durchschlängelten. Alles Extreme war hier zu finden.
Farley hielt vor einem Hydranten. »Ich geb’s auf«, sagte er. »Moment noch: Ihr Vierteldollar.« Er nahm ihn aus einem Becher auf dem Armaturenbrett.
»Danke.«
»Wissen Sie, Parmitt«, sagte Farley, während Parker die Tür öffnete, »das ist schon eine bittere Niederlage für mich, dass Sie einfach so davonspazieren.«
»Ach ja?«
»Ich überlege ständig, ob ich Sie nicht doch hätte drankriegen können.«
»Sehen Sie’s positiv«, sagte Parker. »Da wird Ihnen wenigstens nicht langweilig.«