Emporzuschauen war schwierig, wenn man in einem Mech-Anzug saß. Durch das Kuppelfenster hatte Speaker zwar ein gewisses Maß an peripherer Sicht, aber um den Blick wirklich nach oben zu richten, musste sie den Anzug so bewegen, dass ihr Körper im Sitzen nach hinten kippte. Sie wäre nicht auf die Idee gekommen, das zu tun, hätte sie nicht zufällig von ihren Triebwerks-Kompatibilitätsdaten aufgesehen und bemerkt, wie die Aliens im Garten schreiend auf irgendetwas zeigten.
Rasch manövrierte Speaker den Anzug aus dem Schuppen und neigte den Torso so, dass sie etwas sehen konnte. Der Himmel war von gasförmigen weißen Streifen überzogen. Wolken, war ihr erster Gedanke, dem rasch die Erkenntnis folgte, dass Gora nicht genug Atmosphäre hatte, um Wolken zu bilden. Das bestätigte sich, als sich der Rand eines der Streifen von flauschigem Weiß in die unverwechselbare Farbe von Feuer verwandelte. An einer anderen Stelle tauchte ein weiterer, gleichartiger Streifen auf, dann noch einer und noch einer, ein stetig wachsender Chor ferner Feuerstreifen im freien Fall.
So schwer der Anzug auch war, sie konnte damit ziemlich schnell rennen.
»Was ist los?«, rief sie, während sie zu den anderen hinüberlief. Die Worte drangen aus der Vox, die sich außen an ihrem Anzug befand, gingen jedoch im Lärm der anderen unter, die Ähnliches durcheinanderbrüllten.
»Was ist da los?«, rief der Quelin.
Die Äluonerin kam angerannt, das Laru-Kind dicht neben sich. »Mama!«, sagte das Kleine und lief zu Ouloo hinüber.
»Verfügt der Planet über die Möglichkeit, einen Notruf abzusetzen?«, wollte die Äluonerin wissen.
Tupo schlängelte sich unter Ouloos Beinen hindurch. »Mama, was ist das? «
»Irgendein Alarmsystem?«, fragte die Äluonerin.
»Ich … Ich …« Entsetzt starrte Ouloo zum Himmel hinauf, Mund und Augen weit aufgerissen.
»Es sind so viele«, sagte der Quelin. »Könnte es vielleicht – o Scheiße.«
Eine gewaltige Explosion gesellte sich zu dem Chaos – lautlos durch die Entfernung, was sie jedoch um nichts weniger erschreckend machte. Durcheinanderwirbelnde Trümmer flogen in alle Richtungen davon, lauter trügerisch kleine Flecken am Himmel. Etwas Großes zerbrach dort oben, und es war nicht das einzige Irgendwas seiner Art, dem es so erging.
Alle reagierten auf ihre Art: Die Äluonerin verfärbte sich blutrot, das Fell der Laru sträubte sich, der Quelin spreizte die zahlreichen oberen Beine seitlich ab. Speaker saß reglos in ihrem Cockpit, sämtliche Muskeln angespannt, und durch das Stimmengewirr der anderen und das Durcheinander der Fragen, die ihr durch den Kopf schossen, drang ein einziger Gedanke:
Tracker war dort oben.
Die Äluonerin übernahm das Kommando. Entschlossen ging sie auf Ouloo zu, sah sie direkt an und sagte: »Wo ist Ihr Sib-Turm?«
Ouloo rang nach Luft und zeigte mit einer Pfote einen der Wege entlang.
Die Äluonerin lief los.
Speaker folgte ihr.
Der Ansible-Turm war nicht weit entfernt, und Speaker holte rasch auf und kam gleich nach ihr an. Die Äluonerin öffnete die manuelle Zugangsklappe, zog ihren Scribus aus dem Gürtelholster und sah sich um, als würde sie etwas suchen. Frustration färbte ihre Wangen violett.
Speaker begriff; die Äluonerin hatte den drahtlosen Zugangscode für den Turm nicht und musste ihren Scribus deshalb direkt anschließen. Speaker griff mit den Mech-Händen in die Fächer, die an der Taille des Anzugs befestigt waren, und holte ein Standard-Verbindungskabel heraus. »Geht das hier vielleicht?«, fragte sie und hielt es der Äluonerin hin.
Die Äluonerin sah sichtlich überrascht auf, als würde sie Speakers Anwesenheit erst jetzt bemerken. »Ich glaube schon«, sagte sie und griff mit langen, silbrigen Fingern nach dem Kabel. Sie hielt es zusammen mit dem Scribus hoch und betrachtete Buchse und Stecker. »Ja, ja, das wird funktionieren.« Sie schloss das Gerät an und warf Speaker einen kurzen Blick zu. »Danke.«
Ouloo kam von hinten angelaufen, offenbar hatte sie sich zusammengerissen. »Versuchen Sie es mit der Notverbindung«, sagte sie. »Der Kanal ist 333 -A.« Ihr Kind klebte förmlich an ihr, und der Quelin war ihr dicht auf den Fersen.
Ein breiter Flammenstreifen zerriss den Morgenhimmel, und Speaker war zumute, als müsste ihr das Herz zerspringen. Sie musste hier weg. Sie musste zu Tracker. Was auch immer hier los war, sie und ihre Schwester mussten weg davon, und zwar sofort.
Die Äluonerin machte eine Geste zum Scribus-Bildschirm hin. Er reagierte auf den Befehl, indem er eine schwindelerregende Abfolge bunter Blitze anzeigte. Für die Äluonerin ergab das vermutlich Sinn, aber Speaker zuckte zurück, unfähig, direkt hinzusehen. Die Äluonerin gestikulierte erneut und sagte laut: »Farbübersetzung deaktivieren. Aktiviere Klip-Audiowiedergabe.«
Der Scribus gehorchte; eine Stimme erklang. »… bitte bewahren Sie Ruhe, bis wir uns einen Überblick über die Lage verschafft haben .«
»Ich kann nicht Ruhe bewahren, solange ich nicht weiß, was für eine Lage es ist«, schnaufte der Quelin.
»Still jetzt«, befahl die Äluonerin.
Die Rüschen des Quelin stellten sich bei diesen Worten auf.
Die Durchsage ging weiter. »… bitte verzichten Sie auf Notrufe, sofern Sie nicht wirklich Hilfe brauchen. Wir sind über die Situation unterrichtet und lassen es Sie wissen, sobald wir die Lage angemessen …« Weißes Rauschen unterbrach die Stimme. »… wird derzeit … nicht … alle Flüge … vorerst canceln …«
»Die letzte Wartung des Turms ist gerade erst gewesen«, sagte Ouloo verzweifelt. »Ich verstehe das nicht; eigentlich müsste er funktionieren.«
»Es liegt nicht am Turm«, sagte Tupo. Speaker wandte den Anzug zu dem Kind um. Zwischen den Beinen sirer Mutter verrenkte sich Tupo den Hals und schaute zum Himmel hinauf. Ser klammerte sich immer noch an Ouloo fest, aber in sirer Stimme lag die Ruhe von jemandem, der zu einer schrecklichen Erkenntnis gekommen war. »Da.«
Alle Erwachsenen sahen hin.
Der Himmel war inzwischen fast komplett von Rauch verhüllt, in dem hin und wieder Flammen aufblitzten. Die Trümmer waren jetzt dichter, und je länger Speaker hinsah, desto mehr Formen konnte sie im Chaos erkennen. Winkel. Gezackte Kanten. Hier und da das blaue Glitzern geborstener Solarzellen.
»Satelliten«, sagte Speaker. »Es sind die Satelliten.«
Roveg trat neben sie, seine vielen, spitz zulaufenden Füße tappten über den Boden. Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Es sind alle Satelliten.«